Protokoll der Sitzung vom 04.06.2003

(Lelle, CDU: Dann wird sie ausge- wechselt, wenn sie so schießt!)

Was ist die Reaktion meiner Kollegin und Ihrer FDPMannschaft? Sie stehen heute hier und üben sich im kollektiven Jubel. Schöner hätte es der Ministerpräsident wahrscheinlich auch nicht gemacht, wenn der FCK letztes Wochenende gewonnen hätte. Sie versuchen, das erstaunte Publikum zum Narren zu halten, indem Sie sagen: Da, wo wir hingeschossen haben, nämlich zur Eckfahne, ist genau das Ziel, zu dem wir kommen woll

ten. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau das ist das Problem.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh je! – Frau Spurzem, SPD: Sehr kryptisch!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche Handlungsweise ist, gelinde gesagt, ganz schön gewagt und relativ frech. Ich möchte es Ihnen erklären.

(Ministerpräsident Beck: Der ging aber gründlich daneben!)

Im Januar 2002 bringt die FDP einen Antrag unter dem Titel „Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik an rheinland-pfälzischen Grundschulen“ in den Landtag ein. 15 der 16 Sätze, die in diesem Antrag stehen, wollen den Eltern suggerieren, mit den Vergleichsarbeiten gäbe es nun ein Instrument, die Schullaufbahn ihrer Kinder besser vorhersagen zu können. In einem einzigen Satz wird erwähnt, dass diese Vergleichsarbeiten nebenbei auch einem landesweiten Qualitätsmanagement dienen sollen.

Genau zwei Monate später erscheinen dann die Vergleichsarbeiten in einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen nur noch als ein Instrument für ein landesweites Qualitätsmanagement. Von der Funktion, die die FDP eigentlich wollte, nämlich als ein Instrument einer Schullaufbahnempfehlung, ist keine Rede mehr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der kräftige Windstoß, der Ihren Elfmeter zur Eckfahne gebracht hat bzw. der heftige Gegenwind, der den Ball, also die „Schullaufbahnempfehlung“ zur Eckfahne „Qualitätsmanagement“ gelenkt hat, heißt bekanntermaßen PISA. Die PISA-Studie hat ein vernichtendes Urteil über die negative soziale Selektivität und das – im internationalen Vergleich – Versagen des gegliederten Schulwesens, insbesondere dabei, die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler individuell und damit optimal herauszufordern und zu fördern, ausgestellt. Die Funktion „Verbesserung der Schullaufbahnempfehlung“ bedeutet eine frühere und angeblich genauere Aussortierung. Dies war zunächst einmal beabsichtigt. Frau Kollegin Morsblech, dass dies nun in den Mitteilungen der Landesregierung und auch in Ihrer Rede heute Mittag, die ich nachvollziehen kann, da sie genauso gut von mir hätte kommen können, so herüberkommt, ist kein Eigentor, es ist aber auf alle Fälle ein Verschießen einer Riesenchance, die Sie nutzen wollten, aber nicht nutzen konnten.

(Frau Morsblech, FDP: Von Sport haben Sie nicht viel Ahnung!)

Wir haben in unseren Stellungnahmen zu den Vergleichsarbeiten immer wieder darauf hingewiesen, wenn schon Vergleichsarbeiten, dann als valide Tests in Anlehnung an TIMMS, MARKUS, PISA und IGLU, also Tests, die die Qualität der Schulen und des Unterrichts bewerten sollen und nicht die Qualität der einzelnen Schülerinnen und Schüler.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Schulsystem und die Schule müssen ganz im Sinn der PISA-Studie im wahrsten Sinn des Wortes entfesselt und dann entsprechend evaluiert und getestet werden. Vergleichsarbeiten, wenn sie valide Tests darstellen, oder eine Evaluation sind angemessene Instrumente für autonome Schulen. Sie sind angemessene Instrumente für Leistungsüberprüfungen für Schulen für alle Kinder, die durch pädagogische Freiheit zur individuellen Förderung jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin geprägt sind. Sie orientieren sich an gemeinsamen Bildungsstandards, wie eben schon erwähnt wurde.

