Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kinder aus sozial benachteiligten Familien und Kinder mit Migrationshintergrund bleiben bei der Bildungspolitik dieser Landesregierung auf der Strecke.

(Zuruf der Abg. Frau Morsblech, FDP)

Ich werde Ihnen das dezidiert erklären, Frau Kollegin Morsblech.

(Creutzmann, FDP: So ein Schwachsinn!)

Von den eingeleiteten schulpolitischen und pädagogischen Veränderungen nach dem ersten PISA-Schock im Jahr 2000 profitiert in diesem Bundesland offensichtlich

fast niemand. Seit dem Jahr 1991, also seit fast 15 Jahren, seitdem Sie Regierungsverantwortung tragen, verlassen über 20 % der Kinder mit Migrationshintergrund pro Jahr die rheinland-pfälzischen Schulen ohne einen Abschluss. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Bildungspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Schweitzer, SPD)

Das ist es doch, Herr Schweitzer.

Beim Vergleich der PISA-Ergebnisse der Bundesländer nimmt Rheinland-Pfalz im Hinblick auf die hohe Selektivität des Schulwesens innerhalb von Deutschland eine Spitzenposition hinter Bayern und Sachsen-Anhalt ein. So liegt der Anteil der unter 15-Jährigen, die ein Gymnasium besuchen, bei gerade einmal 25,8 %. Das bedeutet, Rheinland-Pfalz belegt nur den 13. Platz unter den 16 Bundesländern.

Beim Blick auf die Wahrscheinlichkeit des Gymnasialbesuchs in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler eröffnet sich ein sehr trauriges Bild. So ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für rheinland-pfälzische Facharbeiterkinder, ein Gymnasium zu besuchen, 4,6-fach niedriger als für Kinder, die der sozialen Oberschicht zugeordnet werden. Das bedeutet nicht nur eine tief greifende soziale Ungerechtigkeit im rheinland-pfälzischen Schulsystem, sondern das bedeutet auch im Ländervergleich den drittletzten Platz. Nur in Bayern und Sachsen-Anhalt ist die soziale Selektion noch ausgeprägter als in Rheinland-Pfalz.

Deshalb haben wir die Landesregierung schon immer aufgefordert und fordern sie auch heute auf, endlich für mehr soziale Chancengleichheit sowie für eine bessere und gerechtere Bildungspolitik in diesem Land einzutreten, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die PISA-Studie und die PISA-Ergänzungsstudie haben den gewaltigen Vorteil, dass wir erstmals die Wirkung von bildungspolitischen Maßnahmen der Landesregierung tatsächlich beurteilen können. Die gleichen Wissens- und Kompetenzfelder wie bei der vorherigen PISA-Studie wurden getestet. Somit können wir Leistungsvergleiche anstellen. Um es vorwegzunehmen: Schlechter kann das Ergebnis für die Bildungsministerin gar nicht ausfallen. Das Urteil ist vernichtend. Es lautet in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und naturwissenschaftliche Kompetenz: Fortschritte vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2003 sind nicht signifikant. Sie sind nicht erkennbar. In Rangplätzen ausgedrückt, im Vergleich der erreichten Fortschritte der vergangenen Jahre bedeutet das, dass wir sowohl in Mathematik als auch in der Lesekompetenz als auch in der naturwissenschaftlichen Kompetenz den vorletzten Platz belegen.

Das sind die Auswirkungen der Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz. Schonungslos haben Sie offen gelegt, dass Rheinland-Pfalz in einem der zentralen Felder der Landespolitik, nämlich in der Schulpolitik, nicht in der Lage ist, mit dem Entwicklungs- und dem Reformtempo der anderen Bundesländer mitzuhalten. Bei uns steht nach

wie vor nicht die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler im Vordergrund, sondern leider das Aussortieren und die soziale Selektivität.

Meine Damen und Herren, was wir brauchen, sind wirkliche Reformen.

(Glocke der Präsidentin)

Wir brauchen endlich ein in sich stimmiges Gesamtkonzept für ein längeres gemeinsames Lernen, für eine bessere individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler und insbesondere für die Benachteiligten und die Kinder mit Migrationshintergrund. Wir brauchen ohne Wenn und Aber endlich mehr Freiräume und mehr Selbstständigkeit für die einzelnen Schulen. Solche Reformen würden die Vielfalt fördern, die Unterrichtsqualität verbessern und sind der Schlüssel für eine zukunftsfähige und gerechte Bildungspolitik in diesem Land.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Kollegin Brede-Hoffmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wiechmann, wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, Sie müssten morgen Ihre Nominierung absichern. Ihre Rede klang wie eine Eintrittskarte zu einer Nominierungskonferenz.

