Protokoll der Sitzung vom 09.09.2004

Die familienfördernde Politik, wie ich sie eben beschrieben habe, ist aber nur ein Teil dessen, was nötig ist, um ein familienfreundliches Land zu sein. Zur atmosphärischen Verbesserung muss auch die Wirtschaft ihren Teil dazu beitragen. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind gefragt, neue Arbeitszeitmodelle für qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Noch in diesem Jahr wird deshalb eine Kompetenzstelle „Innovative Arbeitszeitmodelle“ beim Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit ausgeschrieben. Dort werden dann kleine und mittlere Unternehmen beraten, inwieweit bei ihnen flexible Arbeitszeitmodelle möglich sind.

Auch eine Arbeitsgruppe des Landesbeirats für Familienpolitik befasst sich mit dem Thema. Wir sollten überlegen, ob wir nicht eine Kampagne „Beruf und Familie“ in den rheinland-pfälzischen Betrieben starten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Familienpolitik ist ein höchst interessantes Querschnittsthema, da es alle Altersgruppen, Lebensbereiche und Politikbereiche betrifft. So wird zum Beispiel dieses Jahr der Schwerpunkt der Pflegeoffensive auf der Förderung und Qualifizierung der Pflege durch und mit Familienangehörigen liegen; denn 70 % der Pflegebedürftigen werden in Rheinland-Pfalz zuhause betreut.

Als großes Bekenntnis zur Familie sehe ich die Entscheidung des rheinland-pfälzischen Ministerrats, die im April 2004 getroffen wurde, bei geplanten Rechtsvorschriften die Auswirkungen auf die Lebenssituation von Familien und Kindern zu überprüfen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, uns ist allen bewusst, dass die Entscheidung für ein Kind eine rein private Angelegenheit für die Frau und den Mann ist. Wir versuchen mit unserer Politik, Ängste und Sorgen zu nehmen, indem wir die Rahmenbedingungen für Familien sowohl für jene, die ihre Entscheidung schon getroffen haben, als auch für jene jungen Menschen, bei denen es noch bevorsteht, verbessern. Das Programm „Kinderfreundliches Rheinland-Pfalz“ ist um das Programm „Familienfreundlichkeit“ erweitert worden. Wir stehen dafür ein, dass Familien und Kinder in Rheinland-Pfalz weiterhin diesen hohen Stellenwert haben, auch finanziell.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Hedi Thelen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute eine Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Familienpolitik. Als ich die zum ersten Mal in den Händen hatte, habe ich mich gefragt, was das Ziel ist, das mit dieser Anfrage erreicht werden soll.

(Schweitzer, SPD: Das fragt Ihr euch immer!)

Ich habe mir einmal die Fragen angesehen. Es ist relativ schnell klar, dass es offensichtlich nicht darum geht, detailliert zu klären, wie denn in Rheinland-Pfalz die Situation der Familien tatsächlich aussieht, sondern darzulegen, was die Landesregierung alles für Familien tut. Ich will das auch begründen.

Wenn ich mich – wie eben Frau Leppla ausgeführt hat – tatsächlich dafür interessieren würde, wie die demographische Entwicklung in Rheinland-Pfalz ist, dann darf ich nicht nur nach der Geburtenrate fragen, dann muss ich auch einmal hinterfragen, in welchen Familien Kinder geboren werden, wie viele Familien mit wie vielen Kindern wir in der Sozialhilfe haben, wie die Armutssituation aussieht, die uns jetzt zum Teil auch durch den Armutsbericht ein Stück nachgeliefert wurde, wie sich diese betroffenen Familien in den Regionen verteilen und ob wir dort, wo sie schwerpunktmäßig sind, auch die Hilfen haben. Dann könnte ich auch politisch bewerten, ob wir mit unserer Familienpolitik richtig liegen oder ob wir ein Stück daneben liegen und etwas nachjustieren müssen.

