Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

ner Erfolgsbilanz aus Regierungssicht. Das Argument, Armut

sei in mehrdimensionalen Lebenslagen beschreibbar, wird umgekehrt genutzt, um sämtliche sozialpoli;tische Aktivitäten von der Förderung von Kindertagesstätten bis zur aktivierenden Seniorenarbeit in den Kontext der Armutsbekämpfung einzuordnen." So weit die Studie der Bundesregierung zum rheinland-pfälzischen Armutsbericht.

Das heißt im Klartext: S~lbstdarstellung der Regierung statt fundierter Prpblemanalyse.- Es ist bedauerlich, dass diese im rheinland-pfälzischen Armutsbericht nicht stattfindet.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es rächt sich, dass im Gegensatz zu den anderen Berichten der Landesregierung, die von oder mit Fachinstituten, häufig auch unter Hinzuziehung von Fachbeiräten, erstellt werden, die rheinland-pfälzische Landesregierung allein die Federführung haben wollte.

So stellte der Vertreter der Liga bei der Anhörung Mängel fest. Ich zitiere: "Leider wird im rheinland-pfälzischen Armutsbericht das Instrumentarium des Lebenslagenberichts nicht genutzt. So bleibt unbekannt, wie_ viele Menschen hierzulande unter 50 % des durchschnittlich gewichteten Haus-· haltseinkommensbleiben oder in strenger oder milder Armut leben. Unerkannt bleibt, wie viele keinen Bildungsabschluss haben, wie viele Analphabeten sind oder_ wie viele Fa-milien weniger als einen Wohnraum ·pro Person haben. Unkla·r bleibt auch der Gesundheitszustand der Armutsbevölkerung." So weit die Liga in Rheinland-Pfalz.

Meine Damen und Herren, -es ist wirklich unerfindlich, weshalb zum Beispie_l das Mainzer Institut für Soziologie eine.

wirklich gründliche Bestandsaufnahme der Armut für

Schl~swig-Holstein verfasst, aber im eigenen Land erst in der 'Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss auf unseren Antrag hin Gehör fand. Auch unsere Forderung nach Ergänzung des Armutsberichts durch einen Reichtumsbericht findet breiten Widerhall in der Fachwelt. Nicht nur, dass es einen solchen

Bericht bereits in Niedersachsen· gibt _und die Bundesregierung einen entsprechenden Armuts- und Reichtumsbericht vorbereitet, s~ndern die Kirch~n und -wie gesagt- die Fach-_ weit fordern dies ebenso. Nur so erhalten letztlich die P.olitik und die Gesellschaft Informationen darüber, wie Armut wirk

sam bekämpft und das Ziel, zu mehr sozialer Gerechtigkeit zu kommen, verwirklichtwerden kann.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann nur das unterstreichen, was im Sozialwort der· Kirchen postuliert ist.

Creutzmann, F.D.P.: Oh!)

- ich zitiere die Kirche häufig. Sie sind noch nicht so lange hier.

,.Nicht nur Armut, auch Reichtum muss das Thema der politischen Debatte sein." So steht das im Sozialwort der Kirchen. Weiter heißt es dort: ,.Umverteilung ist gegenwärtig häufig Umverteilung des Mangels, weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird. Wir wissen, dass sich der Reichtum bisher ziemlich erfolgreich sträubt, sich genauer erfassbar zu machen." Das war auch einer der Inhalte der Diskussion im Ausschuss und auch einer der Inhalte der Anhörung."

Professor Dr. Hradil von dem Institut, das für SchleswigHolstein den _Bericht erstellt hat, das sich in Mainz.befindet, führte in der Anhörung a'us, dass das der eigentliche Punkt sei, der skandaliert werden fT!ÜSSe, dass Reichtum in dieser Gesellschaft nicht erfassbar sei. Er plädiert deshalb für die. Integration von Armuts- und Reichtumsberichten, und sei es nur deshalb, so sagte er, um konkret aufzuzeigen, wie mise

rabel im Land unsere Informationsbasis über Reichtum sei.

Meine Dame~ und Herren, das ist aber politisch änderbar. Deshalb unsere Anträge, die wir heute noch einmal zur Ab

s1immung stellen. Wir haben meiner Meinung nach die Fachwelt und diejenigen, die sich ganz stark mit den Werten, mit den ethischen Normen befassen, auf unserer Seite.

Meine Damen und Herren, zum Thema ,.Arn~ut und Gesundheit". Durch einen Kongress in Berlin ist noch einmal sehr deutlich geworden, dass die gesundheitliche Versorgung von Armen und insbesondere von Obdachlosen miserabel ist. So ist die Lebenserwartung dieser Menschen wesentlich geringer. Notwendige är4tliche Behandlungen erfolgen gar nicht oder viel zu spät.·

Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheits-. und Ernährungsberatung sind auf diese Bevölkerungsgruppen bisher so gut wie überhaupt nicht eingestellt, und unbehandelte Suchtprobleme sind sehr häufig vorzufinden. Schlimm ist dabei, dass auch Kinder und Jugendliche, die ihr Leben noch vor sich haben, in hohem Maße mit diesen Problemen b_elastet sind und damit keine Chancengleichheit haben.

