Protokoll der Sitzung vom 11.02.2004

Wer das tut, hat mein Verständnis nicht mehr. Das ist wirklich eine eigentümliche Form der Wahrnehmung.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Braun. Ich gehe auf Ihr Argument ein. Obwohl wir es gar nicht vorgetragen haben, sagen Sie, Sie wollten die Sache konjunkturunabhängig machen. Jetzt nehmen Sie die Situation, wie sie ist. Wenn wir in

dieser schwierigen Konjunkturlage diese Leistung hingebracht haben, dann kann es nur besser werden. Ich habe es Ihnen gesagt. Es sind 30 Ausbildungsplätze mehr als 2002; das lässt sich doch nicht wegdiskutieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, das lässt sich nicht wegdiskutieren.

(Beifall bei FDP und SPD – Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:....abgeschlossene Ausbildungsverträge!)

Das sind Zahlen des Statistischen Landesamtes, die ich Ihnen gleich präsentieren kann.

Meine Damen und Herren, es führt kein Weg daran vorbei, das war eine großartige Leistung und ein schwerer Weg, wo man zusammengehalten und für junge Menschen etwas getan hat. Wer jetzt unbedingt versucht, diese Sache schlechtzureden, der stellt sich selbst ins Abseits.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Jetzt hat Frau Staatsministerin Dreyer für die Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich teile mir die Redezeit mit meinem Kollegen, Herrn Bauckhage, und werde mir deshalb die Freiheit nehmen, nur auf einige Punkte einzugehen.

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zunächst möchte ich mich auch für die Landesregierung sehr herzlich bedanken, dass die Enquete-Kommission den Beschluss gefasst hat, sich zunächst mit dem Thema „Ausbildung“ zu befassen. Das ist für uns ein wesentliches und wichtiges Thema. Ich möchte mich für das hohe Engagement und die zielorientierte Arbeit sowohl der Abgeordneten als auch der Sachverständigen bedanken, weil wir als Regierung von dieser Arbeit profitieren können.

Die Ausbildungsfrage bezogen auf jedwede Form von Ausbildung und auf jeden Jugendlichen ist natürlich eines der wichtigsten Zukunftsthemen, denen wir uns stellen. Es ist schön, dass sich die Enquete-Kommission mit diesem Thema befasst hat. Ich glaube, ich muss keine Ausführungen zum Thema machen, was allein der demographische Wandel für Veränderungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt mit sich bringen wird. Wir sind uns einig, dass wir rechtzeitig die Weichen stellen müssen.

Die Enquete-Kommission hat sich mit diesem Thema befasst und wird sich auch in Zukunft damit befassen. Wir wissen, dass wir durch Zuwanderung und höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen diese Entwicklung abbremsen, aber nicht aufhalten können. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Menschen anders bzw. höher qualifiziert werden müssen. Gleichzeitig müssen wir uns darauf einstellen, dass in Kürze ein großes Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften fehlen wird. Der Handlungsbedarf ist sehr gut dargestellt. Er bewegt sich auf zwei Ebenen. Einmal müssen wir die konkrete Ausbildungssituation gestalten und den Jugendlichen eine Perspektive bieten, die keine Ausbildung finden. Zum Zweiten müssen wir strukturelle Veränderungen herbeiführen, damit wir in Zukunft für die Anforderungen der Gesellschaft gewappnet sind. Dazu nenne ich nur einige wenige Punkte, die schon angesprochen worden sind.

Frau Grosse hat darauf hingewiesen, dass sich der Bereich Dienstleistungswesen weiter ausbauen wird. Zurückgehen wird das verarbeitende Gewerbe. In Zukunft wird es einen Wechsel der Tätigkeiten geben. Wir brauchen höhere Qualifikationen. Wir brauchen Veränderungen in den Betrieben. Ich glaube, das sind die Dinge, auf die wir uns strukturell einlassen müssen, um die Veränderungen herbeizuführen.

Was heißt das? Natürlich dürfen wir in unseren Anstrengungen an keiner Stelle nachlassen, wenn es darum geht, Jugendlichen heute Ausbildungschancen zu eröffnen bzw. sie zu unterstützen, Ausbildungsplätze zu finden. Es ist das Anliegen der Enquete-Kommission, die Weichen dafür zu stellen, dass wir für die Zukunft gut gerüstet sind.