Das war aber offensichtlich nicht das Ziel. Ich denke, das ist auch ein Stück weit legitim, dass eine die Regierung tragende Fraktion keine Fragen formuliert, die man vielleicht nicht so gern beantwortet, sondern eher die Fragen formuliert, die man beantworten möchte. Das führt aber für mich zur Bewertung im Ergebnis der Beantwortung der großen Anfrage durch die Landesregie

rung, dass die Familienpolitik in diesem Land nach meiner Überzeugung zu einseitig ausgerichtet ist.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sie legt einen sehr starken Schwerpunkt auf das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, „Förderung von Erwerbstätigkeit von Frauen als Alleinerziehende, als Familienmütter“. Ich sage nicht, dass das falsch ist – das ist auch eine wichtige Aufgabe von Familienpolitik; das ist gar keine Frage –, aber wenn es mir tatsächlich darum geht zu hinterfragen, wie die Situation der Familien ist, dann muss ich mich auch fragen, wo die Hauptprobleme liegen. Die sind uns bekannt: bei der Demographie, bei der Feststellung, welche Familien, welche Mütter Kinder bekommen.

(Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Alle Mütter bekommen Kinder!)

Wissen Sie, nur noch 40 % der Akademikerinnen entscheiden sich für Kinder. Die Zahl der Kinder in Familien mit niedrigerem Bildungsniveau, auch die Zahl der Kinder in Migrantenfamilien ist deutlich höher als die Zahl der Kinder in anderen Haushalten. Würde man auch da einmal die Zahlen gesondert nebeneinander stellen, würde einem klar, wo besondere Bedürfnisse in Rheinland-Pfalz liegen. Da vermisse ich Antworten, meine Damen und Herren.

(Beifall der CDU)

Ich gebe zu, dass die Landesregierung auch ein Standardprogramm für die Familien in diesem Land bietet. Das ist auch in Ordnung. Dagegen sagen wir gar nichts. Wir haben Erziehungsberatungsstellen, Eheberatungsstellen, Lebensberatungsstellen, Beratungsstellen für Schwangere, Beratungsstellen für Schwangere in Konfliktsituationen, aber wir haben zumindest einmal eine dürre faktische statistische Information in dieser Großen Anfrage, die doch aufhorchen lässt und auch aufhorchen lassen muss und die dringend der näheren Betrachtung bedürfte. Allerdings hat man hierauf – ich sage: mit Bedauern – verzichtet. Es handelt sich um die dramatische Steigerung der Kosten für alle Leistungen der Erziehungshilfe.

Wenn es wirklich um die Hinterfragung der Problemlage der Familien in Rheinland-Pfalz geht, dann darf ich nicht nur fragen, wie sich die Erziehungshilfe entwickelt hat. Erziehung setzt immer da ein Stück an, wo Familien nicht in der Lage sind, ihre Aufgabe wahrzunehmen, nicht können, auch nicht wollen – auch das muss man nennen dürfen –, ein Stück weit überfordert sind, bestimmte Probleme zu bewältigen haben, die sie nicht allein bewältigen können, Aufgaben, die von den Jugendämtern vor Ort wahrzunehmen sind, aber die natürlich auch von dieser Landesregierung mit zu betreuen und auch in gleicher Weise meines Erachtens mit zu fördern wären wie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel für weibliche Sozialhilfeempfänger. Ich nenne einmal die Zahlen. Allein die Summe der Nettogesamtausgaben 2002 für den Bereich der Erziehungshilfe beträgt in diesem Land etwa 209.043.000 Euro.

Das ist schon eine dramatische Zahl, und es sind die Nettoausgaben. Wenn ich mir noch die Steigerungsraten ansehe, dann sind diese Kosten von 1996 bis 2002 – wenn wir das richtig gerechnet haben – über 36 %, um fast 37 % gestiegen. Das sind Alarmsignale, die auch bedeuten, dass viele der Maßnahmen, die wir haben, wie Erziehungsberatungsstellen und Schuldnerberatungsstellen, offensichtlich nicht so greifen, wie es nötig wäre, um die betroffenen Familien so zu stärken, dass sie gar nicht erst der Erziehungshilfe bedürften.

Ich möchte in der zweiten Runde dann noch einmal darauf eingehen, wie wir es uns ein Stückchen besser vorstellen könnten, und durchaus Wünsche formulieren, weil ich glaube, da müssen wir zusammen schauen, wie man die schlimme Situation, die sich für die Zukunft abzeichnet, am besten ein Stück weit in den Griff bekommt.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine beiden Vorrednerinnen haben aus unterschiedlicher Perspektive schon einiges zur Großen Anfrage gesagt. Ich will mir von daher einen Teil der Details ersparen. Frau Thelen wird Verständnis dafür aufbringen – sie hat es schon genannt: koalitionstragende Fraktion –, dass ich mich ihrer kritischen Sicht der Dinge erst einmal nicht anschließen kann, sondern eher das unterstreiche, was Frau Kollegin Leppla vorgetragen hat.

