Protokoll der Sitzung vom 15.11.2019

Das setzt natürlich eine entsprechende Aus- und Fortbildung der Fachkräfte und eine Entwicklung von Schutzkonzepten in allen Einrichtungen, in denen sich Kinder aufhalten, voraus.

Wir müssen von der Kultur des Wegguckens wegkommen. Wir brauchen dringend eine Kultur des Hinsehens und des Zuhörens bei sexueller Gewalt gegen Kinder.

Eine Kultur des Hinsehens und des Zuhörens heißt auch, dass von der Spitze des Eisbergs mehr aus dem Wasser ragt, mehr Fälle bekannt werden und diesen Kindern Schutz zukommt. Genau das muss das Ziel sein.

Das bedeutet dann aber auch, dass wir ein dichteres Netz an Kinderschutzstrukturen in Nordrhein-Westfalen und flächendeckend entsprechende Beratungsstellen für Kinder und ihre Angehörigen brauchen. Wir brauchen mehr Therapiemöglichkeiten.

Wir brauchen aber auch Anlaufstellen für diejenigen, die mit Kindern arbeiten – sei es hauptamtlich, zum Beispiel in den Kitas oder in den Schulen, oder ehrenamtlich, zum Beispiel in den Sportvereinen. Auch diejenigen brauchen Beratung und Begleitung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Machen wir uns nichts vor: Wenn wir es mit dem Kinderschutz ernst meinen – und ich denke, das tun alle hier Anwesenden –, müssen wir den politischen Druck beim Thema „Kinderschutz“ aufrechterhalten und für diese Strukturen entsprechende Finanzmittel zur Verfügung stellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe es schon einmal im Innenausschuss gesagt, bevor der Untersuchungsausschuss Lügde begann: Ich glaube, hierin liegt auch unsere Verantwortung als Abgeordnete.

Wir alle wissen, wie schnell politische Themen von den nächsten Themen, dem nächsten politischen Skandal überlagert werden. Das passiert ganz schnell; das wissen wir alle. Beim Thema „Kinderschutz“ darf uns das aber nie wieder passieren. Dafür sind wir alle verantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir alle hier im Raum sind dafür verantwortlich, dass der Kinderschutz fraktionsübergreifend dauerhaft eine hohe Priorität genießt.

Ich bin froh, dass wir jetzt gemeinsam die Kinderschutzkommission einrichten. Uns Grünen war es von Anfang der Diskussion an wichtig, dass daraus

eine dauerhafte Kommission wird, denn Kinderschutz ist eine Daueraufgabe.

Das konkrete Arbeitsprogramm muss sich die Kommission dann selbst erarbeiten und geben. Aus meiner Sicht sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Kommission mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ startet.

Dass sich diese Kommission mit dem Kinderschutz strukturell und abgekoppelt vom politischen Tagesgeschäft auseinandersetzt, ist wirklich wichtig und ein hoher Mehrwert für dieses Thema.

Diese Kommission hat die Chance, den Kinderschutz fraktionsübergreifend weiterzuentwickeln und zu stärken. Diese Chance sollten wir gemeinsam mit der Kommission nutzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD hat nun die Abgeordnete Kollegin Frau Dworeck-Danielowski das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist unbeschreiblich traurig, dass die Anzahl der Kinder, denen Gewalt angetan wird, nicht kleiner wird.

Das ZDF bestätigte dieses Jahr in seiner Doku mit dem Titel „Feige, niederträchtig oder schlicht überfordert? Wie es zu Kindesmisshandlung kommt und was man dagegen tun kann“:

Jede Woche sterben in Deutschland, hier in unserer Mitte, drei Kinder an den Folgen ihrer Misshandlungen. Jede Woche werden hier in unserer Mitte 70 Kinder so schwer misshandelt, dass eine ärztliche Versorgung notwendig ist. Dabei sind wir uns alle der grausamen Tatsache bewusst, dass das nur die Fälle sind, die als solche erkannt werden.

Bei einer Anhörung in der vorangegangenen Legislaturperiode, die sich mit dem Thema „Kinderschutz“ und insbesondere mit dem Vorstoß hin zum interkollegialen Austausch von Ärzten befasst hat, hat einer der Sachverständigen mit einem Zitat aus einem Lehrbuch der Rechtsmedizin die Schwierigkeiten beim Erkennen von Kindesmisshandlungen im Gesundheitswesen sehr anschaulich auf den Punkt gebracht – Zitat –:

„Bei kaum einem Gewaltdelikt sind die Vertuschungsmöglichkeiten so groß wie bei der Kindesmisshandlung. Der Täter ist meist der Betreuer und entscheidet selbst über die Arztbesuche. Das Opfer kann sich zumeist nicht oder nur unzureichend artikulieren. Der behandelnde Hausarzt (…)“

oder auch Kinderarzt –

„sowie gegebenenfalls der Sachverständige beim Schwurgericht stehen vor einem Dilemma. Fast jeder Einzelbefund kann letztlich auch durch einen Unfall erklärt werden. Die eindeutige Diagnose ergibt sich aus der Vielzahl ungewöhnlicher Verletzungen und insbesondere aus der eindeutig mehrzeitig entstandenen Verletzung.“

So endet der Beitrag.

