Protokoll der Sitzung vom 22.01.2020

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle sehr herzlich willkommen zu unserer heutigen, 78. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen.

Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich vier Abgeordnete entschuldigt;

(Unruhe – Glocke)

ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Damit treten wir in die Tagesordnung ein:

1 „Wir kriegen euch alle“ – Ehrenamtlich Aktive,

Amts- und Mandatsträger und Journalisten im Visier.

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/8493

In Verbindung mit:

Kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger vor Anfeindungen, Hass und Angriffen schützen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/8494

Die Fraktion der SPD und die Fraktionen der CDU und der FDP haben jeweils mit Schreiben vom 20. Januar gem. § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu den oben genannten aktuellen Fragen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Kollegen Wolf das Wort und bitte noch einmal, den Geräuschpegel zu senken und den Worten des ersten Redners zu folgen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zu Beginn sehr deutlich betonen: Ich weiß, dass wir – die demokratischen Fraktionen – geschlossen im Kampf gegen Bedrohungen, Gewalt und Hetze zusammenstehen.

Wir streiten hier nur über den richtigen Weg zum Ziel, aber nicht über das Ziel selber.

Zu Beginn will ich daher all denjenigen, die jeden Tag auf der Straße ihren Kopf hinhalten, unsere volle Solidarität zum Ausdruck bringen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die Abgeordneten der demokratischen Fraktionen stehen an Ihrer Seite, Sie sind nicht allein. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir heute gemeinsam nach guten Lösungen für die Herausforderungen dieser Zeit suchen. Die Fraktion der SPD reicht allen demokratischen Fraktionen hierzu gerne die Hand.

(Beifall von der SPD)

Wir müssen eng zusammenstehen im Kampf gegen die rechte Gewalt und gegen rechte Hetzer – vor allen Dingen im Kampf gegen rechte Gewalttäter. Ich halte es für keinen Zufall, dass der Hauptverdächtige im Fall Lübcke der AfD viel näher stand, als bisher bekannt gewesen ist, denn auch aus geistiger Brandstiftung wird ganz schnell ein loderndes Feuer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei aller Gemeinsamkeit der Demokraten – wenn ich jetzt einzelne Punkte herausgreife, die ich kritisiere – ist dies ein Appell, dass wir diese Schwachstellen gemeinsam und im Konsens beheben können, denn wir können gemeinsam viel tun, und wir haben auch noch viel zu tun.

Ich will mit einem Zitat beginnen:

„Statistiken und Studien belegen, dass (…) – auch ehrenamtlich – für das Gemeinwohl Tätige bei der Erfüllung ihrer gemeinnützigen Aufgaben zunehmend gewalttätigen und verbalen Übergriffen ausgesetzt sind. (…) Das Strafrecht muss daher deutlicher als bisher zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft Straftaten gegen Personen, die für die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens essentielle Aufgaben wahrnehmen, nicht duldet.“

Jetzt fragen Sie sich: Von wem ist dieses Zitat? – Das ist nicht etwa von Horst Seehofer, dieses Zitat stammt von Hannelore Kraft, und zwar aus einer Bundesratsinitiative aus dem Jahr 2016. Bereits vor vier Jahren also hat die rot-grüne Landesregierung eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die das Ziel hatte, Straftaten gegen Amtsträger, Ehrenamtliche und Notfallhelfer härter zu bestrafen.

(Beifall von der SPD)

Bereits vor vier Jahren haben wir dieses Problem gesehen und eine konkrete Lösung erarbeitet. Was ist aber aus dieser Initiative geworden, Herr Ministerpräsident? – Nach dem Regierungswechsel ist diese Initiative ohne inhaltliche Begründung fallengelassen worden, ich vermute, nur weil der Name Hannelore Kraft draufstand.

Wie wichtig wäre gerade in der jetzigen Zeit eine deutliche Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes? – Bitte überdenken Sie Ihre Haltung. Rufen Sie diese Initiative erneut auf. Herr Laschet, Sie können dann ja direkt neben Frau Kraft unterschreiben.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren – ein weiteres Zitat:

Es gab früher die Praxis, dass manchmal wegen Bagatellen auch Verfahren eingestellt wurden. Wir stellen keine Verfahren wegen angeblichen mangelnden öffentlichen Interesses mehr ein. Jedes Verfahren wird jetzt verfolgt. – Zitatende.

