„Auswirkungen des Post-Mindestlohns auf Rheinland-Pfalz“ auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 15/1743 –
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum 1. Januar 2008 wird der deutsche Briefmarkt vollständig liberalisiert. Dann können neben der Deutschen Post AG auch andere Unternehmen flächendeckend in die Briefzustellung einsteigen.
Das klingt gut, wäre aber für die Beschäftigten der Briefbranche und für die Sozialkassen ohne einen PostMindestlohn problematisch. In Rheinland-Pfalz sind nach
Angaben der Gewerkschaft ver.di bei der Deutschen Post AG rund 6.000 Beschäftigte in der Briefzustellung tätig, davon rund 4.000 in Vollzeit.
Bei den privaten Anbietern sind nach ver.diSchätzungen 1.200 Beschäftigte in der Briefzustellung tätig, davon aber nur rund 240 in Vollzeit, der Rest in Teilzeit und in Mini-Jobs.
Die Bezahlung der Beschäftigten der Deutschen Post AG rangiert nach den neuen Tarifverträgen zwischen 11,43 Euro und 14,29 Euro pro Stunde, inklusive eingerechneter Einmalzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, also bei 1.900 Euro bis 2.400 Euro brutto bei einer Vollzeitbeschäftigung. Das derzeitige Durchschnittseinkommen über alle Branchen und Berufe beträgt 2.800 Euro. Der vereinbarte Branchen-Mindestlohn liegt im Westen bei 8,40 Euro bzw. bei 9,80 Euro pro Stunde, das wären 1.400 Euro bzw. 1.600 Euro brutto pro Monat. Weihnachts- und Urlaubsgeld gibt es nicht.
Damit liegen die Mindestlöhne zwischen 25 % und 42 % unterhalb der tatsächlichen Postlöhne. Es kann also gar keine Rede davon sein, dass die Mindestlöhne das Briefmonopol nach dem 1. Januar wiederherstellen. Der Mindestlohn liegt vielmehr an der Schwelle der Berechtigung von ALG II, und es darf nicht sein, dass sich mancher Unternehmer seine Dumping-Löhne durch die Steuerzahler bezahlen lässt;
denn bundesweit werden nach einer Umfrage der Bundesnetzagentur bei den privaten Anbietern Stundenlöhne zwischen 5,80 Euro und 7,94 Euro bezahlt.
In Rheinland-Pfalz werden diese Sätze in der Regel nicht erreicht. Ich sage ausdrücklich, sie werden in Rheinland-Pfalz nicht erreicht. Der Gewerkschaft ver.di liegen Abrechnungen vor, die tatsächliche Stundenlöhne von 5,00 Euro ausweisen. Die Behauptung von manchen im Land, es werde jetzt schon der angestrebte Mindestlohn von 7,50 Euro bezahlt, trifft nicht zu, da in der Regel nach Stückzahlen entlohnt wird. Die gemachten Vorgaben sind teilweise so hoch, dass sie in der vorgegebenen Zeit nicht einzuhalten sind. So ist die Situation in Rheinland-Pfalz, wie sie mir ver.di gestern beschrieb. Diese Situation ist der Beleg dafür, dass für Rheinland-Pfalz der Post-Mindestlohn wichtig ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dem beharrlichen Druck der SPD und ihres Bundesvorsitzenden Kurt Beck ist es zu verdanken, dass die Union endlich den Weg freigemacht hat für die Aufnahme der Pflichtdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Ich hätte mir im Interesse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewünscht, dass uns das Hin und Her erspart geblieben wäre.
Für die SPD ist der Mindestlohn eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wer Vollzeit arbeitet, muss auch davon
leben können. Der nächste Schritt muss die Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen sein
und die Überarbeitung des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes, um Mindestlöhne in allen Branchen ermöglichen zu können.
(Beifall der SPD – Ministerpräsident Beck: Die Franzosen sind doch ideologisch verklemmt! – Eymael, FDP: Nein, die Deutschen sind ideo- logisch verklemmt! Das ist das Problem!)
Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, wenn Sie von ideologischer Verklemmtheit reden, haben Sie gerade eben eine offensichtlich von der Gewerkschaft ver.di aufgeschriebene Rede gehört.
Frau Steinruck stellt es auch noch so dar, als habe ihr die Gewerkschaft ver.di dies gestern berichtet.
Meine Damen und Herren, oftmals liegt die Wahrheit eben nicht nur in einem Teil, sondern in einer Gesamtbetrachtung. Wenn man über die Auswirkungen des Post-Mindestlohns auf Rheinland-Pfalz redet, gehört zu dieser Debatte auch, wie der ländliche Raum versorgt wird, aus welchen Bereichen sich die Post in den letzten Jahren und Jahrzehnten zurückgezogen hat und wie morgen und auch übermorgen bei uns die Versorgung insgesamt sichergestellt werden muss.
