Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

(Beifall der CDU)

Genau das ist der Eindruck, den wir von Ihrer Regierung an dieser Stelle haben.

Die Fakten, auf die ich gleich noch näher eingehe,

(Ramsauer, SPD: Auf die bin ich gespannt!)

haben wieder belegt – das sind die Antworten der Landesregierung –, dass sich Rheinland-Pfalz im Vergleich der 16 Bundesländer kaum bewegt hat, wenn es darum geht festzustellen, wie viele Erwerbstätige oder auch wie viele Sozialversicherungspflichtige oder wie viele Beschäftigungsverhältnisse wir in Rheinland-Pfalz haben.

Damit man ein Land wie Rheinland-Pfalz mit großen Bundesländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen vergleichen kann, muss man natürlich auf einen vergleichbaren Modus kommen. Den findet man, indem man die Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse auf 1.000 Einwohner umrechnet. Wenn man dies tut,

stellt man fest, dass Rheinland-Pfalz bei den Erwerbstätigen nach wie vor einen nicht zu bejubelnden 11. Platz in dem Ranking aller Bundesländer einnimmt. Dieser Platz hat sich seit Jahren nicht verbessert. Bei einem Vergleich mit den alten Bundesländern stehen wir auf einem nach wie vor traurigen vorletzten Platz.

Noch schlechter sieht es aus, wenn wir uns die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse an- schauen und einen Vergleich mit der Situation der erwerbstätigen und der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in allen anderen Bundesländern anstellen.

Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nimmt Rheinland-Pfalz im Vergleich mit allen 16 Bundesländern Platz 14 ein. Schlechter sind von den alten Bundesländern Schleswig-Holstein und von den neuen Bundesländern Brandenburg.

Es gibt also überhaupt keinen Grund, sich in irgendeiner Weise für leicht überdurchschnittliche Steigerungsraten zu loben und darüber froh zu sein. Andere haben auch Steigerungsraten. Ich sage immer, von einem niedrigen Niveau aus habe ich es leichter, gute Steigerungsraten zu erzielen. Wer aber schon viele Arbeitsplätze hat, muss vergleichsweise mehr dazugewinnen, um entsprechende Steigerungsraten vorweisen zu können.

Weshalb ist uns dieses Thema so wichtig? Weil wir der Auffassung sind, dass die Erwerbsarbeit für die Menschen in unserem Land wichtig ist. Wir sind der Auffassung, dass diese Erwerbstätigkeit möglichst nahe bei den Menschen möglich sein muss, weil sie nur dann leicht erreichbar ist.

Wir haben das hohe Risiko, dass in einem Pendlerland wie Rheinland-Pfalz viele Menschen weite Wege auf sich nehmen zu Arbeitsplätzen außerhalb unseres Bundeslandes nach Nordrhein-Westfalen, nach Luxemburg, nach Hessen und nach Baden-Württemberg. Eine Steigerung der Benzinkosten und eine Steigerung der ÖPNV-Kosten kann dazu führen, dass sich immer mehr Menschen einen anderen Wohnort suchen, nämlich einen Wohnort – – –

(Ministerpräsident Beck: Aber umgekehrt ist es doch! Die kommen doch zu uns!)

Herr Beck, hören Sie doch auf! Herr Ministerpräsident, ich habe gewusst, dass Sie mit diesem unsinnigen Einwand kommen.

(Ministerpräsident Beck: Das ist kein unsinniger Einwand!)

Sie sollten sich Ihre Zuwanderungsstatistik ansehen und einmal in die statistischen Monatshefte schauen. Wir hatten in diesem Frühjahr das erste Mal einen negativen Wanderungssaldo.

(Beifall der CDU)

Packen Sie also diese faule Ausrede Zuwanderung bitte in die Mottenkiste; denn da gehört sie hin.

Wir haben also das Risiko vor Augen, dass mit der Steigerung der Kosten der Mobilität immer mehr Menschen dieses Land verlassen und zu ihren Arbeitsplätzen

(Fuhr, SPD: Wir bluten aus!)

in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ziehen.