Es hat mich deshalb wirklich seh_r gefreut, dass dieser Antrag der GRÜNEN im Ausschuss einhellige Zustimmung fand. Wir hatten ihn schon vor Jahren eingebracht. Wir freuen uns, dass Siediesen Weg jetzt mituns gehen.

Ich hoffe auf eine Verabschiedung im Plenum und auf eine engagierte Umsetzung durch die Landesregierung.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erwarten, dass die praktischen Erfahrungen auch von Herrn Dr. Trabert, der das echte und originäre Mainzer _Modell initiiert und auch erfolgreich in Mainz durchgeführt hat, dazu ebenso einbezogen werden wie der Sachverstand der Wohlfahrtsverbände.

E5 müssen sicherlich Gepräche mit der Ärzteschaft und den Kassen geführt werden. Vor Ort müssen auch die Gesundheits- und Sozialämter involviert sein und aktiv mitwirken.

Obwohl unser Antrag der Landesregierung keine ausdrückliche Berichtspflicht auferlegt,-würden wir es dennoch begrüßen, wenn die Landesregierung dem Landtag etwa zu Beginn des nächsten Jahres über die Umsetzung dieses Antrags berichten würde.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE. GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Ebli das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie definiert man ,.Armut"? Die gebräuchlichste Definition _ist von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Diese sagt: Man ist arm, wenn man weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens eines Landes zur Verfügung hat. - Arm sind demnach Menschen, die unterhalb einer Einkommensgrenze liegen. Allerdings halten wir es nicht für unbedingt richtig,· Armut rein materiell zu definieren. Armut ist keine klar sichtbare Ausprägung ·im Sinne materieller Armut, sondern eine Kombination von Lebenslagen, in denen verschiedene Defizite sichtbar werden: Ein niedriges Bildungsniveau, schlechte Ausbildung und damit auch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Unbestreitbar ist, dass es in unserer Gesellschaft viele Menschen gibt, die am Existenzminimum leben, mit jedem Pfennig rechnen müssen und dadurch auch von zahlreichen ge

sellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen sind. Bei unserer Anhörung am 2. September schilderte der Vertreter der Caritas, Herr Direktor Salz, in sehrdramatischer Art und Weise die

NotSituation einer allein erziehenden Frau und Mutter, die ihre Schuhe verbrennen musste, weil sie kein Geld fü~ Heizmate"rial hatte. Meine Damen und Herren, ich frage mich in diesem Zusammenhang: Wo war das örtliche Hilfe- und Beratungssystem?- Vom Gesetz her braucht das niemand. Es muss unser aller politisches Ziel sein, Bürgerinnen und Bürgern, vor allem Familien mit Kindern, die auf unsere Solidarität angewiesen sind, entsprechende Hilfl7 zukommen zu lassen.

Es ist schon bedrückend, wenn man feststellen muss, dass der Anteil der Kinder in der Sozialhilfe in Rheinland-Pfalz im Jahr 1997 auf rund 37 % angestiegen ist. Familien mit Kindern, insbesondere allein Erziehende, sind besonders häufig von Armutssituationen betroffen. Deshalb sind die Reform

des Familienlastenausgleichs, das rheinland-pfälzische Programm.,Armut statt Sozialhilfe" und.,Arbeit muss sich loh

nen" genau der richtige Weg.

Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsstelle be

ginnt oftmals der soziale Abstieg, weil damit auch häljfig der Verlust der Wohnung verbunden ist. Beis.pielhaft ist die Une terstützung der Kommunen durch das Land, die die Lebens

bedingungen von M~nschen in sozialen Brennpunkten verbessern. Ich nenne nur die Projekte.,Wohnumfeldverbesserung" mit den Entwi.cklungskonzepten.,Die soziale Stadt". oder.,Die Hilfen durch soziale -Dienste" im Verbund mit vielen ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern.

Mit der Feststellung über den Anstieg der Kinderarmut ist die. jahrelang gültige Aussage, Armut ist alt und· weiblich, nicht mehr haltbar. Feststellbar ist, dass die Altersarmut auf 7% im Jahr 1996 gesunken ist. Richtig ist, zwar, dass davon immer noch rund drei Viertel Frauen betroffen sind, aber aufgrund

der Lebenssituation allein ~rziehender Frauen und der schlechten Zahlungsmoral unterhaltspflichtiger Väter und Ex

Ehemänner sind wesentlich mehr junge Frauen von der Armut betroffen. Professor Rürupp, Rentenexperte der Bundesregierung, formulierte vor kurzem in einem Vortrag:.. Armut ist-heute jung und weiblich."

Die GeseiJschaft verändert sich ständig und auch die Werte. Wir sehen es als ständige Aufgabe der Landesregierung an, den Armutsbericht fortzuschreiben. Das könnte unseres Erachtens im Fünfjahresrhythmus geschehen. Ursachen und Umstände der Armutssituation von Familien einschließlich allein Erziehender müssen sehr eingehend untersucht werden..

Die SPD-Fraktion beantra,gt deshalb, das Programm.. Kinder

freundliches Rheinland-P!alz" mit guten Rahmenbedingungen der Kinderbetreuung für junge Familien sowie das Programm.. Aktiv für den Arbeitsmarkt" verstärkt fortzuführen, um damit weiterhin Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängeri.nnen und-empfängerndurch Qualifizierungs- und Beschäf

tigungsmaßnahmen die Möglichkeit zu geben, ins Arbeitsleben zurückzufinden.