Protokoll der Sitzung vom 03.09.2009

Exemplarisch unzureichend ist aber auch – Frau Dreyer, es tut mir leid, dass ich das sagen muss – der Masterplan. Er hat eine lange Geschichte. Dies insbesondere deshalb, weil er bisher keine spürbare Wirkung zeigt. Wir brauchen Leitlinien in der Gesundheitspolitik zur nachhaltigen Sicherung unseres solidarischen Gesundheitswesens.

Ich will das noch ganz kurz anhand von ein paar Punkten erläutern:

1. Freie Arzt- und Krankenhauswahl. Das ist der Kern einer freiheitlichen Gesundheitsversorgung. Damit darf die Krankenhausversorgung nicht durch einen Investitionsstau gefährdet werden. Den haben wir auch in Rheinland-Pfalz.

2. Wir brauchen Therapiefreiheit im Interesse der Patienten, damit sie das medizinisch Notwendige erhalten. Das ist mit Staatsmedizin nicht zu machen. Das sieht man in all den Ländern, in denen das praktiziert wird.

3. Die Solidarität: Jetzt komme ich zu dem Begriff „Solidarität“. Das ist ein Punkt, der bei unseren Vorschlägen – auch bei denen der FDP – immer in Abrede gestellt wird.

Diese Solidarität ist ohne Ihre Bürgerversicherung auch dann gegeben, wenn die Finanzierung von Gesundheitsleistungen zunehmend von den Arbeitskosten gelöst und der Solidarausgleich aus Steuermitteln geleistet wird. Es ist doch klar: Wer viele Steuern zahlt, handelt besonders solidarisch. Sie wissen genau, dass die Masse der Steuern von einem sehr kleinen Prozentsatz der Menschen gezahlt wird.

4. Wettbewerb, Bürokratieabbau und Transparenz: Ich will die Punkte nur anreißen. Sie erklären sich von selbst, bleiben aber Ziele, die immer und nachhaltig verfolgt werden müssen. Die Bürokratie frustriert die Leistungsanbieter zunehmend. Wiederum gilt das nicht nur für die Ärzte. Zu dem Thema „Transparenz“ kann man einfach noch einmal sagen: Das bedeutet in der Tat die verstärkte Anwendung von Kostenerstattungen anstelle von Sachleistungen. Ich sage aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung, ich muss immer wieder feststellen, dass Patienten die Medikamente nicht so einnehmen, wie sie sie einnehmen sollten, auch weil die Ärzte vielleicht zu wenig Zeit haben, sie intensiv zu beraten. Wenn man zu einem Notfall ins Haus kommt, sieht man eine Kiste mit Dutzenden von Präparaten stehen, die zum Teil alle nicht so genommen worden sind, wie sie genommen werden sollten. Was nichts kostet, ist oft nichts wert.

5. Prävention: Das ist ein wichtiges Thema. Die Prävention ist eine Investition in das Gesundheitswesen. Deshalb sollten für die Prävention durch die Weiterentwicklung von entsprechenden Versicherungsmodellen – Wahl- und Selbstbehaltungstarife – Anreize gegeben werden. Dabei muss die Ausübung des individuellen Gesundheitsverhaltens gefördert werden. Die Union im Bund konnte erfolgreich – ich sage bewusst „erfolgreich“, auch wenn es provokant klingt – ein Präventionsgesetz nach der Vorstellung der SPD verhindern. Der

von Ulla Schmidt vorgelegte Entwurf sieht nämlich eine zentralistische Behörde,

(Zuruf der Staatsministerin Frau Dreyer)

das ist ein Referentenentwurf, ich weiß –, bürokratische Antrags- und Bewilligungsverfahren sowie eine generelle Vereinheitlichung von Präventionsmaßnahmen vor. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat ein unbürokratisches, wettbewerbliches Konzept dagegengesetzt, das die Kooperation der Akteure und Maßnahmen fördert und dabei Bewährtes stärkt und weiterentwickelt. In diesem Konzept werden, im Gegensatz zu dem anderen Modell, eine zu starke Kollektivierung und eine zu starke Standardisierung abgelehnt. Vielmehr setzt es, wie es auch vernünftig ist, auf Einsicht und Verantwortung der Betroffenen.

