Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

Diese Gesetze haben ganz andere Funktionen. Sich zu beklagen, dass sie Funktionen, die sie gar nicht haben sollten, nicht erfüllt haben, das geht völlig vorbei.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die dritte Anmerkung: Das mit Ihrer Verantwortung vonseiten der Union fängt nun an, richtig nervig zu werden, Herr Dr. Rosenbauer. Sie sagen. „Wir haben keine Zeit für Diskussionen.“ Sie diskutieren auch mit.

Sie sagen, man müsse handeln, aber ganz schnell, und dann sagen Sie: Ohne uns!

(Dr. Rosenbauer, CDU: Das ist nicht wahr! Das habe ich nicht gesagt!)

Sie sagen, Sie hätten doch gar keine Verantwortung; denn Sie stehen nicht in Regierungsverantwortung. Schauen Sie nach, was die Kollegin Frau Thelen gesagt hat.

Herr Dr. Rosenbauer, Sie tragen in Berlin als Oppositionspartei Verantwortung, Sie tragen im deutschen Bundesrat Verantwortung, Sie tragen auch hier Verantwortung.

Vergessen Sie nicht, Sie tragen auch in den Kommunen eine ganze Menge Verantwortung. Stellen Sie sich endlich dieser Verantwortung, statt in dieser Art und Weise mit einem Thema umzugehen, wie es nicht gerechtfertigt ist.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rosenbauer, CDU: Deswegen regen wir uns auf!

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Landesgesetz zur Änderung des Polizeiund Ordnungsbehördengesetzes Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP – Drucksache 14/3936 – Erste Beratung

Es spricht Herr Abgeordneter Pörksen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März 2004 zur akustischen Wohnraumüberwachung gemäß Artikel 13 Abs. 3 Grundgesetz war die Frage zu prüfen, ob wir unser neues Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG), das damals in Kraft getreten war, zumindest an einigen wenigen Stellen ändern müssen.

Zu dieser Frage wurde auf unseren Antrag hin ein umfangreiches Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes erstellt. Nach einem längeren und gründlichen Beratungs- und Entscheidungsprozess legen wir nunmehr einen Entwurf vor, mit dem es nach unserer Auffassung gelungen ist, den schwierigen Spagat zwischen dem Grundrechtsschutz des Einzelnen einerseits und vorbeugendem Verbrechensschutz andererseits in einem praktikablen Gesetz zu normieren.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit der Frage befasst, ob die akustische Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung gemäß Artikel 13 Abs. 3 des Grundgesetzes verfassungsgemäß sei. Es hat dies bejaht.

Regeln der Strafprozessordnung (StPO), die die Grundgesetzänderung einfach gesetzlich umsetzen sollen, wurden teilweise für verfassungswidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30. Juni dieses Jahres die einschlägigen Bestimmungen entsprechend zu novellieren. Bindungswirkung für unser Gesetz gab es daraus nicht.

Die präventive Wohnraumüberwachung dagegen, die Gegenstand des § 29 POG ist, fußt auf Artikel 13 Abs. 4 des Grundgesetzes, der sich ausdrücklich inhaltlich von Absatz 3 unterscheidet.

Während nach Artikel 13 Abs. 3 lediglich die akustische Wohnraumüberwachung zugelassen ist, ist nach Absatz 4 der Einsatz auch anderer technischer Mittel möglich. Vor allem aber – das ist bedeutend für unser Gesetz – stellt das Grundgesetz in diesen Bereichen weniger strenge Verfahrensregeln auf.

Ungeachtet dieser Unterschiede sind die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der herrschenden Meinung der Auffassung, dass der verfassungsmäßig absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung – so die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts – grund

sätzlich in beiden Verfassungsbestimmungen zu berücksichtigen ist.

(Beifall der SPD und der FDP)

Dieser Kernbereich, der vom Bundesverfassungsgericht der Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes zugeordnet wird, gesteht jedem einzelnen Bürger einen Bereich privater Lebensgestaltung zu, welcher der öffentlichen Gewalt entzogen ist, und zwar unabhängig von der Zielsetzung der Maßnahme. Insoweit folgen wir auch ausdrücklich der Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes unseres Landtags. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Kernbereich grundsätzlich sowohl für Maßnahmen der Strafverfolgung als auch der präventiven Verbrechensbekämpfung gilt.

