Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher: Wir müssen und wir werden uns ändern – nicht nur äußerlich, bis die Friseure wieder öffnen.
Unser Bewertungsmaßstab ändert sich. Dinge, die noch vor Wochen unwichtig waren, bekommen eine neue Bedeutung.
Ich habe mich heute Morgen über jeden Lkw gefreut, der unterwegs war, weil er zeigt: Die Logistik funktioniert. Es gibt keinen Grund für Hamsterkäufe – die im Übrigen unsolidarisch sind.
Ich habe mich über den Bäckermeister gefreut, der im Radio von seiner Arbeit berichtete. Er zählt zu den Mutmachern, die jetzt gefragt sind.
Wir alle können als Gesellschaft aus dieser Krise etwas mitnehmen; vielleicht die Notwendigkeit, achtsamer mit dem Gegenüber umzugehen.
Wir als Politik können aus dieser Krise etwas mitnehmen; vielleicht die Notwendigkeit, über Systemrelevanz und Prioritäten neu nachzudenken – neu nachzudenken, ob die Bonpflicht jetzt wirklich sinnvoll ist, oder neu nachzudenken, ob wir die Herstellung von jetzt als systemrelevant gekennzeichneten Produkten wieder im eigenen Land möglich machen.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Wir gewinnt – auch heute in diesem Parlament. Deshalb danke ich allen Fraktionen in diesem Landtag herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit, insbesondere den Fraktionsvorsitzenden und den Parlamentarischen Geschäftsführern für ihre etwas erweiterte Arbeit. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das neue Coronavirus hat innerhalb kürzester Zeit unser aller Leben auf eine nie da gewesene einschneidende Weise verändert. Es hält die Welt in Atem und hält unser aller Leben an.
Heute ist für uns daher nicht der Tag der klassischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition. Wir Grüne wollen und werden uns als Oppositionsfraktion dieser historischen Krise stellen. Wir wollen staatspolitische Verantwortung mit übernehmen. Wir unterstützen die Landesregierung bei dieser riesigen Herausforderung und bieten unsere konstruktive Mitarbeit an.
Wir unterstützen die Landesregierung, damit die Hilfen schnellstmöglich dort ankommen, wo sie jetzt dringend gebraucht werden. Rechthaberei auf der einen Seite oder Überbietungswettbewerbe, wie man sie bei den Ländern untereinander erleben konnte, auf der anderen Seite bringen uns jetzt nicht weiter; denn nur gemeinsam können wir diese immense Herausforderung meistern.
Dazu gehört für uns aber auch eine konstruktiv-kritische parlamentarische Opposition, die eigene Vorschläge macht und auf Defizite hinweist. Dieser Herausforderung werden wir uns nicht nur heute stellen.
Im Kampf gegen die Zeit wurde das öffentliche Leben zu Recht auf ein Minimum reduziert, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen. Nur wenn jetzt über eine längere Zeit hinweg die direkten Begegnungen von Menschen massiv reduziert werden, gibt es eine Chance, dass die Kurve abflacht, die Zahl der Infektionen zurückgeht, letztendlich weniger Menschen sterben und unser Gesundheitssystem nicht komplett überlastet wird.
Oberste Priorität haben deshalb auch für uns jetzt die Gesundheit der Bevölkerung und die Aufrechterhaltung der bestmöglichen Versorgung für die Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Daher gilt mein erster Dank all denjenigen, die genau dafür Tag und Nacht arbeiten und in einem riesigen Kraftakt, an der Belastungsgrenze und darüber hinaus, rund um die Uhr die Versorgung der Kranken sicherstellen. Herzlichen Dank an alle Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in Katastrophenschutz und Hilfsorganisationen, Arzthelferinnen und Arzthelfer sowie Apothekerinnen und Apotheker! Herzlichen Dank, dass Sie für diese Kranken in dieser Zeit alles geben!
