Vereinfachung ist kein Selbstzweck. Steuerrecht kann nicht nur einfach sein. Wir leben in einem Umfeld mit sehr komplizierten Rechtsgebilden, und zwar im Arbeits-, Sozial-, Nachbarschafts- und Wettbewerbsrecht und in sonstigen Rechtsfeldern, die es gibt. Wir brauchen ein einfacheres Steuerrecht. Ich halte es mit Albert Einstein, der es einmal so formuliert hat: Die Dinge sollen so einfach sein wie möglich, aber nicht einfacher.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Böhr, Herr Kirchhof hat sich gegen die Berechnungen gewehrt. Kirchhof hat trotzdem Unrecht, wenn er diese Zahlen, die in dieser Arbeitsgruppe festgestellt worden sind, bezweifelt. Er geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass alle über 200.000 Euro befindlichen Steuerpflichtigen Abschreibungsmodelle finanzieren. Das stimmt so nicht.
Einen Teil davon haben wir zum Beispiel im Osten im Wohnungsbau eingeführt. Es sind sicherlich viele Fehler gemacht worden, oder man kann darüber diskutieren, ob in der Filmbranche so genannte Steuersparmodelle richtig oder falsch sind. Ich weiß nicht, was der Kollege Stoiber sagen würde, wenn aus der CDU oder aus anderen Bereichen solche Steuersparmodelle plötzlich nicht mehr akzeptiert werden würden.
Ich möchte dies in ein paar Sätzen zusammenfassen. In Deutschland haben wir kein Steuerlastproblem. Wir haben keinen weiteren Bedarf bei den Steuersätzen. Wir brauchen jetzt einmal eine Phase der Ruhe. Ich glaube, diese Ruhe sollten wir uns wirklich verinnerlichen und nutzen, um vielleicht das eine oder andere, was im Steuerrecht möglich ist, zu vereinfachen.
Herr Minister, es ist schon kompliziert. Ich habe immer behauptet, dass ich mich einigermaßen im Steuerrecht auskenne, aber manchmal kommt man gar nicht dazu, die Änderungen so schnell zu erfassen, wie sie teilweise verabschiedet werden. Das ist keine Frage der letzten vier Jahre oder fünf Jahre, sondern das habe ich die letzten zwanzig Jahre feststellen können. Es wird immer schwieriger.
Wir brauchen einen konsequenten Vollzug der Steuergesetze und eine effektive Ausschöpfung der Steuerquellen. Wir brauchen für unser Gemeinwohl hinreichende Steuereinnahmen. Außerdem müssen wir uns mehr überlegen – das kommt in der Diskussion zu kurz –, wie wir eigentlich in einer erweiterten Europäischen Union auch eine gemeinsame Steuerpolitik entwickeln, und zwar nicht, um gegenseitig zu konkurrieren, sondern gegenseitig unser Gemeinwohl in der Europäischen Union zu festigen. Ich glaube, wir haben noch eine große Aufgabe vor uns, die in den nächsten Jahren auf uns wartet.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, lassen Sie mich zu dem etwas sagen, mit dem Sie Ihre Rede begonnen haben, nämlich der Beschreibung der Ausgangslage. Diese Ausgangslage ist, glaube ich, etwas anders, als Sie diese geschildert haben. Wir haben nämlich folgende Ausgangslage, dass wir ein überaus kompliziertes und ein schwieriges Steuergesetz haben, nicht nur im europäischen Vergleich, sondern weltweit. Wir haben insbesondere, was die Ausgangslage betrifft, eine Steuerbelastung für Arbeitnehmer und für Unternehmer, die im europäischen Vergleich so hoch ist, dass Deutschland im europäischen Vergleich an letzter Stelle liegt. Herr Finanzminister, das ist doch die tatsächliche Situation.
Insoweit sage ich auch, dass Sie gern einmal den Artikel nachlesen können, in dem das Bundesamt für Finanzen selbst bestätigt: „Deutschland fällt im Steuervergleich zurück. Kein Land in Europa belastet die Gewinne stärker und höher als in Deutschland.“ Meine Damen und Herren, im europäischen Vergleich liegt Deutschland an letzter Stelle, was die Besteuerung der Unternehmensgewinne betrifft. Herr Finanzminister, das ist die Ausgangslage.
Wenn wir uns diese Auswirkung dann einmal auf dem Arbeitsmarkt betrachten, dann müssen wir schon zur Kenntnis nehmen, dass wir aufgrund dieser hohen Unternehmensteuerbelastung mit Sicherheit Insolvenzen in einem Ausmaß haben, wie es sie noch nicht gegeben hat. Ich sage voraus, dass das Jahr 2004 noch eine Steigerung bei den Insolvenzen bringen wird gegenüber dem Vergleich zum Jahr 2003.
