Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

(Schweitzer, SPD: Das ist nicht unsere Position!)

Das wird das sein, was die Kommunen umsetzen wollen, wenn sie die Tür aufmachen. Das ist das, was passieren wird. Das Ganze wird noch dadurch getoppt, weil Herr Finanzminister Mittler durch den vorgelegten Doppelhaushalt die Kommunen noch weiter in die Finanzkrise hineintreibt, indem Sie alles in allem – Herr Mertes, da können Sie reden, was Sie wollen, das müssen Sie einmal nachrechnen – den Kommunen Gesamtmehrbelastungen von rund 70 Millionen Euro pro Haushaltsjahr mehr aufbürden.

Sie lassen also keine Gelegenheit aus, die Kommunen für ihren eigenen Haushalt zu schröpfen.

Ihre Behauptung, das Land Rheinland-Pfalz sei das kommunalfreundlichste, haben Sie tatsächlich mit Zahlen und Fakten nie belegt. Ich glaube eher, dass Sie immer dem Finanzminister das Wort reden. Tatsächlich bedienen Sie sich der Mittel der Kommunen, um den eigenen Haushalt in scheinbar trockene Tücher zu bekommen.

Herr Beck ist der Regisseur dieses Trauerspiels. In der Vergangenheit haben Sie sich immer gern auf die Schicksalsgemeinschaft des Landes und der Kommunen bezogen. Sie haben das quasi beschworen. Mit dem von Ihnen vorgelegten Haushaltsentwurf werden Sie zum Schicksal der rheinland-pfälzischen Kommunen. Den

Applaus der Bürgerinnen und Bürger werden Sie nicht dafür bekommen.

(Schweitzer, SPD: Den kriegen Sie noch nicht einmal von Ihrer eigenen Fraktion!)

Herr Schweitzer, diejenigen sind die Leidtragenden. Die Bürgerinnen und Bürger im Land werden demnächst mit der Schließung ihres Hallenbads konfrontiert. Spielplätze und Jugendräume für Jugendliche und Kinder werden wegfallen, und den Familien werden steigende Gebührenbescheide ins Haus flattern. Dann werden Sie den „verdienten“ Applaus für Ihre kommunalfreundliche Politik erhalten, und zwar in Kommunen und auf Landesebene.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartloff, SPD: Ein bisschen Apokalypse kurz vor Weihnachten!)

Meine Damen und Herren, Ihrem Haushaltsentwurf fehlt – hier muss ich Herrn Mertes widersprechen – eine richtige Perspektive für eine vorausschauende und nachhaltige Bildungspolitik. Sie haben sich selbst auf die Ergebnisse der PISA-Studie bezogen. Ich glaube, wir waren alle über das eine oder andere Ergebnis in der PISA-Studie geschockt. Mich haben zwei Ergebnisse alarmiert, nämlich einmal, dass 26,6 % der deutschen Schülerinnen und Schüler mit ihren Leistungen vor allem im Lesebereich unter der oder bis zur ersten Kompetenzstufe lagen. Das heißt, dass mit Sicherheit Probleme beim Übergang von der Schule in den Beruf zu erwarten sind.

Das zweite Ergebnis, das mich alarmiert hat, ist, dass es zwar in allen untersuchten Ländern einen Zusammenhang zwischen dem sozialen Hintergrund von Jugendlichen und ihren schulischen Leistungen gibt, aber dieser in keinem Land so wie bei uns in Deutschland ausgeprägt ist. Der Unterschied zwischen den Leistungen von Kindern aus sozial starken und denen aus sozial schwachen Familien ist in der Lesekompetenz in keinem Land größer als bei uns.

Für unsere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung heißt dies, wenn wir uns als Einwanderungsland verstehen – das sind wir –, dass es unserem Bildungssystem nicht gelingt, soziale und herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen. Das heißt, dass kein anderes Bildungssystem derart sozial selektiv wie das deutsche ist.

Herr Mertes, das müssen sich vor allem auch die Sozialdemokraten sagen lassen, wenn man sich mit diesem Ergebnis beschäftigt und kritisch auseinander setzt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mertes, SPD: Schauen Sie sich einmal Luxemburg an!)

Schauen Sie sich vielleicht auch einmal die skandinavischen Länder an.

(Mertes, SPD: Ohne Einwanderer, nur Einwanderer aus dem eigenen Gebiet!)

Dort werden Fragen hinsichtlich der Schulstruktur anders beantwortet. Ich bin froh, dass Sie heute schon so weit gegangen sind und gesagt haben, die Ganztagsschule löst dieses Problem nicht in Gänze.

Wenn man für 20 % der Schulen innerhalb von fünf Jahren dieses Ganztagsschulangebot einrichten will und man im gesamten Bildungssystem mit diesen Problemen konfrontiert ist, muss man sich schon fragen, was mit den restlichen 80 % der Schulen passiert. Man muss sich auch fragen, ob das Ganztagsschulangebot ausreicht, wenn gerade auch in PISA bei den Erklärungsansätzen darauf abgehoben wird, dass frühe Förderung in der Kindertagesstätte, verpflichtende Ganztagsgesam tschulen und zusätzliche spezielle Förderung in Ländern, die deutlich bessere Ergebnisse hatten, mit dazu geführt haben, dass sie solche Ergebnisse erreichen können.

