Protokoll der Sitzung vom 17.03.2004

(Beifall der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, dann schrammt man nicht mehr am Peinlichen vorbei, sondern man ist mitten drin im Fettnapf.

(Beifall der FDP und der SPD – Unruhe im Hause)

Dabei muss man festhalten, dass diese aufgeregte Diskussion zu später Stunde dem eigentlichen Thema der Tagesordnung nicht angemessen ist; denn das eigentliche Thema der Tagesordnung beschäftigt sich wieder einmal – wie schon so oft in dieser Legislaturperiode – mit den Auswirkungen der Pflegegesetzgebung und der Situation, dem Status quo, wie er sich für uns darstellt, nachdem eine Pflegeversicherung installiert wurde, die – ich meine gottlob – auf 1,7 % der Lohnzusatzkosten gedeckelt wurde.

Das führte zu der Konsequenz, dass die Bevölkerung dachte: Jetzt gibt es die Pflegeversicherung. Das Pflegerisiko meiner Familie ist mir genommen. – Die Bevölkerung hat aber nicht einsehen wollen und wurde bei den süßen Schalmeienklängen des Wahlkampfs nicht darüber aufgeklärt, dass es sich um eine klassische Teilkaskoversicherung handelt, die eingeführt wurde. Dieses Missverständnis gilt bis heute und erklärt einen Teil der Frustrationen, denen wir uns gegenübersehen.

Das Land – Frau Ministerin Dreyer – versucht nach Kräften, dieses Problem mit den Mitteln, die der Landesregierung zur Verfügung stehen, anzugehen. Es gibt viele Dinge, die im System verständlich, nachvollziehbar und unverzichtbar sind, die aber – das ist der Kern meiner Aussage – das grundsätzliche Problem der Pflege

versicherung, so wie es Schwarzgelb auf den Weg gebracht hat und Rotgrün es weiterträgt, nicht lösen kann.

Das wäre ungefähr so, als wenn wir über die Lackpolitur eines Autos reden, das nur drei Räder und eine kaputte Bremse hat. In der Diskussion bräuchte es an sich sehr viel mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik schon einzelne Dinge ins Hausaufgabenbuch geschrieben. Das sind aber Kleinigkeiten. Bis zum Jahr 2005 wird man es irgendwie hinbekommen, Kindererziehende etwas positiver zu berücksichtigen. Aber auch das wird das eigentliche Problem nicht beseitigen. Das eigentliche Problem besteht zum Beispiel darin, dass die Deckelung der Lohnzusatzkosten auf 1,7 % die Geldmittel, die in das System gesteckt werden, begrenzt. Das führt dazu, dass beispielsweise in der professionellen Pflege Gehälter bezahlt werden, die offensichtlich nicht in der Lage sind, genügend Nachwuchs zu generieren, sondern die im Gegenteil dazu führen, dass viele durch die Belastung dieser Tätigkeit frühzeitig den Beruf wieder an den Nagel hängen.

Wir reagieren mit Imagekampagnen, Informationskampagnen und Aufklärungskampagnen. Die Basis aber, die nicht adäquate finanzielle Ausstattung des Systems, können wir so nicht verändern. Die meisten Parteien sind sich einig, dass uns der Weg über zusätzliche Lohnbelastung verschlossen ist.

Was können wir also tun über eine Qualitätssicherung hinaus, über Bildungs- und Fachkräfteoffensiven hinaus, über die Verbesserung der Demenzhilfe hinaus, was auch alles Geld kostet, über Best practice hinaus, über Info- und Beschwerdetelefone hinaus, über einen medizinischen Dienst hinaus, der immer wieder schaut, wo die Probleme liegen? Das sind Dinge, die wichtig sind und die ich begrüße. Sie können aber nicht ins Zentrum des Problems vorstoßen.

Meine Damen und Herren, was die Pflegeversicherung angeht, sind inzwischen viele klüger geworden. Das will ich nicht besserwisserisch sagen. Das zentrale Problem wird auch nicht dadurch gelöst, dass Herr Kollege Rüddel – von den Steuertatbeständen einmal abgesehen – eine familienpolitische Rede ganz in der Tradition der CDU hält: Hurra! Das traditionelle Familienbild. Wenn wir alle wieder auf unseren Eifelbauernhöfen sind, ist die Welt wieder in Ordnung. – Meine Damen und Herren, diese Zeiten sind – vielleicht leider, andere sagen gottlob – vorbei. Wir müssen festhalten, dass die Berufsbilder der Frauen heute anders sind als vor 30 Jahren. Wir müssen festhalten, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung – gottlob – eine Höhe erreicht hat, die diese demenziellen Erkrankungen in der Masse mit sich bringt. Die Leute sind aufgrund ihres Lebensalters früher gar nicht erst an Demenz erkrankt, da sie früher gestorben sind.

