Protokoll der Sitzung vom 11.11.2009

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion eingebracht wurde, haben wir auch in unserer Fraktion intensiv beraten und den Wissenschaftlichen Dienst, für dessen Arbeit ich mich im Namen meiner Fraktion ganz herzlich bedanke, um die Begutachtung dieses Problemfalls und um die Darstellung gegebenenfalls anderswo stattgefundener Regelungen gebeten. Dies alles haben wir in unsere Überlegungen mit einbezogen wie auch die Anhörung, die in der vergangenen Legislaturperiode stattgefunden hat, sodass wir uns in dieser Legislaturperiode nur zur Durchführung einer beschränkten Anhörung entschieden haben, da wir vieles, was schon gesagt wurde, nicht wiederholen wollten.

Wir haben jedoch in das Zentrum unserer Überlegungen die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler gestellt. Auf sie kommt es an, weil sie kraft Gesetzes einer Schulpflicht unterliegen und deshalb in die Schule gehen müssen. Deshalb muss die Frage der Wirkung des Tra

gens von religiösen Symbolen und Ähnlichem aus der Sichtweise dieser Schüler beleuchtet werden. Dabei kommt es weniger darauf an, was die erwachsenen Lehrerinnen und Lehrer für sich beanspruchen. Sie sind dort im Auftrag des Staates und unterrichten diese Schülerinnen und Schüler. Deswegen kommt es auf den abstrakten Empfängerhorizont dieser Schülerinnen und Schüler an, und das war uns wichtig.

(Beifall der FDP)

Unsere Anhörung hat ergeben, dass es sehr wohl sehr verdichtete Hinweise gibt, dass einige – ich sage ausdrücklich dazu, nicht alle – im Islam das Kopftuch über die bloße religiöse Symbolik hinaus in einer ganz anderen Art und Weise verstehen, nämlich in der Form, dass es auch als Symbol der Unterdrückung der Frau verstanden wird. Das ist etwas, was nach unserer Verfassung so nicht in Ordnung ist.

(Beifall der FDP)

Bei den Grundrechten, die normalerweise als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat ausgestaltet sind, haben wir gerade bei dem Grundrecht, bei dem es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht, eine Veränderung vorgenommen. Diese Veränderung geht jetzt dahin, dass der Staat eine Handlungspflicht hat, dies durchzusetzen. Ausgehend hiervon meinen wir sehr wohl, dass eine gesetzliche Änderung notwendig ist. Sie ist aber sehr schwierig zu treffen; denn wir wollen eine gesetzliche Änderung haben, bei der jeder seine religiösen Symbole, wenn sie denn mit allen übrigen in der Verfassung in Einklang stehen, auch zukünftig soll tragen können.

Wer einen Halbmond tragen möchte, soll es tun können. Wer ein Kreuz tragen möchte, soll es tun können.

(Beifall der FDP)

Wer ein anderes Symbol tragen möchte, soll es tun können. Herr Kollege Wilke, das ist das Problem bei Ihrem Gesetzentwurf. So wie er formuliert ist, müssen wir davon ausgehen, dass er nach der bisher ergangenen Rechtsprechung damit endet, dass gesagt wird, er muss verfassungskonform ausgelegt werden. Das bedeutet, nicht nur das Kopftuch, sondern alle religiösen Symbole müssen dann weg. Dazu gibt es entsprechende Urteile, die die Regelung in Baden-Württemberg betreffen, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht. Die Regelung in Baden-Württemberg ist vergleichbar mit der, die Sie treffen.

Wir bemühen uns um eine Formulierung, die genau das verhindert, die aber außerordentlich schwierig zu treffen ist. Ich gehe auch nicht davon aus, dass wir behaupten wollen – das tun wir auch nicht –, dass wir in der Lage wären, heute zu sagen, jawohl, diese Formulierung würde vor dem Bundesverfassungsgericht halten. Das kann ich Ihnen nicht sagen.

(Zuruf der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Frau Kollegin, ich bin an der Stelle nüchtern. Dieser Gesetzentwurf mit der hier vorgestellten Zielvorstellung

hat noch nie beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung angestanden.

(Weitere Zurufe der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Das, was das Bundesverfassungsgericht bisher entschieden hat, ist eben etwas anderes als die Fragestellung, die wir auf den Weg bringen.

Solange das Bundesverfassungsgericht über etwas nicht entschieden hat, kann ich mich nicht hierhinstellen und sagen, ich kann es garantieren.