Herr Itzek, das stimmt nicht. Lesen Sie einmal die „FAZ“ vom 2. Februar 2003. Dort steht es genau drin. Die „FAZ“ beruft sich auf eine Mitteilung des Bundesamtes für Finanzen und bezieht die Körperschaftsteuer mit ein.
Herr Finanzminister, die Rechnung, die Sie hier auch gemacht haben, was die Besteuerung einer Familie im Zusammenhang mit einem Jahreseinkommen von 37.000 Euro betrifft, können wir gern einmal nachvollziehen. Ich kann Ihnen sagen, wenn wir das umsetzen, was sowohl Kirchhof als auch Merz gleichermaßen als Kernstück dieser Steuerreform fordern, nämlich einen jährlichen Grundfreibetrag von 8.000 Euro, dann können wir einmal gemeinsam rechnen, wie viel dann an Steuern anfällt, wenn wir es mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 40.000 Euro zu tun haben. Wenn wir eine vierköpfige Familie haben, dann ergibt das einen Grundfreibetrag von 32.000 Euro, plus einem allgemeinen Arbeitnehmerpauschbetrag ergeben sich somit 34.000 Euro. Es verbleiben 6.000 Euro, die für die Besteuerung herangezogen werden. Wenn man die Spitze davon einmal wegnimmt, bleiben etwa 18 %. Meine Damen und Herren, das macht bei einem Jahreseinkommen von 40.000 Euro eine Steuerbelastung von 1.080 Euro. Dann hätte eine vierköpfige Familie – auf den Monat umgerechnet – knapp 90 Euro zu zahlen. Dann sagen Sie, die Familien werden durch die Steuerreform bestraft, sie ist nicht sozial ausgewogen. Herr Finanzminister, genau das Gegenteil ist der Fall. Diese Steuerreform ist sozial ausgewogen.
Herr Finanzminister, Sie müssen dann einmal sehr deutlich für die Landesregierung sagen: Was wollen Sie, wollen Sie eine Steuervereinfachung, wollen Sie diese Steuerreform, oder wollen Sie, dass wir weiterhin diese Steuerbelastung haben, dass wir weiterhin dieses extrem schwierige Steuerrecht haben und den Leuten erklären müssen, dass es in dieser Art und Weise mehr oder weniger weitergehen soll? Ich bin der Auffassung, dass es so nicht weitergehen kann, dass wir dringend eine Vereinfachung im Steuerrecht benötigen; denn nur ein einfaches Steuerrecht ist auch ein gerechtes Steuerrecht, meine Damen und Herren. Dafür sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen.
Wenn wir uns nun einmal mit den Unterschieden befassen, die immer zwischen den beiden Modellen Merz und Kirchhof angesprochen werden, dann müssen wir doch feststellen, es sind eigentlich gar keine so großen Unterschiede, die zwischen diesen beiden Reformmodellen stehen. Es gibt Übereinstimmung beim Grundbetrag. Es gibt nur keine Übereinstimmung hinsichtlich der jeweiligen Steuerbelastung und des Steuersatzes. Während Kirchhof einen einheitlichen Steuersatz von 25 % fordert, schlägt Merz einen Stufentarif vor: Bis 12.000 Euro 0 % Steuern, bis 24.000 Euro 12 % und bis 36.000 Euro 24 % und was darüber hinaus geht unter Berücksichtigung der jeweiligen Freibeträge einen Steuersatz von 36 %.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir brauchen dringend diese Steuerreform, wir brauchen dringend diese Steuerentlastung sowohl für die Arbeitnehmer, für die Familien als auch für die Unternehmer. Wenn uns das gelingt, dass die Leute wieder über mehr Geld verfügen können, dann wird eines einsetzen, dass wir wieder mehr Kaufkraft haben, es wird insoweit auch – was keiner bei der Gegenrechnung macht – Auswirkungen bei der Umsatzsteuer auf die Steuereinnahmen haben,
und es wird vor allen Dingen dazu führen, dass dann, wenn dem Unternehmer von seinem Gewinn mehr verbleibt, aus diesen höheren Gewinnen Investitionen entstehen, und durch Investitionen entstehen Arbeits- und Ausbildungsplätze, meine Damen und Herren. Das sollen Sie bei der Steuerreform zukünftig beachten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jullien, die Kaufkrafttheorie wird leider im Moment nicht verwirklicht. Wir haben eine Steuersenkung, und das, was wir uns alle davon versprochen haben, ist bisher nicht eingetreten, nämlich ein erhöhter Konsum und damit verbunden ein höheres Wirtschaftswachstum. Wir können es hoffen, Herr Kollege Kuhn. Ich will gar keine Ursachenforschung betreiben.