Diesen Vorgaben folgend, sind im Gesetzentwurf entsprechende materielle Regelungen und Verfahrensvorschriften getroffen worden. So darf die Überwachung nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte nicht anzunehmen ist, dass durch die Überwachung den Kernbereich betreffende Daten erfasst werden. Darüber hinaus ist das Abhören und die Beobachtung sofort zu unterbrechen, sofern sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Kernbereich zuzuordnende Daten erfasst werden. Dies entbindet die Gesetzgeber aber nicht von der Aufgabe, zur Verhinderung schwerster Verbrechen gegen Leib, Leben und Freiheit seiner Bürger – natürlich unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts – praktikable, das heißt, in der Praxis anwendbare gesetzliche Bestimmungen zu schaffen.

Die Bekämpfung von Terror und Gewalt macht den Einsatz telekommunikativer Wohnraumüberwachung zu einem unverzichtbaren Instrument. Mit den herkömmlichen Mitteln ist es nicht möglich, in die inneren Kreise dieser kriminellen Organisationen hineinzukommen, zumal sich diese modernster Methoden bedienen.

(Schweitzer, SPD: So ist es!)

Deshalb ist der praktikable Einsatz der Maßnahmen erforderlich, um auch künftig Gefahren abwehren und Straftaten verhindern zu können. Der Strafrechtskatalog in § 29, der zu dem Einsatz der Maßnahmen berechtigt, ist entsprechend der Strafprozessordnung ausgestaltet worden. Das Instrument der verdeckten Datenerhebung aus Wohnungen ist im Kampf gegen terroristische und andere kriminelle Strukturen unverzichtbar. Es wird im Übrigen von der Polizei nur sehr behutsam eingesetzt, wie die Zahl der Fälle beweist.

(Beifall der SPD und der FDP)

Wird live abgehört oder in den Kernbereich eingegriffen, wird unmittelbar abgeschaltet. In der Praxis aber kann selten durch einmaliges Mithören oder Beobachten das Geschehen vollständig erfasst und bewertet werden. Dolmetscher sind im Einsatz und müssen sich Aufzeichnungen wiederholt ansehen. Automatische Aufzeichnungen werden geschaltet. In diesen Fällen ist sofortiges Abschalten unmöglich oder macht das Instrument der Überwachung unbrauchbar.

Der Einsatz von Telekommunikationsmaßnahmen kann und darf nicht auf Live-Überwachungen beschränkt werden, wie möglicherweise aus dem Urteil abgeleitet werden könnte. Wenn aber selbst das Bundesverfassungsgericht von Sichtung des Gesprächsinhalts spricht, setzt dies logischerweise eine vorhergehende Aufzeichnung von Daten voraus. So beurteilt auch der Wissenschaftliche Dienst die Sachlage. Deshalb haben wir im Entwurf die Polizei sowohl zur Live- als auch zur zeitversetzten Überwachung und Auswertung ermächtigt. Nur so ist nach unserer Auffassung ein effektiver Einsatz der Wohnraumüberwachung vor dem Hintergrund der praktischen und vor allem der technischen Gegebenheiten möglich und sinnvoll.

Allein der technische Aufwand zur Durchführung einer Überwachung rund um die Uhr ist, wie wir alle wissen, immens. Da wir aber gleichzeitig die sehr stringenten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereich nicht vernachlässigen wollen und dürfen, haben wir im Gesetzentwurf – das ist das Neue – die richterlichen Kontroll- und Eingriffsrechte massiv erweitert. Treten Zweifelsfälle auf, ist das Gericht unmittelbar einzuschalten und hat darüber zu entscheiden, ob der Kernbereich betroffen ist. Wenn ja, ist die entsprechende Aufzeichnung sofort zu löschen, andernfalls kann das Gericht die Fortsetzung der Maßnahme anordnen.

Das zuständige Gericht ist ständig zu informieren. Die besondere Stellung des Gerichts in diesem Verfahren wird dadurch unterstrichen, dass die Anforderungen an die Anordnung der präventiven Wohnraumüberwachung im Gesetz präziser gefasst und die Benachrichtigungspflichten in § 40 sowie die richterliche Kontrolle erweitert wurden. Wir halten diese unterschiedliche Behandlung oder Vorgehensweise zwischen Maßnahmen zur Strafverfolgung und Maßnahmen zur Verhinderung von Verbrechen für zulässig und auch erforderlich,

(Beifall der SPD und der FDP)

da es einen verfassungsrechtlich bedeutsamen Unterschied zwischen dem Anspruch des Staates auf Strafverfolgung und dem Anspruch des Bürgers auf Schutz von Leben, Leib und Freiheit gibt. Dem Schutz dieser höchsten Rechtsgüter dient das Polizeirecht. Die Sicherheit des Bürgers ist ein fundamentaler Verfassungswert, da der Bürger nur auf der Grundlage tatsächlicher Sicherheit seinen grundgesetzlich gesicherten Anspruch auf Freiheit erfahren kann.

