Protokoll der Sitzung vom 21.06.2001

Ohne einer solchen Anhörung vorgreifen zu wollen, will ich nur drei knappe Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen. Ich glaube, dass im Blick auf eine ganze Reihe der Fragen, die wir zum Teil sehr kontrovers miteinander debattieren – um so kontroverser, je größer wir den Kreis schlagen, wenn man die Diskussion in England, in Frankreich und Italien dazu nimmt –, so

zusagen die Bandbreite der Kontroversen erheblich zunimmt. Wir in Deutschland leben in dieser Hinsicht eher noch in einem gelobten Land, weil bei uns der Konsens immer noch – jedenfalls in einer Reihe elementarer und grundlegender Fragen – zu spüren ist. Wenn wir uns die ganze Bandbreite der Fragen vorlegen, glaube ich, gibt es auf eine Reihe der Probleme, mit denen wir zu tun haben, Antworten, die nachvollziehbar und auch zukunftsweisend sind, wenn wir von eben den Prinzipien und den Maximen ausgehen, die bisher und unbestritten Geltung haben.

Herr Kollege Dr. Schiffmann hat selbst in diesem Zusammenhang die auch für uns entscheidende Grundlage aller moralischer und rechtlicher Bewertung genannt. Das ist unsere Überzeugung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit verfügen wir über einen Maßstab, von dem wir uns jetzt meines Erachtens auch nicht einreden lassen sollten, dass er zumindest partiell außer Kraft gesetzt ist. Ich glaube, dass dieser Maßstab einen universellen Anspruch hat, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und es überhaupt keinen Grund gibt, in irgendeinem Punkt Abstriche zu machen – das ist mehr als eine Maxime – an diesem Prinzip. Das heißt im Klartext, der Mensch ist unverfügbar. Wenn der Mensch unverfügbar ist, gibt es von dieser Unverfügbarkeit keine Ausnahme. Dann ist auch keine Ausnahme die Frage, wie alt der Mensch ist, über den wir in diesem Zusammenhang reden. Ich sage das jetzt einmal im Klartext, weil da eine der Kontroversen auch in Deutschland beginnt. Dann spielt es für mich jedenfalls keine Rolle, ob dieser Mensch 24 Stunden alt ist oder ob er 97 Jahre alt ist. Wenn der Mensch unverfügbar ist, dann ist er unverfügbar.

(Beifall der CDU)

Dann bleibt er unverfügbar in jeder Dimension seiner Existenz. Es kann dann keine graduellen Abstufungen geben. Das bedeutet in einer zweiten Konkretisierung, dass der Schutz des Lebens keinen Bedingungen und keinen Einschränkungen unterworfen ist.

Dieser Schutz gilt dann ohne jede Einschränkung vom Anfang bis zum Ende. Wenn man diese Position teilt, heißt das als eine der Schlussfolgerungen, die aus dieser Position zu ziehen sind, dass jede Forschung, die menschliches Leben vernichtet, nicht erlaubt sein kann und nicht erlaubt sein darf. Ich sehe auch keinen Weg, sich an dieser Schlussfolgerung vorbeizumogeln.

Übrigens ist es erst recht kein Weg, dann den Umweg zu beschreiten und zu sagen, wir machen das über den Export embryonaler Stammzellen aus dem Ausland, weil wir dann nicht die moralische Last zu tragen haben, dann sind dafür andere zuständig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt dann solche Umwege nicht,

(Beifall der CDU)

sondern es gibt nur das Einverständnis über diesen Grundsatz und die Schlussfolgerungen. Das ist das eine.

