Manchmal kommt es also zu kleinen lustigen Begebenheiten, die bei aller Ernsthaftigkeit des Ereignisses vielleicht auch zur Sprache kommen dürfen.
Die deutsche Einheit war mit dem 3. Oktober – und auch mit der kleinen Geschichte von Köln und Düsseldorf in Chemnitz – aber nicht abgeschlossen. Im Gegenteil! Die eigentliche Arbeit fing damals natürlich erst an.
Die Wendezeit ist für die Menschen im Osten Deutschlands eine Zeit von Hoffnung und Aufbruch, aber auch von Brüchen gewesen. Vor allem die Wirtschaft und damit der Arbeitsmarkt brachen mehr oder weniger zusammen. Aus der Arbeitsgesellschaft der DDR wurde die Transformationsgesellschaft der neuen Länder. Mit der Arbeit verloren viele Menschen auch ihr soziales Gefüge. Der Betrieb war in der DDR nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Lebensort.
Zur deutschen Geschichte nach 1989 gehören auch diese Geschichten und Erfahrungen. Es ist nicht zuletzt die Geschichte eines gigantischen Strukturwandels. Wer wüsste nicht auch Geschichten und Gemeinsamkeiten zum Thema „Strukturwandel“ zu erzählen, wenn nicht wir in Nordrhein-Westfalen? Vielleicht sind auch das Anknüpfungspunkte für gemeinsame Erfahrungen und für einen gemeinsamen Austausch von Erzählungen.
Dabei muss man konstatieren, dass dieser gigantische Strukturwandel im Osten vielleicht in der gesamtdeutschen Zeitgeschichte durchaus ein Nischendasein führt und möglicherweise hinter anderen Strukturwandelprozessen in der westdeutschen Geschichte verblasst.
Das Zeitgeschichtliche Form Leipzig hat diesen Transformationsleistungen in seiner Dauerausstellung Raum gegeben. Denn der Einheitsprozess endet, wie schon gesagt, eben nicht mit dem 3. Oktober.
Vielleicht fängt damit eine gesamtdeutsche Geschichte erst richtig an. Diese ist es wert, beispielsweise im Geschichtsunterricht auch hier, tief im Westen, mehr beachtet zu werden.
Darüber, ob dieser Diskussionsprozess trotz aller Verweise der NRW-Koalition schon am Ende ist, sollten wir gemeinsam noch einmal sprechen. Es ist richtig, dass diese Bereiche auch in der historischen und politischen Bildung gestärkt werden. Aber der Diskussionsprozess über den Weg dorthin und darüber, wie intensiv wir bestimmte Bereiche bearbeiten, ist sicherlich noch nicht am Ende.
„Die Zäsur von 1989 hat jedenfalls in Deutschland keine generationelle Prägekraft entfaltet. … ,1989‘ ist also ein … bis heute vieldeutiger und unscharf markierter Erinnerungsort.“
Ich denke darüber nach, ob das denn so ist, ob es also etwas ist, was keine gemeinsame Prägekraft entfaltet hat, und darüber, was das denn dann für eine gesamtdeutsche Demokratiegeschichte heißt. Ich habe mich gefragt, warum in vielen ostdeutschen Parlamenten zum 9. November oder zum 3. Oktober Gedenkveranstaltungen stattfinden, aber nicht in jedem deutschen Landesparlament. Ist es nicht eigentlich eine gesamtdeutsche Erzählung?
Nächstes Jahr feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit. Das wäre doch eine gute Gelegenheit, auch hier in Nordrhein-Westfalen einmal zu überlegen: Was hat das eigentlich mit uns gemacht? Was bedeuten 30 Jahre deutsche Einheit denn für uns? Welche Erfahrungen haben wir damit gemacht?
Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, zu diesem Anlass auch hier eine genauere Betrachtung, eine Veranstaltung, eine Feierstunde zu machen, um gemeinsam daran zu erinnern und gemeinsam zu reflektieren, was das eigentlich für uns als Gesamtdeutschland bedeutet.
Auf einem Plakat aus dem Herbst 1989 war „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ zu lesen. Diese Forderung ist auch heute noch aktuell; denn Vielfalt, Offenheit und Demokratie sind auch heute wieder – vielleicht waren sie es auch immer – Felder der Auseinandersetzung und der gesellschaftlichen Aushandlung.
