Protokoll der Sitzung vom 20.09.2001

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich habe bereits darauf hingewiesen, 7 % weniger Sozialhilfeempfänger im letzten Jahr haben ihre Ursache auch und gerade in diesen Aktivitäten.

Im Übrigen: Wenn wir – dafür steht gerade auch unser Sozialminister Gerster – verstärkt auf neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik setzen, dann hat diese Politik einerseits mit sozialer Gerechtigkeit, andererseits auch mit Hilfe für die Träger der Sozialhilfe zu tun. Programme und Modelle sind aber nicht alles. Hinzukommen muss eine so genannte Aktivierung mit kompetenter Beratung. Auch individuelle Betreuung und bessere Verzahnung erhöhen die Chancen für einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.

Erfreulich ist es auch, dass verschiedene Kommunen flankierende Hilfesysteme entwickeln.

Erlauben Sie mir einen kurzen Blick auf die Stadt Trier. Sie steht übrigens für viele Städte und Landkreise, die vorbildliche Arbeit leisten. In den vergangenen zwei Jahren sank in Trier die Zahl der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt um 13,5 %. Ursache für diese positiven Ergebnisse ist die konsequente Aktivierung und Mobilisierung der Selbsthilfe im Rahmen der §§ 18 ff. des Bundessozialhilfegesetzes.

Allein 300 Personen waren im Jahr 2000 in Qualifizierungsmaßnahmen. Was aber noch viel interessanter ist, im Jahr 2000 konnten von 305 neuen Antragstellern 98 binnen 48 Stunden in Arbeit vermittelt werden. 79 – auch eine interessante Zahl, wie ich finde – zogen angesichts konkreter Arbeitsstellen ihren Antrag zurück.

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir überall im Lande solch konsequente Politik. Natürlich kann eine Kommune nur deshalb so erfolgreich sein, weil das Land und die EU-Maßnahmen den Kommunen erheblich helfen. Darüber hinaus sollte eine Pauschalierung der Sozialhilfeleistungen nach meiner Meinung ernsthaft geprüft werden.

(Glocke der Präsidentin)

Dadurch werden in der Verwaltung Kräfte freigesetzt, die sich dann intensiver um Beratung kümmern können.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Frau Präsidentin, lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen. Wir waren darauf eingerichtet, zehn Minuten zu reden. Ich denke, Sie gestatten mir, dass ich noch ein, zwei Sätze anfügen kann.

Auch das will ich offen ansprechen: Mittelfristig kommen wir nicht daran vorbei, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu verzahnen.

Meine Damen und Herren, entscheidend ist die Beratung und Betreuung im Rahmen der Zugangssteuerung, die Qualifizierung der Hilfeempfänger, das Angebot an Arbeitsplätzen und die finanzielle und beratende Unterstützung der Arbeitgeber. Kurz: Es geht um die Reintegration der Sozialhilfeempfänger. Das ist der richtige Weg, sozial und vernünftig.

Wer dagegen – lassen Sie mich das am Schluss noch sagen – wie der hessische Ministerpräsident glaubt, mit radikalen Methoden die Zahl der Sozialhilfeempfänger um die Hälfte reduzieren zu können, ist auf dem Holzweg. Das sieht erfreulicherweise auch Herr Böhr so, der in diesem Zusammenhang ebenfalls vor einem radikalen Systemwechsel gewarnt hat. Vernünftig, kann ich da nur sagen. Sorgen wir gemeinsam für eine Versachlichung des Themas, damit Sozialhilfeempfänger nicht pauschal diskreditiert werden.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Thelen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Rösch, zunächst einmal an Sie: Wir hoffen schon, dass die Mahnungen von Herrn Böhr auch bei Bundeskanzler Schröder Gehör finden. Ich denke, er hat es genauso nötig.

(Beifall der CDU – Zuruf des Abg. Rösch, SPD)

Es ist gut, dass SPD-Kollegen bereit sind, über Dinge nachzudenken, für die CDU-Kollegen noch vor wenigen Jahren mit Schaum vor dem Mund geprügelt worden wären.

(Beifall der CDU)

Das wollen wir einmal an dieser Stelle festhalten.

Aber wir wollen nicht in die Polemik – ich sage einmal – der vorherigen Stunden – um mich nicht auf eine konkrete Debatte festzulegen – verfallen.