Ich freue mich generell darüber, dass das Thema, die Wichtigkeit des Themas „Familienpolitik“ erkannt wurde. Dass es so stark in den Fokus gerückt wurde, hängt mit den Betrachtungen zur Demographie zusammen. Ich glaube, es hängt auch mit den Betrachtungen zusammen, die wir uns im Bildungssystem machen. Aber es ist insgesamt zu einem politischen Schwerpunktthema geworden, was es nicht immer war.

Meine Damen und Herren, ich darf vorab zwei Bemerkungen machen, die, so glaube ich, für das Thema „Familienpolitik“ sehr wichtig sind, damit man sauber diskutiert.

Die Demographie spielt eine große Rolle bei der Frage „Familienpolitik“. Nachdem über viele Jahre das Thema verdrängt wurde und man sich nicht in ausreichendem Maß damit beschäftigt hat, stelle ich heute ein Phänomen fest, dass man Demographie quasi als Horrorgespenst an die Wand malt, ohne sich über die einzelnen Probleme klar zu werden. Da muss man zumindest zwei Effekte sauber trennen.

Das eine ist das, was die Kolleginnen schon angesprochen haben, die zu niedrige Geburtenquote, die dazu

führt, dass unsere Generationsverträge aus der Balance geraten. Das ist ein Problem. Aber es ist ein Problem, das sehr langsam verläuft und auf Dauer die Politik fragt oder Fragen an die Politik richtet, was die Strukturen unseres Landes angeht, auch in der Fläche, was das Vorhalten gewisser infrastruktureller Ressourcen anbelangt. Aber man hat Zeit, nach und nach Dinge zu justieren.

Das schlimmere demographische Problem ist – das eine hat mit dem anderen nur bedingt zu tun –, dass auf die Baby-Boomer-Jahre mit dem Höhepunkt 1963, Geburtenrate 2,8, der Pillenknick kam, sodass wir nicht nur eine überalterte Gesellschaft – das Lebensalter steigt erfreulicherweise immer weiter an –, sondern im Generationenvertrag auch eine riesige Lücke haben. Diese beiden Dinge darf man in der Diskussion aber nicht miteinander vermischen.

Ich erlaube mir eine zweite Vorbemerkung. Wir müssen bei der Frage von frühkindlicher oder vorschulischer Betreuung das politische Ziel „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ von dem Wunsch unterscheiden, schon in dieser Altersphase Bildungsanstrengungen zu unternehmen, um den Kindern, insbesondere aus chancenschwächeren Familien, Chancengerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Das Problem ist also erkannt. Es gibt umfangreiche Untersuchungen, auch des Ministeriums. Jetzt legt der Staat los. Meine Damen und Herren, aber wenn der Staat loslegt, dann legt er nicht zum Nulltarif los. Wenn der Staat loslegt, legt er immer unter gewissen Bedingungen los, die die Politik sehr genau beobachten muss und in der von Anfang an darauf geachtet werden muss, dass nach dem Motto „Aktion gleich Reaktion“ die Nachteile, sprich die Ausgaben für die Familien und für die Kinder nicht höher sind als die Gewinne. Das hört sich erst einmal simpel an. Aber auf diese simple Frage hin ist jede Einzelmaßnahme zu überprüfen.