Ich will noch erwähnen, dass die Selbstverwaltung zur Kultur des Gesundheitswesens gehört. Deshalb muss der staatliche Einfluss, wie er sich im Gesundheitsfonds zugunsten der Selbstverwaltung etabliert hat, reduziert werden.

Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal etwas zur Solidarität sagen. Thema „Gerechtigkeit“: In der Tat baut das Selbstverständnis eines Gesundheitssystems auf der Gerechtigkeit auf. Dazu gehört eine angemessene Honorierung – die kommt jetzt offensichtlich –, aber auch die Gewährleistung, dass die Ausgabenentwicklung die finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigt und der ländliche Raum nicht benachteiligt wird. Ich denke, dass wir in den Grundzielen gar nicht weit auseinander liegen. Es wird nur unterschiedlich formuliert.

Ich darf abschließend sagen: Wir werden dem Antrag der FDP auch zustimmen, da er fast in dieselbe Richtung zielt wie unser, nämlich in die Richtung einer nachhaltigen Sicherung des Gesundheitssystems.

(Beifall der CDU)

Vielen Dank. – Für die FDP-Fraktion hat Kollege Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön an die Präsidentin, die uns, abweichend von der Tagesordnung, die Chance gegeben hat, als Letzte zu diesem wichtigen Thema zu sprechen. Frau Präsidentin, das fand ich ausgesprochen charmant. Das hätte ich so nicht erwartet; das ist ein gutes Zeichen. Ich freue mich auch, dass wir ein wenig mehr Zeit haben als üblich, um uns über dieses wichtige Thema auszutauschen. Um der SPD noch einmal die Gelegenheit zu geben, darüber nachzudenken, sei vorab gesagt: Egal wie wir heute dazu stehen, fände ich es schön, wenn wir die drei Anträge an den Ausschuss überweisen würden, damit wir die Inhalte in Ruhe besprechen können. Vielleicht können Sie sich in dieser Richtung austauschen.

Am besten hat mir natürlich der Satz „Der Mensch steht für uns im Mittelpunkt“ gefallen. Das ist einfach großartig; das kommt so genial daher. Ich dachte nämlich immer, die rostigen Skalpelle und die Krankenhausheizungen stünden im Mittelpunkt. Nein, der Mensch steht für uns im Mittelpunkt. Wie schön und wie beruhigend!

Darüber hinaus heißt es: Wir haben ein gutes System, wir wollen die Bevölkerung nicht verunsichern. – Auch ich sage, ohne den Spott meiner vorherigen Bemerkung, wir haben ein gutes System, zumindest ein sehr ordentliches. Damit das so bleibt, sollten wir alle uns angstfrei mit der Politik der letzten 20 Jahre auseinandersetzen. Jeder war ein bisschen dabei, und daher kann man keinen Einzelnen für die Missstände verantwortlich machen, die es in diesem ganz ordentlichen System derzeit mehr als offensichtlich gibt.

(Beifall der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist kein Teil einer Schlechtredekampagne, sondern es ist eine realistische, solide Beschreibung der Zustände, die wir in diesem ganz ordentlichen System derzeit tatsächlich haben. Leider Gottes haben wir faktisch eine Rationierung. Wir haben auch hier schon über die Wartezeiten von GKVPatienten im Vergleich zu denen von PKV-Patienten gesprochen. Wir stellen mit Bedauern fest, dass wir in vielen Bereichen – längst nicht in allen – de facto eine Zwei-Klassen-Medizin haben. Wir haben schon sehr oft über den Investitionsstau bei den Krankenhäusern gesprochen. Wir sprechen immer wieder über die Nachwuchssorgen bei Ärzten und Pflegern.