Beim Zweiten wird es sehr viel komplizierter. Meine zweite Bemerkung, die ich machen will, geht auf Fragen ein, die nicht unmittelbar mit dem Verweis auf ein solches Prinzip zu beantworten sind, so tragend dieses Prinzip für uns ist – ich denke, da spreche ich ohne jede Einschränkung für meine ganze Fraktion –: Es gibt eine Reihe von Fragen, auch aktuelle Fragen – Herr Kollege Schiffmann, Sie haben ein paar davon genannt –, die nicht einfach so mit dem Verweis auf dieses Prinzip beantwortet werden können. Für mich ist eine solche Frage, die nicht einfach mit dem Verweis auf dieses Prinzip beantwortet werden kann, beispielsweise die Frage nach der PID. Ich glaube, dass in der Diskussion über die PID, wie sie im Moment geführt wird, manches durcheinander geht. PID – Präimplantationsdiagnostik – ist zunächst nichts anderes als ein diagnostisches Verfahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht erkennen, dass ein diagnostisches Verfahren für sich betrachtet moralisch wertvoll oder moralisch verwerflich ist. Ein diagnostisches Verfahren ist zunächst einmal etwas, das von seinem moralischen Gehalt her weder verwerflich noch als wertvoll zu gelten hat. Deswegen setzt auch unser moralisches Urteil über die Zulässigkeit der PID und all die Schlussfolgerungen, die dann für die Rechtsprechung oder die Gesetzgebung zu ziehen sind, nicht bei der PID an, sondern bei den Folgen, die möglicherweise die PID hat, also beispielsweise der Folge, dass man natürlich befürchten muss, ohne dass man schwarz malt, wenn es zu einer breiten Anwendung der PID kommt, dass der Schritt bis hin zur Selektion menschlichen Lebens nur ein ganz kleiner Schritt ist. Dadurch, dass selbstverständlich kein Mensch von uns sich vorstellen kann, dass wir in eine gesellschaftliche Entwicklung hineingehen, wo das an der Tagesordnung ist – dies darf noch nicht einmal in der Ausnahme zulässig sein –, muss man, von den Schlussfolgerungen her betrachtet, die man in Kauf nehmen muss, wenn man zu einer breiteren Anwendung der PID kommen will, sagen: Wir sehen auch keinen Grund – ich will dies aber zeitlich einschränken –, derzeit von der geltenden Embryonenschutzgesetzgebung irgendeinen Abstrich vorzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Unterschied, ob ich von den Folgen, die sich möglicherweise nach einem diagnostischen Verfahren einstellen, mein moralisches Werturteil bilde, oder ob ich es in der Sache, also mit Blick auf das diagnostische Verfahren selbst, bilde. Ich meine, diesen Unterschied muss man deswegen im Blick behalten, weil die PID uns in einem ganz anderen, auch moralischen Licht erscheinen würde, wenn wir eine Möglichkeit sähen, diese Folgen, die wir befürchten müssen – dies will ich ausdrücklich sagen; das sind nicht irgendwie Hirngespinste von ein paar Leuten, die alles schwarz in schwarz malen –, anders zu bewältigen, als uns das heute möglich erscheint.

Ein Drittes und Letztes will ich sagen. Herr Kollege Schiffmann, Sie haben das einmal in einer Bemerkung anklingen lassen. Ich denke, dass wir da in unseren Meinungen auseinander gehen, jedenfalls wenn ich das nehme, was in Ihrer Formulierung unterschwellig ein

bisschen mitgeklungen hat. Ich glaube, dass die Diskussion, wie wir sie jetzt führen, wie wir sie gottlob führen, wie wir sie Mitte der 80er-Jahre übrigens schon einmal ähnlich intensiv geführt haben – so ganz neu ist das alles nicht, was wir im Moment diskutieren; Entschuldigung, ich sage das ohne jeden Vorwurf, und keiner kann sich da ausnehmen –, schon der Hinweis auf so manche kollektive Doppelbödigkeit in unserer Gesellschaft ist.

Ich will dies anhand eines Beispiels ausführen. Das ist übrigens das gleiche Beispiel, das Sie vorgetragen haben. Dieses Beispiel ist dazu angetan, uns diese kollektive Doppelbödigkeit in einer sehr klaren Weise vor Augen zu führen.

Über die PID gibt es im Moment in Teilen der Gesellschaft die allergrößte Entrüstung, und über die PND redet kein Mensch. Die Folgen sind ohne jeden Abstrich genau die gleichen. In einem Fall ist es so, dass das ungeborene Kind zum Beispiel im Alter von 48 Stunden, und im anderen Fall ist es so, dass das ungeborene Kind im Alter von zwei Monaten oder drei Monaten, im Fall der Spätabtreibung sogar noch später getötet wird.

(Glocke des Präsidenten)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, man wird wenigstens sagen müssen, dass dies ein Widerspruch ist. Ich glaube – ich denke, am Ende wird an dieser Einsicht kein Weg vorbeiführen –, dass sich auf Doppelbödigkeit keine überzeugende Argumentation aufbauen lässt, weder eine rechtliche noch eine moralische.

Deswegen geht es im Ergebnis nicht nur um die neuen Möglichkeiten von Forschung und Wissenschaft. Darum geht es natürlich auch. Sie sind der Anlass für diese ganze Diskussion. Es geht im Kern um unsere Einstellung zum menschlichen Leben.

