Protokoll der Sitzung vom 14.12.2001

Ansätze für Reaktionen sind an vielen Stellen, von der KMK, von Lehrerinnen- und Lehrerverbänden, vom Ministerium, schon erklärt worden. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig darüber, wir müssen im frühen Kindesalter anfangen, in den Kindertagesstätten spielerisch lernen, die Fähigkeiten der Kleinen zu nutzen, die noch ganz anders sind als die eines zehn- oder elfjährigen Kindes. Im Grundschulaltergilt es, zu üben, zu fördern, viel mehr Zeit zum Lernen zu geben. Grundlagen müssen sitzen, aber die Kinder müssen angeregt werden, nachzufragen, zu forschen, nicht einfach nur Fakten zu lernen, sondern immer wieder auch die Fähigkeit zu bekommen, das, was sie gelernt haben, zu übertragen und kritisch zu hinterfragen. Die Lern- und Arbeitsformen müssen sich fortsetzen in den späteren Jahren, ganz egal in welchem Bildungsgang.

Unsere Schülerinnen und Schüler müssen in jedem Fach angeregt werden, lösungsorientiert zu lernen und zu arbeiten. Sie müssen nicht ein möglichst breites Fakten- und Detailwissen anhäufen, wie das zum Teil in unseren Lehrplänen deutlich noch angeregt wird, sondern sie müssen in der Lage sein, das Lernen zu lernen, die Wege zu erkennen, wie man auch ungewöhnlich nachfragt, auch um die Ecke denkt, wie man an Hinter

gründe kommt, die aus dem Detail zunächst nicht erkennbar sind.

Wenn man sich die PISA-Studie anschaut, sieht man, dass dort Fragestellungen waren, die, wenn man ein wenig um die Ecke denken kann, überhaupt nicht schwierig zu beantworten waren, aber zum Teil nur von 12 % oder 13 % der Kinder gelöst werden konnten.

Wir müssen den Mut haben, Lehrmethoden zu überprüfen. Wir müssen den Mut haben, an unsere Curricula heranzugehen, in jedem Fach, besonders natürlich in den Fächern, die im Besonderen Lese- und Leseverständniskompetenz schulen.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, an dieser Stelle einen kleinen Hinweis auf ein sicherlich unverzeihliches Versäumnis. Es ist erkennbar, dass nicht mehr zuerst das Buch in starkem Maß die Vorstellungskraft von Heranwachsenden prägt, sondern Bilder aus Fernsehen, Computer, Video und Ähnliches. Brauchen wir dafür nicht eine pädagogische Antwort? Ich denke, ja. Brauchen wir nicht eigentlich die Implementierung des Insterburg-Plans für den Deutschunterricht?

(Beifall bei der SPD)

So früh wie möglich die Implementierung dieses Plans in allen Bildungsgängen, in allen Klassenstufen. Unterschätzen wir bitte nicht die Chance auf einen Quantensprung im Literaturkundeunterricht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU, lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Dieser Schritt zum Insterburg-Plan wäre auch schon im vergangenen Jahrtausend möglich gewesen, als Sie an der Regierung waren.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten gemeinsam überlegen, ob wir nicht eine vergessene Chance analysieren müssen. Es geht bei uns nicht um die Beschimpfung von Lehrkräften, von Schule, von Kindern, von Eltern, es geht um die Analyse, um ein mutiges Weiterführen von Antworten, die wir in Rheinland-Pfalz begonnen haben. Wir haben vor PISA die Qualitätsentwicklung an unseren Schulen angeregt, wir haben lange vor PISA die Antwort zur Ganztagsschule, zur Vollen Halbtagsschule gegeben. Wir haben das Aktionsprogramm „Hauptschule“ in unserer Koalitionsvereinbarung.

(Glocke des Präsidenten)

Wir werden unsere Schulen unterstützen, und wir werden Lernen und Hinterfragen in diesem Land fördern.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lelle das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach dem Redebeitrag von Herrn Mertes und eben auch von Frau Brede-Hoffmann sehe ich mich doch gezwungen, meinen kleinen Reim vorzutragen. Es geht das Motto um: „Kommet ihr Menschen nach Rheinland-Pfalz, hier sonnt sich die Regierung im eigenen Glanz.“

(Vereinzelt Heiterkeit und Zurufe im Hause)

Meine Damen und Herren, damit werden die katastrophalen Ergebnisse der PISA-Studie nicht bewältigt. Ich will das Ergebnis noch einmal kurz zusammenfassen. Das Leseverständnis der deutschen Schüler stand im Mittelpunkt. Die Spitze zu dünn, die Mitte zu schmal, und der Anteil extrem schwacher Schüler ist viel zu groß. Vier Reaktionen waren auszumachen. Die einen wiegeln ab: Alles halb so schlimm, nur ein Test. – Andere haben schon immer alles gewusst und ziehen aus der Schublade fertige Rezepte. Die Dritten, so wie hier, betreiben Schönfärberei: Alles ist bestens, alles ist schon auf der Reihe. – In Nordrhein-Westfalen ist die Ministerin wieder dabei, die Lehrer zu beschimpfen, ihnen Bunkermentalität vorzuwerfen.

