Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

2. Hat die Landesregierung gegenüber der Bundesregierung gegebenenfalls bestehende Bedenken gegen die Modalitäten der Visavergabe vorgetragen?

3. Gibt es bzw. gab es nach Informationen der Landesregierung seit 1999 im Land einen so genannten Arbeiterstrich, also eine Örtlichkeit, an der sich hier illegal oder legal aufenthältliche Ausländer für eine nicht legale Arbeitsaufnahme für Dumpingpreise anbieten?

4. Gab es Anweisungen oder ähnliche Korrespondenz von den zuständigen Ministerien zu nachgeordneten Behörden – zum Beispiel Ausländerbehörden – zur Verhinderung schädlicher Auswirkungen durch den so genannten Vollmer-Erlass und seiner Missbrauchsmöglichkeiten?

Es antwortet Herr Innenminister Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Hörter beantworte ich wie folgt:

Zu Frage 1: Bei dem der Anfrage zugrunde liegenden so genannten Vollmer-Erlass vom 3. März 2000 handelt es sich um eine interne Regelung des Auswärtigen Amts, die ausschließlich an die jeweiligen deutschen Auslandsvertretungen, Botschaften und Konsulate, gerichtet war.

(Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

Nach den geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen sind für Visa-Angelegenheiten ausschließlich die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig.

Die Neuregelung der Visumspraxis ist seinerzeit vom Auswärtigen Amt zwar der Öffentlichkeit vorgestellt worden, eine offizielle, durch den Bund veranlasste Unterrichtung der Ausländerbehörden ist nicht erfolgt.

Das Dokument erweitert den Ermessensspielraum der deutschen Vertretung im Ausland bei der Visa-Vergabe.

Die mit der so genannten Visa-Affäre in Zusammenhang stehende Verwendung des Reiseschutzpasses beruhte auf einer vom Bundesinnenministerium in Absprache mit dem Auswärtigen Amt getroffenen Verfahrensregelung, die als Nachweis über die Anspruchssicherung im Vi

sumsverfahren im Sinn des § 84 des Ausländergesetzes alt – es gibt jetzt eine Neuregelung – diente.

Das Bundesministerium des Innern hat die Länder mit Schreiben vom 19. Juni 2001 entsprechend informiert.

Die rheinland-pfälzischen Ausländerbehörden wurden hierüber mit Rundschreiben vom 29. Juni 2001 informiert und unterrichtet.

Mit Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 15. April 2003 wurde das Reiseschutzversicherungsverfahren, also dieser Pass, aufgehoben, um eine missbräuchliche Verwendung künftig auszuschließen.

Die rheinland-pfälzischen Ausländerbehörden wurden mit Rundschreiben vom 28. April 2003 entsprechend unterrichtet.

Besondere Vorkommnisse bzw. sonstige Auffälligkeiten in Bezug auf etwaige Visa-Erschleichungen sind insbesondere dem Ausländerreferat des Innenministeriums nicht bekannt geworden. Auch liegen dem Innenministerium keine diesbezüglichen Meldungen der hiesigen Ausländerbehörden vor.

Darüber hinaus haben die Medien über einen längeren Zeitraum umfassend über den gesamten Vorgang Vollmer-Erlass berichtet. Der genaue Zeitpunkt, an dem der Landesregierung die der so genannten Visaaffäre zugrunde liegenden Tatsachen erstmals bekannt wurden, lässt sich daher naturgemäß nicht bestimmen.

Zu Frage 2: Antwort: Nein.

Die Frage der Umgehung der Visa-Bestimmungen war und ist Gegenstand bei bundesweiten Tagungen der polizeilichen Fachkräfte.

So hat das Bundeskriminalamt beispielsweise anlässlich der Fachtagung „Schleusungskriminalität“ im September 2002 über ihm vorliegende Erkenntnisse zum Phänomen der Visa-Erschleichung durch Angehörige der GUS-Staaten berichtet. Das Bundeskriminalamt hat dabei dargelegt, es werde das Bundesinnenministerium auf die Entwicklung hinweisen. Da in Rheinland-Pfalz keine entsprechenden Erkenntnisse vorlagen und auch die polizeiliche Kriminalstatistik keine signifikante Entwicklung aufwies, die zweifelsfrei auf dieses mögliche Phänomen zurückgeführt werden könnte, bestand für die Landesregierung kein Handlungsbedarf.

Zu Frage 3: Der Landesregierung liegen keine Inform ationen vor, die auf die Existenz eines so genannten Arbeiterstriches im Sinn der Fragestellung hindeuten. Wir gehen davon aus, dass Sie nicht nach der damaligen Erntehelfersituation oder der Frage der Pflegekräfte gefragt haben.

Zu Frage 4: Nein. Visa-Fragen liegen nicht in der Regelungszuständigkeit der Länder.

Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung hinzufügen. Es liegen mehrere Anfragen des Abgeordneten Hörter vor, die unter anderem im Innenausschuss erörtert werden.

