Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

Da ist auf der anderen Seite die Angst vor Terroranschlägen, die wir – das möchte ich betonen – nicht für völlig unbegründet halten. Aber selbst diese Befürchtungen dürfen nicht zu einer Abwägung führen. Ich kann nur noch einmal den Grundsatz aus dem Urteil wiederholen: Eine Abwägung findet insoweit nicht statt.

Meine Damen und Herren, es kann auch keine Abwägung zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des Einzelnen und dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geben, weil zum Sicherheitsgefühl des Menschen unabdingbar dazu gehört, dass der Staat nicht in seine Privatsphäre eindringt. Heimlich abgehört, belauscht und ausgespäht zu werden, hinterlässt bei Menschen, denen das schon einmal passiert ist, eine enorme existenzielle Verunsicherung.

Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Gesetzentwurf erreichen, dass in der Öffentlichkeit und

auch bei der Polizei diese Problematik der immer grenzenloser werdenden Überwachung im Hinblick auf die Schranken diskutiert wird, die ihr durch unsere Grundrechte gesetzt sind. Das ist eine schwierige Diskussion, die eine sehr differenzierte Herangehensweise erfordert. Ich hoffe, dass heute diese differenzierte Debatte auch geführt werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Pörksen das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen haben wir nach Veröffentlichung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff an dieser Stelle schon dargelegt, dass wir eine sorgfältige Prüfung des novellierten Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes dahin gehend vornehmen, ob Änderungsbedarf besteht. Dazu wurde seitens der SPDFraktion der Wissenschaftliche Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das noch nicht vorliegt.

Frau Kollegin, Sorgfalt geht gerade in solchen Bereichen vor Schnelligkeit, wenn man Gesetzesvorhaben vorbereitet.

(Beifall bei SPD und FDP – Schweitzer, SPD: So ist es!)

Nicht ohne Grund hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung gesagt, dass der Bundesgesetzgeber bis zum 30. Juni nächsten Jahres Zeit hat, seine notwendigen Änderungen vorzunehmen. Sie erwecken den Eindruck, als wenn uns das Bundesverfassungsgericht zwingen würde, das Gesetz zu ändern. Das ist überhaupt nicht wahr.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit Artikel 13 Abs. 3 beschäftigt. Der Bereich, den wir hier ansprechen, ist Artikel 13 Abs. 4. Da gibt es durchaus Überlegungen, das anders zu beurteilen. Ich komme gleich noch darauf zurück.

(Schweitzer, SPD: So genau nehmen sie das nicht!)

Aus Sicht eines soliden Gesetzgebers ist das Vorpreschen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN völlig unverständlich,

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie solide das war, haben wir bei dem Gesetz gesehen!)

die ohne irgendeine Grundlage, ohne Gutachten oder Vorgaben seitens des Bundes einen Gesetzentwurf

vorlegen. Es gibt im Grunde nur einen einzigen Grund, den ich einmal ansprechen möchte. Sie müssen uns doch nicht ein X für ein U vormachen. Es geht Ihnen darum, einen öffentlich wirksamen Akt durchzuführen. Nichts anderes als Aktionismus ist das, sonst gar nichts!

(Beifall bei SPD und FDP)

Sie hätten sonst doch die Zeit, das Gutachten abzuwarten. Sie hätten Zeit, das Handeln des Bundesgesetzgebers, der letzte Woche den ersten Referentenentwurf vorgestellt hat, abzuwarten. Nein, Sie wollen die Ersten sein. Es sei Ihnen gegönnt. Jetzt machen Sie Folgendes: Ziehen Sie den Antrag zurück.

(Beifall bei SPD und FDP)

Da ich davon ausgehe, dass Sie das nicht machen werden, muss ich mich kurz mit Ihrem Entwurf beschäftigen. Schon eine kursorische Überprüfung Ihres Gesetzentwurfs lässt jeden, der ein bisschen mit der Verfassung zu tun hat oder sie kennt, zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Entwurf keiner verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten wird. Es fehlt ihm in weiten Teilen an dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Das ist die Voraussetzung für ein Gesetz, wenn Sie es einbringen.

Der Entwurf beschränkt sich im Wesentlichen darauf – Sie haben es im Grunde noch vorgeführt –, dass Sätze aus dem Verfassungsgerichtsurteil in der Begründung abgeschrieben und faktisch zum Gesetz erklärt worden sind. Frau Kollegin, so macht man ein Gesetz nicht.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das ist gerade nicht die Aufgabe eines Gesetzgebers, sondern er hat die Aufgabe, das, was das Verfassungsgericht vorgibt, dann in einem Gesetz in eine entsprechende Form zu gießen. Das machen Sie gar nicht. Sie hatten auch gar nicht die Zeit. Sie wollten schnell ein Gesetz vorlegen, das dann hingeschludert worden ist. Nichts anderes ist das.

Ich möchte ein praktisches Beispiel nennen. In den §§ 29 und 31 wird formuliert – es ist abgeschrieben –, dass Vertrauensverhältnisse, die zum innersten Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören, absolut geschützt sein sollen. – So steht es in der Begründung.

