Protokoll der Sitzung vom 07.06.2006

Wer aber einen solch großen Wurf reklamiert und bei einer so komplizierten Gemengelage einfordert, will eigentlich, dass nichts geschieht;

(Beifall der FDP)

denn in diesem Fall kann man nicht mit einem großen Wurf vorankommen. In diesem Fall muss es Schritt für Schritt gehen.

So versteht die FDP-Fraktion in diesem Land den vorliegenden Entwurf als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Einen solchen ersten Schritt erreichen wir, indem wir versuchen, verschiedene Probleme zu lösen, die im Laufe der Jahre – auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bestimmten Grundgesetzartikeln – entstanden sind. Hierzu gehört die Tatsache, dass jede Verwaltungsverfahrensregelung in einem Bundesgesetz automatisch die volle Zustimmungspflicht des Bundesrats auslöst. So die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das war immer ein Problem. Wir versuchen das dadurch zu lösen, dass die Länder nun vom Verwaltungsverfahren abweichen dürfen. Sollte das nicht der Fall sein, dann muss wie bisher die Zustimmung des Bundesrats erfolgen.

Eine andere Klausel, mit der das Bundesverfassungsgericht die Bundesgesetzgebung zunehmend verschärft hat, ist die so genannte Erforderlichkeitsklausel bei konkurrierender Gesetzgebung. Auch in diesem Fall wollen wir eine gewisse Entflechtung herbeiführen, indem wir in bestimmten Bereichen die Erforderlichkeitsklausel generell als vorhanden unterstellen bzw. in anderen Bereichen den Ländern Abweichungsmöglichkeiten geben.

All das soll nach Expertenschätzungen dazu führen, dass nicht wie bisher rund 60 % aller Gesetze, sondern nur noch etwa 35 % aller Gesetze zustimmungsbedürftig sind. Das ist ein Datum. Das ist sehr viel Holz. Das hin

zubekommen ist eine große Leistung. Deshalb sollte man sich das, was hier vorliegt, nicht kleinreden lassen.

(Beifall der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Kollege Hartloff, ich habe Ihnen gut zugehört. Es ist ein wohl austarierter Kompromiss. Ich halte es für gefährlich, hier und heute im Hinblick auf gewisse Kritiken bereits das eine oder andere salbungsvoll über die Theke zu schieben. Damit habe ich ein Problem.

(Beifall der FDP)

Ich weiß, welche Interessen Sie leiten. Das kann ich persönlich gut nachvollziehen. In der Verhandlungsführung ist das aber schwierig, weil natürlich in einer Vielzahl von Fällen Angriffe erfolgen werden, in denen der Kompetenzgewinn des Bundes groß ist, da Mitspracherechte der Länder wegfallen und als Ausgleich dafür eine stärkere Gesetzgebungszuständigkeit des Landtags eingeführt werden soll. Sie erfolgen in einer Art und Weise, die ich unter sachlichen Gesichtspunkten kaum hinzunehmen bereit bin.

Wenn Bundestagsabgeordnete behaupten, wir Landtagsabgeordneten seien nicht in der Lage, den Strafvollzug selbst zu regeln, und wir Landtagsabgeordneten seien bereit, die Menschenwürde zu opfern, dann halte ich das schlichtweg für eine Frechheit.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben 60 Jahre lang das Polizeirecht organisiert. Dieser Staat ist nicht zu einem Polizeistaat geworden. Dieser Staat ist trotz aller Debatten, die immer wieder über Innere Sicherheit geführt werden, weiß Gott nicht ein Staat, in dem jeder machen kann, was er will. Deswegen lasse ich mir das nicht an die Backe binden.

Wir sind sehr wohl und genauso wie der Bund in der Lage, eine schwierige und komplexe Gesetzgebung zu handeln. Es ist lediglich eine Frage, ob man das unter Effizienzgesichtspunkten so will. Darüber lasse ich mit mir streiten. Ich lasse uns aber nicht einfach so unterstellen, dass wir in diesem Landtag nicht in der Lage seien, solch eine Gesetzgebung zu bewerkstelligen. Das müssen wir uns im Rahmen dieser Auseinandersetzung nicht bieten lassen. (Beifall der FDP)

Nachdem ich derartige Sprüche in den vergangenen Wochen gehört habe, hat sich meine Bereitschaft sehr deutlich minimiert, in diesem Zusammenhang Kompromisse einzugehen. Ich lasse gern mit mir reden. Es kommt aber sehr darauf an, wie man diese Debatte führt. Ich meine, dabei wird sich der eine oder andere sicherlich bewegen. Der eine oder andere Bewegungsspielraum ist sicherlich auszuloten. Ich persönlich ziehe es vor, das in aller Ruhe in Verhandlungen auszuloten, aber nicht schon im Vorhinein das eine oder andere aufzugeben. Das erscheint mir nicht zielführend.