Meine Damen und Herren, ich warne vor dieser Oberflächlichkeit; denn die Ergebnisse sind zu besorgniserregend. Wir müssen ernsthafte Ursachenforschung betreiben. Für mich gilt: Was sagen dabei die Wissenschaftler, und was ist für uns möglicherweise in Rheinland-Pfalz der Fall? Dann will ich einige der genannten Gründe einmal aufgreifen und vortragen:

1. Die späte Einschulung: Ohne Zweifel ist sie auch bei uns in Rheinland-Pfalz mit 6,6 Jahren im Durchschnitt gegeben.

2. Die hohe Rückstellung von Kindern, 8 % in RheinlandPfalz, ohne eine ausreichende anschließende Förderung.

3. Die Frühförderung im Kindergarten ist weitgehend ungenutzt. Es ist die Frage, wie dies bei uns in Rheinland-Pfalz ist. Ist dies optimal? Auch darauf denke ich, werden wir, wenn im Januar das Gesamtergebnis und die Auswertung bezüglich der Länder vorliegt, Antworten geben können.

4. Die Unflexibilität in der Grundschule im Bezug auf die Sitzenbleiber, die früher eine Rückversetzung bräuchten und andererseits auch eine Klasse leichter und schneller überspringen sollten, wenn sie dazu in der Lage sind.

5. Die Förderung schwacher Schüler, ein zentrales Anliegen der Wissenschaftler. Ich will darauf hinweisen, dass nach unserer Meinung mit der Einführung der Vollen Halbtagsschule Förderungsmöglichkeiten gekürzt wurden und weniger AGs angeboten wurden.

Frau Brede-Hoffmann, Sie haben das Problem der Integration angesprochen. Das ist richtig. Darin liegt der größte Fehler unseres Bildungssystems. Eine ausreichende Sprachförderung ist wohl nirgendwo durchgeführt worden, auch bei uns nicht. Ich bin der Meinung,

wir haben weitestgehend die Grundschullehrerinnen und -lehrer allein gelassen, wenn sie in ihrer Klasse mehrere Kinder hatten, die die deutsche Sprache nicht beherrschten. (Beifall der CDU)

Nach Meinung der Wissenschaftler haben wir auch insgesamt zu wenig Unterricht, in Deutsch und Mathematik teilweise ein Jahr weniger als andere Länder. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Unterrichtsausfall, den wir nicht ernsthaft bekämpft haben und der natürlich auch Kons equenzen hat.

Wir haben deshalb auch zu wenig Zeit zum Üben und zum Anwenden. Folglich wurde das Ergebnis so schlecht.

Wir haben falsche Akzente gesetzt. Ich erinnere an die Spielschule von Staatsministerin Frau Dr. Götte. Genau das war ein falscher Weg.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Genau nicht!)

Ich bin ganz und gar nicht für die Paukschule wie in Japan, aber spielerische Elemente soll, darf und kann es nur geben, soweit dies zum kindgemäßen Lernen dient. Die Spaßgesellschaft, von der wir immer wieder reden und die draußen gang und gäbe ist, ist ebenfalls ein falscher Weg; denn Wohlstand fällt einem nicht zu, sondern er muss erarbeitet werden. Dies muss jungen Menschen dargelegt werden.

Auch in der Lehrerbildung wird einiges angesprochen. Die diagnostischen Fähigkeiten sind wohl unzureichend, denn nur 11 % wurden als schwache Schüler erkannt. Auch in diesem Bereich gilt es, in Rheinland-Pfalz entsprechend tätig zu werden.

(Glocke des Präsidenten)

Der Zugang von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern zu unserem Bildungssystem ist ebenfalls ein Problem, das in Rheinland-Pfalz ebensowenig wie auch in anderen Ländern gelöst ist. 25 % ausländischer Kinder erreichen noch nicht einmal den Hauptschulabschluss.

