Protokoll der Sitzung vom 09.10.2019

Ich habe das hier, glaube ich, in aller Demut gesagt.

Aber wie kam es dazu? Das, was sich im Jahr 89/90 ereignet hat, haben wir, glaube ich, großen Staatsmännern zu verdanken. Ich erinnere an den 30. September 1989, Prager Botschaft, die Aussage von Hans-Dietrich Genscher: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“ Der Rest war nicht mehr zu hören.

Ich erinnere auch, Kollegin Gödecke hat es gerade gesagt, an die Pressekonferenz von Schabowski am 9. November 1989. An diesem Tag müssen wir daran erinnern, was Helmut Kohl aufgrund seiner Beziehung zu Gorbatschow gemacht hat. Das müssen wir heute noch einmal hervorheben. Deswegen haben wir die deutsche Einheit überhaupt erst erreichen können.

Wir müssen uns – ich glaube, ich darf hier für das ganze Haus sprechen – vor den mutigen Bürgern, die an den Montagsdemos und Gebeten teilgenommen haben – Carina Gödecke hat die Geschichte gerade etwas ausführlicher erzählt – verneigen und uns bei ihnen bedanken. Sie haben diese friedliche Revolution möglich gemacht. Dank dieser Leute stehen wir heute da, wo wir stehen.

Abschließend darf ich hinzufügen: Ich bin froh, dass wir die Mauer in Deutschland heute nicht mehr haben. Was wäre, wenn es die Mauer noch gäbe? Es würde die Einheit nicht geben, die Menschen würden immer noch in Unfreiheit leben.

Was wäre der DDR passiert? Sie wäre wirtschaftlich zugrunde gegangen, Das möchte ich mir, ehrlich gesagt, nicht ausmalen. Wir können aber abschließend keine Antwort darauf geben.

Ich bin aus diesem Grund der festen Überzeugung, dass es den Menschen in den neuen Bundesländern – so neu sind sie gar nicht mehr – heute besser geht.

Aber ich möchte einen anderen Punkt in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Ich möchte nicht verhehlen, dass es Umfragen gibt, die mittlerweile antidemokratische Entwicklungen zutage bringen, was bei mir durchaus beklemmende Gefühle auslöst. Es ist, glaube ich, ein großer Wert, dass es eine Demokratie gibt und dass die Menschen aus der ehemaligen DDR heute in Freiheit leben können. Alles andere – Carina Gödecke ist auch gerade darauf eingegangen – möchten wir nicht mehr erleben.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir uns gerade in diesem Parlament mit dem Thema „Demokratie“ beschäftigen. Wir haben dazu eine Enquetekommission zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie eingesetzt. Das ist der Ort, an dem wir darüber diskutieren wollen: Wie wollen wir unsere Zukunft demokratisch weiter ausbauen? Wie müssen wir auf Strömungen reagieren? Es ist unsere

Aufgabe als Parlamentarier, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns darüber Gedanken machen, wie wir unsere Demokratie nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern ganz konkret hier in Nordrhein-Westfalen zukunftsfest machen.

Um noch kurz auf die Anträge einzugehen: Thema „Gedenkstätten“. Wir steigen ja noch vertieft in die Haushaltsberatungen ein. Wir haben Gedenkstätten, und deswegen bin ich froh über den Antrag: Gedenkstättenfahrten von Schülern werden mit 500.000 Euro gefördert, im nächsten Jahr – so steht es im Haushaltsentwurf – mit 1 Million Euro. Es geht nicht nur um NS-Gedenkstätten, sondern auch um solche für Opfer des Sozialismus. Darüber bin ich froh.

Ich werbe noch einmal für unseren Entschließungsantrag. Zum Antrag der SPD enthalten wir uns. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Voge. – Nun spricht Frau Kollegin Freimuth für die FDP-Fraktion.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns aufgrund des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion in diesem Hause noch einmal mit der Überwindung der politischen Teilung unseres Kontinents und unseres Landes auseinandersetzen können, auch mit den sich daraus ergebenden aktuellen Herausforderungen.

Die Ausgangslage ist, das ist schon dargestellt worden, im Antrag zutreffend beschrieben, bei Weitem keine Selbstverständlichkeit, wie wir an anderer Stelle noch feststellen werden.

Natürlich können in einem solchen Antrag nicht alle ineinandergreifenden Wendepunkte dargestellt werden, die letztlich zum Fall bzw. zur Durchlässigkeit der Mauer führten und die den Weg freimachten für den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes.

