Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Ethik des Heilens, von der in diesem Zusammenhang immer gesprochen wird, muss ihre Grenzen dort finden, wo das Lebensrecht Dritter berührt ist.
Deswegen komme ich noch einmal auf das Eingangsargument zurück. Deswegen ist die Antwort auf diese erste von mir gestellte Eingangsfrage eine so entscheidende. Sie hat eine durchschlagende Wirkung auf alle Entscheidungen, die im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung zu beantworten waren und in Zukunft zu beantworten sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet erstens keine Gewinnung von embryonalen Stammzellen im Sinn eines erlaubten Tuns. Das bedeutet zweitens keine Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik. Da gibt es auch in unserer Fraktion unterschiedliche Meinungen. Ich trage meine Überzeugung vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unabhängig von dem durchaus gut gemeinten Ziel, das ich gar nicht bestreiten will, kann man sich nicht um die Einsicht herumdrücken, dass die Präimplantationsdiagnostik auch das erklärte Ziel der Selektion des menschlichen Lebens hat. Das ist keine Unterstellung, sondern das ist ihr geradezu definitorisch zu Eigen. Sie will diese Auswahl. Sie wird deswegen veranstaltet, weil man bewusst diese Auswahl will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet drittens keine verbrauchende Embryonenforschung, auch nicht so genannter überzähliger Embryonen in vitro, aus einem Argument, das Frau Thomas vorgetragen und erläutert hat, weswegen ich es nicht noch einmal in aller Breite darstellen will.
Die Würde des Menschen bestimmt sich jedenfalls nach unseren kulturellen Vorstellungen über das Verbot der Verzweckung. Die Verzweckung ist unabwendbar in dem Fall, wo ich beispielsweise das Verbot der verbrauchenden Embryonenforschung antaste. Es ist keine Frage der Vermutung oder Unterstellung, sondern das ist einfach so. Das ergibt sich aus der Natur der Sache. Verzweckmäßigung ist ein schrecklicher Begriff. Sagen wir es lieber positiv, so, wie es in unserer Verfassung steht: Die Unantastbarkeit der Würde. Wenn man an diesem Gebot weiter festhalten will, dann bleibt uns dieser Weg verschlossen.
Ich will abschließend noch zwei knappe Bemerkungen zu Argumenten, die häufig in der Diskussion genannt werden, die meiner Position, unserer Position entgegengehalten werden, machen. Das war auch in der letzten Debatte ein zentraler Einwand.
Erstens: Das Argument, wie ist es dann mit der Freiheit von Forschung und Wissenschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich unsere Verfassung richtig
verstehe, dann ist die Freiheit von Forschung und Wissenschaft garantiert. Aber sie ist sinnhaft hingeordnet auf ein Menschenbild. Sie ist kein Grundrecht, das isoliert für sich betrachtet Bestand haben kann, sondern sie ist erstens eingeordnet in den Zusammenhang anderer Grundrechte, übrigens auch höherrangiger, und sie ist zweitens sinnhaft hingeordnet auf ein Menschenbild, das die Grenzen dieses zweifellos hohen und wichtigen Grundrechts der Freiheit von Forschung und Wissenschaft bestimmt und definiert. Deswegen kann ich nicht erkennen, dass es ein wirklich durchschlagender Einwand gegen eine Position wie die ist, die ich hier vorgetragen habe.
Das zweite Argument: Die Stichtagsregelung. Jeder, der zugehört hat, kann unschwer erkennen, dass ich sehr große Sympathien für den Antrag habe, den die GRÜNEN gestellt haben; natürlich für meinen, den meiner Fraktion am meisten, aber dann in zweiter Linie für den der GRÜNEN. Wenn man für die Stichtagsregelung ist, wird oft dieses Argument gebracht, dass dies Heuchelei ist. Ihr seid auf der einen Seite strikt gegen die verbrauchende Embryonenforschung, aber da seid ihr froh, dass ihr das Hintertürchen habt. Es ist eine heuchlerische Diskussion, die ihr führt.
Ich bin für die Stichtagsregelung. Ich habe am Anfang gesagt, dass ich das Ergebnis der Mehrheit des Deutschen Bundestags für sehr gut und für sehr richtig halte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin dezidiert der Meinung, dass es keine Heuchelei ist, wenn man für die Stichtagsregelung votiert, wie ich das tue. Richtig ist, dass die Gewinnung der embryonalen Stammzelle eine Tötung eines Embryos, also eines Menschen voraussetzt. Richtig ist, dass dies nach uns erer Überzeugung nicht zulässig ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, richtig ist genauso, dass die embryonale Stammzelle, wenn sie denn aus einem Embryo gewonnen wird, nicht die Schutzwürdigkeit beanspruchen kann und darf, die der Embryo beansprucht. Deswegen ist es in der Sache schon etwas anderes.