Es ist aber nur ein erster Schritt. Deswegen meinen wir, dass weitere Schritte folgen müssen. Es war immer ein Anliegen der FDP, dass in diesem Zusammenhang auch

die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zur Sprache kommen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir damals sehr gut verhandelt haben, Herr Ministerpräsident. Ich weiß, dass diese Verhandlungen nicht von heute auf morgen zu einem Ende kommen werden, sodass die Probleme für das Land nicht so groß werden würden. Ich frage mich nur, wie lange die Vereinbarungen letztlich tragen werden, die das bisher relativ gute Ergebnis für Rheinland-Pfalz herbeigeführt haben.

Zwischenzeitlich sind Klagen von Berlin, Bremen und dem Saarland beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Diese werden in irgendeiner Art und Weise vom Bundesverfassungsgericht beschieden werden. Wahrscheinlich werden wir innerhalb unseres Finanzsystems in Gespräche treten müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Entscheidungen so ausgehen werden, dass wir so wie bisher weitermachen können. Daher ist die Notwendigkeit, zu neuen Regelungen zu kommen, durchaus gegeben.

Im Rahmen dieser neuen Regelungen sollte dann darüber nachgedacht werden, wie verhindert werden kann, dass andere Länder und der Bund für ein unsolides Finanzgebaren eines Landes in die Haftung genommen werden. Ich halte es für legitim, an dieser Stelle darüber nachzudenken. Genauso gut ist es aus Sicht des Bundes legitim, darüber nachzudenken, dass er für ein unsolidarisches Verhalten der Länder nicht haften will. Diese Dinge müssen besprochen werden. Diese Dinge sind schwierig auszuloten.

Wenn kritisiert wird, dass in dem Kompromiss wenig zu den Finanzen steht, dann muss man hervorheben, dass an einigen Stellen sehr wohl etwas zu den Finanzen steht. In dem vorhandenen Kompromiss sind wichtige Regelungen zu den Finanzbeziehungen enthalten, die nicht unterschlagen werden dürfen, nämlich beispielsweise die Regelung, wie Bund und Länder gegenüber der Europäischen Union für Strafzahlungen haften. Das war bisher ungeklärt. Wir haben nun eine Einigung herbeigeführt. Es ist also nicht so, dass Bund und Länder in diesem schwierigen Bereich nicht zu Ergebnissen kommen könnten.

In diesem Zusammenhang gilt es, die Dinge fortzuentwickeln. Ohne Zweifel gehören dann alle Dinge auf den Prüfstand, auch die Dinge, die über Jahre hinweg solidarisch von allen gemeinsam getragen werden müssen, aber irgendwann auch einmal überprüft werden müssen. Natürlich müssen die Kosten der Wiedervereinigung solidarisch getragen werden. Man darf aber nicht über Jahre hinweg so tun, als ob es in diesem Bereich keine Entwicklung gegeben hätte.

(Beifall der FDP)

In den neuen Ländern gibt es heute Regionen, die wirtschaftlich deutlich besser dastehen als manche Gegend bei uns. Man muss darüber nachdenken können, wie man das in Zukunft justiert. Das wird nicht heute, nicht morgen und auch nicht übermorgen geschehen. Das wird seine Zeit brauchen. Wir wollen uns gar nicht solidarisch aus der Ecke stehlen. Man muss aber irgendwann darüber reden, dass das Gießkannenprinzip über die fünf neuen Länder so nicht funktionieren wird, weil

natürlich auch unsere Interessen betroffen sind. Solidarität kann insofern nicht auf ewig vorangetrieben werden.

Deshalb haben wir in unserem Antrag entsprechende Passagen eingebracht, wohl wissend, dass das nicht von heute auf morgen und auch nicht in diesem Durchgang der Reform des Föderalismus zum Tragen kommen wird. Wir hoffen, dass der gefundene Kompromiss möglichst unbeschadet durch die parlamentarischen Beratungen geht und letztlich weitgehend so beschlossen wird, wie er vorgelegt worden ist, weil nur dann gerechtfertigt werden kann, dass die Länder auf Bundesebene auf Mitwirkungsrechte verzichten und im Gegenzug dieses Parlament gestärkt wird. Das wollen wir in Zukunft so erreichen. Deswegen erheben wir überhaupt keine Einwendungen, diesem Kompromiss inhaltlich voll zuzustimmen.

