Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

(Glocke der Präsidentin)

Da gibt es gar keinen Unterschied zu der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der Unterschied besteht nur in den Wegen und Zielen. Wir meinen, dass es da bessere Wege gibt.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP)

Ich erteile Herrn Staatsminister Bauckhage das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ursachen für das derzeitige schwierige Wirtschaftswachstum und die derzeitige konjunkturelle Lage will ich nicht im Einzelnen beurteilen, aber das schlägt natürlich auf den Ausbildungs- und auf den Arbeitsmarkt durch. Das ist überhaupt keine Frage. Wenn Sie eine Wachstumsschwäche und darüber hinaus eine schwierige konjunkturelle Lage sowie eine strukturell schwierige Situation haben, schlägt sich das auf den Ausbildungsund Arbeitsmarkt nieder.

Man muss die Zahlen nüchtern betrachten. Herr Kollege Creutzmann hat die Zahlen zuvor noch einmal genannt. Es ist schwierig, wenn man dann immer sofort von einer Katastrophe spricht. Ich halte nichts davon, wenn man die Sprache verhunzt; denn von einer Katastrophe sind wir noch weit entfernt. Dennoch müssen wir verständlicherweise alles daransetzen, um ein möglichst hohes Angebot an Ausbildungsplätzen zu haben. Die Frage ist, wie man dies erreicht.

Seit 1994 haben wir in Rheinland-Pfalz beim Neuabschluss von Lehrverträgen Zuwachsraten gehabt, die den Durchschnitt der Länder des Westens der Republik weit übertroffen haben. Diese Aufwärtsentwicklung konnte bis zum Jahr 2000 beobachtet werden. Man muss sagen, eigentlich hat die rheinland-pfälzische Wirtschaft ihre Hausaufgaben gemacht und versucht, so viele Ausbildungsplätze wie möglich zur Verfügung zu stellen.

Es kommt hinzu – das muss man auch ganz nüchtern sehen –, dass die Kammern und Verbände eine ganze Menge begleitend getan haben. Das reicht hin bis zu Ausbildungslotsen und Leuten, die die Betriebe im Einzelnen aufsuchen. Das alles hat sich auch positiv ausgewirkt.

Die Bundesregierung hat seinerzeit das Jugendsofortprogramm aufgelegt. Dieses Programm hat natürlicherweise einen Schub gebracht. Man muss aber auch ganz deutlich sagen, dass dieser positive Trend mittlerweile gebrochen ist.

Meine Damen und Herren, im Jahr 2002 musste ers tmals seit vielen Jahren ein Rückgang bei den Vertragszahlen hingenommen werden, der mit 8,2 % deutlich ausfiel. Dadurch wurde die Zahl der neuen Verträge auf ungefähr 27.500 nach unten gedrückt. Dieser Rückgang hat sich im Handel und Gewerbe niedergeschlagen. Um die Ausbildungsfähigkeit und Ausbildungswilligkeit beurteilen zu können, muss gleichzeitig auch daran erinnert werden, dass allein 94,3 % der Ausbildungsverträge mit dem Gewerbe, der Industrie, dem Handwerk und den freien Berufen geschlossen wurden. Ungefähr 5 % werden anderswo ausgebildet. Wenn man die Landwirte mit 1,5 % noch hinzuzählt, kann man feststellen, dass fast 97 % der Ausbildung in der freien Wirtschaft stattfinden. Das muss man dabei entsprechend berücksichtigen.

Die Arbeitsverwaltung hat dennoch in unserem Bundesland zum Ende des Berichtsjahrs 2002 keinen nennenswerten Überhang unversorgt gebliebener Bewerber auf

die Zahl noch offener Stellen festgestellt. Auch das ist wichtig. Das hat übrigens auch etwas mit der Bemessungsgrundlage zu tun. Wenn man eine Ausbildungsplatzabgabe fordern will – ich will das nicht –, muss man auch in aller Nüchternheit sehen, dass es Berufsbilder gibt, die nach wie vor nicht nachgefragt werden. Wolle Sie den, der keine Nachfrage hat, auch noch belasten? Das ist eine schwierige Frage. Es gibt übrigens auch Leute, die durchaus auf die Idee kommen, sich davon freizukaufen. Daher muss man das alles ein Stück relativieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeitslosenquote von jungen Menschen unter 25 Jahren – das ist bereits gesagt worden – belief sich im Februar 2003 auf 11,2 %. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass die Ausbildungsplatzlage in diesem Jahr nicht besser wird als im vergangenen Jahr. Trotzdem warne ich davor, eine Stimmungsmache zu betreiben.

