Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

Grundwehrdienst, egal wie lange er dauert, für die Nachwuchsgewinnung von Soldaten und auch für die Integration der Bundeswehr in die Bevölkerung wichtig ist.

Ich möchte etwas zum Zivildienst sagen. Das ist das größere Problem. Da sind wir uns einig, darüber muss man ernsthaft reden.

Ich bin selbst seit 20 Jahren stellvertretender Vorsitzender eines DRK-Kreisverbandes, der den Rettungsdienst noch selbst organisiert, nicht in Form einer überregionalen GmbH. Wir sind auch sehr froh, dass wir das beibehalten haben, weil man nahe vor Ort bei den Menschen ist.

Da ist die Situation folgende – ich will das kurz nur anreißen und in der zweiten Runde weiter ausführen –, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter zwölf Wochen dauert, das sind drei Monate. Das ist die Mindestzeit, die man überhaupt einsetzen muss, um es auch verantworten zu können, jemanden einzusetzen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich werde in der zweiten Runde noch mehr dazu sagen, weil die Zeit jetzt in der ersten Runde abgelaufen ist.

(Beifall der CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Eymael von der FDPFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe in einer Zeit gedient,

(Beifall bei der FDP und des Herrn Abg. Dr. Weiland, CDU)

als wir noch in der Zeit sozusagen des Kalten Krieges waren. Ich habe mich zur Bundeswehr bekannt. Die Bundeswehr hat mir in diesen zwei Jahren persönlich viel gebracht.

Ich war Freiwilliger, habe die Reserveoffizierslaufbahn absolviert und war schon immer ein Gelber bei der Waffengattung, Fernmelder Führungskräfte des Heeres.

Damals war die Zeit eine andere. Ich war im Übrigen auch im NATO-Einsatz und im NATO-Stab und habe große Manöver mit begleitet. Damals bestand eine ganz andere Gefechtslage, als dies heute der Fall ist. Damals gab es den Warschauer Pakt, und es gab noch nicht die Demokratisierung der osteuropäischen Länder.

Der Warschauer Pakt stand der NATO konträr gegenüber, und es mussten Verteidigungslinien aufgebaut werden. Damals betrug die Wehrdienstzeit 18 Monate und wurde sukzessive auf 15 Monate, zwölf Monate und nun neun Monate reduziert.

Es besteht kein Zweifel daran, dass auch in unserer Partei ein Umdenkungsprozess stattfindet, weil der Auftrag heute ein anderer ist. Ich war für die Wehrpflicht, bis eine neue Situation, eine Situation der Entspannung in Europa und darüber hinaus, eingetreten ist. Damit hat die Bundeswehr auch neue Aufträge bekommen, und das hat auch Herr Minister Bruch vorhin deutlich gemacht.

Es kam hinzu, dass das Thema der Gerechtigkeit in den 60er- und 70er-Jahren einen anderen Stellenwert innehatte als heute. Sie haben selbst die Zahl genannt: 13 % werden heute noch eingezogen. Vor diesem Hintergrund kann man nicht mehr von Wehrgerechtigkeit sprechen, sondern man muss eher von Wehrungerechtigkeit sprechen.

Vor dem Hintergrund der jetzt anstehenden Verkürzung des Wehrdienstes von neun auf sechs Monate ist das im Grundsatz ein nachzuvollziehender Schritt, wenn man mittelfristig daran denkt, die Wehrpflicht abzuschaffen. Es gibt durchaus Gründe, die dafür sprechen. Ich habe in meiner Wehrdienstzeit mit Amerikanern zusammengearbeitet. In Amerika bestand nie eine Wehrpflicht, sondern immer eine Freiwilligenarmee, eine Berufsarmee. Auch das hat im Grundsatz funktioniert.

Wenn man weiß, dass die Soldaten heute für ihre neuen Aufträge auch eine andere Ausbildung und vielleicht auch eine andere Ausrüstung brauchen, dann ist Fachwissen und Spezialwissen gefordert, was sicherlich eher in einer längeren Dienstzeit erworben werden kann, um gefährliche Einsätze wie in Afghanistan besser zu bestehen.

