Protokoll der Sitzung vom 23.07.2015

Wir müssen uns auf den Weg machen, viele Menschen für die Begleitung Sterbender zu gewinnen. Es wird schwer werden, es ausschließlich mit professionellen Kräften zu bewältigen. Wir sind dankbar für all diejenigen, die sich professionell zur Verfügung stellen, aber besonders auch für diejenigen,

(Glocke des Präsidenten)

die ehrenamtlich diese Aufgabe wahrnehmen, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Ich denke, wir werden zusammen nach Kräften daran arbeiten, dass es in diesem Land ein Sterben in Würde auch in Zukunft geben wird.

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Frau Ministerpräsidentin Dreyer, Sie haben das Wort.

Lieber Herr Präsident, meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Auch ich möchte mich zunächst sehr herzlich für die respektvolle Diskussion über all diese Wochen hinweg bedanken, und ich möchte auch meiner Fraktion dafür danken, dass es die Chance gab, innerhalb der Fraktion mit Experten und Expertinnen ausführlich zu diskutieren.

Ich denke, man kann feststellen, dass uns das große Ziel verbindet, das Sterben als Teil des Lebens zu verstehen, der unsere ganz besondere Hinwendung verdient, damit es in jedem einzelnen Fall in Würde geschehen kann. Dies wird natürlich nur gelingen, wenn wir für die Betroffenen, aber auch für die Angehörigen, für die Helfenden und für die Pflegenden ein gesellschaftliches Klima schaffen, das den todkranken, den sterbenden Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellt, wir ihm also Halt und Nähe geben.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, im Sterben, im Tod liegt eben doch furchtbar viel Bedrückung und auch furchtbar viel Trauer.

Es ist so furchtbar einfach gesagt, das Sterben als Teil seines Lebens zu betrachten. Wer Menschen in den Tod begleitet hat, vor dem Tod steht oder selbst mit dieser Situation konfrontiert ist, der weiß auch, dass das dann alles ein sehr leichtes Wort ist.

Aber genauso wissen wir auch, dass Hoffnung und Zuver

sicht vermittelt werden können. Das ist auch ein großer Trost, wenn Sterbende und Angehörige Mitmenschlichkeit und Zuwendung erfahren, zum Beispiel durch jene Begleitung, die wir im Hospizgedanken verankert sehen oder die ihren Ausdruck auch in der wachsenden Bedeutung der Palliativmedizin findet und wir immer wieder Ärzte, Pfleger, Ehrenamtliche haben, die deutlich machen, dass ihnen diese Zuwendung, dieser Trost auch eben von Bedeutung ist.

Ich bin sehr froh, dass die Debatte eigentlich alle Aspekte beleuchtet hat. Man sieht es auch heute wieder. Es sind Fragen aufgetaucht, ob beispielsweise zu einem selbstbestimmten Leben ein selbstbestimmtes Sterben gehört. Das Interessante an der Debatte war für mich, was eigentlich selbstbestimmt in diesem Zusammenhang heißt, ob es gesetzgeberischen Handelns bedarf und wo vielleicht auch die Schranken eines Gesetzgebungsverfahrens sind.

Es gab vieles, was mir eingeleuchtet hat. Ich kann mich beispielsweise auch nicht der Argumentation von Frau Ratter entziehen. Trotzdem treffe ich für mich ganz persönlich eine andere Entscheidung. So habe ich all die Diskussionen hier auch erlebt, dass man respektvoll mit dem Vortragen der anderen Meinung oder der der Experten umgeht und dennoch die Freiheit in dieser Diskussion empfindet, eine eigene Entscheidung zu treffen, weil diese Entscheidung doch am Ende einfach nur individuell sein kann.

Ich habe Thomas Klie in der Anhörungsdebatte in Erinnerung – ich habe ihn nicht gehört, er hat es aber bei uns noch einmal gesagt, ich sage es jetzt einmal als Zitat –: Die Parlamentarier wären gut beraten, auf eine gesetzliche Regelung gänzlich zu verzichten. Sie könnte durch eine Entschließung ersetzt werden, die zentrale kulturelle, fachliche und gesundheitspolitische Herausforderungen betont: die Akzeptanz eines Lebens unter Bedingungen der Verletzlichkeit, die Sorgefähigkeit der Gesellschaft und die Integration der Verantwortung für andere in die persönliche Lebensführung als Teil sinnerfüllten Lebens. –

Wenn man es langsam ausspricht und sich noch einmal überlegt, so sind das wirklich sehr gewichtige Worte. Was das eigentlich bedeutet, muss man auch immer wieder hinterfragen. Es bedeutet für mich auf jeden Fall Respekt und Wertschätzung vor der Persönlichkeit, auf jeden Fall ein Bewusstsein der Unantastbarkeit und Unabdingbarkeit der Würde des von Krankheit und Pflege oder Demenz betroffenen Menschen.