Wir hatten beispielsweise im September 2002 noch rund 1.200 Unvermittelte, während es dann im Dezember 2002 nur noch rund 600 waren. Man muss sich auch diese Zahlen einmal vergegenwärtigen. Deshalb ist der Zeitpunkt zu früh, sich bereits jetzt ein abschließendes Urteil darüber zu erlauben. Darüber hinaus dürfen Sie mit der Sprache nicht so umgehen und von Katastrophen sprechen.

Es ist natürlich klar, dass gemeinsames Handeln angesagt ist. Vor wenigen Wochen habe ich zusammen mit den Wirtschaftskammern des Landes, der Landesvereinigung Rheinland-Pfälzischer Unternehmerverbände, dem DGB Rheinland-Pfalz und dem Landesarbeitsamt vereinbart, dass schwer zu vermittelnde arbeitslose Jugendliche eine berufliche Qualifikation erhalten, die sie besser in eine duale Berufsausbildung vermitteln lassen.

Ich denke, das ist ein richtiger Weg.

Die Aufhebung der Ausbildungsverordnung halte ich für einen richtigen Schritt. Neben dieser Ausbildungsverordnung gibt es noch eine ganze Menge Hemmnisse, die Betriebe hindern auszubilden. Auch diese müssen in dieser schwierigen Zeit auf den Prüfstand.

Hinzu kommt, dass das Engagement und die Förderung des Arbeitsministeriums zur Verbesserung der Ausbildungs- und der Beschäftigungsfähigkeit benachteiligter junger Menschen eine Rolle spielt. Ich halte das Programm, das benachteiligten jungen Menschen die Möglichkeit gibt, eine betriebliche Ausbildungsvorbereitung wahrzunehmen, für wichtig; denn es gibt Menschen, die nicht sofort befähigt sind, eine Ausbildung zu übernehmen. Wichtig ist, diese betrieblich an die Arbeit heranzuführen.

Darüber hinaus sollten wir endlich auch – das gilt an beide Seiten der Wirtschaftsverbände – über Modulausbildungen nachdenken. Eine Modulausbildung muss so gestaltet sein, dass sie oben offen ist. Nur dann würden wir erreichen, dass gerade diese Benachteiligten eine entsprechende Perspektive erhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nun einmal so, dass nicht jeder Schulabgänger einen Ausbildungsplatz bekommt und in die Arbeitslosigkeit entlassen wird. Das ist eine schlimme Sache. Wie geht man mit dieser Problematik um? Man muss überlegen, wie man dem entgegensteuern kann. Hier gibt es zwei Wege. Sie haben einen Weg genannt. Wir nehmen den anderen Weg, nämlich eine Differenzierung vorzunehmen und dann den Benachteiligten ein Angebot vorzulegen. Das ist ein guter Weg. Darüber hinaus ist es notwendig, nicht nur über die Ausbildungsverordnung, sondern auch über die Ausbildungsbilder nachzudenken. Es gibt viele Berufe, die derzeit nicht nachgefragt werden können, aber in der Wirtschaft erwartet werden.

Es ist eine stolze Leistung der Tarifpartner gewesen. Um den Schlosserberuf neu zu ordnen, hat man seinerzeit insgesamt sieben Jahre benötigt. Herausgekommen sind ein Hobel und Späne. Es muss überlegt werden, ob nicht mehr Flexibilität und Druck notwendig sind. Es gibt viele Berufe, für die man auch auf einer anderen Ebene Berufsbilder entwickeln kann, die durchaus eine gute Chance darstellen.

Es macht keinen Sinn, dass wir sagen: Du musst zwangsweise ausbilden oder du musst bezahlen. – Wenn man jugendlichen Menschen eine Perspektive geben will, ist es wichtig, zunächst alle Instrumente auszunutzen und auszuschöpfen. Diese sollen den Weg ebnen, damit der Betrieb ausbildungsbereit ist und der junge Mensch eine Chance erhält, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das sind die richtigen Wege. Von allen anderen Wegen, zum Beispiel Zwangsmaßnahmen, halte ich wenig. Diese werden uns nicht zum Ziel führen.

(Beifall der FDP und des Abg. Dr. Gölter, CDU)

Das heißt, dass alle Hindernisse auf den Prüfstand müssen. Es gibt eine Menge Betriebe, die nicht ausbilden können und dürfen. Das wird jetzt geregelt. Ich habe ausgebildet, und zwar mehr als zehn junge Menschen. Es ist auch notwendig, dass sich die Schulen auf die berufliche Ausbildung einstellen, um ein Stück in diese Richtung zu gehen. Wer einmal ausgebildet hat, muss wissen, dass es bestimmte Hindernisse gibt, die in ganz anderen Bereichen als in den Ausbildungsbereichen liegen.

