Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

Werden es 4.000 oder vielleicht 8.000 Euro im Monat sein? Wo sehen Sie die möglichen Sparpotenziale,

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Wo sehen Sie die denn?)

und wo sehen Sie möglicherweise die Schmerzgrenze dieser Gesellschaft und die Grenzen zu sozialer Ungerechtigkeit, beispielsweise gegenüber alten Menschen, die ebenfalls Handicaps haben?

Der vierte und letzte Punkt erstreckt sich auf den Fachkräftemangel. Kleinere Einrichtungen erfordern mehr Personal, individuelles Wohnen erfordert mehr Assistenz, integrative Betreuung und integrative Beschulung erfordern Integrationshelfer usw. Welchen Bedarf an Fachkräften erwarten Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Wie wollen Sie diesen decken? Es macht keinen Sinn, ambulante Hilfen auszubauen und aus größeren Einrichtungen kleine zu machen, wenn vieles nachher mangels der notwendigen Fachkräfte nicht genutzt werden kann.

(Unruhe im Hause)

Sehr geehrte Damen und Herren, eine nachhaltige und zukunftsweisende Politik für behinderte Menschen wird nur gelingen – jetzt sollten Sie vielleicht zuhören –, wenn sie auf Dauer die Akzeptanz der Gesellschaft findet.

(Pörksen, SPD: Ich höre die ganze Zeit zu!)

Hierzu halte ich deutlich mehr Transparenz als bisher und die klare Kommunikation von Zielen und der damit verbundenen Kosten für dringend erforderlich. Dies ist auch die große Lücke in Ihrem Bericht und ein erheblicher Mangel. Zu Kosten lesen wir dort nichts.

Nur Transparenz und Offenheit verhindern gegensätzliche Erwartungen von Betroffenen, Leistungserbringern und Leistungsträgern. Diese gegensätzlichen Erwartungen behindern eine vernünftige Fortentwicklung der Behindertenpolitik. Wir wollen mehr Transparenz und Offenheit.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Aber offenbar weniger Geld!)

Wir wollen die dauerhafte Akzeptanz in der Gesellschaft und werden gerne eine so ausgerichtete nachhaltige und zukunftsweisende Politik für behinderte Menschen unterstützen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltend Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Dröscher das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 4. Bericht über die Lage behinderter Menschen und die Umsetzung des Landesgesetzes zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen ist eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Bemühungen des Landes, aber auch der Kommunen und vieler anderer Akteure in den unterschiedlichsten Handlungsfeldern, den Auftrag der Landesverfassung zum Schutz von behinderten Menschen vor Benachteiligungen zu erfüllen und auf ihre Integration und die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Seit 2001 ist das als Artikel 64 Bestandteil der Landesverfassung.

Mit dem Landesgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen, das wir im Jahr 2002 in diesem Parlament beschlossen haben, und mit der Ratifizierung der UN-Konvention in Rheinland-Pfalz 2008 und im Bund 2009 wurde dieser Auftrag konkretisiert und schließlich 2010 im Aktionsplan als Leitbild, als Querschnittsthema und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe noch einmal formuliert.

Der Aktionsplan ist die Aufforderung zum Dialog und zur Beteiligung an der Praxis der Umsetzung. Dieses Ange

bot wird auch angenommen. Mehrere Kommunen erarbeiten eigene Aktionspläne. Gesellschaftliche Gruppen machen das ebenso. Zielvereinbarungen werden geschlossen, wie zum Beispiel zur Inklusion von Kindern mit Behinderungen oder zu Tageseinrichtungen für Kinder mit Behinderungen. Eine Zielvereinbarung trägt die Bezeichnung „Behinderte Menschen und Polizei“. Eine ganze Reihe von Zielvereinbarungen zur Barrierefreiheit wurde mit Firmen, Behörden und im Hinblick auf Bahnhöfe geschlossen. Es gibt Foren und Zukunftskonferenzen, die die Akteure in diesem Feld zusammenbringen und regionale Maßnahmen und Entwicklungen im Sinne der Ziele des Aktionsplans fördern.

Der Bericht enthält Leitlinien und orientiert sich ganz klar und ausdrücklich an den Zielen der UNBehindertenrechtskonvention. Frau Thelen, das ist ein schwieriges Feld. Das ist ein Spannungsfeld, aber ich sehe das nicht so negativ wie Sie. Er gliedert sich dann in die Handlungsfelder Erziehung und Bildung, Arbeit, Wohnen, Kultur, Sport, Freizeit, Gesundheit und Pflege, Schutz der Persönlichkeitsrechte, Interessenvertretung, Mobilität und Barrierefreiheit und schließlich Bewusstseinsbildung, das eine ganz wichtige Geschichte ist.

