Protokoll der Sitzung vom 12.10.2005

(Beifall der FDP und der SPD)

Ich gehe nicht davon aus, dass Sie dies nicht intendiert haben.

Es gibt eine zweite Sache, die ich sehr unfein finde, Herr Kollege Marz. Ich empfinde es als sehr unfein, mit unqualifizierten Rundumschlägen zu versuchen, sich Ihrer eigenen Drucksituation zu entlasten, indem Sie – unabhängig, ob im Bereich der Hospiz oder im Bereich der Palliativmedizin – unqualifizierte und unvollständige Vorwürfe an eine andere Adresse richten, die man in der Kürze der Zeit nicht aufklären kann. Beschäftigen Sie sich doch vielleicht einmal mit den bioethischen Positionen unserer Partei! Beschäftigen Sie sich mit dem, was Staatsminister Mertin dazu ausgeführt hat!

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben doch die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen! Das ist doch Teil der Debatte!)

Frau Thomas, wir lassen das jetzt! Wir lassen das jetzt, es führt nicht weiter.

Dann werden wir in der Lage sein, auf solider Basis ehrlich und fair miteinander zu diskutieren.

Ich möchte noch einen inhaltlichen Punkt ansprechen. Herr Kollege Marz, das ist auch ein Teil dieser Halbwahrheiten, mit denen Sie zunehmend arbeiten. Es ist wirklich ärgerlich, deswegen sage ich es auch. Sie beschreiben den Bereich der Palliativmedizin an die Adresse von Staatsministerin Frau Dreyer als Defizit dieser Regierungserklärung. Entweder Sie wissen es nicht, oder Sie halten die Menschen für so dumm, dass die anderen es nicht wissen. Dies ist ein Bereich, der im Rahmen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung gelöst wird.

Wenn Sie dazu Änderungsvorschläge haben, dann müssen Sie sich zu der Problematik der Finanzierungsschwierigkeiten im Grenzbereich zwischen Pflegeversicherung und Krankenversicherung äußern – das berühmte Stützstrumpfurteil –, aber nicht mit diesen banalen und pauschalen Vorwürfen operieren. Das ist nicht in Ordnung und passt auch nicht zu diesem Thema.

Ich komme nun zur Sache. Meine Damen und Herren, ich glaube, weit über Parteigrenzen und Religionen hinaus beschreibt der Umgang mit den Schwachen der Gesellschaft, welche moralisch-ethische Verfassung

eine Gesellschaft hat. Ich glaube, niemand stellt infrage, dass alte, hilfsbedürftige und pflegebedürftige Menschen zu den Schwächsten dieser Gesellschaft zählen. Sie gehören zu den Schwächsten, weil meistens überhaupt keine optimistische Perspektive geboten ist. Auch Kinder brauchen viel Zuwendung und Pflege, aber sie wachsen dann aus dem Gröbsten heraus. Bei alten und pflegebedürftigen Menschen wird es meistens von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr schlimmer.

Dass wir diese Diskussion unter der Überschrift „Menschenwürde“ führen, begrüße ich ausdrücklich. Dass wir sie auch unter der Überschrift „Finanzierung“ führen, begrüße ich auch ausdrücklich. Wer das eine fordert, ohne das andere zu beantworten, macht sich in der Frage „Pflegeversicherung“ angreifbar und ist nicht glaubwürdig.

Ich bewerte die zweite Regierungserklärung seit 2002 zu diesem Thema anders als meine Vorredner und möchte da vielleicht unter Bezugnahme auf den Herrn Kollegen Marz noch etwas sagen, was die Emotionen wieder herunterzieht. Sie haben es in der Tat jetzt anders gemeint. Ich zitiere ironisch, aber nicht böswillig: „Es handelt sich um eine Leistungsschau der Landesregierung.“ Dem habe ich eigentlich wenig hinzuzufügen.

Wenn man sich daran erinnert, wie alles losging, dann wissen Sie, dass die Fragen, die uns jetzt bewegen, nämlich optimale Pflege und erträgliche Finanzierungsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber schon damals mit die Diskussion bestimmt haben.

Die FDP hat dieses epochale sozialpolitische Instrument unter der Bedingung mitgetragen, dass man Lohnnebenkosten deckelt. Das fällt nicht leicht, wenn man weiß, wie wichtig Altenpflege ist. Es ist aber unumgänglich, wenn man überlegt – darüber gibt es einen großen Konsens in allen Parteien über die meisten Köpfe hinweg –, wie verheerend sich zu hohe Lohnnebenkosten auswirken, was die Arbeitslosigkeit angeht.