(Beifall der FDP)

Das Wort hat Ministerpräsident Kurt Beck.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Gelegenheit, zur Endphase der Diskussion um die Föderalismusreform in Deutschland einen Meinungsaustausch im rheinlandpfälzischen Landtag vorzunehmen. Wir haben uns zu früherer Gelegenheit schrittweise immer wieder über den Stand der Verhandlungen ausgetauscht. Ich bin sehr froh darüber, dass dem Grunde nach zu der Föderalismusreform, Teil I, Übereinstimmung in diesem hohen Hause besteht.

Ich teile die Auffassung derjenigen, die den vorliegenden Vorschlag als einen guten Kompromiss bezeichnen; denn niemanden konnte es verwundern, dass man sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Interessenlage zwischen Bund und Ländern, zwischen großen und kleineren Ländern, zwischen finanzstärkeren und finanzschwächeren Ländern, zwischen Ost und West sowie zwischen Stadtstaaten und Flächenländern – Berlin befindet sich aufgrund seiner Hauptstadtfunktion teilweise in einer Sondersituation – aufeinander zubewegen musste.

Es ist in der Demokratie genauso wie in allen anderen Bereichen des Lebens: Wer Kompetenzen abgeben soll, der gibt sie nicht gern ab.– Insoweit verwundert mich auch nicht die sehr breit getragene Skepsis der Abgeordneten des Bundestags gegenüber diesen Veränderungen. Dennoch sind sie teilweise von einer Tonlage getragen, die ich gegenüber den Länderparlamenten für nicht akzeptabel halte;

(Beifall der SPD und der FDP)

denn ein Gouvernantentum des Bundestags gegenüber den Landtagen ist in der Verfassung nicht vorgesehen.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

Das muss man klar sagen. Ich habe das an anderer Stelle getan und tue das auch gern hier, obwohl das hier leichter ist als an den Stellen, an denen ich sonst etwas zu sagen habe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, dass wir eine tragfähige Grundlage über all die Jahre hinweg erarbeitet haben, die zu einer Verfassungsänderung noch in diesem Jahr führen kann und führen sollte.

Herr Landtagspräsident, ich bin auch dankbar dafür, dass Sie die Debatte sehr bewusst selbstbewusst eröffnet haben, weil es in der Tat eine Strömung in der deutschen Publizistik und auch in einem gewissen Bereich der Öffentlichkeit gibt, die den Föderalismus eher als ein lästiges Übel denn als eine große Chance darstellen.

Ich will noch einmal darauf verweisen dürfen, dass diese föderale Struktur zwar 1949 nicht von Deutschland selbst erfunden worden ist, sondern uns ein ganzes Stück vorgegeben worden ist, sie aber auch nicht geschichtslos ist, weil sie durchaus auch auf Erfahrungen aus der deutschen Geschichte und auf unterschiedlichen Kulturen, die sich daraus entwickelt haben, aufgebaut worden ist. Wir Rheinland-Pfälzerinnen und RheinlandPfälzer können davon berichten, dass es dabei teilweise Länderzuschnitte gegeben hat und gibt, die auch zufälligen Charakter haben; denn die Tatsache, dass dieses Land so geschnitten ist, wie es geschnitten ist, hat nicht nur mit kulturellen Erfahrungen gemeinsamer Art zu tun, sondern auch mit den Zufälligkeiten der Verteilung von Besatzungszonen nach dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg.

Dennoch hat sich gezeigt, dass ein Land wie RheinlandPfalz – das gilt auch für andere Länder – zusammengewachsen ist. In den bald sechs Jahrzehnten seines Bestehens ist es eine Einheit geworden. Ich bin der Meinung, dass auch für die Bundesrepublik Deutschland – ich erinnere dabei an ein Wort von Jacques Santer auf der 50-Jahr-Feier des Landes Rheinland-Pfalz – und für die europäische Entwicklung die Erfahrung eines Zusammenwachsens von Teilregionen ein Beispiel sein kann. Die Identität als Westerwälderin oder Westerwälder, als Pfälzerin oder Pfälzer, als Eifelanerin oder Eifelaner, als Hunsrückerin oder Hunsrücker, Rheinhessin oder Rheinhesse, Rheinländerin oder Rheinländer