Es ist aber gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, das auszufüllen. Was gehört zum inneren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung? So ist ihre Norm nicht anwendbar.

Welcher Polizist soll denn mit einem solchen Gesetz überhaupt seine Aufgabe wahrnehmen? Wir können ihn doch als Staat nicht in dem Bereich allein lassen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir müssen ihm sagen, wie er es anwenden soll. Das machen Sie nicht.

Im Übrigen gehen Sie in Ihrem Entwurf weit über das hinaus, was das Bundesverfassungsgericht zu Artikel 13 Abs. 3 vorgegeben hat, nicht zu Artikel 13 Abs. 4.

Sie unterschlagen dabei die Feststellung des Gerichts, dass Gespräche dann nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören, wenn ein unmittelbarer Bezug zu einer Straftat bzw. polizeilichen Gefahr tatsächlich besteht. Das lassen Sie einfach weg. Genau aus diesem Grund haben wir dies bei den Personen mit besonderen Vertrauensverhältnissen im Gesetz formuliert.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wenn Sie mit Ihrem Gesetz ernst genommen werden wollen, dann müssen Sie schon aufzeigen, welche tatsächlichen Anhaltspunkte den Anwender veranlassen können, eine solche Entscheidung zu treffen. Sie machen nichts.

Das Gleiche gilt bezüglich der Differenzierung zwischen Telekommunikationsüberwachung und Wohnraumüberwachung. Sie wird nicht vorgenommen, obwohl bereits in der Verfassung zwischen repressiven und präventiven Maßnahmen differenziert wird, worauf ich hingewiesen habe.

Die Behandlung beider Bereiche nach exakt den gleichen Grundsätzen dürfte sich angesichts dieser verfassungsrechtlichen Unterscheidung verbieten.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das werden wir sehen!)

Das betrifft insbesondere die Frage, wann die polizeiliche Maßnahme verhältnismäßig ist. Dabei dürfte für einen präventiven polizeilichen Eingriff ein weiterer Handlungsspielraum für Behörden bestehen. Ich rede im Konjunktiv im Gegensatz zu Ihnen. Sie wissen schon alles.

Selbst der Datenschutzbeauftragte, der nicht in dem Verdacht steht, das novellierte Polizei- und Ordnungsbehördengesetz besonders zu lieben – darüber haben wir schon gesprochen –, hat in der letzten Komissionssitzung die Meinung vertreten, dass eine unterschiedliche Betrachtungsweise bei den Maßnahmen der Repression und der Prävention durchaus zulässig sei. Geht es um die Verhinderung schwerer und schwerster Straftaten, müssen die Betroffenen gegebenenfalls, das sage ich ausdrücklich, stärkere Beeinträchtigungen hinnehmen als bei der Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs. Wie zu entscheiden sein wird, kann erst nach Vorlage des Gutachtens und gegebenenfalls nach einer Abklärung mit dem Bund und den anderen Ländern beurteilt werden.

Man kann wirklich nur sagen, geradezu grotesk ist Ihre Festlegung, dass es bei der Frage des Bestehens eines Vertrauensverhältnisses auf die subjektive Sichtweise des Betroffenen abzustellen ist. Die subjektive Sichtweise des Betroffenen kann doch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme nicht ernsthaft als Maßstab gelten. Wie soll das denn gehen?

(Beifall bei SPD und FDP – Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf diese Weise sind die Eingreifmaßnahmen nicht hinreichend objektivierbar. Das geht nach dem Motto: „Wie hätten Sie es denn gern?“

Dies wird besonders deutlich, wenn man in Ihrer Begründung zu den §§ 29 und 31 etwas liest. Danach sollen zu den sonstigen zu schützenden Vertrauensverhältnissen etwa – jetzt bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit, ich weiß nicht, ob Sie wissen, was das ist – nicht eheliche sexuelle Beziehungen auch ohne Eheversprechen, familiäre Lebensgemeinschaften und andere soziale Näheverhältnisse zählen. Ich kann nur sagen, die Reihenfolge ist schon bemerkenswert.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Im Ergebnis ist festzuhalten: Der Gesetzentwurf der GRÜNEN geht ungeprüft von einem verfassungswidrigen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz aus. Das ist falsch.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Er wurde geprüft! Was soll denn das?)

Das Prüfungsergebnis wird nicht abgewartet. Er übersieht völlig die unterschiedlichen Ausgangslagen bei der Strafprozessordnung und dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz.

(Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nicht missverstanden werden.

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das Gutachten zum Ergebnis kommt, dass etwas zu ändern ist, dann wird es geändert. Frau Kollegin, das ist doch selbstverständlich. Sie wollen durch offensichtlich unzulässige verfassungsrechtliche Bestimmungen Gesetze einbringen. Das geschieht nach dem Motto: Mit dem Teufel den Beelzebub austreiben.“ Das funktioniert nicht.