Meine Damen und Herren, wir haben dieses Problem nicht lösen können. Es bleibt ein unauflösbares Problem. Man kann nur in Detailschritten versuchen, stete Optimierung zu betreiben. Ich werde darauf eingehen und nicht ausweichen.

Wir haben noch andere Dinge, die von Anfang an installiert waren und Problem dieser Pflegeversicherung sind. Das ist die Teilkaskoausformung dieser Pflegeversicherung. Auch dafür gab es gute Gründe, ebenso wie es gute Gründe dafür gibt, zu bedauern, dass nicht alles im Rahmen der Pflegeversicherung abgedeckt werden kann.

Ich glaube, der Bereich, der im Rahmen einer inkompletten Pflegeversicherung von Anfang an nicht ausreichend gesehen wurde, ist der Bereich der Versorgung dementer alter Mitbürgerinnen und Mitbürger. In diesem Bereich gibt es Nachholbedarf. Glücklicherweise besteht darüber Einigkeit.

Wir wissen aber, nach anfänglich technisch bedingten Überschüssen kommen wir jetzt Jahr für Jahr tiefer in die Bredouille, weil die Defizite inzwischen Richtung

1 Milliarde Euro pro Jahr gehen. Das hält die Pflegeversicherung nicht aus. Wir haben im Jahr 2007, spätestens aber 2008 die Reserven aufgebraucht. Diese tickende Zeitbombe gilt es zu lösen. Das heißt nicht, dass man diese Probleme nicht an der Seite der Menschen lösen möchte. Das ist die Kombination Unterdeckung, demografische Entwicklung und eine Kostendynamisierung, die bisher in den Pflegeversicherungsleistungen keine Berücksichtigung gefunden hat.

Das sind wichtige, aber bundespolitische Themen. Das eigentliche Thema der heutigen Diskussion ist ein anderes. Es ist die Umsetzung der Pflegeversicherung in Rheinland-Pfalz vor allem durch die Landesregierung, verantwortet von einer sozial-liberalen Koalition.

Ich greife jetzt ein wenig vor. Das, was die Landesregierung in diesem schwierigen Umfeld getan hat, um optimale Bedingungen in Rheinland-Pfalz zu schaffen, ist hervorragende gesetzgeberische und Verordnungsarbeit vom Vorgänger von Frau Dreyer und von Frau Dreyer gewesen. Ich glaube, in Zukunft wird man dieses Thema mit sehr großer Sensibilität und sehr großem Pragmatismus typisch rheinland-pfälzisch anfassen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben die Grobsteuerung der Instrumente in den 90er-Jahren und auch in den Jahren 2001 und 2002 erlebt. Zurzeit sind wir auf dem Weg der Feinjustierung und müssen in vielen Bereichen auch neue Ufer versuchen. Die Regierungserklärung hat ein großes Bukett an Pflegeversicherungsideen vorgetragen, die jetzt in Umsetzung sind. Ich möchte nicht alles wiederholen. Vor allem geht es um den Grundsatz ambulant vor stationär. Der erste Schwerpunkt dieser Erklärung war die Stärkung der häuslichen Pflege. Das möchte ich mit einem Ausrufezeichen versehen, weil die Abstimmung der Menschen zeigt, wo sie gern gepflegt werden möchten.

Wann immer es möglich ist, bleiben zu Pflegende im häuslichen Umfeld, obwohl die Regeln der Qualitätsüberprüfung und der Professionalisierung in diesem Bereich nicht annähernd so gegeben sind wie im stationären und professionell ambulanten Bereich. Von daher unterstütze ich das, also Schwerpunkt häusliche Pflege, Schwerpunkt ambulant vor stationär.

Zur Sicherstellung dieser wichtigen Aufgabe brauchen wir in Zukunft ein hohes Maß an individueller Vorsorge, auch an Eigenverantwortung der Betroffenen in jungen Jahren. Diese gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann zur Gruppe der zu Pflegenden. Die Hälfte der Bekannten von uns wird pflegerische Maßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Es lohnt sich also, rechtzeitig darüber nachzudenken.

