„Es wäre sinnvoller, dieses Instrument aus allen Verfassungen zu streichen, als es in einigen neu einzuführen, …“
Herr Trennheuser von Mehr Demokratie e. V. – Zitat –: „Das brauchen wir schlicht und ergreifend nicht.“
Meine Damen und Herren, all diese Einwände aus der Anhörung nimmt die AfD nicht zur Kenntnis. Zu der zweiten Lesung legt sie einen unveränderten Gesetzentwurf vor, der nicht einmal die kritischen Anmerkungen ihres eigenen Sachverständigen aufgreift. Das zeigt einmal mehr: An konstruktiver Arbeit ist die AfD nicht interessiert.
Vielen Dank, Herr Professor Dr. Bovermann. – Nun spricht Frau Kollegin Freimuth für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der gestern verstorbene frühere Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen Dr. Burkhard Hirsch hat einmal gesagt:
„Selbst parlamentarische Mehrheiten sind nicht von der politischen Pflicht befreit, sich ernsthaft und nachhaltig um die Zustimmung des eigentlichen Souveräns zu bemühen, nämlich um die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Bürger, die sie repräsentieren sollen. Ohne diese Rückkopplung verliert eine parlamentarische Demokratie Basis und Glaubwürdigkeit.“
Ich stimme Burkhard Hirsch ausdrücklich zu und stelle fest: Wir Freien Demokraten bekennen uns eindeutig zur repräsentativen und parlamentarischen Demokratie in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt, weil sich diese Form der Demokratie nicht nur bewährt hat, sondern weil sie zahlreiche Vorteile gegenüber anderen Formen hat. Dazu ist schon einiges gesagt worden.
Ich stimme mit dem Kollegen Bovermann überein, dass der Gesetzentwurf der Fraktion der AfD grundlegend von diesem klaren Bekenntnis zur repräsentativen und parlamentarischen Demokratie abrückt. Der Gesetzentwurf stellt diese Verfasstheit existentiell in Frage.
Es ist ein Vorteil der parlamentarischen Demokratie, dass wir am Ende der Willensbildung zu einer strukturierten und fundierten Entscheidung der parlamentarischen Mehrheit, also der von den Wählerinnen und Wählern legitimierten Volksvertreter, kommen. Das Gesetzgebungsverfahren ist ein intensiver und manchmal langwieriger Weg.
Wir wissen das, wenn wir allein daran denken, wie wir zum Beispiel diesen Gesetzentwurf beraten haben: Wir haben dazu hier im Plenum beraten, wir haben in den Fachausschüssen beraten, wir haben eine Sachverständigenanhörung dazu durchgeführt.
In der Tat war die Anhörung sehr eindeutig. Selbst dort, wo man gelegentlich schon einmal unterschiedliche Akzentsetzungen und Bewertungen ausmachen kann, haben die Sachverständigen klargestellt: Diesen Gesetzentwurf brauchen wir nicht.
Das gilt nicht nur für die Forderung, dass der Landtag durch einen Volksentscheid aufgelöst werden kann. Darüber herrschte wirklich völlige Einigkeit. Die Mehrzahl der Sachverständigen hat auch ganz klar zurückgewiesen.
Kollege Bovermann hat es schon dargestellt, dass auch der Vergleich mit der Schweiz hinkt. Es gibt dort eine ganz andere Verfasstheit. Dort ist das Volk in der Rolle der Opposition, weil es eine Allparteienregierung gibt.
Das ist bei uns anders: Hier findet im Plenum, im Parlament der Austausch der unterschiedlichen Perspektiven, Standpunkte, Interessen und Meinungen statt. Genau dieser Diskurs ist das, was unseren Parlamentarismus so stark macht.