Wir können nicht bei dem Ganztagsschulangebot stehen bleiben. Sie müssen auch Ihr Konzept hierfür noch einmal überlegen; denn unter dem Stichwort „Frühförderung“ und in vielen anderen Argumentationen und Interpretationen der PISA-Ergebnisse habe ich sehr viel Unterstützung für unsere Vorschläge gefunden, nämlich bei dem Aufbau des Ganztagsschulangebots tatsächlich in der Grundschule zu beginnen und dort einen wirklichen Schwerpunkt zu setzen. Mit den Mitteln, die Sie in den nächsten kommenden Haushalten einsetzen, könnte man es tatsächlich schaffen, zumindest im Grundschulbereich ein bedarfsdeckendes Angebot zumindest für 30 % oder 40 % der Schüler und Schülerinnen vorzulegen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kuhn, Sie sollten, ohne dass wir gleich wieder in ideologische Gräben verfallen, zur Kenntnis nehmen, dass die Forscher als eine mögliche Erklärung für die soziale Selektivität des Schulsystems die frühe Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in die weiterführenden Schulen genannt haben. Selbst gute Haupt- und Realschüler werden in ihren Lerngruppen nicht ausreichend gefördert und schon gar nicht zum Aufstieg animiert.

In dieser Schulstruktur, die Sie favorisieren, findet diese Durchlässigkeit nach oben nicht statt. Es muss Ihnen gerade vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Berufspraxis Anlass zum Nachdenken geben, dass in Staaten mit Spitzenergebnissen in PISA Schülerinnen und Schüler acht bis neun Jahre gemeinsam in eine Klasse gehen. Das muss Sie doch zum Nachdenken bewegen, wenn Sie sich nach wie vor für das gegliederte Schulsystem aussprechen. Vor allen Dingen müssten Sie Ihr Konzept der Eliteschulen oder der Eliteinternate noch einmal überdenken. Das wird nicht so funktionieren. Sie werden das auf Kosten der breiten Förderung und der breiten Talenteförderung vornehmen.

Herr Klemm – auf diesen berufen Sie und die Landesregierung sich gern – hat das kurz und knapp umschrieben, indem er sagt, frühes Aufteilen bremst die Qualität.

Ich könnte von der Grundschule zur Hochschule einen großen Sprung machen. Ich will das an der Stelle nicht

ausführen, weil wir sehr viele Gelegenheiten in den Fachausschüssen und der abschließenden Beratung haben werden, über Ihre Bildungspolitik zu sprechen. Für uns ist eine wirkliche Bildungsoffensive im Land notwendig. Sie haben in den vergangenen Jahren, obwohl Sie mehr Geld in die Hand genommen haben, in den Schulen und Hochschulen gespart. Sie mussten mehr Geld in die Hand nehmen, weil Sie ganz andere Gruppengrößen, Schüler- und Studierendenzahlen bewältigen müssen.

Ich warne davor, dass sich das an den Hochschulen wieder einstellt, was sich in den vergangenen Jahren in den Schulen ergeben hat. Wir werden in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Studierenden mehr bekommen. Es kann nicht sein, dass Sie das auf dem gleichen Weg bewerkstelligen wollen, wie Sie das in der Schule getan haben, indem Sie quasi nur Strukturänderungen vornehmen und es nicht schaffen, die Hochschulen mit den entsprechenden Mitteln auszustatten.

Eine reine Output-Orientierung – das ist in diesem Zusammenhang das Lieblingswort von Herrn Zöllner – wird nicht funktionieren, wenn es keinen Input gibt. Deswegen darf man die Hochschulen in diesem Land in den nächsten Jahren nicht „kaputtsparen“, sondern muss sie mit deutlich mehr Mitteln ausstatten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle sage ich: Es muss sich um deutlich mehr Mittel handeln.

(Schweitzer, SPD: Mehr Geld für dieses, mehr Geld für jenes!)

Herr Schweitzer, es ist auch notwendig. Deswegen muss es wenigstens eine hier sagen.

Meine Damen und Herren, die Qualität der hiesigen Bildungspolitik wird zu Recht aus der Wirtschaft heraus kritisiert. Die Unternehmen, ob große oder kleine, wissen sehr genau, was in den nächsten Jahren auf sie zukommen wird, nämlich das riesige Problem des Fachkräftemangels. Genau aus diesem Grund erhalten wir auch von dieser Seite Unterstützung für unseren Ansatz, in diesem Bereich die staatlichen Anstrengungen zu bündeln.

Ich möchte gleich zu Anfang betonen, dass nicht nur der Staat Verantwortung zu tragen hat, sondern auch die Unternehmen und die Wirtschaft ihre Verantwortung wahrnehmen müssen.

