Zu Frage 1: Die Geschäftsverbindung von Politikern und Medienunternehmen ist bedenklich – ich formuliere es gedimmt –, die juristische Problematik, also Rechtsverstöße, sind zu prüfen. Ministerpräsident Kurt Beck hat dies in einem Brief an den Präsidenten des Deutschen Bundestages deutlich gemacht. Ich zitiere aus dem Brief vom 30. April 2003, der sich auf frühere und jetzige Bundestagsabgeordnete mit sehr prominenten Namen bezieht:
„In meiner Verantwortung als Vorsitzender des ZDFVerwaltungsrates sowie für den Rundfunk insgesamt verfolge ich diese Entwicklung mit großer Sorge; denn gerade der Rundfunk verlangt aufgrund seiner verfassungsrechtlich besonderen Rolle als Informationsträger ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit gegenüber der Bevölkerung. Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie diese Problematik im Präsidium des Deutschen Bundestages ansprechen und mögliche Lösungsansätze prüfen lassen könnten. Dabei geht es mir vorrangig um eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Verträge mit entsprechenden Amtsträgern, in jedem Fall aber um die größtmögliche Herstellung von Transparenz. Wie ich weiß, gibt es auf diesem Gebiet bereits bestimmte Verhaltensregeln und sinnvolle Grundsätze,
die gegebenenfalls auf die vorbezeichneten Sachverhalte gesondert erstreckt werden könnten.“ So der Brief des Ministerpräsidenten an den Präsidenten des Deutschen Bundestages.
Ich denke, dass der rheinland-pfälzische Landtag die notwendigen Voraussetzungen geschaffen hat, und weiß, dass die Landesregierung die daraus folgenden Verpflichtungen erfüllt.
Dass fast die Hälfte der Mitglieder der Bundesregierung Kohl wie auch der ehemalige Bundeskanzler selbst in vertraglichen Verbindungen mit der Kirch-Gruppe standen – man kann auch sagen, sie standen auf der PayRoll –, zeigt die Bedeutung des Falls und die Dringlichkeit, das Thema „Beraterverträge von Politikern mit Medienunternehmen“ in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit zu erörtern. Ministerpräsident Kurt Beck hat diese Thematik darum auch auf die Tagesordnung der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz gesetzt. Sie wird im Juni stattfinden.
Zu Frage 2: Ja, die Landesregierung sieht im Fall Scharnagl einen Verstoß gegen geltendes Recht. Wilfried Scharnagl war Chefredakteur des CSUParteiorgans „Bayernkurier“ von 1977 bis 2001 und Mitglied des ZDF-Fernserats von 1990 bis 2002.
Er war von 1992 bis 2002 Vorsitzender des Richtlinienund Koordinierungsausschusses, also des Strategiegremiums des ZDF. Zudem leitete er den so genannten „Freundeskreis“ der CDU- und CSU-Mitglieder in den ZDF-Gremien.
Scharnagl war, wie Franz-Josef Strauss gesagt hätte, der Spiritus Rector der Union in den Grem ien des ZDF.
Der Fernsehrat hat den Intendanten in Programmfragen zu beraten (§ 20 des Staatsvertrags). Scharnagl hatte einen geheimen Beratervertrag mit der Kirch-Gruppe, dem größten privaten Konkurrenzunternehmen des ZDF. Das ist ein Rechtsverstoß, ein glatter Rechtsbruch, ein materieller Verstoß gegen den Staatsvertrag und die Satzung des ZDF. Die Rechtslage ist eindeutig.
(Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU – Itzek, SPD: Bei denen ist doch alles legitim! Man kann alles beichten!)
Zu Frage 3: Der Fall Scharnagl schadet nicht nur dem Image des ZDF, sondern auch dem Ansehen der Politik. Ein Politiker, der, von seiner Partei entsandt, von einem Medienunternehmen bezahlt wird und bei der öffentlichrechtlichen Konkurrenz in entscheidenden Funktionen ist, ist wahrhaftig kein Garant für Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.
Das ZDF hat in seinem Jubiläumsjahr 2003 die beste Marktposition seit Jahren erreicht und hält in Akzeptanz und Ansehen eine klare Spitzenposition unter den deutschen Fernsehprogrammen. Die Schattenzeiten wurden
in den Jubiläumsrezensionen der Zeitungen allerdings immer wieder angesprochen; Fälle wie Scharnagl trüben wieder dieses Bild.
Heute ist das ZDF führendes und publizistisch maßgebendes Programmunternehmen für Politik, Information, Kultur und Bildung, erzählendes und unterhaltendes Fernsehen. Das ZDF ist wettbewerbsfähig und zukunftsfähig in der ZDF-Hauptstadt Mainz, am Medienstandort Rheinland-Pfalz in Deutschland und die größte Fernsehanstalt Europas.
Wenn die Landesregierung in dem Beratervertrag von Herrn Scharnagl einen Verstoß gegen geltendes Recht und auch gegen die Satzung des ZDF sieht, frage ich, ob der Landesregierung Erkenntnisse darüber vorliegen, wie dieser Verstoß geahndet wird und ob über die von Ihnen bereits genannten Maßnahmen und die von Herrn Ministerpräsident Kurt Beck gegenüber Bundestagspräsident Thierse veranlassten Anregungen hinaus noch weitere Maßnahmen erfolgen werden.
