Protokoll der Sitzung vom 05.02.2009

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie wissen, wovon Sie sprechen. In Brüssel ist man ziemlich ratlos über die deutsche Haltung, die man mitgeteilt bekommt. Sie haben vorhin gesagt, das AGG ist weitergehend, als es die EU ursprünglich gefordert hat. Im Prinzip ist das AGG das Vorbild für die neue Richtlinie. Aus Brüsseler Sicht ist es total unlogisch, dass von allen EU-Staaten nur Deutschland diese vehementen Bedenken vorbringt und es auf unterschiedlichen Ebenen ablehnt. Das ist inhaltlich in keiner Weise nachvollziehbar.

(Beifall der SPD)

Meine sehr geehrten Herren und Damen, die Zeit lässt es nicht zu, dass ich auf jeden inhaltlichen Punkt eingehe. Ich sage nur so viel: Bei jedem einzelnen Punkt muss man bei der Umsetzung den Maßstab der Angemessenheit und Vermeidung von unverhältnismäßigem Mehraufwand berücksichtigen. Das heißt, kein Unter

nehmen wird gezwungen, beispielsweise in Bezug auf die Barrierefreiheit Dinge zu tun, die es wirtschaftlich nicht vertreten kann.

Ich möchte an Folgendes erinnern: Die Vereinigten Staaten haben mit dem Civil Rights Act „Americans with Disabilities“ von 1991 ein vergleichbares Prinzip eingeführt, nämlich Barrierefreiheit je nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten einzuführen. Dabei waren die Unternehmen verpflichtet, ihre Angebote schrittweise zu machen. Damit konnten auch kleinere Geschäfte und Restaurants mittelfristig die Barrierefreiheit in den Vereinigten Staaten sicherstellen. Wenn wir heute in die Vereinigten Staaten gehen, dann sehen und merken wir, dass dieser Grundsatz umgesetzt worden ist, ohne dass ein Unternehmen sozusagen geprügelt oder eingeengt worden ist, dass es in wirtschaftliche Existenznöte geraten ist.

Die Zukunft des neuen Richtlinienvorschlages ist wegen des Einstimmigkeitsprinzips bei der Antidiskriminierungsmaßnahme noch ungewiss. Ich betone noch einmal, dass sich alle EU-Minister und -Ministerinnen nicht diesem Vorschlag verweigert haben, sondern dass sie zahlreiche Veränderungsvorschläge eingebracht haben. Ich rate nicht, dass man sich diesem als Europaabgeordneter verweigert. Das gilt auch für unsere Abgeordneten.

Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass ca. 1,4 Millionen Menschen die Forderung nach einer Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet haben. Ich weiß auch nicht, ob Sie wissen, dass der Lissabon-Vertrag für den Fall einer so breiten Initiative vorsieht, dass die Kommission aktiv wird. Das ist dort Gott sei Dank so geregelt. So viele Europäerinnen und Europäer sprechen sich für eine solche Sache aus.

Ich komme zum Ende. Es gäbe noch sehr viel zu diesem Thema zu sagen. Weil es noch nicht nötig war, hat sich die Landesregierung noch nicht abschließend festgelegt. Klar ist, wir werden uns an diesem Punkt nicht lächerlich machen. (Beifall bei der SPD)

Der endgültige Entwurf wird noch ausgearbeitet. Es wird darüber noch diskutiert. Wir werden diesen endgültigen Entwurf sorgfältig prüfen. Wenn er in unser Gesellschaftsbild passt, dafür zu sorgen, dass man wegen Alter, Geschlecht oder Behinderung nicht diskriminiert werden darf, und er verhältnismäßig in der Umsetzung ist, dann werden wir wie damals beim AGG zu dem Ergebnis kommen, dass wir eine solche Richtlinie befürworten.

Vielen Dank. (Beifall der SPD)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Creutzmann das Wort.

(Zurufe von der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir gehen alle gern zum Geburtstag von Kurt Beck, aber die drei Minuten müssen Sie mir noch geben.

Frau Staatsministerin, das war nicht ganz fair. Es geht nicht darum, dass wir im Parlament diese Auswüchse bei der Diskriminierung verhindern wollen. Da sind wir mit Ihnen auf einer Seite.

Es geht darum zu fragen, ob das Gesetz zielgerichtet ist. Das muss man betrachten und ins Detail hineingehen. Es steht darin die Umkehr der Beweislast. Das bedeutet für die Unternehmen eine hohe Dokumentationsflut, damit sie es beweisen können, wenn sie verklagt werden.