Ich will gar nicht den Zusammenhang zwischen der Gewinnung der embryonalen Stammzelle und sozus agen der Schutzwürdigkeit der embryonalen Stammzelle verkennen. Aber es sind zwei verschiedene Dinge. Ich finde, es ist nicht konsequent, diese beiden in der Sache verschiedenen Dinge mit dem gleichen Maßstab zu messen. Das ist nicht zulässig.
Herr Kollege Dr. Schiffmann, das ist einer der Punkte, bei denen wir dann am Ende doch wieder übereinstimmen.
Deswegen ist es unter einer Voraussetzung keine Heuchelei. Auch da kann ich mich auf das beziehen, was Frau Thomas vorgetragen hat. Die Stichtagsregelung ist das letzte Wort und nicht der erste Schritt.
Alle müssen wissen, dass wir unsere Position gänzlich über den Haufen werfen müssten, wenn es anders wäre. Die gefundene Stichtagsregelung ist, weil es sozusagen die erste gesetzgeberische Bewältigung dieses Problems ist, das letzte Wort und nicht der erste Schritt.
Ich möchte mich für diese Diskussion bedanken, die in diesem Parlament geführt wurde und weitergeführt wird, aber vor allen Dingen auch für die Diskussion, die in der Öffentlichkeit geführt wird.
Herr Kollege Wiechmann hat vorhin bei dem anderen auch etwas zum Nachdenken anregenden Thema eine sehr interessante Bemerkung gemacht, indem er gesagt hat, diese Diskussion hilft uns vielleicht, etwas mehr über uns selbst zu erfahren.
Herr Wiechmann, Sie haben gesagt, wir fühlen uns in unserer Gesellschaft unwohl, wenn wir ratlos sind, weil wir doch gern in der Illusion leben, alles über uns zu wissen. Vielleicht werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir über uns alles so noch gar nicht wissen und es sinnvoll ist, etwas mehr über uns selbst zu erfahren. Ich glaube, das kann man auch mit Blick auf diese Debatte sagen, dass sie uns hilft, vielleicht etwas weniger selbstvergessen zu sein und etwas mehr die Möglichkeiten zu nutzen, über uns selbst, über uns als Gesellschaft, aber auch über uns als Menschen etwas mehr zu erfahren.
Ich begrüße Damen und Herren der Kolping-Familie Brachbach, die uns heute Nachmittag die Ehre erweisen und uns besuchen, und zugleich Mitglieder des Bundesverbands für Rehabilitation und Interessenvertretung Behinderter sowie Mitglieder des VdK-Ortsvereins Pirmasens-Süd.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich in meine Rede einsteige, möchte ich auf zwei Punkte eingehen, die Herr Kollege Böhr und Frau Kollegin Thomas zur Haltung der Bundestagsfraktion meiner Partei zur Stichtagsregelung angesprochen haben.
Herr Kollege Böhr, ich kann nur unterstreichen, was Sie zum Ausdruck gebracht haben, dass der Wunsch, diese Stichtagsregelung nicht festzuschreiben, in der Tat Ausdruck unserer Bundestagsfraktion war, verbrauchenden
Embryonenschutz zuzulassen. Selbstverständlich. Das ist so. Das wissen wir doch alle. Deshalb greift da kein Vorwurf, sondern das ist eine Sache, die sich notwendigerweise aus der Gefechtslage ergibt.
Ich muss hinzufügen: Das Argument der Bundestagsfraktion für diese nachfolgende Sechsmonatsfrist war gerade im Rahmen der verbrauchenden Embryonenforschung allerdings sicherzustellen, dass es nicht zu Stammzelllinienproduktionen auf Anfrage kommt. Also ein durchaus hehres Ziel im Rahmen dessen, was uns ere Fraktion wollte.
Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute wieder einmal mit dem Thema „Stammzellenforschung“. Es ist schon gesagt worden, dass dieses Thema ganz wichtige Punkte wissenschaftlicher, rechtlicher und ethischer Natur berührt, aber auch – Herr Kollege Böhr – religiöser Natur. Es ist die alte Frage: Wer ist der Mensch? Was darf der Mensch?
Herr Böhr, es ist in der Tat auch die Frage, macht euch einerseits die Erde untertan oder andererseits das Versteigen in menschliche Hybris. Selbstverständlich bewegen wir uns genau auf dieser Grenzlinie.