Wir haben nach wie vor einen erheblichen Auspendlerüberschuss. Viel weniger Menschen pendeln zu uns ein. Dieses Risiko wird auch die Lage der Infrastruktur in Rheinland-Pfalz verschärfen; denn genauso wie auch in anderen Bundesländern kommen auf uns ohnehin die Lasten der Demografie zu. Es gibt weniger Menschen im ländlichen Raum – schon allein, weil weniger geboren werden. Dazu käme dann noch der Wegzug zum Arbeitsplatz in andere Bundesländer. Das würde gerade die Flächenregionen in Rheinland-Pfalz besonders hart treffen. Dies darf man nicht ignorieren und es permanent mit wirklich dummen Ausreden schönreden. Damit werden Sie der Entwicklung in diesem Land nicht gerecht, Herr Ministerpräsident.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Das ist keine dumme Ausrede, sondern die Wahrheit! Sie haben keine Ahnung!)

Ich appelliere an Sie, sich einmal die Zuwanderungsstatistik anzuschauen. Dieses Argument haben Sie vor drei Jahren angeführt. Damals hatten wir noch einen positiven Saldo. Ich habe Ihnen aber die Zuwanderungszahlen – auch in Bezug auf die Gesellschaftsgruppen – dargelegt. Den immer angeführten Frankfurter Banker, der in die Pfalz zieht, gibt es bei dieser Zuwanderungsstatistik nicht, Herr Beck.

Schauen wir uns die Auswirkungen dieser Entwicklung auf andere Felder an, zum Beispiel auch auf das Thema „Armut und Reichtum“. Die Landesregierung stellt in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht zu Recht fest, dass Erwerbstätigkeit das Risiko vermindert, unter Armut leiden zu müssen. Das ist eine absolut richtige Feststellung. Ich kann auch einmal die Zahlen nennen. Die Armutsgefährdungsquote für Erwerbstätige lag in Rheinland-Pfalz im Jahr 2008 bei 7,4 %. Damit war sie halb so hoch wie die durchschnittliche Armutsgefährdungsquote von 14,5 %. Das bedeutet, dass Erwerbstätigkeit vor Armut schützt. Deshalb müssen wir alles tun, damit möglichst viele Rheinland-Pfälzerinnen und RheinlandPfälzer die Chance bekommen, hier in Rheinland-Pfalz auch erwerbstätig zu sein.

(Beifall bei der CDU)

Armut bekämpft man also mit Arbeitsplätzen, und zwar nicht in Nordrhein-Westfalen oder in Baden-Württemberg, sondern am besten in Rheinland-Pfalz.

Ich komme zu einem weiteren Feld, für das diese Situation ein erhebliches Risiko darstellt. Das ist der Ausbildungsmarkt. Wenn es schon für erwachsene Erwerbstätige schwierig ist, weite Anfahrtswege zu ihren Arbeitsplätzen auf sich zu nehmen, und sich die Frage stellt, ob das Sinn macht oder ob sie nicht zum Arbeitsplatz zie

hen, liegt es doch nahe, dass für junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, noch engere Grenzen gegeben sind als für einen Erwachsenen. Einen 15- oder 16-Jährigen schicke ich nicht 100 Kilometer zu einem Ausbildungsplatz – von dem ökonomischen Unsinn einmal ganz abgesehen. Deshalb ist es auch schwierig, in Zukunft die jungen Menschen in Rheinland-Pfalz mit hinreichend erreichbaren Ausbildungsplätzen zu versehen.

Aus diesem Grund ist es wichtig, alle Energie in die Anstrengung zu stecken, hier in Rheinland-Pfalz mehr Arbeitsplätze für die rheinland-pfälzischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schaffen. Das ist auch mein Appell, den ich heute an Sie richte.

Ich will zum Ende noch einige Zahlen nennen, die dieses Auspendlerrisiko belegen. Wir haben wirklich mobile Menschen, denen man dankbar sein muss; denn ohne deren Mobilität hätten wir eine erheblich höhere Arbeitslosenquote. Bei der Arbeitslosenquote profitieren wir von dieser Mobilitätsbereitschaft und von vielen starken Regionen außerhalb von Rheinland-Pfalz. Bei den Erwerbstätigen standen in Rheinland-Pfalz 2008 169.200 Einpendlerinnen und Einpendlern, die zu uns zur Arbeit kamen, 321.900 Auspendlerinnen und Auspendler gegenüber. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren es 134.310 Einpendlerinnen und Einpendler gegen 266.075 Auspendlerinnen und Auspendler. Auch hier hat sich die Situation also nur unwesentlich verändert.