Es wurde auch in der Anhörung ganz klar gesagt, dass der Gesetzentwurf gerade in Bezug auf die haushaltswirksamen Fragen, auf die Finanzfragen als ausgesprochen problematisch angesehen wird. Dazu, wie das praktisch umgesetzt werden soll, fehlte es allen Sachverständigen letztlich an Vorstellungskraft. Es wurden dann interessante Fragen aufgeworfen, an welchen Kriterien man gegebenenfalls Mitbestimmungsrechte und Betroffenheiten festmachen wolle.
Das ist genau das, was wir grundlegend anders sehen. Wir wollen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger seine Stimme hat und diese bei den Wahlen abgeben kann.
Aber in der Enquetekommission und an verschiedenen anderen Stellen hier im Parlament beraten wir immer wieder, wie wir diesen Dialog mit dem Souverän, dem Bürger, im Sinne dessen, was ich eingangs von Burkhard Hirsch zitiert habe, intensivieren können, um Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Entscheidungsprozesse, die wir im Parlament führen, einzubinden. Da wird vieles diskutiert. Ich meine, dass wir dahin gehend wirklich gute Konzepte in der Enquetekommission erarbeiten werden.
Insgesamt ist der Gesetzentwurf abzulehnen, weil er die Stärken unserer parlamentarischen Demokratie verkennt. In diesem Sinne lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grüne – das habe ich auch schon bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs gesagt – stehen ohne Wenn und Aber zur repräsentativen Demokratie. Wir stehen genauso ohne Wenn und Aber zur Stärkung und Ergänzung durch direkte Demokratie, weil sich über die letzten Jahrzehnte ein gutes Miteinander dieser verschiedenen Formen der demokratischen Mitbestimmung entwickelt hat.
Wir sehen, der Bedarf auch an der Ausweitung direktdemokratischer Elemente ist nach wie vor vorhanden. Viele Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass sich die demokratischen Institutionen stärker öffnen und diesen Weg stärker gehen. Insofern haben wir uns schon seit vielen Jahren dafür eingesetzt, auch in der letzten Legislaturperiode, in der Verfassungskommission beispielsweise, die Unterschriftenhürde für Volksbegehren deutlich abzusenken, auch deutlich weiter, als es im Gesetzentwurf der AfD vorgesehen ist.
Sie wissen alle, dass die Verfassungskommission in der letzten Legislaturperiode nicht zentral an dieser Frage, aber insgesamt gescheitert ist und es nach wie vor diese Baustelle gibt. Wir werden diese Baustelle natürlich jetzt auch weiter angehen, genauso wie wir in diesem Bereich der direkten Demokratie auf Landesebene die Themenausschlüsse bei Volksbegehren reduzieren und die Bedingungen deutlich erleichtern müssen.
Da sind wir in der Diskussion – das ist völlig klar –, und diese Diskussion wird durch den AfD-Antrag auf jeden Fall nicht zielführend gelöst.
Genauso ist es mit dieser etwas seltsamen Geschichte mit der Landtagsauflösung durch Volksentscheid, die Sie in Bayern ausgegraben haben. Auch das habe ich in der Einbringung gesagt, es mag in der Realität Bayerns kurz nach dem Zweiten Weltkrieg möglicherweise ein Instrument gewesen sein. Aber es ist natürlich kein Instrument für eine gefestigte demokratische Ordnung, wie das im Jahr 2020 ist, sondern es zeugt nur davon, dass die AfD – das will ich jetzt mal freundlich ausdrücken – ein tiefes Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen hat.
Wir haben in der Debatte immer wieder gehört, dass die Schweiz als Modell für direkte Demokratie gilt. Man darf das Schweizer Modell der Konkordanzdemokratie nicht missverstehen als ein Modell, in dem das Recht des Stärkeren ohne Wenn und Aber gilt. Denn das ist falsch. Es ist ein grundlegendes Missverständnis dieses Verfassungsmodells, und es ist falsch.