Aber wir haben sehr sorgfältig geprüft, und wir meinen, dass dies ein Weg ist, bei dem es gelingen könnte, auch das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, dass dies eine Regelung ist, die den geringstmöglichen Eingriff bei allen, die sich religiös bekennen wollen, bedeutet, aber gleichzeitig auch Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Schülerinnen und Schüler nimmt. Frau Kollegin, das sind die Schwächsten im Spiel.

(Beifall der FDP – Zurufe der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Diese hat der Staat an dieser Stelle durchaus in den Blick zu nehmen. Deswegen meinen wir, dass es sich lohnen würde, in großer Gemeinsamkeit eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen, bei der wir – das bekenne ich offen – das letzte verfassungsrechtliche Risiko schlichtweg nicht ausschließen können; denn wir sind nicht das Bundesverfassungsgericht. Aber wir meinen, es lohnt sich, bevor wir einen Gesetzentwurf verabschieden, der zur Folge hat, dass am Schluss alles untersagt wird, einen Gesetzentwurf zu haben, der die Chance eröffnet, nur das aus der Welt zu schaffen, was die Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen kann.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP)

Ich erteile Frau Staatsministerin Ahnen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte ausdrücklich das unterstreichen, was eigentlich von allen gesagt worden ist, dass es sicherlich ein Thema ist, das sorgfältiges Vorgehen erfordert. Ich glaube, sich gerade nach dieser langen Zeit und in mehreren Anlässen mit einem solchen Gesetzentwurf zu befassen, zeigt, dass man allen Beteiligten unterstellen darf, dass sie sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht haben und durchaus bereit waren, einmal getroffene Entscheidungen auf den Prüfstand zu stellen, sich rückzuversichern, ob man den Weg, den man bisher eingeschlagen hat, weitergehen kann, oder ob es Korrekturen bedarf.

Ich bin sehr dankbar, dass Herr Wilke heute gesagt hat, wir können einen Gesetzentwurf beschließen. Das ist

offensichtlich auch ein erfreuliches Ergebnis der Diskussion in den letzten Wochen und Monaten, weil bei den anfänglichen Beratungen regelmäßig der Eindruck erweckt wurde, das Bundesverfassungsgericht hätte gesagt, wir müssten einen Gesetzentwurf verabschieden.

Ich möchte deswegen an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen, das hat das Bundesverfassungsgericht nicht getan, sondern das Bundesverfassungsgericht hat zwei Wege aufgezeigt. Diese beiden Wege finde ich nach wie vor wichtig, weil das Bundesverfassungsgericht damit auch beschreibt, wie man diese Frage einschätzen kann, nämlich einerseits zu sagen, wenn man das nicht will, dann muss man die Grenzen der Neutralitätspflicht in der Schule neu abstecken, wenn man keine Kopftuch tragenden Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen möchte. Die zweite Alternative, die das Bundesverfassungsgericht aufgemacht hat, ist, zu sagen, man muss es aktiv mit der zunehmenden religiösen Vielfalt in der Schule im Rahmen der bestehenden rechtlichen Rahmen aufnehmen und als Mittel für die Einübung gegenseitiger Toleranz nutzen.

Sie wissen, dass wir uns bisher für diesen zweiten Weg entschieden haben. Wir wollen bei diesem zweiten Weg auch bleiben.

Ihr Ansatz ist der, Herr Wilke, Sie reduzieren das Kopftuch auf das Symbol zur Unterdrückung der Frau. Damit ist das für Sie völlig klar. Deswegen muss das verboten werden.

Aus unserer Sicht ist die Welt an dieser Stelle sehr viel komplexer. Wir wollen einer Kopftuch tragenden Muslima nicht von vornherein unterstellen, dass sie nicht in der Lage sei, sich gegenüber den Schülerinnen und Schülern in einer Schule neutral zu verhalten. Das ist der Unterschied. Wir sagen, die Neutralitätspflicht steht nicht in Rede. Diese ist klar geregelt. Aber wir sagen nicht, nur weil eine Frau ein Kopftuch trägt, unterstellen wir ihr, dass sie sich nicht an diese Neutralitätspflicht halten würde. Deswegen gehen wir diesen Weg und sagen, wir nehmen diese zunehmende religiöse Vielfalt auf. Ja, wir wollen sie in unseren Schulen nutzen und aktiv damit umgehen, um auch gegenseitige Toleranz einzuüben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich weiß auch, dass wir uns damit mit Sicherheit nicht den bequemen Weg ausgesucht haben. Wenn dann so Worte fallen, Herr Wilke, wie „Sie können sich darauf verlassen, dass Sie den nächsten Konflikt wieder haben werden“, dann sage ich Ihnen schon, das ist nicht mein Herangehen. Mein Herangehen ist das, ja, das ist ein schwieriger Weg, weil wir wissen, dass es im Einzelfall immer wieder zu Diskussionen kommen kann. Wir werden uns, sollte es so kommen, diesen Diskussionen stellen und werden Wege gehen und finden, um den Schulfrieden zu wahren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie suggerieren, es hätte eine Vielzahl von Fällen gegeben, Worms, Speyer und so weiter,