Ich frage mich, wie die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer, die ihre Schulzeit in Rheinland-Pfalz absolviert haben, es jemals so weit bringen konnten, dass in diesem Land überhaupt irgendjemand etwas kann und macht. Was ich vorhin gehört habe, war so bodenlos, dass ich mich wirklich frage, wie das in Ihren Augen funktionieren könnte.

Lieber Herr Kollege Wiechmann, wenn wir nicht schon so oft an dieser Stelle die gleiche Diskussion geführt hätten, dann würde ich denken, dass Ihnen tatsächlich irgendwelche Zahlen aufgefallen sind und Sie völlig entnervt an den Schreibtisch gestürzt sind und das nun zusammengeschrieben haben. Wir haben schon sehr oft darüber diskutiert.

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben uns schon sehr oft mit diesen Zahlen beschäftigt. Man kann aber nicht ein oder zwei Zahlen, die einem in einer solchen Untersuchung auffallen, nehmen und daraus die Welt neu erklären, sondern man muss sich alle Zahlen anschauen, die bei PISA berechnet worden sind. Ich wollte eigentlich keine Zahlen vorlesen, aber Sie zwingen mich dazu. In den von Herrn Prenzel vorgelegten Daten, die sich mit der besonderen Frage

der Chancengleichheit, der Chancengerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit durch das Bildungssystem in der Bundesrepublik Deutschland befassen, findet sich eine Tabelle, die die Differenzen der relativen Wahrscheinlichkeiten des Gymnasialbesuchs zwischen PISA 2000 und PISA 2003 aufzeigen. Diese Tabelle ist extra erstellt worden, nachdem Herrn Prenzel aufgefallen ist, dass von der Presse im Jahr 2000 und im Jahr 2003 unterschiedliche Tabellen verglichen worden sind. Damit diese Unterschiedlichkeiten bereinigt werden, hat er eine weitere Veröffentlichung herausgegeben. Wenn Sie sich das anschauen, dann stellen Sie fest, dass RheinlandPfalz das Land ist, das mit einem relativ sehr großen Abstand gegenüber anderen Verbesserungsschritte zwischen 2000 und 2003 in der Frage der sozialen Gerechtigkeit von Schulen erreicht hat.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Herr Prenzel schreibt als Ergebnis: Die Schulen in Deutschland sind zwischen PISA 2000 und PISA 2003 nicht sozial ungerechter geworden, übrigens auch nicht in den Ländern, die sich signifikant in ihrem Leistungsniveau verbessern konnten. – Ihre Grundsatzbehauptung, es werde alles immer furchtbarer, ist schlicht und einfach falsch.

In Rheinland-Pfalz haben Jugendliche ohne Migrationshintergrund in den Bereichen Lesekompetenz und Naturwissenschaften den geringsten Leistungsvorsprung gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Vergleich mit allen Bundesländern, Herr Kollege. In den Bereichen Mathematik und Problemlösungen ist dieser Vorsprung zwischen Kindern ohne und Kindern mit Migrationshintergrund nur noch in Niedersachsen geringfügig kleiner.

(Schweitzer, SPD: Weshalb weiß das Herr Wiechmann nicht?)

Rheinland-Pfalz ist das Land, in dem die Distanz zwischen den Kindern mit Migrationshintergrund und den Kindern ohne Migrationshintergrund am geringsten ist. Rheinland-Pfalz wird in der Studie von Herrn Prenzel extra erwähnt. Rheinland-Pfalz ist das Land, in dem der Unterschied der Förderung zwischen Kindern, die zuhause eine wirklich gute Computerausstattung haben, und Kindern, die darüber nicht verfügen, auffällig am kleinsten ist. Das steht auf Seite 20 der Untersuchung. Ich zitiere das nun mit Quellenangabe.

Uns ist klar – das möchte niemand bestreiten –, dass soziale Ungerechtigkeit im Bildungssystem der Bundesrepublik und auch in unserem Bundesland besteht. Das ist für uns Auftrag gewesen, und das ist weiterhin Auftrag, Herr Kollege.

