Protokoll der Sitzung vom 23.07.2015

Meine Damen und Herren, noch ein kurzer Satz.

(Glocke des Präsidenten)

Noch ein letzter Satz.

Wir haben in der Schlussdebatte zwei Anträge vorliegen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in vielen Anträgen einen gemeinsamen Konsens gefunden. Deswegen kann ich Sie nur bitten, finden wir einen gemeinsamen, stimmen Sie zu.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter Dr. Wilke, Sie haben das Wort.

Die Rednerliste geht dann weiter mit Frau Abgeordneter Ratter vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und dann hat die CDU noch eine weitere Gelegenheit zum Sprechen. Wer wird das sein? – Frau Abgeordnete Thelen.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei unserer profunden und, wie ich finde, Maßstäbe setzenden und von großer Ernsthaftigkeit getragenen Debatte zum Thema Sterbebegleitung haben juristische Aspekte nur eine untergeordnete Rolle gespielt, und ich sage, das war und ist gut so.

Um nun Herrn Kirchenrat Dr. Posern aus der Expertenanhörung zu zitieren – ich zitiere jetzt wörtlich –: „Daher schließt meine Argumentation hier mit dem Hinweis darauf, dass nicht alle Wechselfälle des Lebens und des Sterbens judikabel sind und sich als Gegenstände juristischer Regelung eignen.“ Ja, genau so verhält es sich, und das sage ich als Jurist aus voller Überzeugung.

Sicher, vor allem die juristische Expertin hat in ihren sehr überzeugenden Ausführungen wertvolle Hinweise gegeben, wo juristischer Handlungsbedarf besteht, aber auch wenn man nicht dem Vorbild der Beneluxländer mit ihrer grundsätzlichen Erleichterung aktiver Sterbehilfe folgen will – was wir, die CDU, ganz sicher nicht wollen; als Stichwort nenne ich nur die Problematik der unterlassenen Hilfeleistung bzw. sogar der Tötung durch Unterlassen infolge

Annahme einer Garantenstellung, wenn in einer Suizidsituation der Betroffene die Herrschaft über das Geschehen verliert –, ist dies nur auf Bundesebene, nicht hier in Mainz lösbar.

Gleiches gilt im Übrigen für den Umgang mit organisierten Angeboten der Suizidbeihilfe. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist klar, die Kolleginnen Frau Klöckner und Frau Dr. Ganster haben dazu schon wichtige Ausführungen gemacht.

Worum wir uns dagegen hier in Mainz bemühen müssen, ist, Palliativversorgung und Hospizangebote so zu verbessern, dass sie flächendeckend und zuverlässig zur Verfügung stehen. Ich glaube, das ist Grundkonsens in diesem Haus.

Wie es unser Antrag zutreffend sagt: Sterben in Würde ist ein Menschenrecht. Diesem Anspruch müssen wir uns stellen. Zu einem Sterben in Würde gehört aber nicht nur die entsprechende Infrastruktur in Form von Hospizen, Palliativstationen, ambulanten Diensten und vielem mehr, Menschen müssen sich auch vorbereiten können, und das setzt Informationen voraus.

Wir wissen aus der Anhörung, welch große Bedeutung Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten in diesem Zusammenhang haben. Nicht bei jedem wird es so sein, dass er sein Lebensende und sein Sterben in vollem Bewusstsein erleben und gestalten kann. Gerade dann, wenn wichtige Entscheidungen am Lebensende zur medizinischen Behandlung und pflegerischen Versorgung in die Hände von Angehörigen oder gar professionelle Betreuungspersonen gelegt sind, erweist sich die segensreiche Wirkung von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen.

Leider stelle ich aus beruflicher Erfahrung in der Praxis immer wieder fest, wie viele Wissenslücken und Missverständnisse bei diesem Thema in der Bevölkerung bestehen. Meine Vorredner – Herr Sippel, ich glaube Sie waren es – haben es schon mit Nachdruck angesprochen. Umso wichtiger ist es aus Sicht der CDU, hier im Bemühen um Aufklärung nicht nachzulassen, sondern diese Bemühungen noch deutlich zu verstärken. Dies wird helfen, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen im Einklang mit der Menschenwürde zur Geltung zu bringen. Deshalb ist auch dieser Aspekt in unseren Entschließungsantrag eingeflossen, um dessen Unterstützung wir dieses Parlament bitten.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Ratter, Sie haben das Wort, und dann Frau Kollegin Thelen.

Danke Herr Präsident! Rechte fallen nicht vom Himmel, Mann, Frau muss sie sich erkämpfen, auch das Recht auf

Selbstbestimmung, das lehrt uns der Blick in die Geschichte.

Das Recht auf Selbsttötung ist ein Selbstbestimmungsrecht. Wer es nur mit Hilfe einlösen kann, dem darf diese Hilfe nicht verweigert werden.

Wir haben mehrfach gehört, dass Suizid nicht bestraft werden kann – wie denn auch im Falle des Vollzugs – und auch Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafrechtlich verfolgt werden darf. Von jährlich 100.000 Selbsttötungsversuchen in Deutschland werden 10.000 vollzogen. Dennoch wird der Suizid häufig verbrämt, tabuisiert und etwa bei der Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses auch sanktioniert.