Zu dem Punkt, den Herr Dr. Schiffmann zur Frage der Dynamik dieser Diskussion auch im theologischen Diskurs aufgeworfen hat: Etwas, das mir hierzu eingefallen ist, soll in keiner Weise die Diskussion abwertend begleiten, aber es soll deutlich machen, wie stark solche Diskussionen auch in der Religion einer hohen Dynamik unterworfen sind.
Die Mehrzahl von Ihnen kennt sicherlich den Schmöker Noah Gordon „Der Medicus“. Dieses Buch beschreibt in einem wesentlichen Teil ein christliches frühmittelalterliches Tabu, das besagt, dass es den Menschen nicht frei steht, zu Forschungs- oder Heilungszwecken den menschlichen Körper zu eröffnen. Das ist eine Vorstellung, die für uns heute über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus nicht mehr nachvollziehbar ist und die damals die gleichen Spitzen von Wissenschaft, Theologie und Politik in der Diskussion beschäftigt hat wie die Stammzellen- und Bioethikdiskussion heute. Das macht deutlich, wie weit historische Prozesse gehen können. Das sollten wir uns vor Augen führen, wenn wir heute wiederholt und erneut zu diesem Thema sprechen.
Meine Damen und Herren, was ist der Kern unserer Diskussion? Kern unserer Diskussion sind vier zentrale Punkte und Forderungen: Die Menschenwürde, der Lebensschutz, die Forschungsfreiheit und die Heilungsaussichten. Natürlich – darüber besteht Einigkeit in diesem Haus – geht es um die Abwägung zwischen konkurrierenden Gütern. Auf der einen Seite stehen Therapiechancen, die für die Zukunft realistischwerweise zu erwarten sind, ohne dass heute konkret gesagt werden
kann, welche Therapien es sind. Auf der anderen Seite ist die Basis der Forschung die Forschung am menschlichen Embryo, aber nicht nur die Forschung, sondern in der Tat das Vernichten einzelner Embryonen zu Forschungszwecken.
Das kann nicht beschönigt werden. Das ist eine sehr hohe Last, die auf diesen Forschungsprojekten lastet.
Ich bin der Auffassung, dass der politische Kompromiss des Deutschen Bundestags diesen Problemen gerecht wird in einer Beschreibung des Status quo. Jetzt, unter diesen Bedingungen und in Deutschland bei diesen Bundestagsmehrheiten war das der zu findende Kompromiss.
Frau Thomas, wenn Sie unseren gemeinsamen Antrag lesen, werden Sie zweimal das Wort „derzeit“ sehen. Das soll kein tricksendes Öffnen für alle Varianten sein. Das soll zum Ausdruck bringen, dass wir über den Status quo diskutieren, aber bei weitem nicht über das, was noch sein und kommen kann.
Es bleibt Ihnen unbenommen, eine andere Position einzunehmen. Ich werde noch auf die Position der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen.
Ich werbe über die Fraktion der FDP hinaus heute für den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD und FDP, der von einem hohen Maß an politischer Vernunft geprägt ist. Er hat nicht annähernd die Radikalität des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, so wie Herr Kollege Böhr es auch in seinen Formulierungen unterstützt.
Meine Damen und Herren, natürlich gibt es einen Konsens darüber, dass wir alles unternehmen müssen, um aus diesem Dilemma der verbrauchenden Embryonenforschung herauszukommen. Darüber müssen wir nicht diskutieren; denn das ist Konsens über alle Parteien und Länder hinweg. Wir müssen aber auch verstehen, dass wir insbesondere aufgrund der Komplexität dieses Themas mit Ängsten in der Bevölkerung umgehen. Es geht nicht nur um die thematischen Inhalte, sondern auch darum, dass die große Mehrheit dieses Landes die Diskussion nicht verstehen kann. Wir müssen aber auch wissen, dass zu diesen Ängsten in der Bevölkerung große Hoffnungen gehören, die die Politik berücksichtigen muss. Auch darüber darf nicht leichtfertig hinweggegangen werden.
Ich bin froh, dass in der Diskussion bisher trotz aller Unterschiede in der Diktion und in den Inhalten sehr verantwortungsbewusst mit diesem Thema umgegangen wurde. Es wird deutlich, dass wir uns insgesamt argumentativ von der gleichen Basis aus bewegen, aber in andere Richtungen. Es ist die Basis eines christlichen Abendlandes, die wir alle in der Diskussion nicht verlassen haben.
Ich darf nicht verschweigen, dass es bei den Lösungswegen große Unterschiede gibt. Ich gehe zuerst auf die Äußerungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ihr Antrag macht klar – Herrn Böhr nehme ich als Unterstützer dieses Antrags mit ins Boot –, in welch tragische argumentative Position Sie sich gebracht haben.