Es ist auch nicht das, was wir brauchen. Wir brauchen selbstverständlich, wenn wir direkte Demokratie stärken, starke Schutzrechte, starken Minderheitenschutz. Die Schweizer lösen das durch ein unterschiedliches und ziemlich verschachteltes und kompliziertes Quorenmodell, das aber zu einer Reihe von Minderheitenschutzrechten führt. Das sind Themen, die wir auf der Tagesordnung haben müssten, wenn wir über direkte Demokratie reden, außer wir interessieren uns wie die AfD nicht für Minderheiten und ihren Schutz.
Insofern passt es sehr gut, dass Sie das Thema hier nicht mit hineingebracht haben, aber es gehört selbstverständlich in die Diskussion, genauso wie wir
insgesamt nicht das Recht des Stärkeren brauchen, sondern einen politischen und institutionellen Rahmen, in denen gesellschaftliche Konflikte durch Kompromiss, durch Interessensausgleich gelöst und miteinander verhandelt werden.
Letzter Punkt, den ich in dieser Debatte wichtig finde, weil sich auch in der Erfahrung der Schweiz immer wieder zeigt, dass dieser Punkt unterbelichtet ist: Direkte Demokratie darf kein Elitenprojekt sein, sondern wir brauchen bei allen Formen von Bürgerbeteiligung eine breite Beteiligung. Das geht durch andere Instrumente eher als durch das, was Sie uns hier heute vorschlagen. Insofern lehnen wir diesen Antrag ab, weil wir ihn nicht brauchen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man mit Bürgern spricht, die für mehr direkte Demokratie im Land eintreten – das sind nach aktuellen Erhebungen übrigens zwei Drittel –, dann bekommt man dafür zuallererst immer einen Grund genannt:
Die Menschen glauben Ihnen nicht mehr; sie haben keine Lust mehr, sich alle vier oder fünf Jahre etwas versprechen zu lassen, ihre Stimme abzugeben und dann wehr- und tatenlos zuzuschauen, wie diese Versprechen nacheinander gebrochen werden.
„Demokratie braucht Beteiligung. Deswegen haben wir auf der kommunalen Ebene die Hürden für Bürgerbegehren schon 2011 gesenkt. Auf Landesebene ist dazu eine Änderung der Verfassung notwendig. Diese befürwortet die NRWSPD. – SPD, Wahl-O-Mat zur Landtagswahl 2017.“
„In Nordrhein-Westfalen steht die Volksgesetzgebung in der Verfassung gleichrangig neben der Parlamentsgesetzgebung. Einer Absenkung der Hürde von 8 % auf 5 % stehen wir offen gegenüber. – FDP, Wahl-O-Mat zur Landtagswahl 2017.“
„Wir setzen uns für Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Landesebene ein. Wir wollen diese Instrumente attraktiver gestalten und die Volksinitiative stärken, indem die bei einer
Volksinitiative gesammelten Unterschriften direkt für ein Volksbegehren angerechnet werden. Bei Volksbegehren wollen wir die Unterschriftenhürde deutlich senken und bei Volksentscheiden die Abstimmungshürde ebenfalls absenken. Wir wollen direkte Demokratie auch zu haushaltswirksamen Fragen ermöglichen. – Grüne, Wahlprogramm zur Landtagswahl 2017.“
Jetzt kommt der Gesetzentwurf, der diese Versprechungen alle umsetzen würde, und wir dürfen mit einem gewissen zoologischen Interesse Zeuge werden, wie Sie sich hier winden, nur um sich an Ihre eigenen Versprechen von gestern nicht mehr erinnern zu müssen.
Besonders eindrucksvoll, wenn auch nicht überraschend, ist die Heuchelei der Grünen in dieser Sache.
Herr Bolte-Richter erklärte ja schon in der ersten Lesung, dass man dem Gesetzentwurf nicht zustimmen wolle, weil wir die Anforderungen für Volksbegehren und Volksentscheid noch nicht genug absenken würden.
Auch den anderen Fraktionen sind nun allerlei Dinge eingefallen, die man an dem Entwurf aussetzen kann. Vor allem aber hört man, wir würden die parlamentarische Demokratie nicht hinreichend würdigen oder gar ganz infrage stellen.