Wir wissen, dass die Bürokratie in den letzten Jahren nicht ab-, sondern ausgebaut wurde, und – harte Fakten sprechen auch eine eindeutige Sprache – wir alle reden über die Notwendigkeit von Beitragssenkungen sowie Lohn- und Nebenkostenerhöhungen. Aber tatsächlich sind die Beitragssätze, die 1998 bei 13,6 % lagen – jetzt greife ich einmal die Zeit der SPD-Regierungsverantwortung in der Gesundheitspolitik heraus –, in die Höhe gestiegen. Das ist schon überraschend. Wenn man Beiträge, die bei 13,6 % liegen, senken will und am Ende, also zu Beginn dieses Jahres, bei satten, saftigen 15,5 % landet, kann man in diesem wichtigen Politikfeld – Herr Pörksen, ich warte auf Ihren Zuruf – nicht von einem Erfolgsmodell sprechen.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Auch das ist bemerkenswert: Dass man dann mit Geldern, die man nicht hat, durch die direkte Bezuschussung über das Konjunkturprogramm die Beiträge im Wahljahr künstlich auf elegante 14,9 % senkt, ist politisch zwar nachvollziehbar, fachlich-sachlich aber ein Trauerspiel.

(Beifall der FDP)

In diesem Umfeld sprechen wir über die drei Anträge. Bevor ich ins Detail gehe, gilt es festzuhalten: Es gibt einen Antrag, in dem es im Klartext heißt: Alles ist gut so, und wir müssen den Erfolgsweg weiter beschrei- ten. – Frau Grosse, wenn dieser Erfolgsweg aber eine Sackgasse ist, rennt man am Ende dieser Gasse mit der

Nase gegen die Wand. Das sollten wir alle tunlichst vermeiden. Dieser Weg der Strangulation eines potenziell boomfähigen Marktes kann nicht der richtige sein.

(Frau Schleicher-Rothmund, SPD: Aber jetzt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Jetzt mache ich Ihnen richtig Angst, Herr Schweitzer. Noch sind Sie pumperlgesund; zumindest wirken Sie so. Ich hoffe, das bleibt noch lange so.

(Pörksen, SPD: Aber Sie können ihm ja einen gesunden Zahn ziehen!)

Aber auch für uns selbst sollten wir ein Interesse daran haben, ein gutes Gesundheitssystem dauerhaft vorzuhalten. Ich bin überzeugt davon, wenn wir das, worum wir uns als Vokabel alle bemühen, nämlich ein soziales und solidarisches Gesundheitssystem, wirklich wollen – jawohl, Frau Grosse: Jung für Alt, Reich für Arm, Gesund für Krank, wer will das nicht –, müssen wir den letzten Punkt des SPD-Antrags ernst nehmen, dass wir die Gesundheitswirtschaft an all den Stellen wachsen lassen, an denen das Solidarische und Soziale nicht betroffen ist. Damit schaffen wir in diesem boomfähigen Markt Gewinne, Umsätze und Mehrwert überall da, wo Gesundheitsleistungen, die die Bevölkerung haben will, mit dem Kauf von Konsumgütern und All-inclusiveReisen in die Dominikanische Republik konkurrieren. Wenn wir dort Umsätze zulassen für das, was vermeintlich und angeblich das Wichtigste für die Menschen ist, schaffen wir es, die Ressourcen Sozialstaatlichkeit und Solidarität im Gesundheitssystem wirklich zu erhalten und das System demografiefest zu machen.

Frau Kollegin Grosse, davon haben Sie nachvollziehbarerweise in Ihrem Beitrag nicht gesprochen. Aber auch das ist eine große Herausforderung.

Meine Damen und Herren, deshalb genügt es nicht, die politischen Ziele untereinanderzuschreiben und in einer nicht ganz sachgerechten Art und Weise zu versuchen, das, was in unserem Antrag bewusst positiv formuliert ist, mit Unterstellungen zu kommentieren, die so unseren Vorstellungen nicht entsprechen. Ich frage mich, wer das aufgeschrieben hat. Man sollte versuchen, zumindest im gedanklichen Austausch aufeinander zuzugehen und angstfrei über die unterschiedlichen Konzepte zu sprechen.

