Protokoll der Sitzung vom 15.11.2019

Des Weiteren ist darauf hingewiesen worden, dass Schule, Kita, Vereine, die Kirche etc. sozusagen mit ein Auge darauf haben sollen. Auch das ist zunächst einmal völlig richtig und unbestritten.

Aber – und das sollte dabei eben nicht zu kurz kommen – mitnichten geschehen Missbrauch und Gewalt gegen Kinder immer nur in der Familie. Auch das Gegenteil ist richtig: Missbrauch und Gewalt gegen Kinder geschehen in Vereinen, in der Kirche, in der Kita und in der Schule. Daher müssen auch die Eltern einen Blick in die andere Richtung haben.

In dem Antrag ist zudem von Kinderrechten die Rede. Das hört sich zwar nett an, doch ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen: Kinderrechte klingt zwar gut, aber Kinder sind Menschen und haben daher Menschenrechte.

Jüngst gab es eine Debatte über die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Vor diesem Hintergrund möchte ich zumindest CDU und FDP auffordern, auch ein Auge darauf zu haben, dass in dieser Kommission die Rechte der Familien und der Eltern gegenüber staatlichen Stellen nicht ausgehöhlt werden.

Das ist nur ein Appell für die Arbeit dieser Kommission. Ich denke, all diejenigen, die diese Kommission einrichten und ihr angehören werden, werden mit den allerbestem Absichten und mit gutem Willen für unsere Kinder handeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Frank Neppe [fraktionslos] und Alexander Langguth [fraktionslos])

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Stamp.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! In fünf Tagen jährt sich die Verabschiedung der EU-Kinderrechtskonvention zum 30. Mal.

30 Jahre Kinderrechte – und jeden Tag erreichen uns unfassbare Nachrichten über Gewalt gegen Kinder, oftmals über sexuelle Gewalt gegen Kinder. Deshalb sind wir alle gefordert, unsere Bemühungen zum Schutz von Kindern erheblich zu verstärken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mir ist bewusst, dass es eigentlich nicht üblich ist, dass sich die Landesregierung zu landtagsinternen Entscheidungen äußert, aber wir haben mit Blick auf den Schutz von Kindern vor Gewalt auch keine übliche Situation.

Ich möchte mich daher bei den Fraktionen von CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen für diese Initiative bedanken. Ich möchte mich stellvertretend auch namentlich bei Ihnen, Herr Kamieth, Herr Dr. Maeltzer, Herr Hafke und Frau Paul, sowie bei Ihnen, Herr Jörg, als Vorsitzendem des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend, ausdrücklich bedanken.

Im Zusammenhang mit den schweren Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs in Lügde haben wir bereits sehr früh darüber diskutiert, ob die Schaffung eines Amtes für einen Beauftragten zu Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs oder die Einsetzung einer Kinderschutzkommission die Arbeit in unserem Land unterstützen und voranbringen können. Wie Sie wissen, habe ich für beide Varianten wiederholt Sympathie geäußert.

Mit dieser Entscheidung zur Einrichtung der Kommission hier im Landtag vollziehen wir einen wichtigen Schritt. Auch wenn in den letzten Wochen und Monaten das Thema der sexuellen Gewalt gegen Kinder durch viele schreckliche und widerwärtige Taten im Fokus unserer Aufmerksamkeit stand, finde ich es richtig und wichtig, dass mit der Kinderschutzkommission ein breiterer Blick auf den Kinderschutz und die Kinderrechte gelegt wird. Die Wahrung der Kinderrechte ist der Kern des Kinderschutzes.

Für die einzelnen Themenbereiche gibt es bereits viele gute Ansätze und Ideen. Für Fragen der Prävention, der Intervention und der Nachsorge von sexualisierter Gewalt kann die Kommission, sofern sie das möchte, auch auf die Vorarbeiten der Landesregierung zurückgreifen.

Im Sommer dieses Jahres habe ich dazu das Impulspapier meines Ministeriums vorgelegt. Darin werden systematisch bestehende Expertise, aber auch Ideen und Anregungen zum Thema „Prävention und Schutz vor sexualisierter Gewalt“ zusammengeführt.

Ich habe immer betont, dass das nicht das Papier eines Einzelnen ist. Vielmehr haben wir bereits viele Ideen dazu gemeinsam zusammengetragen.

Bisher hat dieses Papier eine sehr positive Resonanz erfahren, was mich darin bestärkt, dass wir den begonnenen Weg gemeinsam weitergehen.