30 Jahre friedliche Revolution sind nicht nur ein Grund, historisch zurückzublicken und möglicherweise gemeinsam Perspektiven auszuloten, die diese geschichtsträchtigen Momente mit sich gebracht haben. Vielmehr lohnt es sich meiner Meinung nach auch, von dort einen Blick nach vorne zu werfen, darauf aufzusetzen und festzuhalten, dass diese 30 Jahre friedliche Revolution und der damit verbundene Kampf der Menschen um Meinungsfreiheit und
Demokratie uns nicht zuletzt daran erinnern können und daran erinnern müssen, welch großen Wert es hat, dass wir in unserer Gesellschaft heute genau diese Diskussion über Offenheit und die Art und Weise, wie wir zusammen leben wollen, führen können. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Montag, der 9. Oktober 1989, heute vor 30 Jahren, war ein schicksalsträchtiger Tag für unser Land, das damals in zwei Staaten geteilt war.
Es war ein Tag voller Anspannung und fiebernder Erregung. Die Bewohner Deutschlands schienen den Atem anzuhalten; alle Sinne waren zum Zerreißen angespannt. Bereits morgens in der Frühe dieses Tages sendeten alle Rundfunkanstalten die große Furcht durch den Äther; denn den Menschen in Deutschland standen noch die Bilder vom Tian’anmen-Platz vor Augen, wo am 4. Juni 1989 die Führung des kommunistischen Chinas seine Soldaten mit brutaler Härte gegen protestierende Studenten vorgehen und mit scharfer Munition in die Menge schießen ließ. Zahlreiche Tote und Verletzte waren damals zu beklagen.
Abgesandte der DDR-Führung waren danach nach China gereist, um sich die dortigen Erfahrungen zunutze zu machen. Nun, am 9. Oktober 1989, zog die DDR-Führung in Leipzig ebenfalls ein Großaufgebot an Soldaten und Volkspolizisten zusammen, um offensichtlich gegen die Demonstranten vorzugehen.
Dass kommunistische Regierungen mit brutaler Gewalt rücksichtslos gegen ihre Bürgerinnen und Bürger vorgehen, wenn gegen sie protestiert und ihre Macht infrage gestellt wird, haben sie seit dem Bestehen von kommunistischen Staaten immer wieder bewiesen:
Angefangen bei der Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstands 1921 durch Lenin mit Tausenden von Toten über die fürchterlichen Verfolgungen missliebiger Personen in der Stalinära mit Millionen Toten bis zu der Niederschlagung der Volksaufstände am 17. Juni 1953 in der DDR und am 23. Oktober 1956 in Ungarn sowie der Niederschlagung des Prager Frühlings mit dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 in der Tschechoslowakei haben kommunistische Regierungen immer wieder ihre Brutalität gezeigt, wenn es darum ging, die eigene Macht gegen berechtigte demokratische Forderungen zu behaupten.
So war der 9. Oktober 1989 die letzte Gelegenheit für die DDR-Führung, ihre vormalige Autorität wiederherzustellen. Deshalb war die Befürchtung, dass es am Abend des 9. Oktobers 1989 in den Straßen Leipzigs zu einem ähnlichen Zusammenstoß zwischen den Demonstranten und den Polizeikräften wie in China mit vielen Toten und Verletzten kommen könnte, mehr als berechtigt.
Die Montagsdemonstrationen in Leipzig hatten sich nämlich seit dem 25. September zu einer machtvollen Gegenbewegung zur Parteidiktatur der SED entwickelt. In den Monaten nach den gefälschten Wahlen im Mai des Jahres 1989 hatten die seit 1982 veranstalteten Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche immer mehr Zulauf erhalten und auch ihren Charakter geändert. Die Absetzbewegungen seit dem Sommer 1989 über die Nachbarstaaten Ungarn oder Tschechoslowakei in die Bundesrepublik Deutschland sorgten zudem für erhebliche Aufgeregtheiten.
Nun wurde der Anspruch der Kommunisten, im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu sein und dementsprechend den Menschen vorschreiben zu können, wie sie zu leben hatten, durch die Demonstranten in Leipzig in Abrede gestellt. Dies war ein ungeheurer Vorgang – Menschen, die in freiheitlichen Verhältnissen groß werden, können sich dessen Ungeheuerlichkeit gar nicht vorstellen –; denn in den kommunistischen Staaten galt und gilt bis heute die Zeile des Dichters Louis Fürnberg „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“. Dieser Refrain wurde gesungen – und er wurde ernst genommen; man kann es sich nicht vorstellen.
Diesem Unfehlbarkeitswahn, der jeder menschlichen Vernunft und jeder aufklärerischen Diskurstheorie widerspricht, setzten die Kommunisten auch noch einen Allmachtswahn an die Seite. Der Schriftsteller und DDR-Kulturminister Johannes Robert Becher fasste diesen Allmachtswahn in einem seiner Gedichte mit den folgenden Worten zusammen – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –:
Diesen Anspruch auf Allwissenheit und Allmacht wussten die Kommunisten auch in der DDR rigoros durchzusetzen.