Ich nenne als Instrumente der Landesregierung das personenbezogene Budget in der Pflege, das integrierte Budget für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung. Das sind hervorragende Instrumente, um individuelle Vorsorge in Eigenverantwortung zu ermöglichen, auch wenn man schon in Pflege ist.

Wenn sich soziale Strukturen ändern, brauchen wir auch weiterhin die Solidarität der Familien. Wir brauchen aber auch die Solidarität über die Familien hinaus. Wir brauchen Netzwerke. Wir brauchen ehrenamtliches Engagement. Ich unterstreiche mit Nachdruck, dass wir die Pflege nicht in den Griff bekommen können, wenn wir nicht in der Lage sein werden, leistungsfähige, junge Alte mit in die Pflegeverantwortung zu nehmen. Ich darf vielleicht einen einzigen kleinen zusätzlichen Gedanken mit einbringen, ohne Süffisanz, aber auch mit Fragezeichen.

Ich glaube, es lohnt das Nachdenken, sich zu überlegen, ob man Menschen über ein ganzes Leben hinweg nicht anders in tätige soziale Verantwortung als nur über Bundeswehr und Zivildienst bringen kann. Es ist ganz wichtig, dass man Hilfestellung für ehrenamtliche Tätigkeit gibt. Ich glaube aber, wir müssen auch Anreize für ehrenamtliche Tätigkeit in der Pflege in einem Alter setzen, in dem man es noch kann. Wie wir die Anreize setzen und wie auch das dann finanzierbar sein wird, ist eine Frage. Man sollte sich damit aber in allen Parteien beschäftigen. Ich glaube, wir werden daran nicht vorbeikommen. Wir brauchen gerade in der Pflege Generationen im Schulterschluss und nicht Generationen gegeneinander.

Ich unterstreiche und unterstütze die Dinge, die beschrieben wurden, also Pflegestrukturplanung, Pflegekonferenzen usw. Ich bin davon überzeugt, dass wir bei diesen Foren darauf achten, dass das auf Dauer keine Diskussionsforen, sondern auch Entscheidungsforen sind. Ich bin darüber hinaus davon überzeugt, dass wir es schaffen müssen, auch diese Instrumente, die jetzt beschrieben wurden, davor zu schützen, dass sie sich verkrusten und irgendwann eine Eigenständigkeit entwickeln, die für die Pflege gar nichts mehr oder nur wenig an Beitrag leisten. Wir müssen auch diese Instrumente auf Dauer überprüfen.

Wir müssen neue Wohnformen erproben und fördern. Wir müssen die Chancen sehen, die in diesen sozialen Dienstleistungsberufen liegen.

Bei aller Freude aber über 62.000 Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz im Bereich der Pflege muss man auch hier wieder, so schwer es mir fällt, über die Finanzierung dieser Plätze sprechen. Es gibt nicht den Königsweg aus der Massenarbeitslosigkeit, indem man alle Menschen über sozialversicherungsfinanzierte Systeme in Arbeit bringt. Das sind kommunizierende Röhren. Da sind dann die Lösung und das Problem oft gleichermaßen gegeben.

Meine Damen und Herren, ich bin von dem überzeugt, was zum Berufsbild gesagt wurde, also die finanzielle Attraktivität steigern, vor allem aber die Anerkennung dieser Berufe. Von daher stehe ich einer stärkeren Zusammenfassung mit anderen pflegerischen Tätigkeiten in der Berufsausbildung sehr aufgeschlossen gegenüber.

Das ist richtig. Das, was Sie zu Illegalen gesagt haben, ist richtig. Ich bin als Liberaler bereit, ein entschiedenes Vorgehen gegen die dahinter stehenden kriminellen Machenschaften zu verantworten. Ich bin allerdings

gegen ein Kriminalisieren der Opfer und habe Sie auch nicht so verstanden. Wir kommen aus dieser Problematik illegaler Pflege nur heraus, wenn wir die Rahmenbedingungen verbessern. Sie haben dazu Beiträge genannt.

Meine Damen und Herren, zum Ende meiner Ausführungen darf ich neben dem, was andere schon gesagt haben, eine weitere Idee mit einbringen, über die sich nachzudenken lohnt. Ich sehe das Problem der Entsolidarisierung. Ich sehe das Problem einer Versicherung, in die nicht mehr alle einzahlen. Wir müssen darüber nachdenken, ob nicht ein Systemwettbewerb der Pflegeversicherungen auf Dauer mehr bringt als ein Zusammenführen finanzieller Mittel in ein System, das nicht ganz einfach ist. Ich glaube, wenn man zumindest in gewissem Rahmen Unterschiede zulässt, Eigenanteile, Karenzzeiten, weil jedes Individuum, jede Familie eine andere finanzielle Grundausstattung hat, ohne die Solidarität in Gefahr zu bringen, dann würde auch da das Nachdenken lohnen.