Spätestens nach der Veröffentlichung der Rürup-Thesen zu den Opportunitätskosten, die dazu führen, dass 40 % der Akademiker kinderlos bleiben, stellt sich die Frage, ob die 150 Milliarden Euro, die auf den unterschiedlichen Ebenen für Familienleistungen insgesamt aufgewandt werden, treffgenau platziert sind. Inzwischen ist man sich in der Diskussion einig, dass das Kindergeld alter Prägung nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Ich warne aber davor, jetzt einfach das Pendel auf die andere Seite durchrauschen zu lassen und zu sagen, jetzt geht der Staat in die Pflicht und baut eine Infrastruktur so, wie wir sie uns im schulischen Bereich vorstellen, auch schon im vorschulischen Bereich auf und schert alles über einen Kamm, unterscheidet eben nicht nach Zielgruppen und macht nicht den Unterschied, den man machen muss, wenn man den Kinderwunsch von Akademikerfamilien mit ganz anderen Opportunitätskosten berücksichtigen will, wenn man den Kinderwunsch derer berücksichtigen will, für die das Kindergeld auch heute schon ein Zusatzeinkommen darstellt, die im Kindergeld quasi eine Erwerbsquelle sehen. Ich will das gar nicht moralisch beurteilen. Ich möchte nur festhalten, dass wir in der Familienpolitik unterschiedliche Wege

gehen und unterschiedliche Zielrichtungen einnehmen müssen.

Wir haben ein Bündel an Maßnahmen, auch im Land Rheinland-Pfalz, das sich segensreich auswirkt. Ich glaube, die Geburtenrate wäre noch niedriger, wenn es diese Maßnahmen nicht gäbe. Ich bin aber auch davon überzeugt – sonst wäre ich ein schlechter Liberaler –, dass schon simple Maßnahmen, die staatsfern sind oder gerade gegen staatliches Handeln gerichtet sind, ebenfalls eine segensreiche Wirkung entfalten könnten.

Für viele Familien ist das Nettogehalt einfach nicht hoch genug, um sich Kinder leisten zu können, weil die Abgabenquoten zu hoch sind, gerade im Bereich der Normaleinkommen. Wenn man sich anschaut, welches Netto vom Brutto übrig bleibt, dann bekommt man nasse Augen. Deshalb muss alles, was wir in der Familienpolitik tun, subsidiär organisiert sein.

Wir können nicht sagen, staatliche Angebote über alles, sondern wir müssen durchdeklinieren: erst einmal die Eltern oder die allein erziehenden Väter und Mütter, dann das familiäre Umfeld, das soziale Umfeld, Kirchen und Wohlfahrtsverbände und auch individuelle Organisationen, die wir organisatorisch-bürokratisch befreien müssen. Wir müssen Elterninitiativen den Weg zu gemeinsamer Verantwortung für kleinere Kindergruppen erleichtern und nicht Hemmnisse aufbauen, die gegen diese Privatinitiativen gerichtet sind, indem wir Standards definieren, die bei dieser Form von Kinderbetreuung nicht durchzuhalten sind, obwohl die Kinderbetreuung in gemeinsamer Verantwortung und in gemeinsamer Kontrolle sicherlich besser funktioniert als über Dokumentations- und Kontrollsysteme auf staatlichen Ebenen.

Meine Damen und Herren, es gibt auch andere Überlegungen, die den Staat, insbesondere in seiner Gewährleisterrolle für Chancengerechtigkeit sehen und nicht als Gemischtwarenladen für Familienpolitik jeglicher Couleur. Ich finde auch den Vorschlag von Hermann Otto Solms durchaus bedenkenswert. Damit mache ich natürlich ein riesiges Fass auf. Die Verfassungsrechtler werden uns als erstes wahrscheinlich die Augen auskratzen. Aber mit Zweidrittelmehrheit geht einiges.

Hermann Otto Solms hat vorgeschlagen, dass Eltern bis zum 18. Lebensjahr quasi treuhänderisch ein Wahlrecht pro Kind erhalten.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was ist denn das für eine Demokratie- auffassung!)

Das ist zumindest unter dem Aspekt einer politischen Generationengerechtigkeit und eines Ausgleichs zwischen dem Block des immer größer werdenden Rentnerbereichs, die sich in der Demokratie natürlich auch für Interessen stark machen dürfen, und diesem Generationenteil der nachwachsenden Generation, ein Stück Chancengerechtigkeit. Darüber sollte man zumindest diskutieren dürfen.

Meine Damen und Herren, resümierend – das ist ein Hinweis an unser Ministerium – darf ich festhalten, dass

nicht nur aufgrund dieser Großen Anfrage und ihrer Antwort, sondern aufgrund der Sensibilität, die seit Jahren an den Tag gelegt wird, die Familienpolitik in Rheinland-Pfalz in guten Händen ist.