Die Debatte, die wir führen, ist im Kern eine Anfrage an uns, wie wir es mit dem Begriff von der Würde des Menschen und mit der Einstellung zum menschlichen Leben halten. Dann macht die Debatte einen tiefen Sinn.

Ich glaube, dass ein Begriff von der Würde des Menschen nur dann seinen tiefen Sinn erfüllt, wenn er ausnahmslos und ohne jede Bedingung gilt. Ich würde mir wünschen, dass am Ende der Diskussion, auch der gesellschaftlichen Diskussion, diese Einsicht etwas verbreiteter in unserer Gesellschaft vorhanden wäre, als das vielleicht heute der Fall ist.

Vielen Dank. (Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was kann, was darf der Mensch? – Die griechische Mythologie

zeigt das Bild von Prometheus, der etwas konnte, was er nicht durfte, und der etwas tat, was er nicht durfte, der den Menschen das Feuer brachte und dafür schlimm bestraft wurde. Aber es war auch in dieser mythologischen Geschichte ein Ansatz, der die Menschheit weiterbrachte. Die Menschheit wurde durch Prometheus beglückt.

Was kann der Mensch, und was darf der Mensch? – Mein Vorredner ist auf diese Dinge auch in konkreten Punkten schon eingegangen. Ich möchte das nicht tun. Ich möchte mich bewusst zum jetzigen Diskussionsstand einer Wertung und der Würdigung der bisherigen Abläufe enthalten, weil ich dem, was die BioethikKommission an Arbeit geleistet hat, und dem, was das Symposium für uns als befasster Landtag bringen soll, nicht vorgreifen möchte.

Herr Kollege Böhr, ich möchte auf das eingehen, was Sie zur PID gesagt haben. Ich teile Ihre Einschätzung, dass es eine gewisse Doppelbödigkeit in der Diskussion gibt. Ich möchte gerade in diesem Zusammenhang problematisieren.

Jeder, vor allem auch die Betroffenen, werden zu den größten Teilen von PID Ja sagen, wenn es um präimplantologische Diagnostik geht. Aber alle werden laut – das zu Recht – Nein sagen, wenn es um PIDSelektionsversuche geht. Nur, wo ist die Grenzlinie? Wo verläuft die Linie? – Das wird immer eine Frage sein, die auf der einen Seite der Gesetzgeber zu beantworten hat. Es wird aber auch immer eine Frage bleiben, die der Einzelne, das Individuum für sich auf Basis seines Gewissens und seiner Lebenseinstellung zu beantworten hat.

Auf jeden Fall sind wir aufgefordert, Regelungen zu treffen, die verhindern, dass diese beiden Dinge so weit auseinander gehen, sich die Bevölkerung in der rechtlichen Regelung nicht mehr findet, wir rechtliche Grauzonen zulassen, so, wie es jetzt zum Teil der Fall ist, und wir den Weg der Betroffenen ins Ausland stützend vorbereiten durch unser Nichtstun, so, wie das heute der Fall ist.

Meine Damen und Herren, das Thema – deshalb bin ich sehr froh, dass es zu einem fraktionsübergreifenden Konsens gekommen ist – entzieht sich kleinlicher Parteienstreiterei und -zwistigkeit – das ist gut so –, und es ist ein Thema, das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht als statisches, abzuarbeitendes Thema auf sich aufmerksam machen wird, sondern als ein dynamisches Thema, bei dem es immer nur vorübergehende Antworten geben kann.

Die Wissenschaft wird uns in einem Maß davoneilen, dass wir immer wieder gesetzgeberischen Druck spüren werden.

In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass die Bioethikkommission beim Ministerium der Justiz angesiedelt ist. Ich bin gespannt – das ist ein Appell an uns alle – wie wir in Zukunft mit den Ergebnissen dieser BioethikKommission umgehen werden; denn es genügt nicht, dass eine hochkarätig besetzte Kommission zusammentritt und einen dicken Abschlussbericht verfasst, der

dann in der Postablage auftaucht. Wir sind als Landtag insgesamt gefordert.

(Dr. Gölter, CDU: Sie ist kein Gesetzgeber!)

Das ist richtig. Wenn ich das so formuliert habe, dann war es missverständlich. Das lag mir fern.