In der Apologie des Sokrates legt Platon seinem Protagonisten in den Mund, er, Sokrates trinke den Schierlingsbecher aus freien Stücken und verzichte darauf, sich dem Urteil der freien Männer von Athen zu unterziehen.

Der Kasus ist hinreichend bekannt. Er untermauert, dass ein Mensch nach reiflicher Überlegung in freier Entscheidung den Weg in den Tod wählen kann.

Ich führe Sokrates als Kronzeugen an, fest überzeugt davon, dass die Aufgabe der Sterbebegleitung nicht allein durch die Einrichtung und den Ausbau von noch so guten Palliativstationen und Hospizen geleistet werden kann, auch nicht durch eine regional verdichtete ambulante Versorgung, persönliche Betreuung und individuelle mitfühlende Hilfe.

Diese Ansätze sind alle richtig und wichtig, hierin stimme ich meinen Vorrednerinnen zu, aber Wolfgang Herrndorf, Erich Loest und Fritz Raddatz, um nur drei herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu nennen, die sich in den letzten zwei Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit aus freien Stücken selbst getötet haben, hätten diese hier zu Recht gelobten Konzepte professioneller Hilfe und persönlicher Zuwendung leider nicht geholfen.

Herrndorf, Loest, Raddatz waren in sehr unterschiedlichen Situationen vor ihrem Tod. Sie alle befanden sich aber meiner Überzeugung nach nicht in einer psychischen Ausnahmesituation, und sie haben sich vorbereitet, Herr Dr. Wilke.

Herrndorf litt an einem Gehirntumor, einem Glioblastom: „Keine Chance auf Heilung, wenige Jahre bitterer Verfall. Was ich brauche, ist eine Exit-Strategie“, schrieb Herrndorf am 30. April 2010 in seinem literarischen Blog, drei Jahre bevor er sich von dieser Welt verabschiedete. Herrndorf wollte nicht bis zum kargsten Ende miterleben, wie ihm seine sprachlichen Fähigkeiten und alles, was seine Person ausmachte, abhandenkommt, ohne den Funken Hoffnung auf Heilung. Herrndorf hatte den Mut, besagten Tabus zum Trotz sein auswegloses Leid zu thematisieren.

Er wollte die öffentliche Debatte anregen, und er beschrieb in drastischen Passagen seine Überlegungen. Herrndorf musste sein Leben selbst in der Hand haben – und seinen Tod. Er nahm die Pistole. Herrndorf ist kein Einzelfall. Der Freitod ist bestimmt in vielen Fällen ein Fehler, eine psychische Störung, aber eben nicht in allein.

Extrem auch Fritz Raddatz: Notgedrungen handelte er vor der Zeit als vitaler Greis. Von Raddatz wissen wir genau, wie planvoll er vorgegangen ist; denn er hat jeden einzelnen Schritt in den Tod schriftlich aufgezeichnet, Abschiedsbriefe öffentlich gemacht. Raddatz war 83 Jahre alt und kerngesund, als er in Zürich Sterbehilfe in Anspruch nahm.

Raddatz wollte den rechten Moment nicht verpassen, hatte Angst davor, nicht mehr rüstig genug zu sein, um die Reise von Hamburg in die Schweiz anzutreten. Ihm hätte eine legale Exit-Strategie in Deutschland vielleicht noch ein paar zufriedene Jahre geschenkt.

Extrem auch Erich Loest, der schon ein Gefangener war, hinter der Zeit handelte. Loest sprang 87-jährig aus dem Fenster seines Zimmers im Krankenhaus. – Ja, vielleicht hätte er sich jemandem anvertrauen können, der ihm einen anderen Weg hätte eröffnen können. Aber wer ihn wie ich hat kennenlernen dürfen, weiß, dass bei aller nicht auszuschließenden Verbitterung und Enttäuschung Loest sehr bewusst seine Entscheidungen zu setzen verstand.

Freiheit ist ein hohes Gut. Das Grundgesetz garantiert sie so wie die Menschenwürde. Ihre Konsequenz, die Konsequenz der Freiheit, müssen wir aushalten können.

Wir haben bereits in anderen Fragen Verfahren ausgehandelt, um zwischen der Selbstbestimmung des Individuums und anderen Werten zu vermitteln. Ich erinnere an den Schwangerschaftsabbruch oder an die Geschlechtsanpassung. Auch im Maßregelvollzug, den wir heute in erster Linie gesetzlich behandelt haben, versuchen wir die Vermittlung zwischen der im Grundgesetz verankerten Achtung der individuellen Freiheit und dem gesellschaftlichen Schutzanspruch und wissen gleichwohl,

(Glocke des Präsidenten)

dass wir beiden Werten nicht gleichermaßen gerecht werden können – und dieses gilt auch für den Suizid.