Wer den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1994 Drucksache 12/7820 mit dem Titel „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ liest, kann ahnen, welchen Unrechtscharakter dieser totalitäre Staat hatte.
Dort werden die Opfergruppen in Schädigungen an fünf verschiedenen Rechtsgütern eingeteilt: erstens Leben, zweitens Körper und Gesundheit, drittens Freiheit und Menschenwürde, viertens Eigentum, Vermögen, Einkommen und fünftens berufliches Fortkommen.
Da kann man solche Ungeheuerlichkeiten lesen wie: Tötung an der Mauer, staatliche Auftragsmorde im In- und Ausland, Tötung unter aktiver ärztlicher Mithilfe, bewusste Verweigerung von ärztlicher bzw. medikamentöser Betreuung sowie gezielt eingesetzte Schädigung insbesondere durch operative Maßnahmen, Zwangsadoptionen, planmäßige psychische Pressionen auf politische Gegner und Andersdenkende, Einweisung in Arbeitslager sowie Eingriffe in Bildung und Ausbildung.
Hinter diesen dürren Worten steht eine Vielzahl von Menschenschicksalen mit Qualen und Leiderfahrungen. Ich frage mich manchmal, was ein Staat bzw. die Regierung eines Staates denn darüber hinaus noch tun muss, ehe man diesen Staat einen Unrechtsstaat nennen kann.
Die DDR war ein Unrechtsstaat, wie er im Buche steht. Wer das bezweifelt und in Abrede stellt, verhöhnt die Opfer dieser Diktatur und verharmlost die Verbrechen, die in seinem Namen begangen worden sind.
Ich habe es als sehr wohltuend empfunden, dass meine Vorredner genau diesen Begriff für die DDR verwandt haben.
Von der Not und Angst, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, welche die Demonstranten vom 9. Oktober 1989 angesichts dieser durchaus bekannten zum Teil verbrecherischen Unterdrückungsmethoden hatten, liest man leider in Ihrem Antrag nichts. Sie beschreiben die Demonstration vom 9. Oktober 1989 fast wie einen Spaziergang, den man mal unternimmt, wenn man sonst nichts anderes vorhat und der Öffentlichkeit die eigene Befindlichkeit mitteilen will.
In seiner läppischen Art wird Ihr Antrag den Menschen nicht gerecht, die sich damals mit all ihrem Mut für die Freiheit und unsere Nation eingesetzt haben, obwohl sie die Befürchtung haben mussten, Leib und Leben zu riskieren.
Frau Gödecke hat das in ihrer Rede zum großen Teil berichtigt. Diese Rede kann ich im ersten Teil sehr wertschätzen. Allerdings haben Sie es dann auch nicht versäumt, wieder in diese alte Hetze gegen irgendwelche Leute und Parteien einzustimmen, die auch hier im Parlament sind. Das bedaure ich außerordentlich. Eigentlich hätten Sie das nicht nötig gehabt.
Mit dem Ruf „Wir bleiben hier!“ leiteten die Leute damals den Stopp der Massenflucht ein und wendeten die revolutionäre Energie nach innen. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ erinnerten sie die Regierenden daran, dass nicht eine Partei, sondern das Volk der Souverän ist, von dem jede Regierung ihre Legitimation erhält. Mit dem Ruf „Wir sind ein Volk!“ bekannten sie sich zur deutschen Nation, zu Deutschland als ihrem Vaterland.
Dieses Bekenntnis galt gestern wie heute und ruft uns eine wichtige anthropologische Konstante wieder ins Bewusstsein: Nation und Staatsvolk brauchen die Menschen auch in einer globalisierten Welt zur eigenen Lebensorientierung und um das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit erleben zu können.
Die demonstrierenden Bürger vom 9. Oktober 1989 können wir deshalb anderen Helden deutscher Geschichte an die Seite stellen: den Freiheitskämpfern von 1813, den Revolutionären von 1848 und den Widerstandskämpfern in der Zeit des Nationalsozialismus.
Der Antrag der SPD wird dieser Leistung aber nicht einmal in Ansätzen gerecht. Fangen Sie endlich an, die Menschen in diesem Land zu achten und zu respektieren. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.
Zu dem Entschließungsantrag der CDU werden wir uns enthalten, weil Sie sich in Ihrem Punkt 7 mal wieder dem grünen Zeitgeist angedient haben. – Vielen Dank.