Ich wollte noch zwei, drei Anmerkungen machen, auch zu Herrn Staatsminister Mittler. Der entscheidende Faktor für das Steueraufkommen ist natürlich – Sie haben es vorhin an einem Beispiel gezeigt – Steuersatz und Bemessungsgrundlage. Das wird immer wieder vergessen. Wenn die Bemessungsgrundlage null ist, dann kann ich ruhig einen Steuersatz in Höhe von 53 % haben. Das Steueraufkommen ist dann null. Wenn ich eine Bemessungsgrundlage habe, die höher ist, dann kann ich auch einen niedrigeren Steuersatz haben. Dann kommt Geld in die Kassen.
Unser Problem ist auch bei Investitionen in Deutschland, wenn wir ausländische Firmen hierher locken wollen, dass sie leider nicht immer auf die Bemessungsgrundlage schauen, sondern auf den Steuersatz. Da konkurrieren wir jetzt natürlich auch, wenn die neuen Staaten zur EU hinzukommen, mit Steuersätzen, die 19 %, 20 % sind. Ich will auch gar keinen Zweifel an dem lassen, was vorhin gesagt worden ist: Das FDP-Modell, das die Gewerbesteuer betrifft, beinhaltet natürlich auch, dass bei Kapitalgesellschaften die 13 % Gewerbesteuer auf die 25 % Körperschaftsteuer draufgesattelt werden. Das muss man fairerweise sagen, das heißt, 38 % Steuern sind dann von Kapitalgesellschaften zu zahlen.
Die Problematik, die Sie angesprochen haben, ist natürlich auch das Stadt-Umland-Problem, das durch das FDP-Gewerbesteuermodell entstehen kann. Ein Teil würde bei den Kapitalgesellschaften ausgeglichen werden, aber einen Teil – Herr Ministerpräsident, das haben wir in der Koalitionsvereinbarung vereinbart –, das StadtUmland-Problem, müssen wir angehen, egal, ob wir eine Gewerbesteuerreform bekämen oder nicht, weil das natürlich für die großen Städte ein Problem ist, die Vorhaltungen für das Umland haben. Ich habe die ersten Koalitionsvereinbarungen 1987 geführt und habe es damals auch nicht immer richtig empfunden, dass die Schulträger, wie in Speyer, die Kosten für Schüler übernehmen müssen, die vom Landkreis kommen. Damals hat Herr Staatsminister Gölter das abgelehnt und gesagt: Das machen wir nicht. Wir sind uns einig, dass wir an die Probleme herangehen müssen.
Wir sind uns auch einig, dass, wenn 60 % der Weltliteratur sich nur mit dem deutschen Steuerrecht befassen, wir in der Tat überlegen müssen, das Steuerrecht zu vereinfachen.
Ich will noch ein paar Anmerkungen zur Steuervereinfachung machen. Wir, die FDP, haben das zwar nicht hinbekommen, die Steuererklärung auf einem Bierdeckel zu machen, aber es gibt natürlich das Solms-Modell, bei dem eine Steuererklärung auf einer Seite möglich ist, natürlich nur für Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit. Dort haben wir sogar noch solche Abzugsposten wie Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Herr Staatsminister, wir sollten uns einig sein, dass wir à la longue zu Steuervereinfachungen kommen müssen. Wir müssen dabei natürlich auch die öffentlichen Haushalte berücksichtigen. Da gibt es in der FDP-Fraktion überhaupt keinen Dissens mit dem Koalitionspartner, dass man nicht einfach hingehen kann und die Basis für das Steueraufkommen wegschlagen kann, damit die Kommunen immer weniger Geld haben, Frau Kollegin. Wir müssen aber zu einem Steuersystem kommen, das natürlich auch wieder mehr die Bemessungsgrundlage in den Blickwinkel nimmt.
Ich habe nie verstanden, dass Schiffe, die in Korea gebaut werden, in Deutschland steuerlich abzugsfähig sind oder Filme, die in Hollywood gedreht werden, abzugsfähig sind und damit das Steueraufkommen stark vermindern. Wenn das für die deutsche Volkswirtschaft vorteilhaft wäre, könnte man über diese Dinge reden.
Natürlich. Aber alles, was wir gemacht haben, muss doch nicht richtig gewesen sein, Herr Itzek. Das streitet doch niemand ab.
Das ist immer mein Petitum gewesen, dass ich gesagt habe: hohe Steuersätze, hohe Abschreibungsmöglichkeiten, null Steueraufkommen mit hohen volkswirtschaftlichen Schäden. – Jetzt stehen die Wohnungen in den neuen Bundesländern leer. Vielleicht müssen wir sie mit Steuergeldern abreißen. Das kann es nicht sein.