Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

_Ärzten I;Jzw. Pflegepersonen. Man weiß, dass sich die Krankenhäuser allgemein auf die Zunahme des Anteils von Demenzpatienten einstellen müssen und deshalb entsprechende Angebote zu erbringen sind.

Vor diesem Hintergrund kann man nicht einfach davon ausgehen, wie dies in der Beantwortung der Großen Anfrage getan wurde, dass das Angebot in Rheinland-Pfalz auch für Menschen mit einer demenziellen Erkrankung ausreichend und bedarfsgerecht ist. Der Diakoniepflegetag im September letzten Jahres hatgerade auf entsprechende Versorgungsdefizite in der Pflege und Lü~ken im ambulanten System hingewiesen.

Dass Demenz die Pflegefachpersonen fordert und zum Teil auch überfordert, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Leipziger Langzeitstudie in der Altenbevölkerung •. LEILA 75, die der Landesregierung nicht bekannt ist, bestätigt erstmals die aktuellen Daten, dass demente alte Menschen nicht adäquat in der Pflegeversicherung eingestuft werden, da sich der tatsächliche Pflegebedarf Demenzkranker nach den rein

somatisch orientierten Kriterien des Pflegeversicherungsgesetzes' nicht einschätzen lässt. Die Landesregierung rriacht es sich mit der Aussage zu einfach, die geltende Begutachtungsrichtlinie berücksichtige die besonderen Bedürfnisse der Demenzkranken im grundpflegerischen und hauswirtschaftliehen Bereich besser.

Wir sehen Handlungsbedarf darin, dass die Sensibilisierung

und Qualifizierung von Ärzten zur Früherkennung von Kranken durch eine entsprechende Weiterbildung verbessert werden muss. Dies gilt insbesondere für die Mausärzte als Lotsen und erste Ansprechpersonen für die Angehörigen, um die Diagnose und die Behandlung verbessern zu können.

Auch die Früherkennung muss gestärkt werden. Das Angebot psychiatrischer T~geskliniken für Demenzkranke mit spezifischen Behandlungsangeboten bedarf des Ausbaus. Auch müssen die Krankenhäuser allgemein auf die Zunahme von Demenzkranken an der Gesamtbevölkerung vorbereitet werden, und den verantwortlichen Pflegekräften müssen durch die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen durch das.

Land Rheinland-Pfalz spezielle· Kenntnisse über den adäquaten Umgang: mit dem betroffenen Personenkreis vermittelt werden, die sie heute oft nicht haben.

Meine Damen und Herren, auch das Informations- und. Schulungsangebotfür Angehörige ist verbesserungsbedürftig, damit deren soziales Engagement gefördert und gestärkt werden kann und dadurch entsprechende körperliche und seelische Belastungen gemindert werden. Auch die Einstufungspraxis der Demenzkranken in Pflegestufen ist adäquat sicherzustellen. So muss die Bedarfsplanung für ambulante, aber auch für stationäre Pflegeeinrichtungen mit Blick auf ihre wachsende Bedeutung überprüft und weiterentwickelt werden. Die Vorbereitung und Beteiligung des Fachpersonals ist dabei genauso wichtig.

Neben der Beratung von Angehörigen von demenzkranken Menschen sollte man auch die Sensibilisierung in der Öffentlichkeit für die Krankheit Demenz verbessern, um sie zu enttabuisieren. ln diesem Bereich wird zu wenig getan. Wir plädieren für eine Förderung der Demenzforschung in Rheinland-Pfalz.

(Beifall der CDU)

Auch ein Ausbau des Selbsthilfeangebots für die Demenzkranken verdient eine Förderung, um dem ste.igenden Bedarf gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, ich denke, der gemeinsame Antrag aller Fraktionen kommt denen zugute, die sich selbst nicht mehr helfen können.

(Beifall der CDU)

Ich darf Gäste im- rheinland-pfälzischen Landtag begrüßen, und zwar Mitglieder der DRK-Gymnastikgruppe Alzey. Herzlich willkommen im rheinland-pfälzischen Landtag!

(Beifall im Hause-. Mertes, SPD: Walter, das sind deine Fans!)

Ich erteile dem Abgeordneten Dröscher das Wort.

Abg. Dröscher.'SPD:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und' Herren! Herr Dr. Enders hat zu unserem gemeinsamen Antrag.. Bessere. Hilfe für.die Demenzkranken in Rheinland-Pfalz" bereits eine verstärkte Sensibilität in der Öffentlichkeit angemahnt. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Thema, das für uns sicherlich ei~ Thema des nächsten Jahrzehnts sein wird, vor allem eine Frage der Bewusstseinsbildung und eine Frage veränderter Denk- und Handlungsansätze sein wird.

Ich möchte versuchen, dies etwas deutlicher zu machen und auch für eine veränderte Sicht. der demenziellen Erkrankungen bei den Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause werben.

Die mittlere Lebenserwartung hat sich seit Beginn dieses Jahrhunderts um mehr als 30 Jahre verlängert. Das bedeutet, doppelt so viele Menschen als damals erreichen das 65. Lebensjahr, etwa viermal so viele ein Alter von 80 Jahren, und das beschäftigt nicht nur die Renten-, sondern auch die Gesundheitspolitiker.

(Unruhe im Hause- Glocke des Präsidenten)

Neben anderen chronischen Erkrankungen treten im hohem Alter verstärkt auch demenzielle Veränderungen auf. ln Ergänzung zu dem, was Herr Dr. Enders bereits an Zahlen genannt hat, möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten eine sta-·

tistische Untersuchung zitieren:

.,Bis zu 70 Jahren ist das Risiko bei etwa 2 %, demenzieH zu erkranken, bei 80 Jahren schon 12 %, bei 85 Jahren 36% und bei 90 Jahren bereits 50%."

