Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin froh darüber, nicht im Hessischen Landtag zu sein und relativ abgewogene Worte vonseiten der CDU-Fraktion zu diesem Thema zu hören. Das ist für die Union nicht selbstverständlich. Deshalb muss man das anerkennen und loben.
Die von Ihnen und von allen anderen Vorrednern angesprochene „Drückebergerdiskussion“ geht tatsächlich an der Realität vorbei; denn sie trifft das Problem der Sozialhilfe nicht im Kern. Natürlich ist es für jeden Bereich eine Selbstverständlichkeit, dass der Missbrauch abgelehnt wird. In welchem Bereich gibt es aber keinen Missbrauch? In welchen Bereichen gibt es keine Rechtsverletzungen?
Herr Kollege Dr. Schmitz, es gibt kein System, das perfekt funktioniert. Genau deshalb müssen wir bestimmte Notsysteme einbauen, um das auffangen zu können. Ich erinnere daran, dass auch unser Steuersystem natürlich nicht perfekt funktioniert und nicht vor Missbrauch und Kriminalität geschützt wird.
Dennoch erleben wir immer wieder diese „Drückebergerdiskussion“. Ich bin Herrn Kollegen Rösch dankbar für die Bemerkung, dass den Leuten Arbeitsplätze bereitgestellt werden müssen, bevor über Sanktionen gesprochen wird. Dann kann möglicherweise weitergeredet werden.
Allerdings bemängele ich an Ihren beiden Anträgen, dass Sie andere Schwerpunkte setzen. Der Antrag der Fraktionen der SPD und FDP beginnt beispielsweise wieder mit dieser Debatte und den Sanktionen. Das mag man noch unglücklich nennen.
Das Problem besteht aber in Folgendem: Schauen Sie sich einmal den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an. In ihm kommt zum Ausdruck, dass nur ein Drittel derjenigen, die Sozialhilfe erhalten, tatsächlich in der Lage ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Wenn Sie das berücksichtigen, müssen wir uns viel mehr über die zwei Drittel unterhalten, die nicht in diesen Bereich fallen. Darauf gehen die Anträge nicht ein.
Das eine Drittel kommt beispielsweise – das zeigen alle Daten, die mir vorliegen – für Programme wie „Arbeit statt Sozialhilfe“ infrage und hat tatsächlich Vermittlungschancen. Außerdem gibt es kommunale Programme, die wir alle kennen. Die anderen zwei Drittel fallen zunächst einmal heraus.
Bei diesen zwei Dritteln ist es nun einmal so, dass es einen ganz breiten Fächer von Hinderungsgründen gibt. Was ist mit der Alleinerziehenden, die einfach keinen Platz in einem Kindergarten für ihr Kind vor dem Eintritt in das Kindergartenalter bekommt? Sie hat keine Chance. Es gibt einen Hinderungsgrund. Wenn keine Oma oder eine sonstige Betreuungsperson hilft, können Sie das vergessen. Auch dem begegnet man mit solchen
Leider muss ich feststellen, auch wenn ich zugeben muss, dass in den Worten wohl abgewogen argumentiert wurde, dass in der Sache selbst die vorliegenden Anträge am Thema etwas vorbeigehen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich bin froh, dass wir im rheinland-pfälzischen Landtag und nicht im Hessischen Landtag sind und es hier spürbar ein großes Maß an Gemeinsamkeit – –
auch in der Beurteilung der sozialen Wirklichkeit gibt; denn die soziale Wirklichkeit liegt ziemlich genau zwischen den Zustandsbeschreibungen, die alarmistisch die Gesellschaft für jede Art von sozialer Ungerechtigkeit anklagen. Aber soziale Wirklichkeit ist auch nicht das, was in den so genannten Stammtischparolen oder in ökonomisch hartherzigen und kalten Beschreibungen wiederzufinden ist. Die soziale Wirklichkeit liegt genau dazwischen.
So wie es bei den Bessersituierten die Steuerhinterziehung gibt, so gibt es bei den kleinen Leuten den Leistungsmissbrauch. Es gibt jede Menge von Kombinationen von Sozialeinkommen und Arbeitseinkommen, wobei das Arbeitseinkommen nicht immer ein reguläres ist.