Wir sind nun aber nicht in einem historischen Seminar. Erwähnenswert sind in jedem Fall die Beiträge nicht nur der Bündnispartner, insbesondere der USA, Großbritanniens und Frankreichs, sondern auch des damaligen Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michael Gorbatschow.

Auch unter Ziffer II des Antrags der Sozialdemokraten ist viel Zutreffendes dargestellt. Heute, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, droht dem Lebenswerk vieler Menschen, die sich unter Gefahr für Leib und Leben für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit eingesetzt haben, wieder

Gefahr, weil antiliberale Kräfte des Rückschritts diese Werte im In- und Ausland bedrohen.

Ich sage ganz klar für die FDP-Fraktion: Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn jene Kräfte das Erbe der wechselvollen deutschen und europäischen Freiheitsgeschichte abwickeln und die Dialogfähigkeit sowie die Toleranz unserer freiheitlichen Gesellschaft negieren wollen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur bietet die Chance, diese Gefahren in der Gegenwart zu erkennen. Wir haben dafür zu sorgen, dass in Deutschland jetzt und in Zukunft eine lebendige und vielfältige Gemeinschaft in Frieden, Freiheit und Freundschaft mit unseren Nachbarn und Partnern leben kann. Deswegen kommen der Bildung, Erinnerung und Aufklärung zu Recht eine hohe Bedeutung zu.

Allerdings – das ist dann der Bereich, der einen irritierenden Zungenschlag in Ihren Antrag bringt, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, weshalb wir uns auch der Stimme enthalten werden – sind Ihre Aufforderungen an die Landesregierung nicht erforderlich. Sie erkennen nicht an, was bereits auf den Weg gebracht wurde.

Bei der Umstellung und Überarbeitung der Kernlehrpläne für das Gymnasium von G8 auf G9 und auch bei der Konzeption der Stundentafeln wurde ausdrücklich darauf geachtet, die historisch-politische Bildung zu stärken und gleichzeitig das neue Fach Wirtschaft/Politik aufzunehmen.

Bei der anstehenden Überarbeitung der weiteren Kernlehrpläne wird die historisch-politische Bildung ebenfalls gestärkt.

In den Haushalt 2018 wurden von CDU und FDP, von uns als Haushaltsgesetzgeber insgesamt – da haben, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch die Fraktionen von SPD und Grünen zugestimmt – 250.000 Euro für Gedenkstättenfahrten eingestellt. Für 2019 wurde der Betrag auf 500.000 Euro verdoppelt. In dem augenblicklich in der Diskussion befindlichen Etatentwurf für das Jahr 2020 verdoppelt sich die Summe erneut auf dann 1 Million Euro. Denn wir wollen die Schulfahrten zu Mahn- und Gedenkstätten auch weiterhin ermöglichen.

Angesichts der aussterbenden Zeitzeugengeneration nationalsozialistischen Unrechts kommt zum Beispiel gerade der Zusammenarbeit mit den Mahn- und Gedenkorten im In- und Ausland eine besondere Bedeutung zu.

Ausdrücklich gewünscht und ausdrücklich mit einbezogen ist die Auseinandersetzung mit dem DDRUnrecht, die Einbindung der Gedenkorte des DDRUnrechts und die Zusammenarbeit mit den Zeitzeugen, die wir Gott sei Dank noch zahlreich haben. Diese Arbeit wollen wir intensivieren.

Ich möchte mich bei den Lehrkräften in unserem Land ebenso wie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der außerschulischen Bildungsträger herzlich für die vielen kreativen, interdisziplinären Konzepte zur Aufklärung, Erinnerung und Bildung insbesondere für junge Menschen bedanken.

Der Philosoph Elmar Kupke hat einmal gesagt: „Demokratie ist die Staatsform, die keiner mitbekommt, wenn sie nicht fehlt.“

Meine Damen und Herren, Bürgerrechte, Menschlichkeit, eine Demokratie mit freien, geheimen Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung und ein Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz sind Grundlagen einer freien, weltoffenen Gesellschaft. Ich wünsche mir für unsere Kinder und Kindeskinder, dass sie darin leben können.

Damit das so wird und damit das auch so bleibt, ist es notwendig, dass wir alle jeden Tag erneut dafür kämpfen und streiten, damit auf unserem Kontinent nie wieder ein Unrechtsstaat entstehen kann. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Als Nächste spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Paul.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 9. Oktober 1989 – heute genau vor 30 Jahren – markiert vielleicht den eigentlichen Wendepunkt in der jüngeren deutschen Geschichte. An diesem Abend – das ist bereits mehrfach beschrieben worden – gingen 70.000 Menschen in Leipzig für Freiheit und Demokratie auf die Straße. An diesem Abend entschied sich nicht nur, dass die DDR vor einer revolutionären Wende stand; vor allem entschied sich an diesem 9. Oktober, dass diese Revolution friedlich verlaufen würde.