Aus unserer Sicht sind deshalb – nebenbei gesagt – Schulen ohne Noten und Sitzenbleiben erforderlich. Zur Verwirklichung dieser Bildungsziele müssen die Schulen die entsprechenden Möglichkeiten zu eigenverantwortlichem Einsatz zur Verfügung bekommen.

(Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie mich noch einen Satz anfügen. Obwohl sie eigentlich mit dem Landwirtschaftsminister einen Fachmann in ihren Reihen haben sollte, versucht die FDP beharrlich, das Pferd immer wieder von hinten aufzuzäumen. Unserer Meinung nach müssen die Schulen zunächst einmal die Chance erhalten und darin unterstützt werden, selbstständig ihren Alltag zu gestalten.

Alles Weitere sage ich nachher. Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Beck: Wie kommt das Pferd auf den Fußballplatz? Das ist die Frage!)

Es spricht Frau Bildungsministerin Ahnen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Gelegenheit, heute zumindest kurz über die in Rheinland-Pfalz und darüber hinaus vorgesehenen Vergleichsarbeiten diskutieren zu können. Ich glaube, dass wir am 20. November dieses Jahres einen weiteren Schritt in Richtung Qualitätsentwicklung und – ich sage dies ganz bewusst, anknüpfend an das Jahr 1999 – Qualitätsmanagement des Landes machen.

Alle Grundschülerinnen und Grundschüler werden in Mathematik Vergleichsarbeiten schreiben. Schon diesmal werden Schulen aus Schleswig-Holstein und Berlin beteiligt sein. Im Jahr darauf wird dasselbe Verfahren für Deutsch folgen. Insgesamt werden sich fünf Länder diesem Landesvorhaben anschließen.

Ich bin froh, dass dies in der Art und Weise gelungen ist. Das ist sicher ein Verdienst der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dieses Projekt in enger Abstimmung mit dem Ministerium, aber auch mit Praktike

rinnen und Praktikern aus den Schulen auf den Weg gebracht haben.

Herr Abgeordneter Lelle, wenn Sie sozusagen die Sorge haben, wir könnten mal wieder die Ersten sein, dann nehme ich es mit Ihren eigenen Worten: Wir müssen in den Schulen dafür Verständnis wecken, dass es solche gibt, die längere Zeit brauchen, und solche, die kürzere Zeit brauchen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir müssen auch anerkennen, dass es offensichtlich Länder gibt, die ein wenig länger brauchen, und Länder, die ein wenig schneller sind. Ich sage Ihnen, so unwohl fühle ich mich in der Rolle nicht, dass wir mit Anstoßgeber sein können.

Mit diesen Vergleichsarbeiten wird nicht nur der Beschluss des Landtags vom 25. April 2002 umgesetzt, sondern es wird ein Vorhaben aufgegriffen, das in der Koalitionsvereinbarung verankert wurde und aus meiner Sicht durch die Beteiligung weiterer Länder die zusätzliche Dimension gewonnen hat, dass wir damit auch einen Beitrag zur bundesweiten Standardsicherung im Schulbereich setzen können. Ich glaube, es ist gut, dass sich Rheinland-Pfalz daran beteiligt, bundesweite Maßstäbe zu setzen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Der wichtigste Effekt der Vergleichsarbeiten ist aus meiner Sicht – dies unterscheidet sie übrigens von anderen Studien –, dass konkrete Anstöße zur Unterrichtsentwicklung in der einzelnen Schule gegeben werden können. Dies wird dadurch möglich, dass die Schulen diese Vergleichsarbeiten in der Tat sehr schnell selbst auswerten können. Dadurch haben sie auch sehr schnell eine Rückmeldung, sodass die Ergebnisse auch tatsächlich für die Förderung von Schülerinnen und Schülern wirksam werden.

Die Vergleichsarbeiten verfolgen daher mehrere Ziele. Sie sollen die Ergebnisse zwischen Schulen vergleichbar machen, sie sollen aber auch pädagogische und fachdidaktische Diskussionen anstoßen. Sie sollen den Eltern eine zusätzliche Information geben. Wir erwarten uns vor allem dadurch auch eine bessere Förderung und Stärkung der Diagnosefähigkeit der Lehrkräfte.