(Pörksen, SPD: Wo ist denn „und so weiter“?)

dann wissen Sie auch, dass es sich um einen Fall handelt, in dem es in der Tat zu einem Konflikt gekommen ist. Aber Sie wissen auch, dass wir gemeinsam mit der Schulaufsicht durch umsichtiges Handeln auch in diesem Fall letztlich eine akzeptable Lösung gefunden haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein zentraler Punkt ist – Herr Mertin, da bin ich Ihnen dankbar, weil Sie sich nicht um diese Frage drumherum mogeln, sondern sie offen ansprechen –, die Bundesrepublik Deutschland ist kein laizistischer Staat. Unsere Befürchtung ist die, dass dann, wenn man einen Gesetzentwurf macht, wie ihn die CDU vorlegt, am Ende auch christliche Symbole aus unseren Schulen verdrängt werden können, weil Sie völlig zu Recht darauf hingewiesen haben, dass diese Frage vom Bundesverfassungsgericht nicht entschieden ist. Herr Wilke, dann einfach zu sagen, unser Gesetzentwurf ist verfassungsfest, ist schon ein mutiges Wort an dieser Stelle.

Ich teile ganz ausdrücklich die Zweifel, die Herr Mertin an dieser Aussage eben sehr deutlich noch einmal belegt hat.

(Beifall bei der SPD)

Ob der Versuch der FDP, diese Frage zu umgehen, letztlich am Ende tragen würde, dazu haben Sie selbst gesagt, mit letzter Sicherheit kann man das nicht sagen. Deswegen sind es mehrere Gründe, die uns am Ende zu der Entscheidung führen, dass wir kein Gesetz wollen.

Es gibt den Grund, wir sagen, wir befürchten durch ein solches Gesetz eher eine Polarisierung in der Gesellschaft als die Wahrung des Schulfriedens. Wir haben erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel. Wir befürchten in der Konsequenz, dass letztlich auch andere Symbole aus unseren Schulen verdrängt werden. Das wollen wir so nicht.

Das zusammengenommen lässt uns zu dem Ergebnis kommen, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und uns weiter bemühen wollen. Einzelfallkonflikte kann man nie ausschließen. Das habe ich nie gesagt. Wir wollen mit all dem, was uns zur Verfügung steht, zu einer Befriedung in den Schulen beitragen. Wir sind der Meinung, ein Gesetz hilft uns dabei nicht wirklich weiter. Dieser zweite ausdrücklich eröffnete Weg ist aus unserer Sicht mit den drei genannten Gründen der bessere.

(Beifall der SPD)

Als Gäste begrüße ich die Müttergruppe aus Niederwerth. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Frau Abgeordneter Sahler-Fesel das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Mertin, ich möchte noch einmal auf das schwächste Glied in der Kette eingehen. Das haben Sie eben angesprochen. Das sind die Schüler. Als SPD-Fraktion haben wir ganz bewusst die Schüler mit angehört. Bei uns in der Anhörung waren die Vertreter der Landesschülervertretung. Der Vertreter hat sich sehr klar ausgedrückt und positioniert. Die Landesschülervertretung hat diskutiert und sagt, eigentlich wollen wir Religion und Schule voneinander trennen. Genauso klar haben sie aber klargestellt, dass sie für Freiheit und dafür sind, dass das Kopftuch getragen werden kann, wenn es gewünscht wird. Sie sehen darin eine Chance für die Schüler, sich damit auseinanderzusetzen, darüber zu diskutieren und es als Gespräch in die Schule zu bringen.

Eine Gefahr für die Schüler, dass sie durch das Kopftuch beeinflusst würden, beispielsweise zum Islam überzutreten, haben sie nicht gesehen. Sie sahen es als Diskussionsgrundlage an. Sie haben es auch als wichtig für die Frauen angesehen. Wir haben uns um die schwächsten Glieder gekümmert. Wir haben ganz bewusst die Schülervertretung mit angehört. Wir sind uns mit der Landesschülervertretung einig, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Danke. (Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP – Drucksache 15/3985 – ab. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der CDU abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf – Drucksache 15/3125 –. Die Beschlussempfehlung lautet: Ablehnung des Gesetzentwurfes. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke! – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der SPD gegen die Stimmen der CDU bei Stimmenthaltung der FDP abgelehnt.