In diesem Sinn sage ich zusammenfassend wirklich ein ehrliches großes Lob der Landesregierung für die Durchführung und Optimierung der Pflegeversicherung bisher. Lassen Sie uns gemeinsam nach Zukunftslösungen suchen.

Danke sehr.

(Beifall bei SPD und FDP)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Schmitz. Die CDUFraktion hat noch acht Minuten Redezeit. Herr Abgeordneter Rüddel hat sich zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung gegen Ende der Legislaturperiode regt selbstverständlich dazu an, ein Resümee zu ziehen. Was würde diesem Land fehlen, wenn diese Erklärung nicht gegeben worden wäre? Ich habe nicht viel Neues vernommen, keine eigenständige Handschrift rheinland-pfälzischer Pflegepolitik erkannt. Wir haben eine gute Problembeschreibung erhalten. Unter Politik verstehe ich aber das Aufzeigen von Lösungsansätzen.

(Beifall bei der CDU)

Hier wurde viel geredet, aber wenig gesagt. Frau Ministerin, ich will Ihnen die guten Absichten nicht absprechen. Sie haben sich hohe Ziele gesetzt und Erwartungen geweckt. Jeder, der jetzt mit dem großen Wurf gerechnet hat, sieht sich enttäuscht. Sollte man diese Regierungserklärung bewerten, angelehnt an ein Arbeitszeugnis, so würde dort sicherlich folgender Text zu finden sein: Sie machte sich mit großem Eifer an die ihr übertragenen Aufgaben. Sie war bemüht und zeigte Verständnis für ihre Arbeit.

Fakt ist, demografischer und sozialer Wandel fordert gerade in der Pflege seinen Tribut. Immer weniger Menschen müssen die Pflege von immer mehr Menschen sicherstellen. Es fehlt ausreichend Geld im System, um Pflege für die Menschen bezahlbar zu machen. Dieses Geld darf nicht durch die Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung beschafft werden. Wir brauchen kapitalgedeckte Systeme und dürfen kein gesundes System durch ein krankes System ruinieren.

Dank der vielen verantwortungsbewussten Einrichtungsträger und vieler ihrer engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir in Rheinland-Pfalz eine Pflegequalität von hoher Güte. Diese gute Pflege ist ihr Geld wert.

Aber immer mehr Menschen können und wollen diese Standards nicht mehr bezahlen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob die von uns allen geforderten hohen und somit teuren Standards nicht die illegale Beschäftigung fördern. Heute pflegen in Deutschland, wenn man tatsächlich von pflegen sprechen kann, über 100.000 illegal Beschäftigte aus Osteuropa unsere Pflegebedürftigen in privaten Haushalten. Das geschieht preiswert, ohne Kontrolle durch die Heimaufsicht und ohne Aufsicht durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Alle fordern die hohen Qualitätsstandards in der Pflege, aber immer mehr rufen sie nicht ab, weil für sie die professionelle Pflege unbezahlbar geworden ist. Hier müssen wir den Familien schlüssige Konzepte anbieten. Pflege muss im häuslichen wie im institutionellen Bereich unter menschenwürdigen Umständen erfolgen.

(Beifall bei der CDU)

Heute haben viele Pflegeheime und mobile Dienste mit einem Rückgang der Nachfrage zu kämpfen. Der wirtschaftliche Schaden für die professionellen Pflegedienste, die in unserem Land auf höchstem Niveau arbeiten, ist enorm. Vielen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflegekräften droht dadurch der Verlust des Arbeitsplatzes.

Frau Ministerin, die Anregung von Ihnen, im Gegenzug niederschwellige Leistungen zu angemessenen Preisen anzubieten, ist zwar gut gemeint, aber nicht realisierbar. Wenn wir dieser organisierten Schwarzarbeit nicht entschieden entgegentreten, wird mittelfristig die flächendeckende pflegerische Grundversorgung in Gefahr sein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Was nützt die schönste Einrichtung, die einfühlsamste Pflege, wenn sie niemand will, weil sie zu teuer ist?