Das hängt also vor allem mit dem Alter zusammen. Andere Untersuchungen haben das bestätigt.

Demenz bezeichnet ein Scheitern im Alltag, dem Störungen der kognitiven Fähigkeiten, der Erinnerungsfähigkeit und der Orientierungsfähigkeit zu Grunde liegen. Verursacht wird Deinenz durch den Verlust von Hirnsubstanz.

Der fast deckungsgleich verwandte Begriff.,hirnorganisches Psychosyndrom" weist noch auf den Zusammenhang zwischen Abbauerscheinungen und seelischer Reaktion auf diese Abbauerscheinungen hin. Die Demenz eines bestimmten Typs - wir alle kennen die Alzheimererkrankung oder die Multiinfarktdemenz- bezeichnet die Ursache dieser Abbauerscheinung, und dies erfordert eine gründliche Diagnostik, auch zum Ausschluss behebbarer Verwirrtheitszustände, die mit anderen Erkrankungen zusammenhängen.

Demenz ist ein Erkrankungsprozess, der sich über Monate und Jahre hinzieht und nicht von Anfang an deutlich erkannt werden kann. Dabei vermischen sich Symptome unterschiedlicher Ursachen, beispielsweise aus dem_Abbauprozess, ande-. rerseits aber auch aus dem verzweifelten Versuch der Betroffenen, diese Einbußen zu überspielen. Die. vertraute Welt sinktund mit ihr das Begreifen der Wirklichkeit.

Dabei leiden nicht allein die Betroffenen, sondern in hohem Maße auch ihre Angehörigen; denn wenn die Überspielungs. mu'ster nicht mehr ausreichen, werden Brüche, Lücken und Versagen in ·der Alltagsgestaltung immer deutlicher. Es· kommt zu affektiven Störungen, vor allem zu Depressionen, zu Selbsttäuschungen, Schlafstörungen, ~pileptischen Anfällen, Bewegungsstörungen sowie auch zu Inkontinenz oder zum Gegenteil, nämlich zur Obstipation, manchmal auch zu einer Kombination von beiden.

Die Menschen Im Umfeld der Kranken benötigen also Erklä

l rungen und Schulungen, Angehörige darüber hinaus auch die Möglichkeit, über ihre unglückliche Lage reden zu können. Sie und die Betreuerinnen und Betreuer müssen in die Lage versetzt werden, das aktuelle Befinden der Dementen zu erfassen, ihre Signalwörter und Symbole zu benutzen und vor allem ihre Handlungsabsichten zu deuten.

Die Ziele werden mit Sicherheit nicht eine völlige Heilung, sondern möglichst längere Selbstständigkeit sein. Dazu ist eine ganze Reihe von Therapieansätzen möglich. Fes~ steht, dass, zurzeit wenigstens, medikamentöse Therapien nur geringe Hilfen versprechen und eine ganze Reihe von Neben

wirkungen haben. Es wird auf eine Vernetzung der·ambulanten, teilstationären und stationären Angebote und der sozialen Hilfe hinauslaufen, um weitgehende Erhaltung der Normalität im täglichen Leben zU sichern. Die Früherkennung und die Verbesserung der Gesamtsituation der Kranken im Hinblick auf ihr Selbstwertgefühl und ihre LE;bensfreude sind

vorhin schon genann.tworden.

ln der medizinischen Ausbildung ist die Demenz leider bisher Nebensache, Prüfungsfragen und Lehrveranstaltungen sind in diesem Bereich selten. Das Gleiche gilt übrigens für die Krankenpflege und die Alte.npflege. Es gibt zwar detaillierte Analysen, Prognosen, Studien und Datensammlungen, die Forschung war also bereits sehr aktiv, was fehlt sind aber Gesamtkonzepte für den Aufbau von Betreuungsstrukturen.

(Glocke des Präsidenten)

Da wird der Hausarzt eine zentrale Rolle spielen. Das hängt natürlich auch sehr stark von den Angehörigen mit ab.

Lassen Sie mich bitte noch zwei Sätze ausführen. Ähnliches gilt für das Heim und den Heimalltag, um das Lebensumfeld so zu gestalten, dass die dementenalten Menschen die ihnen verbliebenen Möglichkeiten in der Alltagsgestaltung, also biographisch verwurzelte Handlungsmuster zu nutzen, wirklich wahrnehmen können.

Ich möchte mit einem Hinweis darauf schließen, dass das Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Gesundheit, das in den letzten Tagen veröffentlicht wurde, ein erster Schritt in Richtung einer Verbesserung ist. Es soll einmal pro Woche ei- · ne Tages- oder Nachtpflege als Anspruch festgeschrieben werden sowie ein qualitativ vernünftiger Ausbau der Infrastruktur im teilstationären Bereich, vor allem inhaltlich.besser auf Demenzkranke abgestimmte Angebote.

(Glocke des Präsidenten)

Unser gemeinsamer Antrag wird sicher der Beginn einer Diskussion sein, die sich vor allen Dingen in einer veränderten Denkart und weniger in kostenwirksamen Ergebnissen zeigen wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Bill das Wort.

(Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

- Herr Dr. Altherr, durchaus. Ich bedanke mich für die sehr kompetente und engagierte Beschreibung des Phänomens durch Herrn Dröscher. Das nimmt mir einiges von meiner Rede weg, weil ich das nicht mehr aufzeigen muss, was ich vielleicht auch nicht so kompetent hätte tun können.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Behandlung und Betreuung von Demenzkranken ist in den letzten Jahren stärker in den. Vordergrund gerückt. Das liegt vor allem da

ran, dass aufgrund der Altersentwicklung diese Alterskrankheit häufiger geworden·ist. Ich glaube, man geht derzeit von