Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

Meine Damen und Herren, Leistung muss sich wieder lohnen; das ist richtig. Ich füge aber hinzu: Arbeit muss sich wieder lohnen, und zwar nicht nur für die Menschen in den Chefetagen, sondern gerade auch für die Menschen, die im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. – Dieser Sektor ist in den vergangenen Jahren permanent gewachsen. Die Lohnunterschiede sind ebenfalls gestiegen.

Die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse hat die Unsicherheit der Menschen verstärkt und den sozialen Aufstieg blockiert, in vielen Fällen sogar einen sozialen Abstieg bewirkt. Sie kennen die entsprechenden Fälle auch aus Ihrem Wahlkreis. Ich habe erst gestern mit einem Stapelarbeiter gesprochen, der als Leiharbeiter beschäftigt ist. Er hat mir seine Lohnsituation dargestellt. Für einen Monat vollschichtige Arbeit erhält dieser Mann 1.180 Euro brutto. Das macht einen Nettobetrag von 800 Euro aus. Davon gehen noch die Fahrtkosten ab.

Meine Damen und Herren, dies ist kein Einzelfall, sondern die Realität. Natürlich hat das etwas damit zu tun, ob Menschen dann auch an unserer Gesellschaft teilhaben können, ob es ihnen also möglich ist, beim gesellschaftlichen Leben mitzumachen.

Deshalb ist es notwendig, dass wir eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen. Wir brauchen Mindestlöhne, eine Stärkung der Tarifverträge und der Mitbestimmung, eine Begrenzung von Leih- und Zeitarbeit auf den eigentlichen Zweck der Abfederung von Arbeitsspitzen und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, der Bericht zeigt erfreuliche wirtschaftliche Ergebnisse auf.

Frau Thelen, das ist meine Bewertung der Dinge. Das sind objektive Zahlen aus dem Bericht. Wir haben, was die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort Rheinland-Pfalz anbelangt, in den Jahren 2005 bis 2009 eine Zunahme um 4,6 % zu verzeichnen. Das sind über 50.000 Arbeitsplätze. Man kann nicht sagen, es ist nichts erreicht worden. 50.000 Arbeitsplätze sind ein guter Erfolg für das Land Rheinland-Pfalz.

(Beifall bei der SPD)

Das ist bezogen auf 1991 eine Zunahme um 11,1 %. Auch das ergibt der Bericht. Der Zuwachs – ich denke, das ist auch positiv – ergibt sich im Wesentlichen aus Zukunftsbranchen, nämlich aus dem Bereich Gesundheits- und Sozialwesen oder der wirtschaftlichen Dienstleistungen. Das sind Bereiche, die Zukunft haben und uns sicher machen, dass damit langfristige Effekte auf dem Arbeitsmarkt verbunden sind.

Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,7 %. Ich denke, diese kann sich sehen lassen. Hier liegen wir bundesweit auf Platz 3 hinter Bayern und Baden-Württemberg. Das ist ein Ergebnis, auf das wir stolz sein können. Wenn wir heute erleben, dass wir in Teilen von Rheinland-Pfalz auch in Anbetracht der Krise fast eine Vollbeschäftigung

haben, kann man wirklich schon von einem kleinen Jobwunder sprechen.

(Beifall der SPD)

Wenn Sie von einer Beschäftigungslücke ausgehend von einem Auspendlerüberhang sprechen, finde ich es wirklich grotesk, dies so zu beschreiben und zu begründen. Auf dem Arbeitsmarkt ist es wichtig, dass wir flexible Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben und die Menschen dorthin gehen, wo es Arbeitsplätze gibt.

Wir leben in Deutschland und in Europa von einer Arbeitsteilung. Das ist doch gar keine Frage. Es ist so, dass Rheinland-Pfalz weitgehend von ländlichen Regionen geprägt ist, die in Nachbarschaft zu Ballungsräumen angesiedelt sind. Es ist völlig klar und nichts Verwerfliches, dass Menschen in diesen Ballungsräumen arbeiten.

Es ist ein Beleg für die Lebenssituation und die Lebensqualität in diesem Land, dass die Menschen trotzdem hier wohnen bleiben. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich komme aus dem Landkreis Alzey-Worms. Wir haben in den letzten 25 Jahren einen Zuwachs von 30 % Menschen insbesondere aus dem Rhein-Main-Gebiet zu verzeichnen, die zu uns gezogen sind und ihre Arbeitsstätte teilweise noch im Rhein-Main-Gebiet haben.