Die in den Anträgen der Fraktionen enthaltenen Anregungen und Schwerpunktsetzungen zeigen, dass es eine hohe Übereinstimmung in diesem Parlament über Schwerpunktsetzungen gibt. Das ist schon gesagt worden. Das gilt auch für den Weg, den wir als Landesregierung gemeinsam mit unseren Partnern gehen. Wir reden von den Schulen, der Wirtschaft, der Verwaltung und der Politik insgesamt. Diesen Weg haben wir gemeinsam beschritten und müssen ihn weiter gehen.

Herr Dr. Braun, natürlich haben wir Differenzen bei dem Thema „Umlage“. Wir setzen auf die regionale Gestaltung des Ausbildungsmarktes. Ich glaube, wir sind ein Stück weit darin bestätigt. Unsere Partner haben im letzten Ausbildungsjahr deutlich signalisiert, dass sie es als ihre wichtige Aufgabe empfinden und auch im neuen Jahr Energie in die Schaffung von Ausbildungsplätzen hineinsetzen. Wir setzen in Rheinland-Pfalz darauf, gute Lösungen zu finden.

Es gibt viel Übereinstimmung. Das gilt vor allem für den Punkt, dass wir eine weitere Optimierung der Zusammenarbeit aller Akteure brauchen. Das gilt insbesondere für den Übergang von Schule und Beruf. Dazu zählt die Berufswahlorientierung. Natürlich fangen wir nicht bei Null an. Wer sich wie die Mitglieder der EnqueteKommission auskennt, weiß, wie viele zahlreiche Aktivitäten in diesem Zusammenhang quer durch alle Ressorts stattfinden.

Wir stärken vielfältige Kontakte im Rahmen des ovalen Tisches. Dieser ist schon genannt worden. Es gilt, sowohl in den Schulen als auch in den Betrieben für die Notwendigkeit und die Chancen beruflicher Ausbildung weiter zu werben und Berufsbilder positiv hervorzuheben, die vielleicht für Jugendliche auf den ersten Blick nicht attraktiv sind.

Wir haben schon vor vielen Jahren Börsen gemacht. Aus dem kommunalen Bereich kenne ich das gut. An Schulen haben wir versucht, Mädchen zu vermitteln, dass es mehr als zehn Berufsbilder gibt. Das ist ein zäher Prozess, an dem wir mit allen Ressorts hartnäckig arbeiten. Ich glaube, wir müssen weiter daran arbeiten, gemeinsam mit den Akteuren dicke Bretter zu bohren, um zu überzeugen, dass es auch andere Alternativen als das gibt, was ursprünglich in der Vorstellung der Jugendlichen war.

Ein zweiter Punkt ist in diesem Zusammenhang genauso wichtig. Zu den Jugendlichen muss wirklich transportiert werden, was hinter einem Berufsbild steht, weil wir von den Abbrechern wissen, dass ein häufiger Grund für das Abbrechen andere Vorstellungen von dem Berufsbild waren.

Ich denke, ansetzen müssen wir auf den unterschiedlichsten Handlungsebenen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir uns auf immer komplexer werdende und anspruchsvollere Tätigkeiten und Berufsbilder einstellen müssen. Dabei müssen wir natürlich ganz offen die Frage stellen, ob alle Menschen in unserem Land mit diesen Veränderungen Schritt halten können oder ob einige dafür unsere Unterstützung und Förderung brauchen.

Die Antwort der Landesregierung ist glasklar. Sie drückt sich in unseren Aktivitäten auf dem Arbeitsmarkt, im Wirtschaftsministerium und im Bildungsministerium aus. Natürlich haben diejenigen, die nicht die gleichen Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben, das Recht auf unsere Unterstützung und Förderung. Das werden wir in Zukunft auch tun.

