Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Für die SPD-Fraktion hat Kollege Manfred Geis das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir verabschieden ein gutes Gesetz. Wir beschließen es in den entscheidenden Passagen übereinstimmend. Auch das ist gut. In Zeiten, in denen die politische Auseinandersetzung oft ein bisschen krampfhaft – wir haben es heute wieder gesehen – nach Anlässen zur Auseinandersetzung sucht, ist es ein Zeichen der Vernunft, und das ist auch gut so.

Dabei war der Weg zu dieser Novellierung des Archivgesetzes – Frau Kohnle-Gros hat es schon gesagt – keinesfalls einfach und unumstritten, und wir haben auch lange genug gebraucht. Es gab eine intensive fachliche Diskussion, eine Anhörung, deren Anregungen in allen Fraktionen gründlich geprüft wurden. Daraus resultiert ein gemeinsamer Änderungsantrag, der viele Verbesserungsvorschläge der Expertinnen und Experten übernimmt.

Ich denke, auch die Fachleute aus den Archiven und vom Datenschutz sind zufrieden mit uns, und – was das Wichtigste ist – die Menschen, die mit wissenschaftlichem Anspruch oder als engagierte Hobbyhistoriker arbeiten, freuen sich über bessere Arbeitsbedingungen.

Erfreulich ist auch, dass wir uns im politischen Kern, dem Hauptanliegen der Gesetzesnovelle, absolut einig waren und sind. Im Rahmen der datenschutzrechtlichen Möglichkeiten muss man alles tun, um der Forschung zu der Zeit des Nationalsozialismus alle relevanten Quellen und auch personenbezogene Daten zur Verfügung zu stellen. Das haben wir zugesagt. Ich erinnere an unsere Veranstaltung in der Pfalzklinik Klingenmünster zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2009. Ich erinnere gern an die Begründung des Ministerpräsidenten. Er hat gesagt: „(…) weil wir davon überzeugt und im Bewusstsein gestärkt worden sind, dass ein besonderer Teil der Trauerarbeit und der Verantwortungsarbeit, die wir zu leisten haben, darin bestehen muss, den Zahlen wieder einzelne Gesichter, einzelne Schicksale und ihre jeweilige Würde zuzuordnen.“

Es hat ein bisschen gedauert, aber wir haben Wort gehalten. Es hat auch der Hinweise bedurft. Dafür be

danke ich mich ausdrücklich und nenne stellvertretend unseren ehemaligen Kollegen Dieter Burgard, den Vorsitzenden der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz.

Lieber Dieter, Du hast immer wieder Anregungen gegeben, nachgefragt und Druck gemacht, dass die Geschichte der Nazi-Diktatur auch und gerade im lokalen und regionalen Rahmen aufgearbeitet werden kann, und zwar auch da, wo es heikel ist und die Namen, um die es geht, nicht die der ohnehin bekannten großen Verbrecher sind, sondern die der ehemaligen Nachbarn, der Mitbürger aus unseren Heimatdörfern und -städten.

Das ist gerade für die Nachfahren schwierig. Das will ich nicht verhehlen. Dazu muss es Schutzrechte der Persönlichkeit in einem demokratischen Rechtsstaat geben. Aber das Rankesche Credo, das „Wie es eigentlich gewesen“, das ich als junger Geschichtsstudent auch einmal gelernt habe, muss Priorität haben, auch und gerade dann, wenn es unangenehm ist. Darüber gab es früh – ich habe es schon einmal gesagt – und unumstritten Konsens in allen Parteien und bei allen Kolleginnen und Kollegen im Landtag. Dafür bedanke ich mich herzlich.

Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich bei dem Landtagspräsidenten und allen, die dazu beitragen, mit welcher Ernsthaftigkeit und Kontinuität wir uns mit der Zeit der Nazi-Diktatur, vor allem ihrer Verfolgungsgeschichte, auseinandersetzen. Wir sollten diesen Weg gemeinsam fortsetzen. Er ehrt unser Parlament.

Zu den einzelnen Paragrafen des Gesetzes, dem gemeinsamen Änderungsvorschlag und dem Antrag der FDP will ich nicht mehr im Einzelnen Stellung nehmen. Wir sind vielen Anregungen der Fachleute gefolgt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Archiven müssen sie umsetzen. Ich hoffe, wir haben ihnen angemessene Arbeitsvoraussetzungen geliefert.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Archivarinnen und Archivaren und nenne stellvertretend Elsbeth Andre, die Direktorin des Landesarchivs, die uns beim Gesetzgebungsverfahren begleitet und beraten haben. Das Wissen eines Gemeinwesens zu sammeln und zu pflegen, ist eine verdienstvolle und schöne Aufgabe. Sie macht sie, die Archivarinnen und Archivare, auch zu Bewahrern unseres Gewissens. Was kann es Wichtigeres geben?