Ich will auf einige wenige Aspekte im Einzelnen kurz eingehen. Ich will zum Beispiel auf den Bereich Barrierefreiheit und auf den Bereich Wohnen eingehen. In dem Zusammenhang greife ich noch einmal auf den Aktionsplan zurück, den ich mitgebracht habe. Er hat mit der sogenannten leichten Sprache eine wunderbare Ergänzung gefunden. Da sagt Malu Dreyer: „Dort, wo alle wohnen, sollen auch behinderte Menschen wohnen können. Mitten in der Stadt oder mitten im Dorf, dort, wo sie selbst leben möchten, so wie alle anderen auch.“ Ich meine, das ist eine ganz wesentliche Aussage und bringt zum Ausdruck, was wir dafür tun.

Ich meine auch, dass das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe von 2010 dem nicht widerspricht, sondern die Möglichkeiten bietet, „wohnen wo und wie ich will“ und vor allem „selbstbestimmt wohnen wo und wie ich will“ umzusetzen. Wir haben Barrierefreiheit bei einer ganzen Reihe von Beispielen aus dem Bereich des Leitsystems des Sozialministeriums. Im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II konnte die Barrierefreiheit neben energiepolitischen Maßnahmen in vielen Bereichen durchgesetzt werden. Das Beispiel von der BUGA haben wir heute Morgen mitbekommen. Da gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, die es sich lohnt, weiterzubetreiben.

Das gilt auch für den Bereich des Arbeitslebens, in dem Landessonderprogramme laufen und Integrationsfachdienste zur Verfügung stehen. Leider versorgen Integrationsfirmen noch nicht in dem Umfang, wie ich mir das wünschen würde, Menschen mit Behinderungen und Schwerbeschädigte. Dort haben wir aber – das ist zu loben – eine hohe Beschäftigungsquote im Landesdienst. Das ist also eine Reihe von Erfolgsergebnissen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Bei der Interessenvertretung behinderter Menschen ist vor allem – das gilt auch für ältere Menschen – das Motto „nichts über mich ohne mich“ wichtig.

Das haben wir in vielen Fällen umgesetzt. Ich denke, die enge Zusammenarbeit in diesem Netzwerk, auf die ich noch zurückkommen werde, spielt eine besondere Rolle.

Ich will einen Punkt, den auch Frau Thelen angesprochen hat, hervorheben, nämlich die Forderung nach Inklusion im Bildungsbereich, die im Raum steht. Wir haben 228 Schwerpunktschulen, 27 davon sind neu im Schuljahr 2011/2012 hinzugekommen. Wir achten das Wahlrecht der Eltern in diesem Bereich. Dass noch 140 Förderschulen bestehen – ich klammere das „noch“ ein –, heißt, dass ein wesentlicher Anteil der Bildungsarbeit in diesem System der Förderschulen für behinderte Schülerinnen und Schüler und für Benachteiligte geleistet wird.

(Frau Brede-Hoffman, SPD: Auf hohem Niveau!)

Dass wir diesen Bereich nicht einfach wegfallen lassen wollen, sondern es Ziel sein muss, irgendwann einmal der UN-Konvention zu entsprechen, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderungen vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden, sondern gleichberechtigt mit anderen Zugang zu einem integrierten hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben werden, ist ein Ziel, das wir erreichen wollen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das geht nur mit den anderen Einrichtungen gemeinsam. Das gilt für Kindertagesstätten, integrative Kindertagesstätten und für Einzelintegration genauso. Hier ist eine Entwicklung im Gange.

Am Beispiel der Schulen kann man deutlich zeigen, dass wir in den letzten Jahren bei etwas über 19.000 Schülern, die eine Förderschule besuchen, eine Veränderung von 93 % im Jahr 2003 auf 83 % im Jahr 2010 und bei dem integrativen Unterricht von 7 % auf 16,9 % dieser Schülerinnen und Schüler hatten. Das ist ein wesentlicher Fortschritt und eine Umsetzung mit Augenmaß, was ich besonders betonen möchte.

Neben der Beschreibung positiver Entwicklungen enthält der Bericht auch Hinweise auf wichtige Zukunftsaufgaben und schwierige Praxisfelder. Einige wurden schon von Frau Thelen genannt, zum Beispiel die anstehende Dezentralisierung der großen Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderungen leben, lernen und arbeiten.

Ich kann aus der Praxis einiges erzählen. Ich habe miterlebt, wie dieses Spanungsfeld zwischen Schutz und Selbstständigkeit läuft, dass sich Eltern, Betreuerinnen und Betreuer und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen eher auf der Seite der Schutzmöglichkeiten orientieren und Menschen mit Beeinträchtigungen möglichst selbstständig leben und dabei auch ein Risiko eingehen wollen. Das ist eine ganz spannende Geschichte.

Wir begleiten das. Das Ministerium hat Zukunftswerkstätten veranstaltet. Ich denke, dass hier ein Umdenken entsteht, das mit mehr Entscheidungsfreiheiten einhergeht.