Die Führung der DDR beschloss, nicht auf eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste zu setzen. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk spricht davon, dass an diesem Abend das Regime de facto kapitulierte.

Dabei war ein friedlicher Ausgang der Demonstration und damit der gesamten Revolution keineswegs vorherzusehen. Noch im Juni hatte die DDR-Führung die blutige Niederschlagung des Protests auf dem Pekinger Tian’anmen-Platz begrüßt. Die Botschaft dahinter verstanden viele als klare Drohung gegen die Protestbewegung im eigenen Land.

Deshalb herrschte am 7. Oktober 1989 in erster Linie eine große Anspannung. Würden die Machthaber der DDR auch zu einer „chinesischen Lösung“ greifen?

Es ist ein Glücksfall der Geschichte, dass dies nicht passierte und damit eine friedliche Revolution möglich geworden war. Ich möchte sehr deutlich betonen, dass dies die einzige friedliche Revolution in der deutschen Geschichte gewesen ist.

Die Wendung der Geschichte kam aber nicht aus dem Nichts. Den ersten großen Erfolg feierte die Opposition im Mai 1989; denn da waren die Kommunalwahlen vom 7. Mai als eine Art Wahlfarce enttarnt worden. Eigentlich – das muss man im Unrechtsstaat der DDR leider so konstatieren – war das keine außergewöhnliche Geschichte. Nur: Diesmal konnten die Oppositionsgruppen nachweisen, dass die Ergebnisse systematisch gefälscht worden waren. Das stärkte die Opposition.

Ein weiterer Katalysator für die Ereignisse in Sommer und Herbst 1989 war, dass im Sommer 1989 viele Menschen die DDR verließen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir vor wenigen Tagen alle noch einmal die Bilder von der Prager Botschaft sehen konnten, von deren Balkon Hans-Dietrich Genscher am 30. September die Ausreisemöglichkeit für die Menschen, die auf dem Gelände ausgeharrt hatten, verkündete.

Am 9. November fiel dann die Mauer – ein Ereignis, das sich aufgrund seiner Bilder und der friedlichen und freudigen Begegnungen von Ost und West fest ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Der Fall der Mauer und die deutsche Einheit wären aber nicht ohne die friedliche Revolution und die mutigen Menschen, die sich selbst befreiten, möglich gewesen. Zu oft aber verblasst dieser entscheidende Beitrag zur Demokratiegeschichte unseres Landes hinter den großen Daten des 9. November und des 3. Oktober. Dabei ist die friedliche Revolution ein Lehrstück der deutschen Geschichte für Demokratie und Freiheit, und das nicht nur im Osten unserer Republik.

Nicht nur die Geschichte der DDR als Unrechtsstaat und die Erinnerung an die Opfer der zweiten deutschen Diktatur im 20. Jahrhundert – darauf ist zu Recht schon vielfach hingewiesen worden – müssen fester Bestandteil von Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur sein. Die Geschichte der friedlichen Revolution darf und muss einer gesamtdeutschen Geschichte werden. Die deutsche Einheit ist nämlich kein Ostprojekt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, 30 Jahre nach friedlicher Revolution und Mauerfall wird vielfach über die deutsche Einheit Bilanz gezogen. Nicht weiter überraschend fällt diese Bilanz nicht nur zwischen dem Osten und dem Westen, sondern generell natürlich auch zwischen den Menschen und ihren unterschiedlichen Erfahrungen unterschiedlich aus.

Geschichte hat auch immer etwas mit Begegnungen zu tun. Auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution braucht es noch immer Anlässe für Begegnung, gegenseitigen Austausch und damit auch Beiträge zum gegenseitigen Verständnis.

Manchmal passieren dann ganz erstaunliche Dinge. Im Landtagswahlkampf in Sachsen kam es zu einer „rheinischen Versöhnungsgeschichte“; denn die Grünen-Kreisverbände von Köln und Düsseldorf fuhren gemeinsam zu den grünen Kolleginnen und Kollegen nach Chemnitz, um sie im Wahlkampf zu unterstützen. Ist es nicht eine schöne Geschichte, wenn es Chemnitz schafft, dass Köln und Düsseldorf gemeinsam dort ein Projekt angehen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Manchmal kommt es also zu kleinen lustigen Begebenheiten, die bei aller Ernsthaftigkeit des Ereignisses vielleicht auch zur Sprache kommen dürfen.