(Beifall der FDP)

Es ist heute schon so, dass bei Afghanistan-Einsätzen keine Wehrpflichtigen hinzugezogen werden.

Es kommt hinzu, dass sich derzeit eine Strukturreformkommission damit beschäftigt, wie die Bundeswehr in den nächsten Jahren ausgerichtet werden kann. Wir hatten schon einmal eine Mannstärke von über 600.000, die zwischenzeitlich auf 240.000 reduziert wurde. Die neuesten Pläne des Ministers gehen in Richtung einer Mannstärke von 150.000. Es tut sich vieles, und ich glaube, man muss diesen Prozess auch entsprechend begleiten.

Ich habe auch für diejenigen in der SPD Verständnis, die die Wehrpflicht für immer problematischer halten. Ich weiß auch, dass DIE GRÜNEN im Grundsatz dagegen sind. Von daher sehe ich, dass es eine gewisse Mehrheit gibt, die vor dem Hintergrund der soeben angesprochenen Dinge davon ausgeht, dass in den nächsten Jahren vielleicht sogar eine Aussetzung der Wehrpflicht kommen wird. Es kommt auch darauf an, wie das Konzept der Strukturreformkommission aussehen wird, aber in diesem Feld tut sich einiges.

Ich möchte noch zum Ersatz- und Zivildienst eine Anmerkung machen. Der Verfassungsgesetzgeber hat den Zivildienst als nachrangig geregelt. Nichtsdestotrotz – darin gebe ich Herrn Kollegen Dr. Enders recht – ist der Zivildienst bei uns für viele Träger sozialer Einrichtungen

als fester Bestandteil verankert. Es muss in diesem Bereich umgedacht werden, und wir müssen miteinander sprechen. Es muss auch ein entsprechendes Konzept erarbeitet und vorgelegt werden. Man darf es aber nicht ausschließlich an die Länge des Wehrdienstes knüpfen.

(Glocke des Präsidenten)

Das wäre der Sache nicht angemessen.

(Beifall der FDP)

Das Wort hat nun Herr Ministerpräsident Beck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in diesem Hohen Hause über diese herausfordernde Frage reden. Dies gilt für den Wehrdienst, es gilt aber auch für den an den Wehrdienst gekoppelten Ersatzdienst. Es bereitet uns schon Probleme, dass eine so kurzfristige Entscheidung getroffen worden ist.

Über die Frage, wie man die Zukunft der Bundeswehr und – immer auch analog – des Ersatzdienstes gestaltet, kann man natürlich unterschiedlicher Auffassung sein, das ist gar keine Frage. Aber ich denke, es ist notwendig, dass man sich mit den Argumentationsketten sehr sorgfältig auseinandersetzt.

Wir haben die Entscheidung des Bundestages, die am 17. Juni getroffen wurde, zur Kenntnis genommen. Der Bundesrat muss sich noch damit befassen; er ist zwar nicht zustimmungspflichtig, aber es ist ein Gesetz, mit dem wir uns noch befassen müssen, sodass wir es letztendlich erst Ende dieses oder sogar erst Anfang des kommenden Monats vorliegen haben werden. Dann soll rückwirkend zum 1. Juli bereits die Änderung eintreten, und dies nicht ohne Schwierigkeiten sowohl für die Organisationsstrukturen der Bundeswehr als auch für die Umstellung im Bereich des Zivildienstes. – So viel zum zeitlichen Ablauf.

Lassen Sie mich aber noch zu den Herausforderungen, die anstehen, einige Bemerkungen hinzufügen. Ich glaube, wir tun sehr gut daran, die Lageeinschätzung, die hinsichtlich der Sicherheit für die kommenden Jahre vorzunehmen ist, nicht aus der heutigen Situation heraus und zu kurzfristig einzuschätzen; denn wir haben natürlich – und ich füge hinzu, Gott sei Dank – eine völlig andere Situation als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. Dennoch haben wir aber eine mögliche neue Herausforderung zu bewältigen, die aufgrund der Terrorgefahren und aufgrund dessen, was man heute als asymmetrische Sicherheitsproblematik bezeichnet, zu bedenken ist.