(Beifall der CDU)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Morsblech das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Insterburg & Co. hätte der Kollege Lelle gerade mit seinem Reim nicht die Qualifikation geschafft. Aber wenn man „Rheinland-Pflanz“ einsetzen würde, kann man sich einen Reim darauf machen, wie Lehrer reimen. Ich weiß nicht, ob das auch ein Licht auf diese Sache wirft. (Heiterkeit bei der CDU – Beifall der FDP und bei der CDU)

Aber Spaß beiseite. Die PISA-Studie hat uns beunruhigt. Sie hat viele Reaktionen ausgelöst. Es kam viel heiße Luft, aber es wurden auch althergebrachte Forderungen wieder aufgewärmt. Andererseits gab es auch viele gute Anregungen. Momentan wird durch diese Ergebnisse ein Klima geschaffen, das Innovationen und gute Vorhaben im Bildungssystem stärkt und die Chancen erweitert, dass durch Reformen in noch kürzerer Zeit mehr geschieht. Auch das kann eine Chance sein.

Das Ergebnis, das auch die FDP-Fraktion am meisten beunruhigt hat, ist, dass die Schere zwischen schwachen und lernstarken Schülerinnen und Schülern sehr stark auseinander klafft und dies in einem engen Kontext mit der sozialen Herkunft steht. Auch für die FDPFraktion steht die Chancengleichheit an allererster Stelle. Frau Kollegin Brede-Hoffmann hat bereits darauf hingewiesen.

Das bedeutet, dass wir uns in besonderem Maß dem Primar- und dem Vorschulbereich zuwenden müssen. Wir sind froh darüber, dass dies mit dem neuen Kindertagesstättengesetz geschieht und Möglichkeiten geschaffen werden, bereits im Kindergarten noch stärker zu fördern und Bildung als Thema dort noch stärker in den Vordergrund zu rücken.

Wir sind auch froh, dass mit dem Ganztagsschulangebot für die Grundschulen eine neue Chance entsteht, stärker auf das einzelne Kind einzugehen, es früh zu fördern und frühzeitig Defizite auszugleichen. Allerdings muss qualitativ in beiden Bereichen noch mehr passieren.

Wir möchten, dass es gerade für den Grundschulbereich mehr Transparenz gibt, was die Leistungen und die Qualität der einzelnen Grundschule betrifft. Wir möchten diese Transparenz dadurch herstellen, dass zum Ende der Grundschule gerade in den Fächern Deutsch und Mathematik Vergleichsarbeiten geschrieben werden, da diese Fächer für die weitere Schullaufbahn eines Kindes sehr entscheidend sind und Grundkompetenzen vermitteln.

(Beifall bei der FDP)

Dadurch soll eine größere Transparenz geschaffen werden, was die Leistungen der einzelnen Schule, aber auch der Schülerinnen und Schüler anbelangt. Die Eltern sollen eine zusätzliche Möglichkeit für eine richtige Schullaufbahnentscheidung bekommen. Es soll ein zusätzliches Element eingeführt werden, das ihnen bei dieser Entscheidung hilft. Dies ist ein wichtiger Schritt dahin gehend, dass wir Qualität nicht nur sichern, sondern auch transparent machen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in Deutschland nicht nur eine große Anzahl sozial schwacher Kinder, die auch Lernschwächen zeigen, sondern auch Schülerinnen und Schüler, die sicherlich die Fähigkeit hätten, in den oberen Leistungsbereich zu kommen, diese Leistungsspitzen aber nicht erreichen. Auch das sollte uns zu denken geben. Daher hat die FDP-Fraktion gefordert, ein System zur Hochbegabtenförderung einzurichten. Dies wurde gemeinsam mit dem Koalitions

partner in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Es wird drei Schulen geben, an denen hoch begabte Kinder und Jugendliche an den Universitätsstandorten, kombiniert mit einem internationalen Angebot eine besondere Förderung erhalten werden. Auch dieses Angebot halten wir für entscheidend und wichtig, um gerade in diesem Bereich die Defizite, die das deutsche Schulsystem laut der PISA-Studie aufweist, auszugleichen und den Schülerinnen und Schülern, die Talente und Fähigkeiten haben, die Erreichung der Leistungsspitzen zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, meine Zeit läuft schon wieder ab. Das ist sehr bedauerlich.

(Lelle, CDU: Das ist bei fünf Minuten so!)

Ich möchte noch einige Worte zu der Reform der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung sagen, um später noch zum Qualitätsmanagement zu kommen. Wir brauchen eine Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, die stärker auf die Lehrerpersönlichkeit abzielt und diese fördert und es somit ermöglicht, Lehrerpersönlichkeiten für den einzelnen Anwärter zu entwickeln, die die Kompetenz des Motivierens fördern und den Schüler dazu bringen, um die Ecke zu denken und Sachverhalte so zu erfassen, dass er sich dafür interessiert und selbst mehr nachforscht. Auch dies hat Frau Brede-Hoffmann schon gesagt.