Mit diesem Dank verbunden muss ihnen aber auch konkrete Unterstützung zukommen. Alle verfügbaren Ressourcen – sowohl beim Personal als auch bei der fast überall fehlenden Schutzkleidung als auch bei der Bereitstellung von Bettenkapazitäten – müssen jetzt mobilisiert werden.
Mit einem Hilfsfonds muss aus unserer Sicht zusätzliches Personal eingesetzt werden – beispielsweise durch Aufstockung von Teilzeitkräften, Aktivierung von nicht mehr in Dienst befindlichen Fachkräften oder Einsatz von Studierenden, natürlich ohne Nachteile für ihr Studium. Es sollten auch Rentnerinnen oder Rentner zur Unterstützung außerhalb des Coronabereichs eingesetzt werden.
Alle Möglichkeiten der zusätzlichen Produktion von Schutzkleidung durch Unternehmen der Bekleidungsbranche, die sich jetzt melden, müssen schnell ausgenutzt werden. Schnellstmöglich müssen die Hilfe suchenden Arztpraxen damit ausgestattet werden.
Wir unterstützen auch ausdrücklich – der Ministerpräsident hat es heute erwähnt –, dass jetzt geplant wird, Bedienstete des Landes zur Unterstützung der örtlichen Gesundheitsämter zu entsenden.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit den ergriffenen Maßnahmen zu den Kontaktverboten sind die massivsten Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten verbunden, die wir in der Bundesrepublik Deutschland je vorgenommen haben. Dies ist auch für eine Bürgerrechtspartei wie die Grünen nach der Abwägung verhältnismäßig und geboten, weil der Staat jetzt den Schutz der Gesundheit aller im Blick haben und in den Mittelpunkt stellen muss.
Alle Eingriffe in Freiheitsrechte müssen in einer Demokratie aber befristet sein und immer wieder auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Demokratien haben Mechanismen, um schnell handlungsfähig zu sein. Sie haben aber auch die Fähigkeit, das eigene Handeln immer wieder zu hinterfragen, es zu überprüfen, auch Fehler zu erkennen und dann notwendige Anpassungen oder Korrekturen vorzunehmen.
Ich habe Vertrauen in unsere Demokratie und in unseren liberalen Rechtsstaat, dass sie sich auch in diesen Zeiten als handlungsfähig bewähren werden.
Die Folgen der Coronakrise sind eine seit dem Zweiten Weltkrieg nie da gewesene Herausforderung für unsere Wirtschaft. Das ifo Institut rechnet mit einer um – je nach Szenario – 7 bis 20 % schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Das heißt: Die Kosten dieser Krise werden alles übersteigen, was wir an Wirtschaftskrisen in der Bundesrepublik je erlebt haben.
Anders als in der Bankenkrise vor gut zehn Jahren sind jetzt nicht nur systemrelevante Banken betroffen und müssen gerettet werden, sondern fast die gesamte Realwirtschaft, die in der Tat insgesamt systemrelevant ist.
Es gibt massive Auswirkungen für die Beschäftigten, die jetzt vor Kündigungen stehen oder denen durch Kurzarbeit Lohneinbußen drohen – Kollege
Kutschaty hat dargestellt, was das im Einzelfall bedeuten kann –, aber auch für Minijobberinnen oder Studierende, die jetzt die Jobs, die sie für ihren Lebensunterhalt brauchen, verlieren, sodass zum Teil existenzielle Einnahmen wegbrechen.
Ich will hier nicht alle Bereiche der Wirtschaft aufzählen; sie sind genannt worden. Wir alle finden die dramatischen Hilferufe tagtäglich in unseren Mails. Es sind fast alle Bereiche der Wirtschaft betroffen – die Kultur- und Kreativwirtschaft, das Dienstleistungsgewerbe und die Solo-Selbstständigen bis hin zu den großen Betrieben.