Das heißt auch, für den anderen bedeutsam zu bleiben. Ich glaube, ich habe das auch schon bei der ersten Rede gesagt, weil es für mich ein so furchtbar wichtiger Punkt ist, nicht als Betroffener zu meinen, ob chronisch krank, ob behindert, ob alt, dass man anderen zur Last falle, weil man nun vielleicht ein Pflegefall ist, als hätte man keinen Eigensinn mehr, als hätte man keine eigenen Wünsche mehr, als hätte man keine Themen mehr, vielleicht nur, weil man sie nicht mehr so artikulieren kann mit der gleichen Lebendigkeit, wie sie Menschen, die nicht in dieser Phase leben, haben.

Es bleibt für mich dabei, dass das Sterben so individuell ist wie das Leben. Das bedeutet auch, dass ich Respekt vor jeder Entscheidung eines jeden Menschen habe, wie

er seine letzte Lebensphase gestaltet, wenn er denn die Freiheit hat, es überhaupt zu tun.

Natürlich verlangt es Respekt ab, egal, wie er oder sie sich entscheidet.

Es bleibt für mich auch dabei, dass ich als Ministerpräsidentin – das ist auch das Selbstverständnis meiner Landesregierung – alles dafür tun werde, dass Menschen so unterstützt werden in unserem Land, dass sie auch wirklich gut diese Lebensphase gestalten können.

Das ist vielleicht der letzte Aspekt, der mir besonders wichtig ist. Es bedeutet eben auch, dass die letzte Lebensphase nicht mit der Phase des Sterbens beginnt, sondern dass sie in einer letzten Lebensphase das Älterwerden meint oder bei einem Menschen, der jung und behindert ist, dass er vielleicht eine letzte Lebensphase auch schon im jungen Alter hat.

Diese letzte Lebensphase gemeinsam zu gestalten, nicht in Einsamkeit zu gestalten, aufgehoben zu sein in Nachbarschaft, in Freundschaft, in Unterstützung auch durch Pflege, durch Ärzte, durch Helferinnen und Helfer, ist für mich sehr entscheidend, um dann auch den Anspruch erfüllen zu können, dass man tatsächlich in Würde sterben kann.

Dem allen sehen wir uns gegenüber verpflichtet, deshalb arbeiten wir auch daran. Ich bin froh, dass es einen großen Konsens diesbezüglich hier in diesem Haus gibt. Das gab es eigentlich auch schon immer.

Dass die Hospizbewegung für mich natürlich eine richtige Antwort ist, ist selbstredend. Die Hospizbewegung wurde in unserem Land dementsprechend auch immer unterstützt. Dass wir mit regionalen Versorgungskonzepten die stationären und ambulanten Angebote weiter verknüpfen müssen und flächendeckend spezialisierte Teams für eine ambulante Palliativversorgung weiterentwickeln müssen, ist genauso wichtig, weil es die Menschen natürlich gerade in den ländlichen Regionen in einer älter werdenden Gesellschaft verdient haben, dass sie tatsächlich auch dieses Wissen, diese Kenntnisse und diese Zuwendung am Ende zur Verfügung haben.

Es geht also darum, dass Menschen am Ende geborgen und unter Achtung ihrer Würde vom Leben loslassen können. Diese Entscheidung, wie sie das machen, kann sehr individuell sein. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Netzwerk da ist, dass die Menschen eingebettet sind in das Engagement von Menschen, denen wir für ihren Einsatz wirklich auch von Herzen dankbar sind.

Ich habe schon immer die Menschen bewundert, die hauptamtlich, aber auch ehrenamtlich in diesen Bereichen tätig sind, für ihren Mut und für ihre Kraft, sich auch immer wieder mit der Frage des Sterbens auseinanderzusetzen, und ihre Bereitschaft, wirklich zu geben. Das ist etwas Wunderbares in unserem Land. Daran werden wir weiter arbeiten, immer im Respekt davor, dass jeder Mensch für sich selbst irgendwann entscheiden muss, wie er gerne das Ende seines Lebens gestalten will.

Wir können sie nur dazu ermutigen, dass sie die Ange

bote, die wir über die Hospizbewegung und palliativ zur Verfügung stellen, in Anspruch nehmen und darunter ihre eigene Auswahl treffen.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Kollegen Schweitzer das Wort. Danach kommen Herr Kollege Köbler und danach Frau Kollegin Klöckner.

Vielen Dank, Herr Präsident, für das Wort und die Gelegenheit, noch einige Bemerkungen machen zu dürfen. Ich habe eben noch einmal nachgesehen, wie ich in der ersten Runde unserer Debatte im März versucht habe zu begründen, dass wir natürlich nicht nur über die Kernfragen reden müssen, wie man nämlich mit der Frage des Suizids und der Unterstützung beim Suizid umgeht, sondern natürlich auch darüber, was in dieser Phase des Alterns, der Pflegebedürftigkeit, der Unterstützungsbedürftigkeit überhaupt anzusprechen ist.