Die Entwicklung einheitlicher Steuerungs- und Finanzierungssysteme mit der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfen wurde genannt. Das ist eine wichtige Aufgabe, bei der dicke Bretter gebohrt werden müssen. Dabei halte ich die Aufhebung der Trennung von stationären und ambulanten Angeboten, also die Ausrichtung am individuellen Unterstützungsbedarf, für einen ganz wichtigen Aspekt. Es sollte uns als „das Budgetland“, wie Rheinland-Pfalz genannt wird, mit den unterschiedlichen persönlichen Arbeitsbudgets, gelingen, hier einige Schritte nach vorn zu kommen.

Zuletzt möchte ich noch auf das Ziel Inklusion und Teilhabe eingehen. Das erfordert Netzwerkarbeit. Der Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen ist sehr aktiv. Der Landesbeirat zur Teilhabe behinderter Menschen ist mit im Boot. Bei den Wohlfahrts- und Sozialverbänden, den kommunalen Behindertenbeiräten und -beauftragten ist eine Steigerung der Zahlen und des Engagements festzustellen. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, Heimbeiräte und Werkstatträte, Selbsthilfeorganisationen und -gruppen, die vom Land gefördert werden, und der große Faktor der Ehrenamtlichkeit spielen hier eine ganz große Rolle.

Frau Thelen hat sich bedankt, dem möchte ich mich anschließen. Ein Kompliment an die Beteiligten, die in den letzten Jahren so viel erreicht haben, möchte ich aussprechen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch der fünfte Bericht ein entsprechendes Ergebnis aufweisen wird.

Lassen Sie mich ganz kurz abschließend auf den Begriff der leichten Sprache eingehen. Malu Dreyer und Ottmar Miles-Paul haben gesagt: „Die Regierung von Rheinland-Pfalz will den UN-Vertrag umsetzen. – Deshalb hat sie zusammen mit den Organisationen behinderter Menschen einen Aktions-Plan für Rheinland-Pfalz geschrieben. Das war viel Arbeit. Aber es hat sich gelohnt. Alle Ministerien machen mit. Es gibt über 200 verschiedene Punkte, die wir tun werden.“ Das ist der Aktions-Plan.

Es geht weiter: „Die Teilhabe von behinderten Menschen soll besser werden. Behinderte Menschen sollen überall dabei sein können. Das nennt man in schwerer Sprache Inklusion.“

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Konrad für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Gäste! Ich schließe mich dem Glückwunsch und dem Dank von Frau Thelen ausdrücklich an. Obwohl wir in den letzten Jahren nicht in diesem Hohen Hause vertreten waren, können wir die Politik für Menschen mit Behinderungen, wie sie hier in Rheinland-Pfalz gemacht worden ist, genauso positiv wahrnehmen, wie Sie es geschildert haben.

Ich will auf das, was Sie gesagt haben, in einem Punkt eingehen. Sie können gern nachvollziehen, dass auch wir die Problematik der werdenden Eltern, wenn sie ein Kind erwarten, das möglicherweise eine Behinderung mit sich trägt und darunter leiden wird, wahrgenommen haben. Ich glaube, das steht erstmals in einem Koalitionsvertrag, dass wir uns genau an diese Familien wenden und ihnen Mut machen wollen.

Richard von Weizsäcker hat folgende zwei Sätze gesagt: „Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann. Lassen Sie uns die Behinderten und ihre Angehörigen auf ganz natürliche Weise in unser Leben einbeziehen. Wir wollen ihnen die Gewißheit geben, daß wir zusammengehören“. Dieses selbstverständliche Eintreten für das selbstverständliche Dazugehören war damals, Ende der 80er-Jahre/Anfang der 90er-Jahre, visionär. Wir sind dem heute einen ganzen Schritt näher gekommen. Dafür bin ich allen, die in den Jahren Verantwortung getragen haben, auch aufgrund meiner familiären Situation sehr dankbar.

Ich habe mich entschieden, heute meinen Vortrag in einfacher Sprache zu halten, nicht weil Menschen hier sind, die darauf angewiesen wären, vielleicht unter den Gästen, sondern auch, damit Menschen draußen das im Protokoll nachlesen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen werde ich mehr ablesen als sonst und vielleicht auch öfter stocken.

Damit es Menschen verstehen, die gute, einfache und leichte Sprache brauchen, wollen wir etwas tun, was für Menschen mit Behinderungen gut ist. Behinderte Menschen sollen selbst bestimmen, wie sie leben wollen. Das hat Herr Dröscher schon erwähnt, das ist auch schon in einfacher Sprache gesagt worden. Das hat die UN so bestimmt.

Die UN ist eine Versammlung mit Menschen aus allen Ländern dieser Welt. Diese Versammlung, die UN, hat bestimmt, dass die Menschen, auch wenn sie behindert sind, sich selbst bestimmen dürfen. Man nennt diese Vorschriften eine Konvention. Eine Konvention ist so etwas wie ein Gesetz.

Heute geht es um das Gesetz oder die Konvention für die Rechte, also was man darf, von behinderten Menschen. Diese Konvention bestimmt viele Sachen. Ein paar will ich nennen.