Wir haben deshalb Ganztagsschulen, Volle Halbtagsschulen, Hausaufgabenbetreuungen, Sprachfördermaßnahmen und vieles mehr gemacht. Damit wird genau an den Ursachen der sozialen Ungerechtigkeit im Bildungssystem angesetzt, nämlich beim Sprachmangel und bei den Fördermöglichkeiten. Das Programm „Bildung von Anfang an“ ist genau die Antwort, die wir brauchen, um Kinder bereits im Kindergartenalter mit den bestmöglichen Startmöglichkeiten in ihr Lernleben starten zu las

sen. Herr Kollege, dieses Programm kann sich bei PISA 2003 bei den 15-Jährigen noch nicht ausgewirkt haben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Keller das Wort.

Das war nun wirklich eine Märchenstunde von Ulla Brede-Hoffmann. Liebe Kollegin, lesen Sie einmal das, was da drinsteht. Lassen Sie sich nicht vom Ministerium aufschreiben, was Sie sagen sollen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Tatsache ist, dass Rheinland-Pfalz im PISAVergleich zurückgefallen ist. Da kann Frau Kollegin Brede-Hoffmann sagen, was sie will, aber das kann man nachlesen.

(Beifall der CDU)

So lagen wir im Bereich Lesen im Jahr 2002 auf Platz 4, während wir im Jahr 2005 auf Platz 6 liegen. Bei den Naturwissenschaften haben wir im Jahr 2002 Platz 5 und im Jahr 2005 Platz 8 eingenommen. In Mathematik lagen wir im Jahr 2002 auf Platz 6, und im Jahr 2005 liegen wir auf Platz 10. Das steht alles in dieser PISAErgänzungsstudie.

Die Presse sprach aufgrund dieser Ergebnisse – die haben das auch gelesen – mit Recht von einem Bildungsabsturz von Rheinland-Pfalz. Wir liegen nämlich in der Rangfolge der Länder, die sich gegenüber dem Jahr 2002 verbessern konnten, in den einzelnen abgefragten Kategorien – Herr Kollege Wiechmann hat schon darauf hingewiesen – in der Regel auf dem vorletzten oder letzten Platz. Andere Länder, wie beispielsweise Bremen, haben demgegenüber enorm aufgeholt. Da steckt Dynamik drin, während in Rheinland-Pfalz keine Bewegung zu verzeichnen ist. Man gibt sich mit dem zufrieden, was man meint, richtig gemacht zu haben.

Die Ministerin hat gesagt – ich habe das schon einmal erwähnt –, sie sei mit diesem Abschneiden – also mit diesem mittelmäßigen Abschneiden – zufrieden. Da kann man nur dem Journalisten Jürgen Kaube Recht geben, der in der „FAZ“ vom 4. November 2005 Ministerin Ahnen Wirklichkeitsverlust bescheinigt.

Es kommt aber noch toller. Die Krone setzte sich jedoch Ministerpräsident Beck auf, als er im „Mannheimer Morgen“ vom 23. November 2005 feststellte – ich zitiere –: „Ich glaube, es gibt in Deutschland keine erfolgreichere Landesregierung als die in Rheinland-Pfalz.“

(Anhaltend starker Beifall der SPD und der FDP)

Das Land rücke prozentual gesehen an Bayern heran und von Hessen weg. Das ist noch viel schlimmer, als

ich gedacht habe. Der Ministerpräsident leidet an Realitätsverlust. Man muss sich ernsthaft Gedanken um seinen Gesundheitszustand machen.

Da können Sie jetzt applaudieren.

In den einzelnen abgefragten Kategorien liegen wir zum Teil bis zu einem Jahr hinter Bayern. Das ist doch die Realität. Sie werden für diese ganze Schönrederei schon noch die Quittung bekommen.

Das schlechte Abschneiden von Rheinland-Pfalz bei der PISA-II-Länderstudie beweist aber auch, dass andere Länder viel schneller die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben. Vor allem in folgenden drei Bereichen besteht nach Meinung der Ersteller der PISA-Studie großer Handlungsbedarf: Fast 22 % der getesteten Schüler haben erhebliche Probleme, Texte beim Lesen zu verstehen. Ähnlich hoch ist der Prozentsatz in Bezug auf Mathematik. Diese über 20 % Schülerinnen und Schüler verfügen nicht über die Voraussetzungen für einen Schulabschluss, geschweige denn für eine berufliche Ausbildung. Sie werden deshalb als Risikogruppe bezeichnet.