Mir ist es wichtiger, noch einmal die katholische Soziallehre aufzugreifen, die Minister Gerster heute schon angesprochen hat. Ich denke, diese Leitlinien sind die Grundprinzipien des Bundessozialhilfegesetzes, und sie gelten heute so, wie sie auch vor vielen Jahren gegolten haben. Die Prinzipien sind die Personalität, die Solidarität und die Subsidiarität. Das sind die drei Prinzipien der katholischen Soziallehre. Sie bedeuten, dass wir dem Menschen in seinen individuellen Bedürfnissen helfen, ihm zur Seite stehen, wenn er in Not ist, solidarisch mit ihm sind. Aber es bedeutet auch – das sagt die Subsidiarität, die Nachrangigkeit –, dass zunächst jeder Einzelne gefordert ist, nach seinen Kräften sich selbst zu helfen.

(Beifall der CDU)

Diese Prinzipien sind heute so gut wie vor vielen Jahren. Mir ist es wichtig, konkret festzustellen, dass auch wir gegen Missbrauch und Betrug sind. Missbrauch ist nämlich nichts anderes als Betrug, Betrug an anderen Sozialversicherungssystemen, indem ich doppelt kassiere, Betrug an der Sozialhilfe, indem ich Fakten falsch darstelle. Dieser Betrug muss verfolgt werden, und das mit aller Konsequenz, das heißt, im Zweifel auch im Rahmen der Strafverfolgung.

Aber ich bin in gleicher Weise gegen pauschale Verunglimpfungen. Diese pauschalen Verunglimpfungen haben wir in jüngster Zeit gehört, weil sie offensichtlich in bestimmten Kreisen mittlerweile – ich sage dies einmal neudeutsch – en vogue sind. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir uns im Landtag von Rheinland-Pfalz bemühen, die Dinge sachlicher und für mich auch wesentlich gerechter zu betrachten, gerechter betrachten auch, was die Fähigkeiten und Möglichkeiten unserer Sozialhilfeempfänger in diesem Land angeht.

Da ist noch lange nicht jeder, der keiner Arbeit nachgeht, ein Drückeberger, sondern es gibt zum Teil konkrete Hinderungsgründe, die in der gesundheitlichen Situation und in der altersbedingten Situation liegen. Wir haben leider sehr viele Minderjährige in der Sozialhilfe, genauso wie wir viele Menschen über 60 in der Sozialhilfe haben. Keiner wird wirklich verlangen, dass wir diese in eine Erwerbstätigkeit integrieren. Aber wir müssen dann auch bereit sind, über Angebote nachzudenken wie Hilfestellungen bei der Kinderbetreuung, um Alleinerziehenden die Chancen einer Berufstätigkeit zu geben, Hilfen bei der Erlangung von notwendigen Qualifikationen, die erst die Wahrnehmung eines Arbeitsplatzes im ersten Arbeitsmarkt ermöglichen.

Wir sind dafür, mit einer sachlichen Diskussion, die uns durch die Fakten, die wir von der Landesregierung erbeten, ermöglicht wird, auch tatsächlich konkrete politische Entscheidungen zu treffen, die dort, wo es heute noch nicht so funktioniert, wie wir uns das alle vorstellen, die Wege in die richtige Richtung lenken. Ich hoffe sehr, dass wir zusammen bereit sind, dann auch die nötigen Konsequenzen aus unseren Feststellungen zu treffen.

Ich denke, wir haben mit unserem Antrag noch etwas differenzierter aufgeschlüsselt, in welchen Bereichen bei der Integration in den Arbeitsmarkt tatsächlich Probleme vorhanden sein können. Das kann auch in der Rechtsprechung begründet sein, die an das Verwaltungshandeln der Sozialämter sehr hohe Messlatten im Hinblick auf die Bestimmtheit des Heranziehens und im Hinblick auf das Aussprechen von Sanktionen legt.

Was nützt es, wenn sich ein Familienvater nach Eindruck des Sozialamts tatsächlich vor der Arbeit drückt, ihm nach dem BSHG die Sozialhilfe also gekürzt werden könnte, das aber letztlich bedeutet, dass nicht er der Leidtragende ist, sondern seine Frau und seine Kinder die Leidtragenden sind. Dann kann nicht gefordert werden, diesem Mann die Sozialhilfe zu verweigern. Dann müssen Mittel und Wege gefunden werden, es so zu organisieren, dass die Familien, also die Unterhaltsbedürftigen, nicht darunter leiden.