Die politische Aufarbeitung der so genannten Visa-Affäre ist Sache des dafür eingesetzten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags. Seinen Ergebnissen sollen und können wir nicht vorgreifen. Zu der bisherigen Behandlung des Themas und der Berichterstattung einiger Medien darüber habe ich meine persönliche Meinung, die ich an dieser Stelle aber durchaus darstellen will. Teilweise wird der Öffentlichkeit ein Szenario vermittelt, das gewollt oder ungewollt den Eindruck erwecken kann, bei den Bürgerinnen und Bürgern der in Osteuropa gelegenen Staaten handele es sich grundsätzlich um Kriminelle, die nur ein Interesse haben, nämlich in Deutschland Straftaten zu begehen. Das hat mittlerweile zu nachvollziehbaren offiziellen Reaktionen geführt. Der ukrainische Präsident hat darüber berichtet. Die darin liegende ungerechte Verunglimpfung der Landsleute der Ukraine oder anderer ist zurückzuweisen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle haben noch vor kurzem dem ukrainischen Volk Anerkennung für die politischen Veränderungen gezollt. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens, Christian Pfeiffer, sieht vor dem bestehenden Hintergrund keine Belege für eine verstärkte Kriminalität in Deutschland. Ich darf ihn zitieren: Die öffentliche Debatte erweckt den völlig falschen Eindruck, dass Scharen von Kriminellen oder Prostituierten eingeschleust worden sind.

(Zurufe von der CDU)

Ganz besonders nachdenklich hat mich ein Schriftsteller gemacht, der mich beeindruckt, weil ich ihn persönlich schätze und seine Werke lese: Wladimir Kaminer. Sie kennen vielleicht sein Buch „Russendisco“ und andere Werke von ihm. Er ist ein Betrachter der deutschen Szene aus Berliner Sicht. In der aktuellen Ausgabe des „SPIEGEL“ ist ein Interview mit ihm zu lesen, das ich Ihnen zur Lektüre empfehle. Er antwortete auf die Frage, ob er glaube, dass ganz normale gesetzestreue Menschen, die Deutschland besuchen wollen, das Opfer der Visa-Affäre seien: „Nein. Es ist wirklich keine Tragödie, wenn der eine oder andere Russe oder Ukrainer nicht nach Deutschland kommen kann. Die Opfer der Affäre sind vielmehr die Deutschen. Der Schaden, der durch diese Kampagne und die erzeugte Angst vor Fremden entsteht, ist nachhaltiger als jeder Außenminister.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Fischer wird irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen. Aber was den Deutschen unter der Kopfhaut hängen bleibt, sind die „Huren, Diebe und Schwarzarbeiter“. Dabei muss Deutschland doch mal raus aus dieser Tiefgarage oder will man ewig in diesem verschwitzten, bäuerlichen Ton über die Welt des 21. Jahrhunderts debattieren.“ Das ist meine ganz persönliche Anmerkung zu Ihrer Anfrage.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hörter.

(Mertes, SPD: Ihr bedient doch nur den Stammtisch!)

Herr Minister, würden Sie bestätigen, dass in meinen Fragen keine Formulierung Anlass zu der Annahme gibt, dass eine allgemeine Kriminalisierung etwa von Ukrainern stattgefunden hat?

Die Anfrage habe ich zum Anlass genommen, meine Meinung zu der Gesamtdebatte darzustellen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Abgeordneter Dr. Gölter, zu dieser Anfrage. Das steht im Kontext mit vielen Äußerungen der Union.

(Hörter, CDU: Herr Minister, ich frage Sie noch einmal – – –)

Herr Hörter, wenn ich Ihnen das Wort erteile, dürfen Sie gern eine zweite Frage stellen. Sie haben jetzt das Wort.

Danke schön. Ich dachte, ich hätte schon das Wort, weil das Lämpchen aufleuchtete.

Herr Minister, ich frage Sie noch einmal: Können Sie bestätigen, dass in meinen Anfragen keine Formulierung Anlass zu der Annahme gibt, dass eine allgemeine Kriminalisierung etwa aller Ukrainer intendiert ist?

Ich kann das noch einmal wiederholen, was ich vorhin gesagt habe.

(Anheuser, CDU: Vielleicht geht der Regierung noch ein Lämpchen auf!)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bischel.

Herr Staatssekretär, Ihre persönlichen Bemerkungen geben mir Anlass, folgende Fragen zu stellen:

(Hammer, SPD: Herr Minister! Die Zeit ist vorbei!)

Entschuldigung. Jetzt erst merke ich es.

(Hammer, SPD: Dafür sind wir Mainzer da!)

Vielen Dank für den Hinweis, Herr Kollege Hammer.

Herr Staatsminister, Ihre persönlichen Bemerkungen geben mir Anlass, folgende Fragen zu stellen: Meinen Sie, mit Ihren persönlichen Bemerkungen dem Anlass der Mündlichen Anfrage gerecht geworden zu sein, und erwecken Sie damit nicht den Eindruck, dass sachlich begründete Fragen an die Landesregierung im Rahmen ihrer Zuständigkeit, von der Sie ständig gesprochen haben, gestellt werden dürfen und Sie die Gelegenheit suchen zu einer politischen Aussprache, die wir natürlich in ganz anderer Art und Weise auch beginnen könnten?