Ich möchte dies an einem Beispiel aus den USA deutlich machen. Dort gibt es das Unternehmen Sun Microsystems, das an der Börse notiert ist. Das Management dieses Unternehmens hat vor wenigen Wochen einen Brief an seine Aktionäre geschrieben. Darin wirbt die Geschäftsleitung bei den Aktionären um Verständnis dafür, dass sie keine Entlassungen vornimmt, auch wenn das die Gewinnerwartung und den Kurs der Aktie drückt; denn sie rechnet mit einer Besserung der konjunkturellen Lage und will auf die bewährte Belegschaft, das Know-How der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das soziale Gefüge nicht verzichten.

Das ist nämlich das Kapital in dieser Firma. Meine Damen und Herren, das sollte auch bei uns in Deutschland Schule machen, auch hier in Rheinland-Pfalz; denn es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse der Wirtschaft, ihrer Verantwortung, die sie gegenüber der Gesellschaft hat, gerecht zu werden. Die rotgrüne Bundesregierung hat mit der Rentenreform, mit der Steuerreform, mit der Unternehmensteuerreform Vorleistungen erbracht. Die Gewerkschaften haben jahrelang moderate Abschlüsse ausgehandelt. Deshalb fordere ich die Unternehmen auf, insbesondere auch die großen in diesem Land: Keine weiteren Ankündigungen und Umsetzungen von weiteren Entlassungen, und zwar in ihrem eigenen Interesse und im Interesse des Ganzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Mittler, Ihrem Lobgesang auf das Mainzer Modell, den Sie gestern angestimmt haben, muss ich noch einen Dämpfer versetzen. Erfolgreich ist das Mainzer Modell nur im Vergleich mit noch weniger erfolgreichen Modellen. (Mertes, SPD: Allein der Ideen- wechsel ist wichtig!)

Sie müssen in dem Zusammenhang auch sagen, dass von 600 geförderten Fällen im Land auch 200 Abbrecher sind.

(Mertes, SPD: Was ist denn Ihre Schlussfolgerung?)

Aber es zeichnet sich ab, dass es sehr wohl geeignet ist, die Teilzeitmauer zu durchbrechen. Das kommt überwiegend Frauen zugute. Herr Mertes, es ist veränderungsbedürftig. Genau auf diese Debatte werden wir Sie herausfordern. Fakt ist – das sagt selbst der Sozialminister –, dass dieses Modell längst keinen Königsweg in der Arbeitsmarktpolitik ist, sondern dass es nur eine von vielen Beschäftigungsförderungsmaßnahmen ist. Herr Mertes, eine solche Bescheidenheit würde ich dann für so einen Ansatz auch einmal erwarten, wenn der Herr Finanzminister ein solches Modell im Rahmen seiner Rede vorstellt. Er hat nicht zu vielen Dingen sehr detailliert etwas gesagt. Man muss doch zu einer realistischen Bewertung auch des Ergebnisses kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mertes, SPD: Ich fand, Sie war sehr breit angelegt!)

Aber mit den 50 Millionen, die in die Arbeitsmarktpolitik fließen, ist bei weitem nicht das aufzuholen, was Sie mit Ihrer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik in diesem Land verpatzen. Herr Mittler sang zwar gestern wieder das Hohelied des Mittelstands, Fakt ist aber, dass Sie zum Beispiel mit 115 Millionen Subventionen in einer Zeitspanne von sechs Jahren für General Motors, für den Opel-Standort in Kaiserslautern, also ein Global-player, der jetzt auch – –

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Ja, Herr Kuhn, es geht schon wieder los. Das wird noch oft hier Thema werden. Er droht Ihnen noch einmal mit einem Abzug.

für einen Betrieb und für die Gewinnbilanz von General Motors so viel aufbringt, wie Sie im gleichen Zeitraum für das Gros der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Land aufbringen.

(Hartloff, SPD: Haben Sie einmal die Arbeitsbilanz für die Westpfalz gesehen?)

Sie bringen für einen Konzern genauso viel auf wie für den gesamten Mittelstand in der gleichen Zeitspanne. Dann müssen Sie nicht sagen, der Mittelstand sei das wirtschaftliche Rückgrat des Landes, wenn Ihnen das an dieser Stelle nicht mehr wert ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bauckhage, Sie sollten genau das den Unternehmen und den Kammern in Rheinland-Pfalz erzählen. Dort lassen Sie sich gern als „Mister Mittelstand“ feiern. Mit Ihrer Subventionspolitik, ob es für die Monostruktur am Nürburgring oder für das IMM-Institut Ihres Vorgängers ist, richten Sie sich letztendlich auch nicht auf den Mittelstand ein, sondern Sie richten lediglich Subventionsruinen ein.

Ich will Ihnen auch hier noch einmal eine konkrete Zahl nennen. In den letzten zehn Jahren hat das IMM 165 Millionen Unterstützung vom Land erhalten. Heute steht es ohne eine regelrechte Geschäfts- und wissenschaftliche Leitung da. Es verliert quasi stündlich seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, und Sie stehen eigentlich mit diesem Institut vor einem großen Scherbenhaufen. Wenn das die Kernpunkte Ihrer Wirtschaftspolitik sind, dann kann es um diese Wirtschaftspolitik nicht gut bestellt sein.