Wir haben ein Verfahren gewählt, das einerseits landesweite Vergleichbarkeit sichert, andererseits aber auch die Schwerpunktsetzung in der Schule berücksichtigt. Wenn Sie konkret sagen, es seien noch Dinge unklar, so muss ich sagen, die Auswertung ist aus meiner Sicht sehr klar. Wir gewinnen aus den Normierungsstudien, die regelmäßig wiederholt werden, Vergleiche.

Daraus leiten wir für die Schulen Bewertungsmaßstäbe ab. Wir stellen ihnen diese Bewertungsmaßstäbe zur Verfügung. Diese werden regelmäßig aktualisiert.

Dass die schnelle Auswertung möglich ist und die Schulen innerhalb weniger Wochen ein Ergebnis haben und es in Förderung umsetzen können, hängt übrigens mit einem weiteren Novum zusammen. Wir werden

erstmals eine Studie komplett Internet-basiert durchführen. Das ist etwas Neues. Das ist Innovation der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für die ich ausgesprochen dankbar bin.

Sie haben danach gefragt, warum es kein Ranking von Schulen gibt. Ich sage Ihnen, für mich ist nicht der Hauptpunkt das Ergebnis einzelner Schulen, das veröffentlicht wird. Damit wecken wir viele Vorbehalte in der Schule. Für mich ist die innerschulische Diskussion und die Möglichkeit der landesweiten Vergleichbarkeit das Wichtige.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Eines ist völlig klar: Selbstverständlich wird die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der landesweiten Stichproben informiert. Ich denke, damit ist den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung getragen.

Eine weitere Frage bezog sich auf die Gründe der Tes twiederholung. Wir verfolgen mit dieser Studie pädagogische Motivationen. Deshalb haben die Wissenschaftler angeboten, dass eine Schule nach einem halben Jahr sozusagen nachtesten kann, ob die Förderung, die sie nach den Ergebnissen eingeleitet hat, etwas gebracht hat.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Ich halte das für ausgesprochen vernünftig und pädagogisch.

Sie haben mir mit auf den Weg gegeben, ich hätte noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bis alle Lehrerinnen und Lehrer dahinter ständen. Ich sage Ihnen, ich habe in den letzten Jahren bezüglich der Reformfreudigkeit mit den Grundschullehrerinnen und -lehrern gute Erfahrungen gemacht. Ich weiß, dass es Widerstände gibt. Ich weiß, dass man Dinge mehrmals gemacht haben muss, bevor mancher Widerstand abgebaut ist. Ich weiß auch, dass die Schulen im Land im Großen und Ganzen bei diesen Verfahren sehr gut mitziehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das diesmal der Fall sein wird.

Bei aller Zurückhaltung darf ich noch einmal darauf hinweisen, wir bringen ein wichtiges Projekt für das Land auf den Weg. Ich bin sehr froh, dass andere diesen Weg mit uns gemeinsam gehen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Es spricht Frau Abgeordnete Morsblech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich rolle das Feld oder zäume das Pferd von hinten auf, je nachdem, wie man es sehen will. Ich gehe zuerst auf Herrn Kollegen Wiechmann ein. Wenn man bei der Normierungsstudie noch Einfluss nehmen kann, würde ich die Kate

gorie „Finde angemessene Metaphern und Wortspiele“ mit einbauen. Was Sie abgeliefert haben, war zum Teil nicht ganz nachvollziehbar, um es freundlich auszudrücken.

(Beifall der FDP und der SPD – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gehe auf den Punkt „Schullaufbahnempfehlung“ ein.

(Zuruf des Abg. Wirz, CDU)

Ich darf es Ihnen jedes Mal wieder sagen. Ich habe den Punkt „Schullaufbahnempfehlung“ als erste Motivation genannt, die dazu beiträgt, diese Vergleichsarbeiten einzuführen. Erst sagen Sie, die Schullaufbahnempfehlung ist Ihnen nicht mehr wichtig, danach sagen Sie, eigentlich wollen Sie die Schülerinnen und Schüler nur aussortieren, dann wäre uns die Schullaufbahnempfehlung wichtig.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollten Sie!)

Ich möchte richtig stellen, wie es ist. Wir möchten, dass die Eltern eine zusätzliche Entscheidungshilfe bekommen.