Der Staat muss jetzt die kommende Insolvenzwelle auffangen. Auch diese Kurve muss abgeflacht werden. Zur Not muss dies aus unserer Sicht auch durch Staatsbeteiligungen erfolgen, wenn es denn für die Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Abläufe und die Sicherung von Arbeitsplätzen notwendig ist. Denn es sind ja gesunde Unternehmen, die derzeit in die Krise geraten. Sie müssen mithilfe des Staates durch die Krise kommen, damit auch danach das Wirtschaften weitergehen kann.
Wir unterstützen daher alle von der Landesregierung beschlossenen Maßnahmen zur Liquiditätssicherung, die Steuerstundungen oder auch die das Bundesprogramm ergänzenden Zuschussmöglichkeiten für kleinere Betriebe.
Das Geld zur Verfügung zu stellen, ist das eine. Der Staat steht gerade wirtschaftlich sehr gut da. Es zur Verfügung zu stellen, ist vielleicht sogar einfacher, als das Geld dann tatsächlich bereitzustellen und zu bewirtschaften. Das wird die weitaus größere Herausforderung sein.
Wir haben im Land die entsprechenden Strukturen. Wir haben die Bezirksregierungen. Wir haben die NRW.BANK. Wir haben gut aufgestellte Behörden.
Herr Ministerpräsident, Herr Pinkwart, ich glaube aber, dass wir sie jetzt auch deutlich ertüchtigen müssen, damit das Geld auch verausgabt werden kann. Sie hören die Hilferufe auch. Alle fragen: Wo und wie können wir das Geld beantragen? – Das muss leider schnell gehen. Ich weiß, dass Verwaltungen Tanker sind, die man nicht so einfach hochfahren kann. Die Betroffenen brauchen aber jetzt das Geld. Ich hoffe, dass die Behörden es schnell schaffen, das Geld auch an die richtigen Stellen zu bringen.
Wir stimmen gleich ebenfalls dem vorgelegten Rettungsschirm und dem Nachtragshaushalt zu. Wir sagen aber auch ganz klar: Dieses Parlament hat auch und besonders in Krisenzeiten ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, die Mittel zielgerichtet zu verwenden, wenn der Anspruch eines gemeinsamen Handelns ernst gemeint ist.
Es ist schön, dass ich in dieser Debatte ausnahmsweise einmal dem Kollegen Löttgen voll zustimmen kann. Denn auch er hat in seiner Rede erwähnt: Dieses Parlament muss jetzt auch Verantwortung übernehmen.
Es ist zwar die Stunde der Exekutive. Aber hier muss entschieden werden, wofür das Geld am Ende ausgegeben wird.
Dazu steht im Gesetz bislang noch nicht viel Konkretes. Das kann es auch nicht geben; das ist richtig. Wenn aber der Rettungsschirm, wie es im Gesetz ganz allgemein heißt – ich zitiere –, „zur Bewältigung aller direkten und indirekten Folgen der CoronaKrise“ verwendet werden soll, müssen wir klarstellen, was für uns nicht unter die Räder kommen darf.
Für uns sind selbstverständlich die gefährdete Realwirtschaft und die damit verbundenen Arbeitsplätze systemrelevant und müssen gerettet werden. Genauso systemrelevant ist aber die Aufrechterhaltung unserer sozialen Infrastruktur.
Schon jetzt sind keine Plätze mehr in den Frauenhäusern frei. „Stay home“ ist für uns alle positiv besetzt. Aber für viele Frauen bedeutet das, häuslicher Gewalt permanent ausgesetzt zu sein. Herr Reul, Sie haben die Zahlen der Polizei über zunehmende Einsätze wegen häuslicher Gewalt. Diese Einsätze werden noch weiter zunehmen. Schon jetzt gibt es keine Plätze in Frauenhäusern mehr.
Das Gleiche gilt leider auch für viele Kinder in unserem Land, weil die Inobhutnahmeplätze knapp werden.
„Stay home“ ist für Wohnungslose nicht umsetzbar, weil sie kein Zuhause haben und die Notunterkünfte derzeit nicht voll belegt werden können. Nahezu alle Wohnungslosen zählen ja zu den Risikogruppen und stehen jetzt auf der Straße.