Die Staatskanzlei hat zurzeit die Rechtsaufsicht über das ZDF, aber diese Rechtsaufsicht ist subsidiär. Zunächst werden die Gremien des ZDF tätig werden. Das gilt für den Verwaltungsrat und für den Fernsehrat. Das ist auch auf den Tagesordnungen vorgesehen.
Ich darf vielleicht noch einmal aus dem Staatsvertrag des ZDF erläutern, wie sich die Aufgaben des Fernsehrats darstellen. Nach § 20 hat der Fernsehrat die Aufgabe, den Intendanten in Programmfragen zu beraten. Die Mitglieder des Fernsehrats dürfen weder für die Anstalt noch für eine andere Rundfunkanstalt oder einen Zusammenschluss von Rundfunkanstalten, eine Landesmedienanstalt oder einen privaten Veranstalter gegen Entgelt tätig sein.
Die Mitglieder des Fernsehrats dürfen keine wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen wahrnehmen, die geeignet sind, die Erfüllung ihrer Aufgaben als Mitglieder des Fernsehrats zu gefährden.
Dann sage ich Frau Raab, dass der Staatsvertrag des ZDF 1963 formuliert worden ist. Diese Formulierung habe ich jetzt übernommen.
(Kramer, CDU: Noch eine gestellte Frage! – Itzek, SPD: Seid doch nicht so nervös! Das tut weh, ich weiß es!)
Herr Schumacher, Sie haben soeben vorgetragen, dass Herr Scharnagl Mitglied des Fernsehrats und auch Mitglied eines Ausschusses war. Ich habe wegen des Geräuschpegels nicht genau gehört, welcher Ausschuss das war.
Konnte er durch seine Mitwirkung in diesem Ausschuss auch Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen des ZDF ausüben, und liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass er versucht hat, dies geltend zu machen?
(Ministerpräsident Beck: Das ist einer der größten Skandale, die es in Deutschland gegeben hat! – Böhr, CDU: Unter Ihrem Vorsitz!)
Ich darf nun auf die Satzung des ZDF Bezug nehmen, die bestimmt, die Mitglieder des Fernsehrats sind verpflichtet, Tatsachen, die geeignet sind, bei ihnen eine Interessenkollision zu begründen, dem Vorsitzenden des Fernsehrats unverzüglich anzuzeigen. Das ist nicht erfolgt, und das ist ein klarer Rechtsverstoß.
Herr Scharnagl war über ein Jahrzehnt Vorsitzender des Richtlinien- und Koordinierungsausschusses des ZDF. Das ist das wichtigste Gremium, weil dort die Programmstrategien und all das, was das ZDF im Wettbewerb zu tun gedenkt oder getan hat, plant oder überlegt, erörtert wird. Dort wird die Strategie des Unternehmens festgelegt, und der Vorsitzende des Ausschusses hat eine ganz bedeutende Rolle. Diese Rolle hatte Herr Scharnagl auch als Mitglied der Findungskommission bei der Intendantenwahl. Das ist das, was ich objektiv
sagen kann. Daran lässt sich natürlich eine Reihe von Vermutungen knüpfen, die ich jetzt nicht aussprechen will.
Der Ministerpräsident hat diesen Fall auf die Tagesordnung der nächsten Verwaltungsratsitzung gesetzt. Der Fall wird auch im Fernsehrat erörtert werden, und das Justiziariatt des ZDF ist dabei, eine Stellungnahme für die Gremien zu erarbeiten.
Herr Regierungssprecher, können Sie konkrete Entscheidungen anführen, die das Verhältnis des Zweiten Deutschen Fernsehens zur Kirch-Gruppe betreffen und auf die Herr Scharnagl zum Schaden des ZDF Einfluss genommen hat?
Ich glaube, in diesem Stadium sind wir im Moment noch nicht. Es ist gerade erst bekannt geworden, dass es einen Beratervertrag in sechsstelliger Eurohöhe pro Jahr gab. Dass es sehr viele Geschäftsverbindungen der Kirch-Gruppe mit dem ZDF gegeben hat, ist bekannt. Alles andere wird zu prüfen sein.
Wir haben jetzt über Beraterverträge eines Münchner Medienunternehmens an Mitglieder von ZDF-Gremien gesprochen. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob es auch möglicherweise Verträge mit Mitgliedern anderer Gremien von öffentlich-rechtlichen Anstalten gegeben hat?
Es gibt bzw. gab eine Reihe von Beraterverträgen von Politikern mit der Kirch-Gruppe, da die Kirch-Gruppe in Insolvenz ist. Der frühere Bundeskanzler Kohl ist ein Beispiel. Ich habe gesagt, es sind eins, zwei, drei, vier, fünf frühere Minister der früheren Regierung Kohl mit Beraterverträgen der Kirch-Gruppe ausgestattet gewesen.
Herr Schumacher, finden Sie es nicht auch auffällig, dass es sehr viele führende Mitglieder einer ehemaligen Regierungspartei sind, die in diese Situation verwickelt sind?