Ich sage ein Letztes zu dem Thema, dass wir verpflichtet sind, immer an die Wirtschaft zu apellieren, ihre Ausbildungsverantwortung wahrzunehmen. Verehrter Herr Weiner, ich finde, Sie machen es sich an dieser Stelle ein bisschen zu einfach. Natürlich leben wir zurzeit in einer konjunkturell schwierigen Lage. Vielen Betrieben geht es nicht so gut wie in der Vergangenheit. Trotzdem wissen wir zum Beispiel aus der Nachvermittlungsaktion, dass es immer die gleichen Betriebe sind, die am Schluss doch noch einmal einen ausbilden. Sie leben in der gleichen konjunkturell schwierigen Zeit wie die anderen Betriebe auch. Deshalb glaube ich, muss man das immer wieder sehr offensiv vertreten.

Ich wehre mich ein bisschen dagegen, wenn Sie sagen, Betriebe als Reparaturwerkstätten für schlecht qualifizierte Jugendliche. Natürlich haben wir auch schlecht qualifizierte Jugendliche. Ich glaube, wir sollten nicht so tun, als wäre die schlechte Qualifikation das typische Merkmal unserer heutigen Jugend.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir haben gut ausgebildete Jugendliche. Wir dürfen natürlich nicht den Blick davor verstellen, dass es auch schlecht qualifizierte Jugendliche gibt. Diese müssen wir unterstützen. Dabei müssen wir auch Betriebe unterstützen. Ich wehre mich gegen das pauschale Bild, dass wir das Ausbildungsproblem nur darauf zurückführen können, dass wir schlecht qualifizierte Jugendliche haben. Das entspricht schlicht und ergreifend nicht der Realität.

(Beifall bei SPD und FDP)

Frau Grosse hat noch ein schönes Wort genannt, nämlich die Unternehmenskultur. Ich glaube, das ist in diesem Kontext und in diesen Gesprächen ein wichtiger Punkt. Unternehmen entwickeln tatsächlich nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus moralischen Gründen und der Verantwortung den jungen Menschen und den Beschäftigten gegenüber eine Unternehmenskultur. Sie nehmen die Ausbildungsfrage ernst.

Ich sage es noch einmal. Ich fand es sehr schön, dass auch wir unser eigenes Verhalten immer wieder auf diesen Punkt reflektieren sollten, was wir nach außen vermitteln, was wir an Betriebe weiter geben, bei welchen Betrieben wir einkaufen gehen, welche Dienstleistungen wir in Anspruch nehmen.

Da sollten wir diesen Punkt „Ausbildung“ tatsächlich auch im Kopf haben. Als Landesregierung sehen wir uns insgesamt gefordert, vor allem natürlich wir Kollegen und Kolleginnen aus Wirtschaft, Bildung und Arbeit, in diesem Bereich weiter aktiv zu sein und auch die Anregungen der Enquete-Kommission aufzunehmen. Mein Ministerium, das natürlich vor allem auch für die benachteiligten Jugendlichen zuständig ist, betreibt viele Projekte, die hier auch genannt worden sind. Das größte Projekt ist „Jugend in Arbeit“, mit dem wir immerhin 6.000 Jugendliche, die nicht gut qualifiziert sind, erreichen. Wir werden es fortsetzen, wie die „Jugendscouts“ und andere Maßnahmen auch. Natürlich ist auch das Bildungsministerium in diesem Zusammenhang mit einer Vielzahl von Maßnahmen zu nennen.

Dass wir weiter viel zu tun haben, bleibt völlig außer Frage. Dass dabei unterschiedliche Akteure in ihren unterschiedlichen Rollen gefragt sind, ist auch klar. Ich denke, dass der Bericht der Enquete-Kommission eine sehr gute Grundlage darstellt, um Dinge aufzugreifen, sie weiterzuentwickeln und im Parlament auch miteinander zu diskutieren, aber auch ganz konkrete Handlungen davon abzuleiten.

Vielen Dank. (Beifall bei SPD und FDP)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Thelen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, es ist jetzt hinreichend darauf eingegangen worden, warum sich die Enquete-Kommission als Erstes dem Thema „Ausbildungsmarkt“ gestellt hat. Die Situation ist dramatisch. Ich bin froh, dass die Feststellung der Situation bei weitem über rein statistische Erhebungen hinausging und an vielen Bereichen Probleme offenbart hat, an denen wir tätig werden müssen.