Darüber hinaus hat die Landesregierung am 3. September 2019 die Einrichtung einer Interministeriellen Arbeitsgruppe beschlossen, die den Auftrag hat, dem Kabinett im kommenden Jahr ein zwischen den Ressorts der Landesregierung abgestimmtes Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Beschlussfassung vorzulegen.

Mithilfe dieses Maßnahmenkonzepts sollen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche so stark es eben geht reduziert, Vorgehensweisen aufgezeigt und Betroffene schnell, effektiv und auch langfristig unterstützt werden.

Wir haben im Nachgang von Lügde sehr vertrauensvoll und konstruktiv zusammengearbeitet. Ich wünsche mir im Sinne der Kinder unseres Landes, dass wir das weiterhin so tun und es in der Kinderschutzkommission im gleichen Geiste fortsetzen. So furchtbar das Thema ist, freue ich mich dennoch auf die konstruktive Zusammenarbeit mit Ihnen allen in diesem Gremium. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Altenkamp das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre nicht nur zu den etwas lebensälteren Abgeordneten, sondern auch zu denjenigen, die schon etwas länger hier im Landtag sind, nämlich seit 2000.

2000 bin ich in einen Landtag gekommen, der damals gerade die Diskussion über die Frage, ob Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden sollten, hinter sich hatte. Diese Frage wurde bejaht.

Damals wurde im Zuge der Diskussion auch sehr intensiv über die Konsequenzen, die das für die Kinder- und Jugendschutzstrukturen sowie für den Familienschutz hier in diesem Land haben sollte, geredet.

Herr Pretzell, ob Kinderschutz und der Schutz und die Unterstützung von Familien zu einer unterschiedlichen Rangfolge führen könnten, haben wir damals sehr intensiv diskutiert.

Unsere abschließende Meinung lautete: Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Es kann nicht so sein, dass man Kinder schützt und Familie nicht gleichzeitig unterstützt. Dies ist in diesem Land also schon lange beantwortet.

Mich als eine derjenigen Abgeordneten, die seit über 20 Jahren im Bereich „Kinder- und Jugendhilfe und -schutz“ unterwegs ist, hat im Jahr 2018, als der

Fall Lügde zum ersten Mal aufkam, wirklich völlig umgehauen, dass die Regelung von Dingen, von denen wir geglaubt haben, wir hätten sie lange geregelt – nämlich dass Institutionen und Ämter mit Blick auf die Kinder ganz anders miteinander arbeiten –, an vielen Stellen nicht gelungen ist.

Das macht einen nach über 19 Jahren Angehörigkeit zu diesem Haus und als eine der letzten Abgeordneten, die zu der damaligen jugendpolitischen „Fraktion“, die ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss in der Kinder- und Jugendpolitik war, gehört hat, schon sehr nachdenklich.

In meiner Fraktion hat sich relativ schnell der Wunsch breitgemacht, dies fraktionsübergreifend zum Anlass zu nehmen, über das Thema „Kinderschutz“ und die Verbesserung der Infrastruktur für Familien und Kinderschutz hier in diesem Land noch mal nachzudenken.

Dennoch geht es meiner Meinung nach leider nicht nur um Lügde, Bergisch Gladbach, Niederrhein und das andere, was sich da in der Zwischenzeit gezeigt hat. Es kann nicht nur um sexualisierte Gewalt und den Schutz davor gehen. Vielmehr muss in dieser Kommission an unterschiedlichen Aspekten auch noch mal grundlegend gearbeitet werden.

Uns geht es nicht um parteipolitische Geländegewinne. Es geht vor allen Dingen darum, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Land umfassend geschützt werden, denn Kinderschutz hat – das sage ich ganz deutlich – Verfassungsrang. Diesem Verfassungsrang zur Umsetzung, zur Durchsetzung zu verhelfen, ist für uns eine ganz wichtige Aufgabe.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie kennen das Sprichwort: Es brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. – Der 14. Kinder- und Jugendbericht hat es so formuliert: Die politische Verantwortung ist das Aufwachsen in gemeinschaftlicher Verantwortung.

Aus dem Grund geht es in dieser Kinderschutzkommission auch darum, dass wir über alle Ebenen gemeinsam überlegen, was wir noch mehr tun können, um unsere Kinder zu schützen – also Legislative, Exekutive und – das sage ich ausdrücklich – Judikative.