Dazu gehören ohne jede Frage natürlich auch brauchbare Analysen, die aber immer erst dann erstellt werden können, wenn sie auf Erfahrungen beruhen. Meine Damen und Herren, zu all dem gehört auch, dass wir Schwierigkeiten haben, grundsätzliche Haltungen auf den Prüfstand zu stellen: Einerseits Ja zum Mindestlohn, andererseits Nein zum Mindestlohn. – Meine Damen und Herren, das Pro und Kontra in seinen Extremen ist aber doch heute gar nicht mehr in der Debatte.
Herr Ministerpräsident, wenn grundsätzlich unterschiedliche Haltungen zweier Parteien in ein gemeinsames Regierungshandeln münden, so meine ich, dass wir in diesem Punkt doch schon wesentlich weiter sind. Heute werden gar nicht mehr nur die beiden Extreme debattiert. Dass sie in Parteitagen eine besondere Rolle spielen, mag durchaus sein, aber wir haben doch mit dem Kompromiss im Arbeitnehmer-Entsendegesetz in einem Punkt zueinander gefunden, an dem die beiden Enden nur sehr schwer zusammenzubinden waren.
Meine Damen und Herren, der Kompromiss zur Ausweitung des Entsendegesetzes wird gültig, wenn mehr als 50 % einer Branche eine Einigung über Tarif erzielt haben. – Schon dieser Kompromiss vermischt die Grundlagen, wenn ich mir nur die beiden Extreme vor Augen halte, um über den Mindestlohn zu diskutieren.
Bei einigen geht dies bis zur Schmerzgrenze. Die Union hat aus diesem Kompromiss heraus immer gesagt: Wenn ein repräsentativer Tarifvertrag vorliegt, kann dieser in das Entsendegesetz aufgenommen werden. – Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Steinruck, aber was derzeit vorliegt, bezeichne ich als einen Missbrauch der Tarifpolitik zur Rettung von Privilegien durch die Hintertür.
Dies sind Privilegien, mit denen sich die Post – gestern noch Staatsbetrieb, heute privatisiert – über den heutigen Tag hinwegretten möchte, meine Damen und Herren.
Ich hätte mir einen Tarifvertrag mit allen Beteiligten gewünscht, der eigentlich auch so angestrebt werden sollte. Ob ich vor diesem Hintergrund einen Mindestlohn befürwortet hätte oder nicht, ist eine ganz andere Frage, aber wir hätten ihn über diesen gemeinsamen Weg durchaus bekommen.
Wenn ich mir die Auswirkungen des Post-Mindestlohns auf Rheinland-Pfalz vor Augen halte, muss ich auch darüber sprechen, was dies für einzelne Unternehmen, die sich gegründet haben oder derzeit in der Gründung befinden, bedeutet. Wenn beispielsweise die Produktivität der privaten Unternehmen erst zu entwickeln ist und wenn sie erst eine Chance brauchen, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu werden, halte ich dies für einen wichtigen Punkt. So braucht beispielsweise die Post keine Mehrwertsteuer zu zahlen, aber ein anderes Unternehmen, das sich neu auf diesem Markt bildet, muss diese Mehrwertsteuer erst einmal erwirtschaften, um dann mit seinem Lohnniveau in einer Branche konkurrenzfähig zu sein, in der man sich über eine Rendite von 15 % unterhält.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht über die PIN Group, über TNT oder über andere große Unternehmen sprechen. Diese Unternehmen werden ihre Probleme immer lösen; im Zweifel werden sie verkaufen, wie wir dies hier und da hören. Es geht vielmehr um die
Menschen, es geht um die Arbeitsplätze, und es geht um diejenigen, die durch diese Neugründungen Arbeitsplätze finden.
Ich möchte Ihnen daher über einen Betrieb aus Rheinland-Pfalz berichten, der 34 % Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Berufsausbildung beschäftigt. Nach einem Bericht dieses Betriebs verfügt etwa ein Drittel seiner Beschäftigten über keinerlei Berufsausbildung. – Wo sonst hätten diese Menschen eine Chance gefunden?
Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Langzeitarbeitslosigkeit sind es 39 %. Wo hätten denn diese eine Chance gefunden? Meine Damen und Herren, in diesem Betrieb beträgt der Anteil der über 50-Jährigen 34 %. Wo hätten denn diese eine Chance gefunden? Meine Damen und Herren, denen gilt auch unsere Sorge. Das ist die zweite Seite der Medaille. Diese gilt es zu berücksichtigen, auch wenn ich über Rheinland-Pfalz rede.