Protokoll der Sitzung vom 29.08.2002

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben schon oft über die Pflege gesprochen, und wir werden noch oft über die Pflege zu sprechen haben. Von daher schließe ich mich Ihnen an, Herr Marz, wenn Sie sagen, es sei begrüßenswert, dieses Thema auch mit großen Anträgen zu untermauern, Fragen zu stellen, Konzepte abzufragen.

Es wurde schon hinreichend darauf hingewiesen, dass neben den vielen Sachen in diesem Antrag, die nichts kaputt machen, insbesondere die etwas voreilige Erkenntnis, dass die Landesregierung, so in ihrer Pressekonferenz im Juni 2002, insbesondere in den bisherigen Äußerungen der rheinland-pfälzischen Sozialministerin eine diffuse Auffassung zeige und sie offenbar die Dimension des Themas nicht erkannt habe, doch etwas eigentümlich anmutet. Das passt nicht zusammen. Zum einen stellt dieser Antrag viele Fragen, die wir alle haben, die uns in Zukunft beschäftigen werden. Auch dieser Antrag gibt keine Antworten. Das halte ich eindeutig fest. Dennoch zieht man vorab Monate vorher schon den Schluss, in einer eigenartigen Befangenheit auf die Ressortchefin einzuprügeln. Das finde ich unmöglich.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns stattdessen mit diesem Thema so seriös befassen, dass wir nicht alle immer nur in den gleichen Sprechblasen die Problematik hin und her wälzen. Das haben wir schon zur Genüge getan. Wir wissen aber alle, wie die demographischen Voraussetzungen sind. Wir wissen alle, wie die DIC sich auswirken werden. Wir wissen alle, wie die Familien und die Bevölkerungsentwicklung ist. Das müssen wir nicht immer wiederholen. Aber wir wissen alle noch nicht, weder rot noch schwarz, noch grün, noch gelb, wie wir diese zunehmenden Probleme auf Dauer wirklich so lösen, dass sie dem entsprechen, was die CDU in ihrem eigenen Antrag unter Nummer 2 formuliert, „die Länder sind für die Vorhaltung

einer leistungsfähigen und zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlich pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich.“ Es bedarf in einem solch schwierigen Strauß von unterschiedlichen Zielen eines sorgfältigen Abwägens. Auch die Wirtschaftlichkeit gehört dazu, auch die Menschlichkeit, natürlich an allererster Stelle. Es muss funktionieren.

Wir haben, wenn ich das gesellschaftliche Umfeld anspreche, schon eigentümliche gesellschaftliche Verwerfungen, für die auch keine Partei im einzelnen die Verantwortung trägt. Wir haben eine schon fast überzogene, zum Teil wirklich übertriebene Liebe und übertriebene Fixierung auf den eigenen Nachwuchs. Ich erlebe es zum Teil in der eigenen Familie. Überall schießen neue Babyausstatter, Geschäfte und Grossisten aus dem Boden. Auch wirtschaftlich schlecht gestellte Familien würden nicht daran denken, sich einen Kinderwagen secondhand zu kaufen. Die Pflege dieser Kinder wird als etwas Bereicherndes, Fruchtbares und Schönes angesehen. Aber Windel ist Windel. Ich muss sagen, es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass wir die gleichen Pflegeprobleme, die gleichen Pflegeaufgaben im Alter nur widerwillig als Gesellschaft annehmen.

Herr Dröscher, ich unterstreiche diese Freude, die Sie zum Ausdruck gebracht haben, dass bis jetzt und hoffentlich noch eine ganze Zeit die familiäre Solidarität unter den kleinen Familien

(Dröscher, SPD: Und Sorge!)

und Sorge um diese Menschen noch nicht gelitten hat.

Hochachtung vor diesen Familien. Hochachtung unabhängig davon, ob fünf oder sechs Kinder sich die Pflege teilen oder es Einzelkinder sind, die diese schwere Aufgabe übernehmen.

Herr Marz, ich finde das großartig. Wir sollten als Landtag diesen Menschen unsere Hochachtung zum Ausdruck bringen.

Es ist nicht alles gut, und es ist nicht alles für die Zukunft geregelt. Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit auch Dinge auf den Weg gebracht, die uns irgendwann vielleicht einholen können.

Wir haben uns mit der Frage befasst, als die Pflegeversicherung installiert wurde: Zusätzliches Sozialversicherungssystem, umlagefinanziert oder kapitalgedeckt?

Die Auseinandersetzung ist lange geführt worden. Die FDP hat ursprünglich das kapitalgedeckte Verfahren favorisiert, hat sich aber dann zu einer Modifikation des umlagegedeckten Verfahrens durch den Koalitionspartner bewegen lassen.

Ich glaube, wir müssen in der Pflegeversicherung auf Dauer zumindest kapitalgedeckte Teilsegmente einführen. Anders wird es nicht gehen. Das Ansparen für die Pflegeversicherung in beispielsweise der privaten Krankenversicherung zeigt einen richtigen Weg.

Wir müssen akzeptieren, dass sich ein Teil der Problematik, die in den nächsten Jahrzehnten auf uns zu

kommt, von denen zu lösen ist, die dann das Problem darstellen werden und im Umfeld eines schwierigeren Generationenvertrags nicht immer nur von der geringen Zahl derer, die nachwachsen, für eine zunehmende Zahl derer, die diese Leistungen dringend benötigt.

Meine Damen und Herren, noch einmal zur Rolle, die das Land spielt. Ich finde, das Land spielt in diesen Fragen eine außerordentlich positive Rolle.