Nach unserer Auffassung ist es deshalb gerechtfertigt, ja sogar geboten, dass in gewissem Umfang die Grundrechte desjenigen eingeschränkt werden, von dem die Gefährdung ausgeht oder auszugehen droht. Der Grundrechtsschutz, der auch den Betroffenen zusteht, wird in solchen Fällen durch die gerichtliche Kontrolle gewährleistet, das heißt, Grundrechtsschutz durch Verfahren. Das Gericht kann zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung durchgeführte Maßnahmen überprüfen und auch richterliche Anordnungen treffen, die diesem Grundrechtsschutz dienen.

Der Gesetzentwurf ist von den Koalitionsfraktionen in enger Zusammenarbeit mit dem Innen- und dem Justizministerium unter Hinzuziehung von Praktikern aus der

Polizei, von Sachverständigen sowie dem Datenschutzbeauftragten erarbeitet worden. So ist es gelungen, einen Entwurf vorzulegen, der auf eine breite Grundlage gestellt ist und auf große Zustimmung stößt.

(Beifall der SPD und der FDP)

Dies ist beispielsweise in Hessen anders, wo vor wenigen Tagen ein totaler Verriss des Gesetzes durch den hessischen Datenschutzbeauftragten vorgenommen wurde. Auch in Bayern ist es nicht viel besser.

Der Entwurf löst ein verfassungsrechtliches Problem auf überzeugende Weise und wird sicherlich Nachahmer finden. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir den Entwurf zügig beraten können. Eine Anhörung ist bereits terminiert, sodass wir das Gesetz noch im Sommer dieses Jahres verabschieden können.

Zum Schluss muss ich leider noch auf einen kleinen Fehler hinweisen. In § 29 Absatz 12 ist versehentlich die alte Fassung abgedruckt. Danach soll nicht der Landtag ein neues Gremium schaffen, sondern die bestehende PKK soll diese Kontrolle übernehmen. Es ist auch bei der EDV möglich, dass einmal ein solcher Fehler gemacht wird.

Ich darf um Zustimmung für dieses Gesetz bitten.

Danke schön.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht nun Frau Kohnle-Gros von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pörksen, bei allem, was Sie grundsätzlich zu den Hintergründen dieser gesetzlichen Änderung sowie zu der Frage, weshalb wir dieses Instrument der Wohnraumüberwachung brauchen, gesagt haben, möchte ich Ihnen grundsätzlich zustimmen. Auch die CDU ist der Meinung, dass wir eine Änderung des Polizei- und Ordnungswidrigkeitengesetzes, das erst im letzten Jahr mit unserer Zustimmung in Kraft gesetzt worden ist, brauchen, allerdings – darin unterscheiden wir uns in unserer Argumentation – nicht so sehr deshalb, weil wir unbedingt all das, was Sie soeben vorgeschlagen haben, aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts so umsetzen müssen, sondern weil wir der Auffassung sind, dass die Polizei im Augenblick in der Anwendung dieses Instruments durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil gehemmt ist, weil eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht und weil nicht klar ist, welche Regeln in Zukunft angewendet werden sollen. Deswegen sind wir der Meinung, dass es richtig ist, nun Veränderungen vorzulegen.

Das Instrument der Wohnraumüberwachung – wir reden nun von der Prävention – im Polizeigesetz ist ein notwendiges, ein letztes und ein sehr selten eingesetztes

Mittel, aber es ist notwendig, um in gewisse kriminelle Strukturen, die sich ansonsten der polizeilichen Überwachung entziehen würden, hineinsehen zu können und – auch dies haben Sie zu Recht ausgeführt – um damit die Gefahr für Leib und Leben, also terroristische und andere schwer wiegende kriminelle Anschläge auf unsere Bevölkerung oder auf den Staat zu verhindern. Das ist der Unterschied, auf den es uns als CDU-Fraktion in dieser Frage ankommt. Dies hat natürlich auch Auswirkungen darauf, wie wir nun einzelne Regelungen bewerten.

Ich glaube, dass jedem klar ist, dass es bei Repression und Prävention um zwei verschiedene Rechtsgüter geht – das hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt –, dass der Staat nämlich auf der einen Seite dann, wenn Straftaten passiert sind, einen Anspruch auf Strafverfolgung, auf Stellung des Täters, seine Verurteilung und sein Zur-Rechenschaft-ziehen geltend macht. Bei der Prävention geht es um etwas anderes. Es geht darum, tatsächlich auch Straftaten zu verhindern. Ich denke, das rechtfertigt bei dieser Betrachtung dann auch, unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen. Da setzt unsere Kritik an Ihrem Entwurf an. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die FDP von Ihrer Seite aus ins Boot hat geholt werden müssen.