Hier nenne ich beispielsweise die Betriebsstättenverordnung. In Zeiten, in denen man sich in einer bestimmten schwierigen Situation befindet, muss auch das auf den Prüfstand. Wir stehen vor der Frage, ob es immer richtig ist, dass man alle Tatbestände der Betriebsstättenverordnung einhält oder dem Auszubildenden eine Chance gibt. Diese Frage müssten wir schnellstens gemeinsam lösen.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Deshalb habe ich in der Konferenz der Wirtschaftsminister noch einmal die Problematik der Hindernisse auf den Prüfstand gestellt. Es muss tabulos geprüft werden, wo die Hindernisse liegen und wie man diesen begegnen kann. Es kommt ein entscheidender Punkt hinzu,

vor dem ich ein bisschen warne. Im Handwerk, das nach wie vor ca. 35 % der Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, gibt es beispielsweise beim Großen Befähigungsnachweis die so genannte sozialpädagogische Prüfung. Es macht nur Sinn, wenn jemand ausbildet, der eine bestimmte soziale Kompetenz dafür hat; denn sonst ist dem Auszubildenden am Schluss nicht geholfen.

Diese Fragen müssen tabulos auf den Prüfstand. Ich denke, dann ist diese Strecke zu überwinden. Wir müssen uns darüber klar sein, dass die Wirtschaft weiß, dass der Ausgebildete von heute der Facharbeiter von morgen ist. Es ist doch gar keine Frage, dass wir in Zukunft solche Facharbeiter brauchen. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Darüber hinaus müssen wir uns fragen, wo das Gestrüpp gelichtet werden kann, um das Entree für Ausbildungsplätze zu öffnen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister Bauckhage, auch wenn ich nicht in allen Bereichen Ihre Auffassung teile, danke ich Ihnen für die sehr viel differenziertere Ausführung, die Sie im Vergleich zu Ihrem Parteifreund, Herrn Creutzmann, dargelegt haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Creutzmann, ich glaube, dass es unredlich ist, wie Sie argumentieren. Das muss man einmal ganz deutlich sagen.

(Vereinzelt Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die rotgrüne Bundesregierung hat mit dem „Jump“-Programm und mit der Förderung von Ausbildungsplätzen über das Programm „Kapital für Arbeit“ erhebliche Anstrengungen im Ausbildungsbereich unternommen und tut dies auch weiterhin. Um die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zu verändern, muss nicht allein die Wirtschaftslage verbessert werden, sondern es muss darum gehen, die Handwerksordnung zu liberalisieren und die Berufsausbildung zu reformieren.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, darüber sind wir uns hoffentlich alle einig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte gern noch einen Punkt aufgreifen.

Herr Creutzmann, wenn es bei uns und bei der Bundesregierung um die Überlegung einer Ausbildungsplatzabgabe geht, geht es um einen gerechten und finanziell

gerechten Ausgleich besonders für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Betriebe, die ihrer Ausbildungsverpflichtung in hervorragender und vorbildlicher Art und Weise nachkommen. Es geht uns dabei auch um Gerechtigkeit gerade zugunsten dieser Unternehmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir fordern von der Landesregierung, dass sie sich unbedingt auf diese absehbare Situation auf dem Ausbildungsplatzmarkt einstellt, Maßnahmen ergreift und nicht alles schönredet, wie Sie, Herr Creutzmann, es heute getan haben.

Es muss darum gehen, dass auch der öffentliche Sektor die Jugendlichen auffangen muss, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Das Land muss gemeinsam mit den Unternehmen, den sozial gemeinnützigen Trägern und den Kammern den Jugendlichen auch außerbetriebliche vollständige berufliche Ausbildung zur Verfügung stellen. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Es kann nicht darum gehen, polemisch und ideologisch überzeugen zu wollen. Jetzt müssen Taten folgen. Wir dürfen nicht die Situation schönreden, wie Sie es, Herr Creutzmann, getan haben.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir begrüßen zunächst weitere Gäste im Landtag, und zwar einmal Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Thomas-Morus-Gymnasiums Daun sowie Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Regionalen Schule Neuwied-Niederbieber. Herzlich willkommen im Landtag! (Beifall im Hause)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Schwarz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Bauckhage, zunächst möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich für Ihren engagierten Vortrag und den Hinweis bedanken, was wir tun müssen und nicht deutlich gemacht haben, was uns an Zahlen schweres Wasser bedeutet. Wenn wir uns über die Zahlen unterhalten wollen, ist das die eine Sache. Davon werden wir wenig haben. Das bringt Betroffenheit, aber keine Lösung.