Wir sind gegen Betrug, aber wir sind für eine gerechte Sozialhilfe und für Hilfe zur Integration in den Arbeitsmarkt. Wir hoffen sehr, dass beide Anträge an den Ausschuss überwiesen werden und wir dort mit einer sachlichen Diskussion die durchaus erkennbaren Ansätze in Rheinland-Pfalz noch ein bisschen weiter voranbringen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine beiden Vorredner als Vertreter der beiden großen Volksparteien haben beide Bezug auf Professor Dr. NellBreuning genommen. Ich als Liberaler nehme auch Bezug auf ihn.

Meines Erachtens sollte das, worüber wir sprechen, in den positiven Dingen in einem reichen Land eine Selbs tverständlichkeit sein, die Unterstützung derer, die aus eigener Kraft nicht für sich das Leben so gestalten können, wie es für uns alle und für den überwiegenden Teil unserer Gesellschaft selbstverständlich ist.

Meine Damen und Herren, wir spielen in Rheinland-Pfalz durchaus eine positive Rolle im Vergleich der Bundesländer. Wenn wir uns als drittes von 16 Bundesländern mit einer Sozialhilfequote von 2,5 % im Vergleich zu 3,4 % präsentieren, kommt das sicherlich nicht von selbst, sondern neben der Mentalität der RheinlandPfälzer spielen das Handeln vor Ort und die vielen verschiedenen Hilfsstrukturen des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit eine Rolle. Darüber sind wir uns meines Erachtens einig, auch wenn wir die Einzelbewertung unterschiedlich sehen.

Wenn wir die gesamte Gruppe – es sind bereits Differenzierungen vorgenommen worden – der Sozialhil

feempfänger nehmen, dann müssen wir vermeiden, auf Stammtischparolen hereinzufallen. Wir müssen aber auch vermeiden, so zu tun, als ob dieses System überall ideal funktioniert. Das ist nicht der Fall. Wenn wir von Herrn Kollegen Rösch hören, wie es in Trier klappt, könnten wir natürlich auch Beispiele finden, die sich ganz anders als das Beispiel Trier gestalten.

(Zuruf des Abg. Rösch, SPD)

Ich verstehe beide Anträge so, dass wir viele Fragen stellen. Deshalb sollten wir uns jetzt vor voreiligen Antworten hüten. Sonst wären die Fragen nicht notwendig. Warten wir also die Antworten und die Diskussionen im Ausschuss ab. Lassen Sie uns dann überlegen, ob die Gruppen der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger und der nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger nicht stärker differenziert werden sollten, soweit das bei den bestehenden gesetzlichen und grundgesetzlichen Vorgaben möglich ist.

Lassen Sie uns auch darüber nachdenken, ob es der Weisheit letzter Schluss ist, jeden Monat eine Überweisung vorzunehmen und sich dadurch ein sozial reines Gewissen zu erkaufen. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch im Bereich der erwerbsunfähigen Sozialhilfeempfänger ein höheres Maß an Anleitung, Begleitung, aber auch an Kontrolle benötigen. Auch in diesem Bereich liegt manches im Argen.

Es gibt sehr unterschiedliche Strukturen, zum Beispiel die allein erziehende Mutter mit fünf Kindern. Es gibt die Mutter, die sich Herzbändel abrennt, um für die fünf Würmer zu sorgen. Auf der anderen Seite gibt es die Mutter, die – vorsichtig formuliert – die Dinge schleifen lässt. Das kann uns als Gesellschaft nicht egal sein. Wir können uns von der Verantwortung diesen Menschen gegenüber, insbesondere den Kindern gegenüber, nicht durch eine monatliche Überweisung freikaufen.

Meine Damen und Herren, es gibt durchaus liberale Ansätze in dem Bereich. Ich meine, es war Herr Kollege Rösch, der gesagt hat, dass wir versuchen müssen, die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzufassen. Das ist zielweisend. Irgendwo am Horizont steht der Begriff „Bürgergeld“. Erlauben Sie bitte, dass ich diesen Begriff mit einbringe.

Das übergeordnete Ziel ist nicht in erster Linie die Ersparnis unserer Volkswirtschaft in diesem Bereich. Das übergeordnete Ziel muss eine qualitative Verbesserung, eine höhere Zielgenauigkeit und eine Missbrauchsbekämpfung sein, die die Solidarität sicherstellt, die wir benötigen, um dieses System auf Dauer am Leben zu erhalten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei FDP und SPD)