Das Beispiel der Stadt Trier war recht plastisch. Auch in Worms gibt es solche Beispiele, wo realistische Arbeitsangebote gemacht werden. Siehe da, sie werden nicht angenommen. Damit wird aber gleichzeitig der Effekt erzielt, dass ein Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht mehr in der Statistik geführt wird. Wenn ein solcher Effekt erzielt wird, ist das eine erlaubte und richtige Praxis im Sinne von fördern und fordern.
Herr Kollege Marz und andere, die in diese Richtung etwas gesagt haben, ich bin allerdings auch ein bisschen vorsichtig, ob es wirklich nur ein Drittel der Sozialhilfeempfänger im arbeitsfähigen Alter ist, die wirklich arbeiten können. Von diesem Drittel arbeitet übrigens tatsächlich ein Teil. In Rheinland-Pfalz sind es 6.000, die ergänzend zu einem geringen Einkommen Sozialhilfe bekommen. Ich glaube aber nicht, dass es wirklich nur ein Drittel ist.
Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass wir bestimmte Personengruppen sozusagen rechts herauswerfen und gar nicht mehr in das Blickfeld nehmen, wie beispielsweise Alleinerziehende. Da kapitulieren wir zu früh. Sie haben selbst gesagt, und auch andere haben gesagt, da müssen wir eben ein Hilfenetz organisieren. Bei einem Projekt, bei dem Frauen wieder in Beschäftigung kommen sollen, kann sich doch beispielsweise ein Teil dieser Frauen um die Kinderbetreuung im Rahmen des Projekts kümmern. Weshalb geht so etwas nicht?
Ich war kürzlich in der Pfalz bei einem Projekt, das gerade vorbereitet wurde, bei dem es um die Qualifizierung zum europäischen EDV-Führerschein ging. Da wurde die Frage gestellt, wie man das mit der Kinderbetreuung macht. Die meisten haben kein Auto und wohnen verteilt auf verschiedene Orte, weshalb sie nicht ohne weiteres irgendwo ein Angebot wahrnehmen können, das es in der Stadt gibt. Da habe ich den Vorschlag gemacht, wenn Transportfragen bei gutem Willen durch einen Träger geregelt werden können, dann kann man doch von zehn oder zwanzig projektbeteiligten langzeitarbeitslosen Frauen ein oder zwei Frauen aus diesem Projekt für die Kinderbetreuung heranziehen. Siehe da, das war ein Gedanke, der durchaus auf Widerhall gestoßen ist. Ich hoffe, dass man in diesem Sinn bei diesem konkreten Projekt auch etwas gemacht hat.
Es gibt noch ein Beispiel für Denkgewohnheiten, die vielleicht ein bisschen überzogen und auch nicht mehr der sozialen Wirklichkeit angemessen sind.
Es ist vorhin, als es um die Kürzung der Sozialhilfe ging, angesprochen worden – ich weiß nicht mehr, wer das angesprochen hat –, dass man nicht die ganze Familie in Mitleidenschaft ziehen kann, indem man beim Haushaltsvorstand, weil er die Arbeit verweigert, den Regelsatz erst um 25 % und dann weiter kürzt. Ich kenne solche Stellungnahmen auch aus meinen Haus. So lange wir Einzelregelsätze haben, bei denen jedes Kind der Sozialhilfe mehr als 400 DM wert ist – der Kleinverdiener bekommt 270 DM –, bei denen die Kosten für die Wohnung voll übernommen werden und bei denen wir einmalige Leistungen haben, muss es möglich sein, dass bei konkreter nachgewiesener Arbeitsverweigerung beim Haushaltsvorstand – egal ob männlich oder weiblich – entsprechend gekürzt wird. Die Kinder bekommen ihre Regelsätze weiter. Wenn es nachgewiesenen Missbrauch im Familienverhältnis gibt, muss man eben über Naturalleistungen und anderes mehr nachdenken. Auch da müssen wir also meiner Meinung nach ein bisschen flexibler sein und dürfen nicht von vornherein sagen: Dort, wo es mehrere Personen gibt, darf man gar nichts machen. Da kann gar nichts gekürzt werden, weil es immer einen mittreffen könnte. – Das scheint mir überzogen zu sein.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist das Fördern. Fördern heißt eben auch, dass Menschen qualifiziert werden. Es ist meiner Meinung nach der Königsweg insbesondere für die Beschäftigung, wenn Menschen qualifiziert werden, damit sie von der Sozialhilfe unabhängig werden.