FDP und CDU haben in Oppositionszeiten das Thema sehr ernst genommen – so ernst, dass es sogar nach der gewonnenen Wahl in ihrem Koalitionsvertrag niedergeschrieben wurde. Dort heißt es auf Seite 7:

„Zur Verbesserung des Kinderschutzes werden wir den interkollegialen Ärzteaustausch zur Verhinderung von doctor-hopping und Gewalt gegen Kinder ermöglichen und den Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit geben.“

Jetzt, in Regierungsverantwortung, warten zahlreiche Ärzte immer noch auf ihre Rechtssicherheit. In der großen Anhörung rund um Prävention von Misshandlung und Missbrauch von Kindern wurde auch, aber eben nicht nur, vom Verein RISKID wieder auf die notwendige Veränderung in dieser Hinsicht hingewiesen.

Jetzt, in der Regierung, wird das Zögern so begründet: Das müsste man über den Bund regeln, eine Bundesratsinitiative anstoßen usw.

Herr Stamp, Sie gerieren sich hier doch immer gerne als der Macher. Wir fragen uns dann natürlich: Warum passiert das nicht?

Was hingegen tatsächlich passiert – und deshalb reden wir heute über den Kinderschutz –, ist eine eindeutig spürbare allgegenwärtige Erkenntnis, dass wir alle viel mehr für den Schutz von Kindern tun müssen. Das Bisherige hat eben nicht ausgereicht, um die Gewalt gegen Kinder, den sexuellen Missbrauch von Kindern, die Verwahrlosung und Vernachlässigung von Kindern weniger werden zu lassen.

Lügde war eine Art Schocktherapie für uns alle, und ich bin mir sicher, dass keiner von uns gedacht hätte, dass wir so schnell wieder mit einem so unbeschreiblichen Fall konfrontiert werden wie in Bergisch-Gladbach.

Der Kinderpornoring aus Bergisch-Gladbach – ich bin in der Nähe zu Hause – macht deutlich, welche Auswirkungen auch die Digitalisierung auf Verbrechen dieser Art hat.

Wenn ich lese, dass zehn Terabyte Daten gesichert wurden, was laut Medien ca. 2,5 Millionen Bildern entspricht, und es Chatgruppen gibt – das wurde heute auch schon genannt –, die bis zu 1.800 Mitglieder haben, sprengt das meine Vorstellungskraft.

Hier wurde lediglich eine Gruppe aufgedeckt, und dass das nur die Spitze eines Eisbergs ist, macht das fast unerträglich.

Es war noch nie so leicht, sich mittelbar an Missbrauch und Ausbeutung von Kindern zu beteiligen wie heute. Wenn Kinderpornokonsumenten, die sich über das Netz am Missbrauch beteiligen, animieren und offenkundig auch einen Anreiz für die Täter darstellen, mit einer Bewährungsstrafe davonkommen wie im Fall Lügde geschehen, bleibt jeder Mensch mit einem normalen Gerechtigkeitsempfinden fassungslos zurück.

Das sind die Fälle, die es in die Medien schaffen, die alle betroffen machen und große Aufmerksamkeit erlangen.

Nicht weniger erschreckend ist, dass die Zahl der Inobhutnahmen und Kindeswohlgefährdungen hier in Deutschland kontinuierlich steigt. Von Experten wird die Vernachlässigung als eine passive Form der Gewalt als größtes Problem eingeschätzt: kein Zuspruch, kein Interesse, keine Förderung, keine Fürsorge, keine Bindung.

Kaum messbar und lange unauffällig werden Kinder auf diese Weise massiv in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört. Es ist ein Trauerspiel und anscheinend ein so großes Thema, dass der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte zu den gängigen U-Untersuchungen kleine Videoclips produziert hat, die den frischgebackenen Müttern mit auf den Weg geben und erklären, dass das eigene Kind, der Säugling, das Baby Nähe braucht und man beim Stillen lieber einmal das Smartphone aus der Hand legen sollte.

Kinderschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Deswegen begrüßen wir die interministerielle Zusammenarbeit. Wir begrüßen auch die Einrichtung einer Kinderschutzkommission und werden dem Antrag selbstverständlich zustimmen.

Wir bedauern allerdings, dass die Worte in Ihre Ansprache, Herr Dr. Stamp, bei so wichtigen Themen müsse die Parteipolitik außen vor bleiben – so haben Sie es mehrmals im Ausschuss gesagt –, nur ein Lippenbekenntnis sind. Das wurde hier sehr deutlich.

Kinderschutz ist in der Tat eine fraktionsübergreifende Herzensangelegenheit, und dazu zählt hier im Haus nun einmal auch die AfD-Fraktion. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Als Nächster hat der Abgeordnete Herr Pretzell das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren

Kollegen! Drei Minuten sind etwas zu kurz, um sich so ausgiebig mit dem Kinderschutz zu befassen, wie es notwendig wäre.

Erlauben Sie mir daher in Bezug auf diese Kommission, die sicherlich von allen hier im Hause in bester Absicht eingerichtet und mit entsprechenden Rechten ausgestattet wird, einige Appelle an Sie.

Mir ist bei Ihren Reden und auch beim Durchlesen Ihres Antrags eines aufgestoßen: Immer wieder ist erwähnt worden, wie viele Kinder in ihrem nächsten, insbesondere familiären Umfeld schwer misshandelt werden. Das ist erst einmal richtig, das ist wahr: Die allermeisten Fälle passieren im familiären Umfeld.

Des Weiteren ist darauf hingewiesen worden, dass Schule, Kita, Vereine, die Kirche etc. sozusagen mit ein Auge darauf haben sollen. Auch das ist zunächst einmal völlig richtig und unbestritten.