Diese sind wegen der Lebens- und Wohnqualität zu uns gekommen. Sie gelten nach dem Bericht als Auspendler, weil sie nach wie vor ihrer Tätigkeit in Frankfurt oder Wiesbaden nachgehen. Trotzdem ist es in diesem Landkreis gelungen, in dieser Zeit mehr als 6.000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Ich denke, das trifft spiegelbildlich auch für Rheinland-Pfalz zu.

(Beifall der SPD)

Ziel der Landesregierung und auch der SPD wird es sein, diesen Weg mit einer ausgewogenen Politik der sozialen Verantwortung und der wirtschaftlichen Prosperität weiterzugehen.

Danke schön.

(Ministerpräsident Beck: Sehr gut!)

Bevor ich Herrn Dr. Schmitz von der FDP-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich als Gäste auf der Zuschauertribüne Mitglieder der SPD-Ortsvereine Hechtsheim, Lerchenberg und Finthen. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Herr Dr. Schmitz, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes grüße ich als Gonsenheimer natürlich die Finther.

Meine Damen und Herren, das Thema hat etwas von Loch Ness. Es taucht mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Parlament auf. Schon beim letzten Mal habe ich den Kollegen von der CDU nicht verheimlichen können, dass ich ihre grundsätzliche Bewertung nicht mittrage.

Es ist nun einmal so, dass wir das Phänomen der Auspendler von zwei Seiten sehen können. Man kann es als Attraktion des Wohnstandortes verkaufen. Man kann es auch mit einer Beschäftigungslücke verkaufen, wie es Kollegin Thelen tut. Ich halte es nicht für zielführend, sich mit dieser Sache zu intensiv zu befassen. Ich halte es damit, dass im feindlichen Ausland wahrscheinlich allen gedient wäre und sich auch höhere Benzinpreise ertragen ließen, wenn alle Rheinland-Pfälzer das Doppelte dessen an Auskommen hätten, was sie jetzt haben.

Ich kam 1965 aus schulischen Gründen nach Prüm und habe erlebt, wie diese Region damals aussah. Viele landwirtschaftliche Gebäude waren noch mit Stroh gedeckt. Es war eine strukturschwache Gegend, wie wir sie uns heute kaum noch vorstellen können. Wer jetzt dorthin fährt und erlebt, was in diesem Altkreis Prüm und auch im Kreis Bitburg durch das Jobwunder Luxemburg passiert ist, der kann den akademischen Streit so führen, wie wir ihn führen. Ich glaube, die Betroffenen, die jetzt in üppigen Neubaugebieten ihre schönen Häuser voller Stolz zeigen, hätten für diesen Streit und die Auseinandersetzung wenig Verständnis.

(Beifall der FDP und der SPD)

Ich bin dankbar, dass auch die FDP klatscht und ich nicht nur Beifall von der SPD erhalte.

Ich will mich deshalb auch, ähnlich wie es mein Vorredner getan hat, ein wenig mit dem dieser Großen Anfrage zugrunde liegenden Armuts- und Reichtumsbericht befassen, der doch einige interessante Gedanken zulässt, und zwar auch die Antwort auf die Große Anfrage, insbesondere die Formulierungen in der Antwort, die im Grunde immer wieder das segensreiche Werk der Landesregierung in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen.

(Zuruf des Abg. Ramsauer, SPD)

Herr Ramsauer, es ist die Landesregierung und weniger die Wirtschaft, der Fleiß und das Engagement der Bevölkerung, die für diese schönen Zahlen zuständig sind. Es ist vielleicht eher die Wirtschaft, wenn es einmal nicht so gut läuft. Aber insbesondere, wenn es gut läuft, ist es vor allem die Landesregierung und wiederum das segensreiche Wirken der mit absoluter Mehrheit regierenden SPD-Landesregierung in den letzten vier Jahren.

(Beifall der SPD)

Das ist ein Sonderbeifall wert. Das hat etwas Witziges. Das ist noch witziger als die Geschichte von Loch Ness, weil man sich wirklich mit fremden Federn schmückt. Es ist doch Käse zu glauben, dass die Landesbürgschaftsprogramme die Wirtschaft wuppen lassen. Das ist ein Konjunkturzyklus. Das sind Firmen, die Gas geben. Das

sind fleißige Mitarbeiter, die das Kindchen schaukeln. So sieht die Welt in der Realität aus.