Deshalb ist es wichtig, dass wir an dieses Thema mit dem nötigen Ernst herangehen, politisch die Prioritäten setzen und aufhören, uns die Situation mit Menschen, die in die schöne Pfalz ziehen, schönzureden. Dafür werben wir an dieser Stelle.

Danke schön.

(Beifall der CDU – Schweitzer, SPD: Haben Sie die Rede selbst geschrieben?)

Ich erteile dem Kollegen Sippel von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Thelen, Sie malen ein relativ düsteres Bild. Das gibt dieser Bericht so nicht her – wobei ich hoffe, dass wir den gleichen Bericht zur Grundlage unserer Ausführungen haben. Ich komme zu anderen Bewertungen. Das wird Sie nicht verwundern. Zunächst einmal gibt die Beantwortung dieser Großen Anfrage zwei zentrale Aussagen her:

1. Armut und Armutsrisiko hängen sehr maßgeblich von der Frage eines auskömmlichen Erwerbseinkommens ab. Arbeitslosigkeit macht in unserer Gesellschaft in zunehmendem Maße arm. Hinzu kommt, dass Armut

auch davon abhängt, ob es gelingt, Arbeitsverhältnisse zu schaffen, bei denen das Einkommen reicht, um möglichst ein halbwegs vernünftiges Auskommen zu sichern.

2. Die gute wirtschaftliche Entwicklung des Landes Rheinland-Pfalz hat sich auch auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Die Menschen in unserem Land haben bessere Bedingungen als in den meisten Ländern dieser Republik. Das ist ein schönes Ergebnis und ein Beleg für eine wirtschaftsfreundliche und mittelstandsorientierte Politik in Rheinland-Pfalz.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, der Armuts- und Reichtumsbericht stellt den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Armutsrisiko unmissverständlich klar. Das Armutsrisiko liegt bei den erwerbslosen Menschen bei rund 53 %. Das ist eine bemerkenswerte Zahl. Dies zeigt auch, dass wir auf allen Ebenen versuchen sollten, Arbeitsplätze zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Aber auch bei den Erwerbstätigen liegt die Quote bei 7,4 %. Das ist immer noch ein Wert, der uns nicht ruhen lassen kann. Dieser Befund zeigt, dass sich die Lohnspirale auf dem Arbeitsmarkt weiter nach unten dreht und wir ein Regulativ brauchen. Wir brauchen gesetzliche Mindestlöhne, um hier den freien Fall zu verhindern und den Menschen wieder eine Form der Wertschätzung für gute Arbeit entgegenzubringen und letztendlich auch deren Auskommen zu sichern.

(Beifall der SPD)

Es ist sowohl aus moralischen und ethischen als auch aus christlichen Gesichtspunkten heraus nicht verantwortbar, Menschen mit Hungerlöhnen unterhalb der Armutsgrenze abzuspeisen. Das ist auch wirtschaftspolitisch falsch, weil es die Binnenkonjunktur schwächt. Aus der Krise haben wir doch gelernt, dass wir uns nicht allein auf den Export konzentrieren können, sondern auch eine Stabilisierung der Binnenkonjunktur und eine Stärkung der Kaufkraft brauchen.

(Frau Thelen, CDU: Wissen Sie, dass es um die Aussprache zu dieser Großen Anfrage geht? Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern!)

Die Frage des Armutsrisikos ist natürlich ein wichtiger Bestandteil.

(Schweitzer, SPD: So ist es!)

Das hängt davon ab, ob wir den Menschen ein Auskommen zubilligen.

(Beifall der SPD)

Die Lohnsumme ist 2009 in unserem Land gefallen. Das hat natürlich auch eine Auswirkung auf die Frage, ob Menschen sich einen angemessenen prozentualen Anteil an dem Durchschnittseinkommen sichern können oder nicht.

Meine Damen und Herren, Leistung muss sich wieder lohnen; das ist richtig. Ich füge aber hinzu: Arbeit muss sich wieder lohnen, und zwar nicht nur für die Menschen in den Chefetagen, sondern gerade auch für die Menschen, die im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. – Dieser Sektor ist in den vergangenen Jahren permanent gewachsen. Die Lohnunterschiede sind ebenfalls gestiegen.