Danke schön.

(Beifall der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Geis.

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Kuhn das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Vorrednerin und mein Vorredner haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es einen dringenden Novellierungsbedarf gegeben hat. Es ist sehr erfreulich, dass weitestgehend Konsens bestand.

Ich habe schon bei der ersten Lesung ausführlich auf die positiven Aspekte Bezug genommen. Die historische Aufbereitung wird erleichtert. Es geht auch um Fristen. Das Ganze war eigentlich aus unserer Sicht auf gutem Wege.

Ich muss aber doch erwähnen, dass mich dabei zwei Dinge gestört haben. In der letzten Ausschusssitzung wurden die beiden Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und der CDU zurückgenommen. Die CDU und die FDP haben sich aus dem Grunde der Stimme enthalten, weil vereinbart wurde, gemeinsam nach einem Konsens zu suchen.

Dann habe ich darauf gewartet. Heute Morgen stelle ich fest, dass es wohl intensive Gespräche zwischen der CDU und der SPD gegeben hat. Ich bin nicht besonders eitel. Es hat mich aber doch gestört, dass die FDPFraktion nicht einbezogen wurde. Das ist kein guter Stil.

(Beifall der FDP)

Wir haben daraufhin einen Änderungsantrag gestellt, der aus unserer Sicht auf einen ganz wichtigen Punkt zielt. Ich will das einmal kurz erläutern. Es geht um die Möglichkeit der Löschung von Unterlagen. Diese Einräumung birgt, wie das geregelt ist, durchaus erhebliche Gefahren für die Vollständigkeit und die historische Aussagekraft des Archivguts insgesamt.

Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit der Löschung wird die Möglichkeit geschaffen, im Zusammenwirken mit der abgebenden Stelle Unterlagen, die als bedeutsam archivierungswürdig eingestuft worden sind, nachträglich zu vernichten, sofern ihnen – Zitat – ein bleibender Wert nicht mehr zukommt.

Das ist kritisch zu sehen. Die Frage, wann ein bleibender Wert entfallen soll, ist gesetzlich nicht geregelt und in der Praxis höchst verschiedener politischer Auslegung zugänglich. Ich unterstelle niemandem etwas. Es ist aber möglich.

Es besteht zumindest hypothetisch die Gefahr, dass durch die Vernichtung von Archivgut ein Einfallstor für politisch motivierte Geschichtsbereinigung gegeben ist. Manchmal wird ein Archivgut nach zehn oder 15 Jahren plötzlich doch interessant, dessen Wirkung und Bedeutung am Anfang nicht erkannt worden ist.

Wir sind der Meinung, dass die Streichung der einvernehmlichen Vernichtungsregelung diesen Bedenken Rechnung trägt und den Bestand des Archivguts vor nachträglicher Vernichtung sichert. Jetzt können Sie sagen, wir leben in einem geordneten Rechtsstaat. Alle sind guten Willens. Allein die hypothetische Gefahr macht uns große Sorgen.

Frau Kohnle-Gros hat immerhin darauf hingewiesen, dass sie diesen Antrag verstanden hat, und in der Begründung einiges geklärt ist. Sie werden verstehen, die Begründung ist nichts wert. Diese reicht uns nicht.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch einmal auf den Stil des Umgangs hinweisen. Auch die SPD hat, als ihr unser Antrag vorgelegt wurde, mit einem einzigen Wort geantwortet, nämlich nein. Das war keine gute Kooperation.

Nachdem diesem Punkt nicht Rechnung getragen wird, lehnen wir den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge ab. Ich darf noch einmal betonen, dass in dem Gesetzentwurf sehr viel Sinnvolles enthalten ist. Das wird alles von uns unterstützt. Sie müssen aber verstehen, dass wir den Gesetzentwurf und die Anträge ablehnen, wenn man uns in dieser wesentlichen Frage nicht entgegenkommt.

(Beifall der FDP)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Ahnen das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Archive gehören zu den kulturellen Einrichtungen, die selten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Das ist auch vielleicht ganz gut so. Das heißt, dass sie eine grundsolide Arbeit machen.

Es ist sicher heute der Moment, auch noch einmal an die wirklich große Bedeutung von Archiven zu erinnern. Sie bewahren kulturelles Erbe. Sie sind auch Orte der Rechtswahrung. Sie sind vor allen Dingen auch Orte, die Forschung ermöglichen. Gerade diese Forschungsaspekte – es ist mehrfach darauf hingewiesen worden – waren es, die ein dringender Grund für die Gesetzesnovelle waren. Das will ich ganz ausdrücklich sagen, weil wir Zeit gebraucht haben und ich froh bin, dass wir jetzt zu einem Ergebnis gekommen sind.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

Ich glaube, bei der Anhörung ist auch herausgekommen, dass es in den wesentlichen Fragen eine große Übereinstimmung gibt. Diese findet sich erfreulicherweise in den Änderungsanträgen und heute im Plenum wieder. Dafür will ich mich ganz herzlich bedanken, weil ich glaube, dass das eine gute Unterstützung nicht nur für die Arbeit der Archive ist; denn es ist mehrfach von meinen Vorrednern darauf hingewiesen worden, dass es auch ein großes Anliegen für viele Personen und Verbände ist, die sich wissenschaftlich insbesondere auch mit Fragestellungen der Nazi-Diktatur befassen, aber auch von vielen ehrenamtlichen Initiativen und vielen, die der Gedenkstättenarbeit verpflichtet sind. Alle diese haben immer wieder darauf hingewiesen.