Ich kann nur davor warnen, die Lage mit einer zu kurzen Sichtweise zu betrachten, wenn man so weitreichende Entscheidungen treffen muss. Ich glaube, dass wir uns

auch sehr schnell in der Einschätzung einig sind, dass, wenn man die Wehrpflicht aussetzt, sie so gut wie abgeschafft ist, Herr Dr. Enders. Ich glaube, da sollten wir uns nichts vormachen: Ein umgekehrter Weg ist kaum vorstellbar, es sei denn, unter Sicherheitsbedingungen wie einer kriegerischen Auseinandersetzung, die wir uns alle nicht wünschen und die Gott sei Dank derzeit auch nicht zu erwarten ist.

Insoweit müssen wir die Lageeinschätzung vorsichtig vornehmen. Ich möchte als Beispiel sagen, wir haben vor zweieinhalb Jahren eine Diskussion über die Standortinteressen des Landes Rheinland-Pfalz geführt. Es ging dabei um die Frage, wie es mit der Artillerie insgesamt als notwendige Teilwaffengattung innerhalb des Heeres aussieht. Es gab ernstzunehmende Stimmen, die meinten, diese Zeiten seien vorbei, da die Bedrohungslage, die einmal zwischen Ost und West bestand, nicht mehr besteht und von daher auch eine solche Waffengattung nicht mehr notwendig erscheinen lässt.

Heute erleben wir, dass wir zur Absicherung unserer eigenen Streitkräfte, die in Afghanistan eingesetzt sind, schwere Haubitzen aus Kusel nach Afghanistan verlegt haben, eine Lage, die vor zweieinhalb Jahren niemand vorhergesehen hätte. Ich sage dies als Beispiel, um deutlich zu machen, dass wir bei der Lagebeurteilung sehr sorgfältig sein müssen.

Meine zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang ist, ich glaube, es ist schon eine Frage wert, wie eine Bundeswehr zusammengesetzt ist, wenn wir den Teil der Mannschaftsdienstgrade, die sich im Wesentlichen aus Wehrpflichtigen und länger dienenden Wehrpflichtigen – mit wenigen Ausnahmen, beispielsweise Stabsgefreite – zusammensetzen, so nicht mehr haben. Wer übernimmt diese Aufgabe? Wie soll dies in der gesamten Struktur aussehen, wenn diese Aufgaben de facto von Zeit- oder Berufssoldaten ausgeübt werden müssten? Wie bezahlen wir sie, wie ordnen wir sie ein? Wie bekommen wir die innere Befehlsstruktur der Bundeswehr hin, wenn dies alles Unteroffiziersdienstgrade sein müssten, also dem mittleren Dienst zugeordnet wären, um es einigermaßen attraktiv zu machen?

Auf diese Frage gibt es bisher keine schlüssige Antwort. Aber wir müssen eine Antwort darauf geben; denn die Gesamtfunktionsfähigkeit der Streitkräfte hängt natürlich davon nicht unbeachtlich ab.

Ein dritter Punkt ist sicher, dass wir ernsthaft die Frage stellen müssen – sie wird auch sehr kritisch beurteilt, wie sich das in den Anhörungen im Deutschen Bundestag im zuständigen Verteidigungsausschuss gezeigt hat –, wie denn die Ausbilder bei der Bundeswehr und die Verantwortlichen die ausreichende Ausbildungsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten einschätzen. Sie wissen, dass es ein mehr als kritisches Bild ist, das dort für diese sechs Monate abgegeben wird.

Schließlich wissen wir, dass ein großer Teil der Zeitsoldaten, der Längerdienenden und der späteren Berufssoldaten aus der Mitte der Wehrpflichtigen rekrutiert wird und sich die jungen Männer im Regelfall erst entscheiden, wenn sie die Bundeswehr kennengelernt haben, selten aus dem Stand, keine Erfahrung gemacht zu

haben und dann angesprochen zu werden. Das ist eine völlig andere Situation.