Dabei geht es nicht darum, die Ebenen gegeneinander auszuspielen. Es wird darum gehen zu schauen, was wir noch mehr tun können und wie passieren konnte, was in Lügde vorgefallen und so lange unentdeckt geblieben ist.

Wir sollten in dieser Kommission nicht nur über den Schutz vor sexualisierter Gewalt sprechen – dennoch muss das meines Erachtens die Priorität sein –, sondern uns auch damit auseinandersetzen, dass es andere Orte gibt, die für Kinder sehr lebenswichtig sind,

in denen es aber mit dem Schutz offensichtlich noch nicht so geklappt hat, wie wir uns das schon seit 2000 gewünscht und vorgestellt haben – also Schule, Kita, Sportvereine, sämtliche Gesellungsformen. Denn der sexuelle Missbrauch und die sexualisierte Gewalt – das haben wir in den letzten zehn Jahren Diskussion ja leider mitbekommen müssen – haben in all diesen Institutionen stattgefunden.

Alle diese Institutionen müssen sich damit auseinandersetzen, wie man Kinder und Jugendliche in der eigenen Obhut besser schützen kann. Deshalb muss sich auch der Staat, also wir, noch stärker damit auseinandersetzen.

Ich bin auch Mitglied im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Lügde und habe dort letzte Woche Freitag hören müssen: Wir sollten nicht annehmen, dass alle Menschen, die sich kinderpornografische Filme und Fotos herunterladen, das aus pädophilen Motiven heraus tun, denn es gibt auch sehr viele, die ganz andere Motive, auch kriminelle Motive, haben. Dazu gehören auch Gewinnmaximierung und andere Dinge.

Das ist das nächste Thema: Auch in Nordrhein-Westfalen werden unsere Kinder nach wie vor ausgebeutet. Auch das müssen wir sehen, dass Kinder in einigen Kreisen als Ware betrachtet werden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, auch in der Kinderschutzkommission.

Wir müssen deshalb über Verwahrlosung, wir müssen über Vernachlässigung sprechen. Wir müssen uns fragen, ob der Grundgedanke, den wir seit 2000 eigentlich immer hatten, dass alle unsere Kinderschutzmaßnahmen darauf gerichtet sein müssen, dass Kinder in der Familie am besten untergebracht sind, wirklich in allen Fällen stimmt. Möglicherweise kann das nicht in allen Fällen das Ziel von staatlichen Eingriffen sein.

Wir müssen über Schnittstellenproblematiken sprechen, denn das wurde bei Lügde und jetzt bei dem Fall in Bergisch Gladbach deutlich: Es gibt nach wie vor Optimierungsnotwendigkeiten, insbesondere bei der Zusammenarbeit von Polizei und anderen Ämtern.

Wir müssen uns in der Kinderschutzkommission noch einmal deutlich mit dem Thema „Gesundheitsschutz“ auseinandersetzen, aber auch mit dem Schutz vor Armut.

Wir sollten uns – nicht nur, weil es gerade in der Öffentlichkeit öfter diskutiert wird – mit dem Thema „Systemsprenger“ auseinandersetzen, denn das ist ja auch ein Teil der Antwort, dass unser System, von dem wir glauben, dass es eigentlich ganz umfassend Kinder schützen sollte, das eben nicht tut und zum Teil erfordert, dass sich Kinder diesem System anpassen. Können sie es nicht, tun sie es nicht, gibt es

große Schwierigkeiten hinsichtlich des Kinderschutzes, so wie er angemessen wäre.

Wir schlagen vor, ich schlage vor, schrittweise vorzugehen und Schwerpunktthemen zu setzen, die wir dann gründlich unter Hinzuziehung von Experten und Gutachtern möglichst im Konsens umsetzen und bei denen wir durch Anträge und gemeinsame Initiativen im Parlament oder auch darüber hinaus deutlich machen, welchen Weg wir gehen wollen.

Das, Herr Minister, geht eben nur mit dem Ministerium, mit der Landesregierung, denn an vielen Stellen muss es einfach deutliche Fortschritte nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch bundesweit geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es gesagt. Ich bin seit 2000 Mitglied des Landtags. Herr Minister, lassen Sie mich Folgendes sagen: Ich bin über viele Jahre immer sehr skeptisch gewesen, wenn Menschen gefordert haben: Das ist doch völlig klar. Da müssen mehr Leute in den ASD, und dann wird alles schon gut.