Jetzt müssen wir – vielleicht sollten wir auch sagen „dürfen“ – diese Menschen pflegen. Ich sage „dürfen“, weil es für uns selbstverständlich ist, dass sich Eltern und Verwandte ihrem Nachwuchs zum Teil mit übertriebener Sorgfalt annehmen. Aber am anderen Ende, wenn es mühsam wird, will man nichts mehr davon wissen. Es darf wohl noch geerbt werden, aber man will nicht mehr tätig sein für die Menschen, die im unmittelbaren Umfeld

leben. Das ist keine familienpolitische Rede, sondern eine Beschreibung des Status quo.

Diesen entsolidarisierten Zustand in einer Gesellschaft, in der es heißt „Staat, mach Du einmal“, können wir uns auf Dauer nicht leisten. Das ist keine Frage der politischen Couleur, sondern es ist eine Frage, ob dieses Gemeinwesen auf Dauer auseinander knallt oder zusammenhalten kann.

Deshalb müssen wir staatliche Unterstützung im Rahmen einer Pflegetätigkeit bieten. Wir müssen aber auch endlich die Zeichen der Zeit erkennen. Wir erleben seit Jahren, dass die Defizite in der Pflegeversicherung Jahr für Jahr steigen und die Rücklagen in Milliardenhöhe dahinschmelzen wie der Schneemann in der Sonne. Statt aktiv zu werden, reden wir uns froh und besprechen die Themen, die nachrangigen Charakter haben. Über diese Themen tauschen wir uns aus. Über sie finden wir muntere Worte, aber ohne dass wir zum Zentrum vordringen.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es ist für Sie wohl nicht vorstellbar, dass es nicht nur um die Finanzierung geht! Verstehen Sie das doch!)

Frau Thomas, das Problem ist gerade so breit, dass wir es mit diesen Methoden nicht lösen können. Sie müssen sich einmal vor Augen halten, was wir alles machen. Wir haben vorhin voller Stolz gehört, dass wir jetzt eine Unfallversicherung für pflegende Angehörige haben. Schön. Jetzt stellen Sie sich einmal die Unfallversicherung für babypflegende Mütter vor. Das ist das Pendant dieser gesetzgeberisch offensichtlich notwendigen Maßnahme. Das zeigt das Bizarre dieses Systems sehr deutlich auf.

(Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch Kappes!)

Wir brauchen ein System, in dem der Staat einen Teil seiner Sozialverantwortung reindividualisiert. Wir brauchen ein System, in dem der Entsolidarisierung und dem mangelnden Kinderwunsch nicht durch eine überzogene staatliche Heilsversprechung Vorschub geleistet wird.

Wir brauchen Demographiefestigkeit und kapitalgedeckte Systeme, und diese möglichst weit weg von einer Belastung der Lohnkosten, um nicht über neue Arbeitslosigkeit das, was wir auf der einen Seite mit unseren Armen aufbauen, auf der anderen Seite mit dem Hintern wieder umzustoßen. In dieser Art und Weise sollten wir weiterdenken. Ich bin daher sehr dankbar, dass das Sozialministerium einen Vorstoß angekündigt hat, um deutlich zu machen, wie Rheinland-Pfalz dieses Problem sieht. Wir sind darauf alle gespannt, und wir von unserer Seite bieten selbstverständlich unsere konstruktive Mitarbeit an.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Für eine Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das muss schon sein. Das, was Herr Dr. Schmitz von sich gegeben hat, geht völlig am Thema vorbei. Herr Dr. Schmitz, die Zwischenrufe von Frau Thomas waren mehr als berechtigt. Es geht um die pflegenden Angehörigen, und es geht nicht um eine Diskussion, wie die Pflegeversicherung finanziell aufgebaut ist, sondern es geht darum, den Menschen zu helfen.

Die Worte von Herrn Rüddel haben Sie wieder völlig verdreht. Herr Rüddel hat gesagt, wir müssen darüber nachdenken. Sie haben gesagt, die Realität sei nicht mehr so, dass Angehörige die Menschen pflegen. Herr Dröscher hat kurz vorher darüber berichtet, dass tausende von Menschen ihre Angehörigen selbst zu Hause pflegen; denn sonst wäre dieser Stand schon lange nicht mehr haltbar. Den Menschen ist dafür zu danken.