(Beifall der FDP und der SPD)

Es ist in der Tat so, dass beide Sozialminister in Rheinland-Pfalz, beide SPD-Sozialminister, diese Fragen sehr ernst genommen haben und rechtzeitig in die richtige Richtung gegangen sind. Deshalb gehe ich gern auf Ihren Zwischenruf ein, was die hessische Imagekampagne angeht, Herr Dr. Rosenbauer.

Diese Notwendigkeit hatten wir nicht, jetzt für Pflegepersonal zu werben. Hoffentlich werden wir sie auch in Zukunft nicht haben.

Wir sollten diesen Beruf in diesem Haus nicht schlechtreden. Wir brauchen diese Leute. Wenn Bayern über ein Normenkontrollverfahren eine bundeseinheitliche Ausbildung blockiert – das wurde schon gesagt –, dann ist das eine Schweinerei.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wenn man weiß, unter welchen Aspekten Bayern das getan hat, dann ist es noch weniger nachvollziehbar.

Das ist auch nicht im Sinn der CDU-regierten Länder. Das wissen Sie so gut wie ich.

Meine Damen und Herren, was wird, über das hinaus, was ich ausgeführt habe, die Vergangenheit, die Zukunft von uns fordern? Womit werden wir uns über Kapitaldeckungssegmente auseinander setzen müssen?

Wir werden unbedingt viele unterschiedliche Details anstoßen müssen. Das kann nicht immer ein Mehr an Qualität und Quantität sein. Es sollte es sein, wenn finanzierbar. Aber es kann nicht immer mehr sein, weil wir jetzt über Pflegeversicherung sprechen.

Wir haben gestern über Krankenversicherung gesprochen. Wir müssen weg von einem System, in dem jeder Sozialpolitiker immer nur die Höhe seines Kirchturms im Auge hat.

(Kramer, CDU: Sehr gut!)

Das Sozialversicherungssystem ist ein einheitliches, gemeinsames System, das gemeinsam erfolgreich sein wird oder gemeinsam seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.

In diesem Sinn glaube ich auch, dass der Staat in Zukunft nicht für den gesamten pflegerischen Bereich in der Konsequenz, wie wir es jetzt organisiert haben, zuständig sein sollte, sondern in ferner Zukunft, nach langen Übergangszeiten, für ein System, in dem der Staat selbst ordnungspolitische Grundsätze definiert und

vielleicht als Task Forsk die Probleme versorgt, die privatversicherungstechnisch und im Familienverbund nicht zu lösen sind, meine Damen und Herren.

Wir können es uns in diesem Bereich nicht leisten, wie das leider in manchen gesellschaftlichen Fragen Usus geworden ist, privat die „Schmankerln“ zu kassieren – wir erben das Häuschen der Oma –, die Probleme aber im Wesentlichen auf die staatliche Ebene zu verschieben. (Beifall der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, das wird mit Sicherheit nicht gelingen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Dreyer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Wenn nur Ihre mündlichen Einlassungen im Raum stehen würden, dann könnte ich meine Redezeit in einem Zehntel sozusagen abschließen und sagen, einverstanden, wir diskutieren im Detail im Sozialpolitischen Ausschuss, sehr geehrter Herr Abgeordneter Dr. Rosenbauer.

Aber es gibt nun einmal diesen Antrag, der im Raum steht und den wir heute diskutieren. Deshalb muss ich auch darauf das eine oder andere einfach sagen.

Das Erste, was ich betonen möchte, ist, dass die Pflege und die Zukunft der Pflege für die Landesregierung natürlich ein Schwerpunkt ihres politischen Handelns darstellt. Das war in den ganzen Jahren schon so, und es ist auch unter meiner neuen Amtszeit der Fall.

(Zuruf des Abg. Kramer, CDU)

Es stimmt also nicht, was im Antrag steht. Deshalb betone ich das noch einmal ganz ausdrücklich.

Dabei verstehen wir die Pflege und die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; denn nur durch das Zusammenwirken der Angehörigen, der ehrenamtlich Helfenden und der professionellen Dienste und Einrichtungen ist es auf Dauer möglich, qualitativ hochwertige Pflege zu sichern und zu finanzieren.

Ich denke, in dem Punkt sind wir uns alle einig. Es wurde auch in den Redebeiträgen deutlich.

Ich ergänze gern noch einmal, es sind immerhin noch 72,5 % der Pflegebedürftigen, die im häuslichen Umfeld gepflegt werden. Sie leben zu Hause und werden von

Angehörigen gepflegt oder allein durch die ambulanten Pflegedienste.

Ich bin nicht sicher, dass sich an dieser Zahl wirklich etwas verändert, sondern die Tendenz ist eher eine umgekehrte. Obwohl sich Familienstrukturen sehr verändert haben, gibt es ein immer größer werdendes Streben von älteren Menschen, zu Hause oder möglichst lange in ihrem eigenen Umfeld zu bleiben. Ich denke, das wird auch die Zukunft ganz klar bestimmen.

Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete, das Land ist sich natürlich seiner Verantwortung bewusst, was seine eigene Rolle betrifft, und nimmt diese eben nicht nur erst seit der Einführung der Pflegeversicherung wahr, sondern schon viel länger.

Den Ländern ist die Bereitstellung der notwendigen Pflegeinfrastruktur übertragen. Ich denke, das Land Rheinland-Pfalz war frühzeitig bundesweit eigentlich beispielhaft dieser Aufgabe nachgekommen.

Nach wie vor gibt es kein anderes Land – ich muss das einfach in diesem Zusammenhang nennen –, das dem Grundsatz der Pflegeversicherung, ambulant vor stationär, durch eine zielgerichtete bedarfsorientierte Planung und eine umfassende Förderung zur Sicherstellung dieser Infrastruktur für eine flächendeckende Grundversorgung mehr Rechnung trägt, als das in RheinlandPfalz der Fall ist.