Hinzu kommt, dass im deutschen Zivilrecht, in dem es häufig außer einer Rechnung keinerlei schriftliche Unterlagen gibt und die Abschlüsse ohne lange Entscheidungsprozesse schnell durchgeführt werden, der Aufbau eines Dokumentationssystems äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird.

Sie wollen amerikanische Verhältnisse. Das kann man ja wollen. Das ist unserem Rechtssystem völlig fremd. Das heißt, es gibt keine Grenzen beim Schadenersatz nach oben. Wenn Sie zulassen, dass Antidiskriminierungsverbände klagen können, dann wird eine Fülle von Klagen auf die Unternehmen zukommen.

(Zurufe von der SPD)

Natürlich, das sind doch die Probleme. Da muss man ins Detail hineingehen. Wir haben schon das AGG. Das soll auch evaluiert werden, um zu sehen, welche Erfolge das AGG gezeigt hat. Deswegen ist es doch vernünftig, darüber zu reden. Immer schön die Kirche im Dorf lassen!

Abschließend will ich sagen, etwas anderes geht natürlich auch nicht. Man kann nicht montags sagen, man will den rheinland-pfälzischen Mittelstand unterstützen, weil wir mittelständisch geprägt sind, und dienstags sagen, aber es kommen 1,7 Milliarden Euro – das ist die Schätzung – an zusätzlichen Kosten

(Zurufe von der SPD)

Moment –, und wenn es bloß 500 Millionen Euro wären, wird man doch belastet.

(Harald Schweitzer, SPD: Das ist doch Quatsch!)

Wir streiten doch gar nicht über die Höhe der Zahl, sondern über das Faktum. Diese Richtlinie würde zusätzliche Kosten produzieren. Davon wäre gerade die mittelständische Wirtschaft betroffen. Deswegen muss man doch darüber reden können. Ich kann die Landesregierung nur bitten. Wir werden das schlicht und einfach verfolgen, ob sie montags sagt, sie unterstütze den Mittelstand, und dienstags im Bundesrat dann dafür stimmt, ihm mehr Kosten aufzubürden. Das geht nicht.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Frau Kollegin Steinruck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will dann doch noch einmal feststellen, ich habe mir die alten Unterlagen angeschaut. Ich habe nicht nur den Richtlinienentwurf gelesen, sondern ich habe auch die alten Diskussionen gelesen. Ich habe die Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände gelesen, übrigens auch die Stellungnahmen von Behinderten- und Frauenverbänden und anderen. Ich denke, Sie sollten die Antidiskriminierungsrichtlinie als Chance begreifen und nicht als Belastung, sondern auch als Chance für die Menschen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Wirz, CDU)

Herr Creutzmann, selbst die Zahl der Schätzungen hat sich wiederholt. Genau diese Zahl ist schon vor Jahren durch die Gegend gegeistert. Von daher ist das auch nichts Neues.

(Harald Schweitzer, SPD: Sie sind für Diskriminierung!)

Sie wiederholen im Prinzip nur olle Kamellen. Von daher auch ein Hinweis: Der Richtlinienentwurf ist im Januar im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales des Europaparlaments mehrheitlich verabschiedet worden. Ich denke, die Kollegen von der CDU und von der FDP wissen, wie die Mehrheiten im Europaparlament sind, und so auch in den Ausschüssen.

(Creutzmann, FDP: Die FDP war dagegen!)

Es waren nicht nur die Kommunisten.

(Beifall der SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, da ich keine weiteren Wortmeldungen mehr sehe, kommen wir zur Abstimmung.

(Bracht, CDU: Keine Wortmeldung, Ausschussüberweisung!)

Ich bin der Meinung, man muss das hier alles ordentlich machen. Es ist Ausschussüberweisung beantragt. Gilt das auch für den Antrag der SPD-Fraktion?

(Abg. Bracht, CDU, nickt)

Für beide Anträge ist Ausschussüberweisung beantragt, und zwar an den Ausschuss für Europafragen – federführend – und den Sozialpolitischen Ausschuss.

(Bracht, CDU: Und bitte Wirtschaft!)

Wirtschaftsausschuss auch? – Einverstanden? – Gut, dann überweisen wir diese beiden Anträge – Drucksachen 15/2531/3073 – an den Ausschuss für Europafragen – federführend –, an den Sozialpolitischen Ausschuss und an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr. Gibt es dagegen Widersprüche? –

Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, damit haben wir die Tagesordnung abgearbeitet. Ich lade Sie zur nächsten Plenarsitzung am Mittwoch, den 4. März, um 14:00 Uhr ein.

Vielen Dank. Die Sitzung ist geschlossen.