Dass dies dann natürlich analog Auswirkungen auf den Zivildienst hat, ist von meinen Kollegen und meinen Kolleginnen bei mehreren Diskussionen deutlich gemacht worden. Das hat uns dazu gebracht, diese Fragen auch als Fragen anzusehen, die das Land RheinlandPfalz und die Landesregierung tangieren, und uns intensiver damit auseinanderzusetzen.

Es ist sicher ein ernsthafter Einwand zu sagen: Ist denn eine Wehrpflicht noch rechtfertigbar bei der Zahl von 40.000, die eingezogen werden bei etwa 400.000, die prinzipiell wehrpflichtig wären? – Es ist also ein Verhältnis von 1 : 10. Die Herabsetzung auf sechs Monate ändert dies aber nur graduell.

Es werden etwa 50.000 sein, die durch den engeren Rhythmus gezogen werden können. Die Frage der Wehrgerechtigkeit wird auf keinen Fall dadurch wirklich gelöst, sondern, wie gesagt, es sind 10.000 mehr, die dann eingezogen werden. Insoweit bleibt diese Grundfrage, die den Wehrdienst bzw. die Wehrpflicht möglicherweise aus Gleichbehandlungsgrundsätzen infrage stellen könnte, gleich und wird nicht beantwortet.

Meine Damen und Herren, mich machen die finanziellen Dimensionen besorgt, um die es geht. Nach den Kalkulationen, die vorgelegt worden sind, können wir davon ausgehen, dass eine Verkürzung des Wehrdienstes bzw. der Wehrpflicht rund 150 Millionen Euro einsparen wird, aber auf eine spannende Weise. Es ist nämlich so, dass wir rund 180 Millionen Euro durch Verkürzung des Zivildienstes bei einer gleichzeitigen Verteuerung des Wehrdienstes um 26,3 Millionen Euro haben werden. Es bleiben also unter dem Strich 150 Millionen Euro.

Meine Damen und Herren, dann sind wir aber voll im Bereich des Zivildienstes. Die Arbeit, die bei den Rettungsorganisationen, bei der Arbeit für Menschen mit Behinderungen, bei Intensivstpflege usw. gemacht wird, ist damit nicht weg. Die Arbeit ist vorhanden. Wer soll das machen?

Wenn ich eine Einsparung bei der Vergütung des Zivildienstes in Kosten habe, dann heißt das, es sind mindestens diese Kosten. Wenn man es hauptberuflich macht, sind es wahrscheinlich deutlich höhere Kosten, die auf die Verantwortlichen in den Kommunen, bei den Ländern und bei den freigemeinnützigen Trägern zukommen.

Was sollen denn die Caritas, die Diakonie, das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund usw. anders machen, als wieder zu uns zu kommen und zu sagen „Helft uns, wir können die Aufgaben nicht erfüllen“? Der Bund spart 150 Millionen Euro, und wir werden 180 Millionen Euro auf die eine oder andere Weise ersetzen müssen, plus der Mehrkosten durch Hauptamtlichkeit. Da wollten wir nicht einfach abwarten und zuschauen, sondern wir haben ein Konzept erarbeitet, das ich Ihnen in wenigen Zügen vorstellen möchte.

Das Konzept geht davon aus, dass die Wehrpflicht grundsätzlich beibehalten wird. Wir sind ohnehin dafür,

dass sie auch nicht ausgesetzt oder von neun auf sechs Monate verkürzt wird. Aber dieses Konzept spricht jetzt davon, dass es so kommt. Es ist schon im Deutschen Bundestag entschieden worden. Die erste Priorität ist also nicht, es aufzuheben, aber den berühmten Plan B jetzt zu entwickeln.

Die grundsätzliche Beibehaltung der Wehrpflicht ermöglicht es, weiterhin alle jungen Männer zu mustern und damit eine Erfassung zu haben und über die Kreiswehrersatzämter für den freiwilligen Wehrdienst dann auch entsprechend werben und die Vorteile in einer entsprechenden intensiven Beratung aufzeigen zu können.