Es gilt, die Interessen der Betroffenen mit den Interessen der Wirtschaft und der Wissenschaft zusammenzuführen. Es gilt, die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen zu bedenken. Es rührt an unsere gesellschaftliche Grundverfassung. Es geht um ethische, moralische, religiöse und rechtliche Grundwerte.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Thomas das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will vorweg eine Bemerkung machen. Ich begrüße, dass sich alle Fraktionen in diesem Hause darin einig sind, dass es Aufgabe des rheinland-pfälzischen Parlaments ist, den Diskussions- und Entscheidungsprozess in der Politik und der Gesellschaft über die aktuellen, aber auch künftigen Fragen der Gen- und Biotechnologie in einem Symposium aktiv mit zu gestalten. Ich bin froh, dass die anderen Fraktionen auf diesen Vorschlag eingegangen sind und es zu einem gemeinsamen Antrag gekommen ist.

Für uns war das möglich, nachdem eine angedachte Vorfestlegung weggefallen ist, nämlich die Empfehlungen der Ethikkommission der Landesregierung zu dem Themenbereich der PID zur Grundlage des Symposiums bzw. der Debatte zu machen. Eines ist für mich klar: Wenn wir in eine offene Debatte gehen wollen – das heißt nicht, ohne Position –, dann kann es nicht so sein, dass wir Beiträge von gesellschaftlichen Gruppen, von Kirchen, von der Wissenschaft oder von Behindertenverbänden, auf deren Beteiligung und deren Diskussionsbeiträge wir besonders angewiesen sind, vorgewichten können, sondern dass sie quasi gleichrangig nebeneinander stehen und nicht einzelne Positionen mit Vorschusslorbeeren in die Debatte gehen.

Wir gehen davon aus, dass die Ausgestaltung des Symposiums im Einvernehmen mit den Fraktionen erfolgt und wir uns einigen können, wie und in welchem Rahmen das geschehen wird.

Ich bin der Meinung, dass diese offene Debatte notwendig ist, weil es sich bei der Gentechnik um eine grundlegend neue Dimension von Eingriffen in die Natur handelt und wir vor Fragen stehen, die wir uns früher nicht stellen mussten. Mit früher meine ich jetzt nicht die 80erJahre, in denen aber schon ein Teil der Diskussion geführt worden ist. Aufgrund dieser besonderen Eingriffe

benötigen wir etwas Besonderes wie die Frage an uns selbst, wie Herr Böhr es formuliert hatte. Ich will es weiter fassen, weil es nicht nur um uns geht, sondern weil es um eine Frage der Selbstverständigung der Gesellschaft geht, welche Chancen der Gentechnik und der Biotechnologie die Gesellschaft nutzen will, welche Risiken sie vermeiden will und wo Grenzen gesetzt werden müssen.

Natürlich können wir bei dieser Debatte nicht stehen bleiben, sondern wir als Parlament haben auch die Aufgabe, Rahmenbedingungen und Gesetze zu schaffen sowie Grenzen zu ziehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Aufgabe des Gesetzgebers die Selbs tverständigung der Gesellschaft nicht ersetzen kann und auch nicht ersetzen darf. Deswegen können wir auch nicht bestimmten Antreibern nachgeben, die jetzt Tempo in die Debatte bringen wollen. Ich weiß, dass diese sehr breit läuft. Sie lief in der vergangenen Woche auf dem 29. Deutschen Evangelischen Kirchentag, sie läuft in den Feuilletons und in vielen gesellschaftlichen Gruppen. Aber wir dürfen den Antreibern, sei es, dass sie aus der Forschung oder aus der Wirtschaft kommen oder aus dem vermeintlichen Konkurrenzdruck mit anderen Ländern, in der Politik keinen Raum geben, um die Diskussion über die Humangenetik in Verantwortung zu beschneiden.

(Dr. Schmitz, FDP: Das ist auch der Antrieb bei kranken Menschen!)

Wir haben umgekehrt – meiner Meinung nach wird nur so ein Schuh daraus – in der Politik die Aufgabe, für das Nachdenken und für das Entscheiden Raum zu schaffen.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung in der Genund Biotechnologie berührt Werte und Grundrechte. Darauf haben alle Vorredner hingewiesen. Ich will nur noch einmal darauf aufmerksam machen, dass es um konkurrierende Grundwerte geht, um den Schutz des menschlichen Lebens, auch im frühen Stadium, um den Anspruch Kranker und Behinderter auf Heilung und um die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen. Es geht aber auch um die Frage, welchen Wert Freiheit und Selbstbestimmung in diesem Zusammenhang haben.