Auch wenn es öffentlich vielleicht nicht so wahrgenommen wird, weiß ich, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ein großes Anliegen gerade auch dieser wichtigen Personen und Einrichtungen erfüllen. Ich will mich an dieser Stelle auch für deren Engagement und Nachdruck herzlich bedanken.

Das Interesse an der wissenschaftlichen Aufarbeitung hat die Frage der Fristen sehr stark in den Mittelpunkt gerückt. Ich will gar nicht hintanstehen zu sagen, dass ich nicht nur gut mit dem leben kann, was sich in dem Änderungsantrag wiederfindet und was noch einmal eine weitergehende Verkürzung der Sperrfrist vorsieht, sondern ich begrüße es, dass es über diese Frage nach der Anhörung eine breite Verständigung geben konnte.

Die anderen Änderungen, die in dem gemeinsamen Änderungsantrag von CDU und SPD empfohlen werden, sind aus meiner Sicht dem Gesetzentwurf eher dienlich, und insofern verbessern sie ihn ein Stück weiter.

Herr Kuhn, was mich ein bisschen stört, ist, wenn Sie sagen, wegen der Absprachen. Das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen. Bei dem Thema „Nachkassation“ kommt bei Ihnen so ein Zungenschlag hinein, den ich für problematisch halte. Das sieht man auch an Ihrem Änderungsantrag.

Ich glaube, es ist im Rahmen der Anhörung und der gemeinsamen Auswertung intensiv darüber diskutiert worden, um was es eigentlich geht.

Niemand will ein Instrument schaffen, um Geschichte zu korrigieren. Dieser Vorwurf, der sich so in Ihrem Antrag findet, sagt das in aller Deutlichkeit. Das ist nicht gerechtfertigt.

Ich finde es aus meiner Sicht absolut nicht vorstellbar, der Landesarchivverwaltung zu unterstellen, dass sie irgendwelchen einseitigen Betrachtungsweisen oder Manipulationen die Hand reichen würde. Es gibt keinerlei Grund, das so zu sehen.

Von Herrn Geis und Frau Kohnle-Gros ist darauf hingewiesen worden, um was es in Wahrheit geht. Es geht in Wahrheit darum, dass es eine Möglichkeit gibt – die muss es dann gesetzlich geben –, dass insbesondere bei Mehrfachlieferungen, die an mehreren Stellen identisch vorgehalten werden, eine Löschung dieser Unterlagen erfolgen kann, um Archive nutzen zu können, ihnen mehr Kapazitäten zu geben und mit begrenzten räumlichen Kapazitäten ökonomischer umzugehen. Um das geht es, um nicht mehr und nicht weniger. Ich denke, das ist in dem Gesetzentwurf hinreichend zum Ausdruck gebracht. Insofern bin ich an dieser Stelle froh, dass sich andeutet, dass dieses Argument überzeugend dargestellt worden ist.

Ich finde, Archive und dieses Landesarchivgesetz sind kein Ort, an dem man sich politisch streiten sollte. Es ist ein Ort, der geradezu zum Konsens herausfordert, weil es einerseits um Einrichtungen geht, die außerhalb der politischen Diskussion stehen und stehen sollten wie die Archive, und es andererseits um Anliegen von Personen, Menschen und Organisationen geht, die sich ehrenamtlich insbesondere im Bereich der Gedenkstätten

arbeit engagieren, sowie um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen besseren Zugang zu den Daten haben wollen. Ich glaube, sie freuen sich, wenn sie merken, dass wir selbst in solchen Zeiten in der Lage sind, wenn es um solche Fragen geht, eine sachliche Diskussion zu führen und eine große Übereinstimmung für einen Gesetzentwurf zu organisieren. Deswegen bitte ich noch einmal herzlich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erteile Herrn Abgeordneten Kuhn das Wort. Er hat noch 20 Sekunden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei Sätze zu den Ausführungen der Ministerin.

Erstens macht niemand irgendjemandem einen Vorwurf. Es wird auch nicht unterstellt, dass irgendetwas beabsichtigt sein könnte. Aber es geht um die hypothetische Möglichkeit. Da sollte man ungeheuer aufpassen.