Bei aller Vorsorge müssen wir deshalb die Regeln setzen für die Menschen, die bereit sind, Menschen, die in den Tod gehen, verantwortlich zu begleiten.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Thelen, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ja, die Grundsatzdebatte ist wichtig, und sie hat erste positive Ergebnisse allein durch ihr Stattfinden erzeugt. Herr Köbler hat soeben schon die Aussage des Bundestagskollegen Peter Hinze zitiert, der sagte, die erste positive Wirkung ist, auch das Sterben, das Lebensende aus dem allgemeinen Schweigen herausgeholt zu haben, und das ist gut so.

Es ist schwer, sich mit diesem Ende selbst auseinanderzusetzen, es ernsthaft zu tun, und deshalb ist es gut, dass in dieser Grundsatzdebatte in Berlin, aber auch in unserer Anhörung genau dieser Lebensabschnitt im Fokus steht und wir selbst auch schon ein wenig geübt haben, darüber zu reden, jeder mit seiner ganz eigenen persönlichen Erfahrung.

Wir haben uns im Wesentlichen darauf verständigt, uns aus der grundsätzlichen Entscheidung, die in Berlin zu treffen ist, herauszuhalten und uns auf das zu konzentrieren, wozu auch wir im Land etwas beitragen und etwas leisten können, gerade diesen letzten Lebensweg ein Stück zu begleiten und den Menschen die Hilfe anzubieten, die sie brauchen.

Ich möchte aber zumindest an dieser Stelle meine Meinung sagen – Frau Ganster und Frau Klöckner, sie alle haben es schon gesagt –, ich finde, wir brauchen keine gesetzliche Änderung, und zwar gerade auch vor dem Hintergrund dessen, was Sie sehr eindringlich gesagt haben, Frau Ratter: Der Suizid ist straffrei, und auch die Beihilfe zum Suizid ist straffrei. Mich haben in der Anhörung die Menschen, die Experten überzeugt, die dargelegt haben – und ich glaube, das hat auch Susanne Ganster sehr gut geschildert –, was bei uns mit dem Bild der Schleuse beschrieben wird: Die Tür ein kleines bisschen zu öffnen für Fälle, die man im Kopf hat, für die man es sich vorstellen kann. – Aber wird es gelingen, die Tür nur so schmal aufzuhalten? –

Ich glaube, das ist etwas, was uns sehr ernsthaft und mit Sorge umtreibt, zumal wir gerade aus anderen Ländern, die schon seit längerer Zeit die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe für sich entschieden haben, erleben mussten, dass diese Tür auch weiter aufgeht und das selbst Menschen zu Tode gebracht werden, die auch die in diesen Ländern geltenden Bedingungen, eine eigenverantwortliche Entscheidung, überhaupt nicht mehr erfüllen können, wenn es sich zum Beispiel um an Alzheimer erkrankte Menschen handelt. Ich glaube, es tut uns gut, in diesem Falle Nein zu sagen, und ich hoffe, dass dieses Nein auch eine Mehrheit im Bundestag finden wird.

(Beifall der CDU)

Wir haben gesagt, wir konzentrieren uns auf das, was im Land nottut, und wir haben auch durch unsere Große Anfrage die Situation im Land erhoben. Frau Ministerin Bätzing-Lichtenthäler, ich bin froh, dass sich aufgrund der Mangelsituation, die wir gerade bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung feststellen müssen, wo wir bisher nur etwa 50 % des Bedarfs gedeckt haben, offensichtlich nun weitere Teams auf den Weg machen. Das ist sehr wichtig.

Ich glaube, es ist ganz besonders wichtig für die Wahrnehmung dieser Debatte – für die Orientierungsdebatte, für die Anhörung und für die Debatte heute –, wie ernst wir unsere Aussagen nehmen, die wir treffen, und wie wichtig eine gute, eine flächendeckende und ausreichende Begleitung im Sterben ist. Wir werden in Zukunft mit dieser Debatte nur ernst genommen werden, wenn wir diesen Worten auch wirklich Taten folgen lassen. Ich bin mir dabei auch darüber bewusst, dass das nicht einfach wird.

Wir wissen, wie die demografische Entwicklung unser Land verändern wird. Die Zahl der hochbetagten Menschen wird deutlich zunehmen, und wir erleben schon jetzt in der Palliativversorgung, in der hospizlichen Versorgung, dass die Nachfrage vorhanden ist, ja, dass sie größer ist als das Angebot und auch die stationären Hospize Wartelisten haben. Wir müssen uns auch darum bemühen – ich denke, das führen wir in unserem Antrag sehr gut aus – zu klären, wie wir die Bedarfe entwickeln und wie wir die Bedarfe mit der Perspektive in die Zukunft berechnen und schlussendlich auch umsetzen; denn die Zahl allein hilft nicht weiter.

Wir müssen uns auf den Weg machen, viele Menschen für die Begleitung Sterbender zu gewinnen. Es wird schwer werden, es ausschließlich mit professionellen Kräften zu bewältigen. Wir sind dankbar für all diejenigen, die sich professionell zur Verfügung stellen, aber besonders auch für diejenigen,