(Vereinzelt Heiterkeit)

ich bitte Sie um Verständnis, ich habe damit angefangen und durfte daher nicht eher damit aufhören – wird bewahrt, aber zwischenzeitlich weiß man, dass man auch andere Identitäten und Loyalitäten hat und Menschen in einer offenen Welt in mehreren Loyalitäten zu leben vermögen, die sie sehr wohl auch abzustufen wissen. Das ist meiner Meinung nach eine Basis, um ein offenes Gemeinwesen auch in Zukunft zu gestalten, das uns vor Ort die Eigenheiten erhält, das uns unsere kommunale Einbindung erhält, das uns aber auch die Identität mit einem Land erhält, das im europäischen Sinn als Region zu bezeichnen wäre. Es ist auch ein richtiger und notwendiger Weg, dass wir auf der europäischen Ebene eine Entwicklung wollen, die auch nationale Identitäten erhält, sie aber nicht über die Gemeinsamkeit stellt.

Aus meiner Überzeugung heraus ist der Föderalismus nichts, was sich mit der europäischen Einigung beißt, sondern er ist eher ein Teil dieser vielfältigen Strukturen, in denen wir leben, in denen einzelne Menschen Heimat finden, ohne einen zu engen Blick daraus zu entwickeln. Vielleicht darf man sogar das Gegenteil annehmen, nämlich dass diejenigen, die in einer festen Heimatverwurzelung leben, die sich auf einem sicheren Boden wähnen, den Blick in die Zukunft und den Blick für anderes und Neues, auf das wir uns einzustellen haben, freier haben als diejenigen, die unsicher sind, weil sie sich nirgendwo verankert und auch innerlich verwurzelt wissen.

Lassen wir uns als o nicht einreden, dass Föderalismus etwas Gestriges sei.

Meine Damen und Herren, wenn es erlaubt ist, den Beweis sozusagen des Gegenteils anzutreten – meiner Meinung nach ist das erlaubt –, rate ich, auf die Entwicklungen in Großbritannien, in Spanien und auch in Frankreich zu schauen, wo man sehr zentralstaatliche Orientierungen kannte und noch kennt, aber sie zunehmend aufgelockert hat, um Identitäten zu ermöglichen, um vor Ort daraus neue Kraft zu schöpfen und um daraus Urbanität entstehen zu lassen. Es bewegen sich andere also eher auf unseren Weg zu.

Ich kann und will nicht nachvollziehen, weshalb wir uns jetzt genieren sollen, Föderalismus als einen richtigen Weg zu bezeichnen. Ich weiß, dass in anderen großen Staaten der Welt über solche Strukturen nicht nur nachgedacht wird, sondern sie auch geschaffen worden sind.

Das gilt für das große China, ohne es jetzt mit einem Demokratiestaat wie uns vergleichen zu wollen. Das gilt durchaus auch für Russland und auch für andere Staaten, wo man zumindest versucht, regionale Strukturen mit einem hohen Maß an Eigenkompetenz zu entwickeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir uns dies betrachten, – da ist nach dem, was ich zuvor teilweise gehört habe, noch Diskussionsbedarf gegeben –, bin ich der Meinung, dass wir das, was in der Landesverfassung und im Grundgesetz steht, nämlich dass wir für möglichst gleichwertige – nicht gleiche – Lebensverhältnisse zu sorgen haben, weiter als Auftrag verstehen müssen.

Für uns heißt dies, dass wir über Finanzausgleichssysteme Mittel aus kommunalen Bereichen abschöpfen und sie zur möglichst gleichwertigen Entwicklungschance anderer kommunaler Bereiche neu verteilen. Das ist der kommunale Finanzausgleich. Hinzu kommen die staatlichen Zuschüsse, die einen Teil dieser Ausgleichsfunktion übernehmen.

Ich kann nicht erkennen, dass wir auf der Bundesebene das bündische Prinzip dadurch unterminieren sollten, dass wir dort diese Finanzausgleichsfunktion auf einmal in Frage stellen. Herr Kollege Baldauf, in der Radikalität, wie Sie dies getan haben – absolut radikal haben Sie das getan; denn Sie haben gesagt, das, was da laufe, sei schädlich, weil es falsche Anreize setzt, lesen Sie

noch einmal nach, was Sie gesagt haben –, teile ich das in keiner Weise.

(Beifall der SPD)