Ich habe damals gesagt, wir brauchen eine Vorstellung davon, wie wir im Alter leben wollen. Dazu gehören eine gute Pflege, palliative Unterstützung und Strukturen, die das Leben möglich machen.

Ich bin sehr froh, dass ich herausgehört habe, eigentlich schon damals, aber in der ganzen Debatte bis jetzt und heute wieder, dass wir an dieser Stelle zusammen sind. Das ist die Fragestellung.

Ich bin ebenfalls sehr froh, dass die Anträge, die uns heute beschäftigen, sich auch mit dieser Frage auseinandersetzen und die Anträge konkrete Vorschläge machen und man an das anknüpfen kann, was insbesondere Frau Textor, die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz in Rheinland-Pfalz, gesagt hat.

Sie hat sich besonders darauf bezogen, dass wir uns nicht ausschließlich und vor allem auf die Fragen der stationären Ausstattung im Bereich der Palliativmedizin und des Hospizwesens beziehen sollen. Sie hat sich damals zitieren lassen: „Wir wünschen uns für Rheinland-Pfalz, dass Sie die bestehenden Strukturen achten; denn wir haben schon sehr gute Strukturen.“

Ich will das hervorheben, weil es schon deutlich macht, dass wir weit gekommen sind und über die Phase des Alters nicht nur mit Blick auf die letzten Schritte des Lebens sprechen dürfen, sondern auch anerkennen müssen, was wir ganz oft dann diskutieren, wenn wir über die Frage der neuen Wohnformen sprechen. Diese Debatten gehören zusammen.

Wenn Menschen sagen, sie wollen so lange wie möglich zu Hause bleiben oder doch zumindest in Strukturen, die sie als nah und zu Hause empfinden, also ambulante Strukturen, dann kann es doch nicht anders sein, als dass auch

das Hospizwesen insbesondere auf ambulanten Beinen steht.

Wir brauchen daher auch bei dieser Frage kein Auseinanderdividieren zwischen der stationären und der ambulanten Infrastruktur, sondern wir brauchen beides. Beides muss ineinander übergreifen. Wir brauchen eine gute Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte. Wir brauchen eine gute Ausbildung der Pflegekräfte. Das wird uns auch beschäftigen, wenn wir über die Zukunft der Ausbildung der Pflege diskutieren. Diese Debatte kommt vom Bund. All das müssen wir einbeziehen.

Meine Damen und Herren, ich will versuchen, darauf hinzuweisen, dass diese Debatte uns zu Ehren geraten ist. Es gab zu Anfang die Frage, was tun wir eigentlich im Land Rheinland-Pfalz, wo die Gesetzgebungskompetenz doch so überschaubar ist. Ahmen wir womöglich sozusagen wie der kleine Bruder nur die Debatte des Bundestages nach? Ich finde, wir haben dem ein deutliches Zeichen entgegengesetzt.

Wir haben natürlich nicht die zentrale Gesetzgebungskompetenz, aber wir können das Lebensumfeld der Menschen gestalten, und zwar entlang der Punkte, die Malu Dreyer und Sabine Bätzing-Lichtenthäler angesprochen haben.

Wenn diese Debatte eines für uns gemeinsam bringen wird, dann das, dass wir uns über diese Fragen neu ausgetauscht und, wie ich finde, auch neu verständigt haben. Die Orientierungsdebatte sollten wir immer dann in Erinnerung haben, wenn wir die Frage der Pflege, des guten Lebens im Alter miteinander erneut behandeln.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu Ruth Ratter und über Fritz J. Raddatz sagen. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit ein längeres Stück über seine letzten Stunden gelesen und habe dies noch in Erinnerung. Natürlich war, und so hat er es auch beschrieben, sein Leben und insbesondere sein Ausscheiden aus dem Leben ein ganzes Stück Inszenierung, wie es ihm zukommt.

Ich habe mich natürlich darüber gefreut – ich glaube, es war in der F.A.Z. –, dass dafür eine ganze Seite aufgewandt wurde. Ich will Ihnen aber auch sagen, ich würde mich schon darüber freuen, wenn wir ganz oft mindestens in dieser Stärke über die vielen Menschen, die sich ehrenamtlich und darüber hinaus im Bereich der Hospizbewegung engagieren, lesen würden und das auch entsprechend gewürdigt würde.

(Glocke des Präsidenten)

Ich sehe da ein kleines Ungleichgewicht. Ich würde mir wünschen, dass wir das als Ziel der Debatte für die Zukunft haben. Lassen Sie uns dies wieder stärker in den öffentlichen Fokus bringen, dann hätte diese Debatte einen weiteren Erfolg gehabt.

Danke schön.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Herr Kollege Köbler hat das Wort.