(Beifall der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie stellen einfach die Diskussion völlig auf den Kopf. Das ging völlig am Thema vorbei. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie wir den Menschen, die jeden Tag – das ist ein 24-Stunden-Job – Schwerstpflegebedürftige zu Hause liegen haben und sich um sie kümmern, helfen können. Sie nehmen viel auf sich, damit diese Pflegebedürftigen der Gesellschaft nicht zur Last fallen. Sie haben keinen Urlaub, keine Pausen, können nicht einmal gerade hinausgehen.

(Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erschöpfung pur!)

Genau, Erschöpfung pur. Darüber machen wir uns Gedanken. Sie sagen, das sei alles nicht so, es gebe keine mehr und das sei nur eine Frage der Finanzierung. Nein, das ist nicht eine Frage der Finanzierung, sondern das ist auch eine Frage der Einstellung und wie wir in der Gesellschaft in der Zukunft mit diesen Menschen umgehen wollen.

Ich hoffe, dass wir jetzt wieder zu einer vernünftigen Diskussion zurückfinden.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Erwiderung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Herr Kollege Rosenbauer, wenn es nicht so wäre, wie Sie das sagen, wäre das System längst zusammengebrochen. Das funktioniert in der Tat nur noch deshalb, weil Familienangehörige und sich solidarisch Gebende – nicht nur Angehörige, sondern auch Nachbarn – mit in die Hände spucken und bereit sind, das zu leisten. Das ist aber nicht eine Frage der Finanzierung. Das gab es auch schon vor der Pflegeversicherung. Mein Problem ist, dass die Pflegeversicherung als sozialstaatliche Leistung auf Dauer so nicht funktioniert. Dadurch wird nicht die Leistung derer geschmälert, die sich mit höchstem Einsatz für ihre Angehörigen oder Freunde einsetzen.

(Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Das respektiere ich sehr. Das heißt aber nicht, dass wir glauben sollten, dass dieses System so Zukunft hat. Ich kann an Sie nur appellieren, nicht den Widerspruch oder die Lücke in der Argumentation zu suchen, sondern gestehen Sie ein, dass wir ein grundsätzliches Problem mit dieser Pflegeversicherung haben,

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die auf Dauer auf dieser Finanzierungsbasis nicht funktionieren kann. Ich habe Verständnis dafür, dass man sagt, Reformen sind im Moment politisch inopportun und weitere Belastungen der Bevölkerung nicht zumutbar sind. Das mag sein, aber das darf nicht dazu führen, dass sich die politische Kaste in einem Vogel-StraußSpiel ergeht und einfach so tut, als ob eine Welt in Ordnung wäre, die nicht in Ordnung ist.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schmitz, die Nummer ist nicht mehr zu retten. Wenn man so weit am Thema vorbeischießt wie Sie, kann man das auch nicht über eine Erwiderung auf eine Kurzintervention wieder gutmachen. Sie haben hier eine Vorstellung abgeliefert. Das einzige Problem sind Sie selbst. Das Problem besteht nämlich darin, dass Sie das Problem nicht erfasst haben. Sie reden über die Pflegeversicherung, aber es geht heute um zu pflegende Angehörige. In den Fällen, in denen Sie das Thema einmal gestreift haben, sind Sie nicht nur haarscharf, sondern völlig am Thema vorbeigegangen.

Das könnten noch muntere zehn Minuten werden, wenn ich nur Ihren Wortbeitrag abarbeiten würde. Darauf will ich aber weitgehend verzichten. Auf eines möchte ich aber noch hinweisen. Sie haben deutlich gemacht, weshalb das manchmal eine heftige Gratwanderung ist, wenn wir über das Thema „Pflegende Angehörige“ spre

chen. Das ist in Ihrem unseligen Vergleich zwischen der Pflege von Kindern – – –

(Glocke der Präsidentin)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Schmitz?

Selbstverständlich, das bildet immer, aber er hat die Karte für eine Kurzintervention gezogen. Mir soll das aber Recht sein.

Vielen Dank, Herr Kollege Marz. Herr Kollege Marz, haben Sie ebenso wie ich aus der Antwort der Landesregierung ersehen können, dass die häusliche Pflege in bedauerlichem Maß zurückgeht und der Grundsatz „ambulant vor stationär“ offensichtlich in der jetzigen Situation belastet und nicht zukunftsfähig ist? Wie bewerten Sie diese bedauerliche Entwicklung, und wo sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

(Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wo leben Sie denn?)

Herr Kollege Dr. Schmitz, das waren drei Fragen, die Sie zunächst einmal selbst hätten beantworten sollen. Ich will Ihnen aber gern die Antwort auf eine Frage geben, die Sie nicht gestellt haben.

(Heiterkeit im Hause – Dr. Schmitz, FDP: Ist mir auch recht!)