Dieses Zitat stammt von Armin Laschet, vom 21. Mai letzten Jahres auf dem Gewerkschaftstag des DGB zum Thema „Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes“.

Wir haben sechs Monate später im Rechtsausschuss nach dem Sachstand gefragt. Die Landesregierung hat uns dort mitgeteilt – ich zitiere –: Jeder Praktiker weiß: Es werden immer Fälle bleiben, in denen eine Einstellung sachgerecht sein kann.

Sie merken, dass der Justizminister dem Ministerpräsidenten öffentlich widerspricht. Minister Biesenbach hat weder die Dienstanweisungen geändert, noch einen klarstellenden Erlass an die 19 Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen geschickt. Er hat nichts gemacht. Deswegen agiert die Justiz weiter wie bisher.

Die Ankündigung des Ministerpräsidenten beim DGB ist also ein leeres Versprechen gewesen. Leere Versprechen, Herr Ministerpräsident, vergrößern den Frust der Betroffenen. Diese fühlen sich dann nämlich nicht ernst genommen. Das ist dann die Verletzung nach der Verletzung. So dürfen wir mit Betroffenen nicht umgehen.

(Beifall von der SPD)

Niedersachsen macht das ganz klar anders: Dort werden Attacken, Übergriffe gegen Amtsträger, Rettungssanitäter, Polizisten, Hilfeleistende nicht ohne Weiteres wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die kriegen das hin.

Ich kann mich nur der Forderung des Oberbürgermeisters von Leipzig anschließen: Das sollte in ganz Deutschland Schule machen.

(Beifall von der SPD)

Zum Schluss will ich noch auf den Bürgermeister von Kamp-Lintfort zu sprechen kommen. Der fühlte sich von der Polizei und der Justiz alleingelassen. Er hat dann entschieden, dass er in seiner Stadt rechte Hetze auch nicht in Form von Plakaten duldet. Dagegen ist er sehr couragiert eingeschritten.

Bekam er auf die vielen folgenden Bedrohungen hin den Schutz, den er verdient hätte? – Nein, gegen ihn wurde sogar strafrechtlich ermittelt. Als er dann einen Waffenschein beantragte, hat man ihm gesagt: Das geht nicht, hier laufen Ermittlungen.

Sie merken also: Die zuständige Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen eingestellt hat, hat die zuständigen Behörden überhaupt nicht informiert. Ist das Ihre berühmte Nulltoleranzstrategie?

Das ist wirklich ein schlimmer Fall, in dem ein Bürgermeister komplett im Regen stehen gelassen wird. Das darf sich nicht wiederholen. Deswegen müssen wir heute ein klares Zeichen der geschlossenen, landesweiten Solidarität an alle senden: Ein Angriff auf euch ist ein Angriff auf uns alle. Deswegen stehen wir an eurer Seite. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Boss das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns heute im Rahmen der Aktuellen Stunde mit dem Thema „Kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger vor Anfeindungen und Angriffen schützen“ beschäftigen, ist richtig und wichtig, aber auch beschämend und zugleich verstörend.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Anzahl an körperlichen und verbalen Übergriffen wirft kein gutes Licht auf den Zustand unserer Gesellschaft.

Doch von welcher Opfergruppe reden wir? – Wir reden über die Basis, über das Fundament unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es geht um diejenigen Menschen, die sich haupt- und ehrenamtlich für unsere Demokratie und für unsere Sicherheit einsetzen.

Dass Amtsträger persönlich angegriffen, verletzt oder gar getötet werden, dass Angriffe auf Büros von Bundestagskollegen verübt werden, dass Bürgermeister aus Angst ihr Amt abgeben, dass ein Bürgermeister aus meiner niederrheinischen Heimat zunächst sogar einen Waffenschein beantragt hatte – all das sind Warnsignale, die wir ausgesprochen ernst nehmen müssen.