Meine Damen und Herren, ich halte es auch für völlig legitim, dass kleine Leute genauso rechnen wie die Leute, denen es deutlich besser geht. Sie vergleichen natürlich: Was habe ich vorher über die Sozialhilfe mit mehreren Personen bekommen, und was bekomme ich, wenn ich diesen Job annehme, der 2.000 bis 3.000 DM brutto und netto etwas unter 2.000 DM bringt zuzüglich Kindergeld und Wohngeld? – Das ist kaum mehr. Wenn das so ist, muss die Rechnung verändert werden, damit es wirklich Anreize gibt.
Ich halte die Zwischenbilanz der gezielten Bemühungen des Landes – Mainzer Modell und Kindergeldzuschlag des Landes – mit insgesamt 500 und 800 Personen, also insgesamt 1.300 Personen, die dadurch innerhalb von wenigen Monaten in Arbeit gekommen sind – also zum einen über das Bundesmodellprojekt und zum anderen über das Landesmodellprojekt –, für gar nicht so schlecht. Das wird schlechtgeredet, was nicht in Ordnung ist.
Meine Damen und Herren, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist angesprochen worden. Auch die verbesserte Zusammenarbeit der getrennten Institutionen Arbeitsamt und Sozialamt ist angesprochen worden. Zum einen handelt es sich um die Kommunalverwaltung und zum anderen um eine Bundesbehörde, die über Beiträge finanziert wird. Das ist alles richtig. Da müssen wir spätestens in der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestags herangehen. Mein Haus und ich persönlich werden dazu Vorschläge machen, die möglicherweise nicht so ganz unumstritten sein werden, weil natürlich die Überschrift „Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe“ schnell genannt ist. Wenn man aber schon weiß, dass die Arbeitslosenhilfe in der Regel um einiges höher ist als die Sozialhilfe, stellt sich natürlich sofort die Frage, auf welchem Niveau eine Zusammenlegung erfolgt. Ferner stellt sich die Frage, wie lange Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung gewährt wird. Bleibt es bei 32 Monaten bei etwas Älteren oder reduziert man das? Das sind ganz wichtige Fragen, die wir meiner Meinung nach aber angehen müssen. In der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestags steht das ohne Zweifel auf der Agenda.
Herr Minister, Herr Abgeordneter Dr. Rosenbauer möchte Ihnen eine Frage stellen. Sind Sie bereit, die Frage zuzulassen?
Ich habe versucht, mich an der verkürzten Redezeit zu orientieren. Herr Kollege Dr. Rosenbauer, insofern bitte
ich um Verständnis, wenn ich nur noch zwei oder drei Sätze sage und wir die Debatte im Ausschuss und an anderer Stelle fortführen.
Ich bedanke mich ausdrücklich, dass wir durch diese Anträge Gelegenheit bekommen, die Praxis in Rheinland-Pfalz aufzuarbeiten. Es wird Umfragen bei allen Sozialämtern geben, und es wird einen umfassenden Bericht geben. Ich bin mir sicher, wir werden gemeinsam Wege finden, wie manches noch besser werden kann.
Alles in allem gibt es viel Erfindungsreichtum und viel Engagement in den kommunalen Sozialverwaltungen und auch in den Arbeitsämtern, obwohl sie, wenn sie neue Aufgaben übertragen bekommen, zunächst einmal nach mehr Personal rufen.
Die Kommunalverwaltungen sind dann besonders gut, wenn die Oberbürgermeister, Verbandsbürgermeister und Landräte klug genug sind, dort ihre besten Leute hinzusetzen und nicht die schwächsten. Das setzt sich langsam durch.
Für beide Anträge ist Ausschussüberweisung beantragt. Die Anträge gehen an den Sozialpolitischen Ausschuss.
Meine Damen und Herren, ich setze Sie davon in Kenntnis, dass der Herr Ministerpräsident aus dringlichen Gründen das Plenum verlassen musste.
Ganztagsschulen in der neuen Form – neue Chancen für Schulentwicklung in Rheinland-Pfalz Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 14/223 –
Man ist übereingekommen, diesen Antrag ohne Aussprache an den Ausschuss für Bildung und Jugend zu überweisen.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich lade Sie zur nächsten Plenarsitzung am 17. Oktober ein und schließe die heutige Sitzung.