Vorweg steht eine Wirtschaftssituation, die eine Vielzahl von Arbeitslosen produziert und in deren Gefolge natürlich auch ein deutliches Minus an Ausbildungsplätzen steht. Wir haben gehört, wie hoch die Zahlen der Insolvenzen sind. Wir wissen, wie groß die Zukunftssorgen der Betriebe sind. Ich kann gut nachvollziehen, wenn sich ein Betrieb, der nicht weiß, ob er das Ende dieses Jahres oder das nächste Jahr überstehen wird, dagegen entscheidet, einen jungen Menschen auszubilden. Dann kann ich ihn auch nicht mit Zwang dazu bringen. Trotz und alledem nehmen nach wie vor viele Betriebe auch in Rheinland-Pfalz ihre Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen ernst. Viele Unternehmer und Meister engagieren sich ehrenamtlich in Prüfungsausschüssen und überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen. Betriebe organisieren selbstständig Ausbildungsverbünde und fördern im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch ausbildungsschwache Jugendliche. Uns ist es wichtig, dieses Engagement vorweg positiv festzustellen und hierfür ausdrücklich zu danken.

(Beifall der CDU)

Die Aufgabe der Politik und hier konkret des rheinlandpfälzischen Landtags und der Landesregierung ist es, weitere Betriebe zur Wahrnehmung dieser Aufgabe zu motivieren. Frau Ministerin, da gebe ich Ihnen Recht, es gibt noch Betriebe, die sich dieser Aufgabe nicht stellen und die wir motivieren müssten. Ich denke aber, man darf nicht nur negativ sehen, dass Ausbildungsplätze fehlen.

Wie können wir aber noch weitere Betriebe motivieren, Ausbildungsplätze anzubieten? – Wir müssen die Rahmenbedingungen, auf die wir in Rheinland-Pfalz Einfluss haben, optimal gestalten, damit sich unsere Betriebe leichter für die aktive Ausbildung junger Menschen entscheiden können, damit Betriebe Ausbildung positiv und als Bereicherung erfahren, damit auch der Zugang zur Ausbildung erleichtert und deren Erfolgschancen verbessert werden.

Zwangsmaßnahmen, wie eine Ausbildungsabgabe, lehnen wir ab. Sie kann im schlechtesten Fall sogar dazu führen, dass man sich von der Ausbildungsverpflichtung freikauft. Das wäre wirklich kontraproduktiv.

(Beifall der CDU)

Sie führt in jedem Fall zu neuer unnötiger Bürokratie, und das, wo wir uns alle nicht nur sonntags den Abbau von Bürokratie auf die Fahnen schreiben.

Wie müssen Rahmenbedingungen aussehen? – Es gab durch die vorgelegten Fakten und natürlich auch durch

die Anhörung der Experten eine Reihe von Hinweisen zu Ausbildungshemmnissen, die, wenn wir sie ernst nehmen und ausräumen, tatsächlich zu einer besseren Situation auch in Rheinland-Pfalz führen können.

Wir haben uns in unserem Antrag auf zehn wesentliche Forderungen beschränkt, die ich Ihnen wenigstens in kurzen Kernaussagen wiedergeben möchte. Wir beginnen entsprechend dem Alter der Jugendlichen bei der Schulausbildung der Jugendlichen. Wir behaupten nicht, dass es nur schlecht qualifizierte Jugendliche gibt – keineswegs –, aber wir machen die Augen und die Ohren auf und haben gehört, dass viele geklagt haben, nicht nur über Jugendliche, die ohne Abschluss eine Hauptschule verlassen haben, sondern auch über Hauptschulauszubildende, die sich in der Praxis und auch schon in kleinen Eingangstests überhaupt nicht bewährt haben.

Fehlende Ausbildungsreife, schlechte Grund- und Allgemeinbildung, Defizite im sozialen Verhalten, aber auch in methodischer Kompetenz wurden in hohem Maß übereinstimmend beklagt. Über 4.000 Jugendliche haben im Sommer 2002 die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Das allein ist schon dram atisch.

Frau Dreyer, wenn Sie sagen, Sie machen sehr viele Programme wie „Jump“, die sich an Jugendliche im Ausbildungsalter wenden, dann haben wir den Eindruck, wir beginnen ein Stück zu spät. Wir verschenken Lebenszeit. Das können wir uns nicht mehr leisten.