(Beifall des Abg. Eymael, FDP – Zuruf des Abg. Ramsauer, SPD)

Wer einen scheuen Blick in den – ich habe es schon gesagt – zugrunde liegenden Armuts- und Reichtumsbericht wirft, stößt wiederum auf ganz eigentümliche Wahrnehmungen, die Sie mit Ihrem Hinweis „gleiche Arbeit, gleicher Lohn“, den Sie beklatscht haben, auch noch einmal aufgegriffen haben.

Darin schreibt man, dass es sich überall da, wo keine auskömmlichen Löhne gezahlt werden, quasi um eine Form von Sozialmissbrauch handelt. Darüber bin ich schon gestolpert. Es heißt im genauen Text: „Die Tatsache, dass selbst eine Vollzeitbeschäftigung nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu sichern, muss in der Regel als ‚Sozialmissbrauch’ durch Unternehmen bezeichnet werden, die zu geringe Arbeitsentgelte zahlen und darauf vertrauen, dass ein Ausgleich aus Steuermitteln vorgenommen wird.“

Ich hatte in diesem Zusammenhang schon einmal auf die Stundenlöhne von Mitarbeitern im weiteren Umfeld des Landtags verwiesen. Das führte seinerzeit zu Wallungen. Sehr viel hat sich nicht geändert. Der Sozialmissbrauch wird offensichtlich weiterbetrieben.

(Ministerpräsident Beck: Was meinen Sie denn?)

Herr Ministerpräsident, ich will aber seriös auf die Positionen eingehen. Ich hatte seinerzeit einmal über die Gehälter der Pförtner und von Mitarbeitern im Restaurant usw. gesprochen.

(Ministerpräsident Beck: Das müssen Sie dem Präsidenten sagen!)

Uns untereinander des Sozialmissbrauchs zu bezichtigen, führt, was mich angeht, zu weit. Wenn Sie sich das selbst vorhalten, kann ich das nicht verhindern. Ich weise es für meine Person und meine Fraktion von mir.

Ich will aber seriös in das Thema „Mindestlohn“ einsteigen. Ihr Mindestlohn von 8,50 Euro erfüllt nach Ihrer Diktion und Ihrer Argumentation den Tatbestand des Sozialmissbrauchs. Wenn schon in Mainz ein Facharbeiterlohn, so, wie ihn mir die Handwerkskammer Mainz beschrieben hat, von 12,62 Euro für Automechaniker nicht in der Lage ist, denen gegenüber das Lohnabstandsgebot zu sichern, die nicht arbeiten, um wie viel weniger werden sie dann von 8,50 Euro in Mainz leben können? Sie produzieren dann zu den ca. 46.000 Aufstockern, die Sie beschreiben, weitere hinzu und begehen in Ihrer Diktion und Argumentation Sozialmissbrauch.

Da gibt es Dinge über die man wirklich noch einmal nachdenken sollte.

Herr Kollege, Sie bräuchten, um in diesem Sinne einen auskömmlichen Mindestlohn in Mainz zu erreichen, eine Größenordnung von 14 bis 15 Euro. Das hat die Landesregierung mir auf eine Kleine Anfrage hin bestätigt.

Wenn Sie das unter dem Lohnabstandsgebot zu Beziehern von SGB-II-Transfers durchdeklinieren wollen, dann prost Mahlzeit. Dann brauchen sie einen spitzen Bleistift, und da kommen Sie auch nicht mit hin.

Wir haben ein Riesenproblem in diesem Bereich Mindestlöhne. Das drückt auch der Armuts- und Reichtumsbericht aus. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, ob die Illusionen, die wir den Menschen machen, gerechtfertigt und belastbar sind oder ob sie bei den Betroffenen nicht dazu führen werden, dass sie sich noch mehr von Politik abwenden, weil sie irgendwann feststellen, dass es heiße Luft und Luftballons sind, die nicht belastbar sind.

(Ministerpräsident Beck: Das ist unglaublich! Deshalb machen wir gar nichts?)

Nein, Herr Ministerpräsident.

Deshalb machen wir gar nichts, ist vielleicht rhetorisch zulässig, was Sie da versuchen. Aber das ist schon ein bisschen Banane.