Hinsichtlich der Äußerung, weiterzumachen wie bisher, kann ich dem Kollegen Enders nur recht geben. Die Fehler, die wir jetzt 90 % zumuten, in einem Akt sozialdemokratischer Gerechtigkeit auf 100 % auszudehnen, kann nicht der Erfolgsweg sein. Das ist diese Sackgasse.

Ihr Fraktionsvorsitzender hat heute Morgen in einem anderen Zusammenhang zumindest sinngemäß erwähnt, es zeichnet uns aus – das reklamiert er für Ihre Fraktion und Partei –, dass wir aus Fehlern lernen.

Lassen Sie uns doch gemeinsam in diesem Politikfeld aus Fehlern lernen! Lassen Sie uns doch einmal darüber nachdenken, welchen Sinn es macht, auch in diesem Antrag wieder die Präventionskarte hochzuhalten, wohl

wissend, dass es bisher ein Präventionsgesetz über zwei Legislaturperioden weder bei Rot-Grün noch bei der Großen Koalition gibt! Jeder wollte es, es gibt es aber nicht.

Frau Grosse, halten Sie sich an das Faktische. Erklären Sie, jawohl, wir haben es bisher nicht geschafft. Sie werden es auch zukünftig nicht schaffen, weil Sie anders als hier im Bund die absolute Mehrheit dieses Mal wahrscheinlich verfehlen werden. Deshalb werden Sie wahrscheinlich auch dieses Mal, wenn überhaupt, nicht ohne Koalitionspartner auskommen. Dann werden Sie mit Ihrer „Kopf-durch-die-Wand-Politik“ nicht klarkommen.

Die Bürgerversicherung ist eine das Herz wärmende Vokabel. Sie ist aber ansonsten Ausdruck dessen, was hinter dieser Sackgassenmauer droht. Ich habe oft davon gesprochen, dass dieses System planwirtschaftliche, misswirtschaftliche und mangelverwaltende Züge trägt. Der Ministerpräsident hört es nicht gern, wenn ich es als kleine DDR bezeichne.

(Ministerpräsident Beck: Das ist ja auch eine Zumutung!)

Die Bürgerversicherung würde die Sache in der Tat rund machen. Dann haben Sie nicht mehr die kleine DDR. Dann sind Sie richtig in einem System angekommen, wo irgendjemand großkopfert ganz oben zentral entscheidet, was Lieschen Müller an Arztwahl und an Therapiechancen bekommt. Wenn es das ist, was Sie wollen, ist es das Gegenteil – Ihre Aufregung ist nur zu verständlich – dessen, was wir alle wollen sollten.

(Zuruf des Abg. Ramsauer, SPD)

Herr Ramsauer, ich kann differenziert hören. Trotzdem höre ich Ihnen zu.

(Glocke der Präsidentin)

Deshalb plädiere ich noch einmal am Ende dieses Gedankenaustauschs dafür, dass wir uns die Chance nicht verstellen, gerade jetzt am Rande der Bundestagswahl in der nächsten Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses über die drei Anträge und die Gesundheitspolitik zu sprechen. Ich jedenfalls stelle diesen Antrag und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP – Frau Pepper, SPD: Machen Sie doch einmal einen Geschichtsaufarbeitungskurs!)

Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Dreyer das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich möchte auf die Äußerungen von Herrn Dr. Schmitz zurückkommen.

Herr Dr. Schmitz, die Debatte war am Anfang ganz sachlich. Es ist aber vollkommen daneben, einen Vergleich zwischen der kleinen DDR und unserem Gesundheitssystem zu ziehen.

(Beifall der SPD)

Sie beginnen alle damit – das ist eine Gemeinsamkeit in allen drei Anträgen; das möchte ich hervorheben – zu sagen, dass wir insgesamt ein leistungsfähiges und gutes Gesundheitssystem in Deutschland haben. Das wird auch von allen Experten dieser Welt bestätigt, auch wenn es Unzufriedene im Gesundheitssystem gibt.