Wir können zur unmittelbaren Abstimmung über den Antrag kommen, da die Beschlussempfehlung die Annahme empfiehlt.
Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/561 – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke. Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Der Antrag ist somit einstimmig angenommen.
Für faire Arbeitsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer in der Paketzustellung Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/646 –
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Schrei vor Glück“, wer kennt sie nicht, die Werbung eines großen Internethändlers? Ich gebe zu, dass auch ich es sehr schätze, spät abends oder wenn ich einmal im Zug unterwegs bin, online einkaufen zu können, weil man sonst nicht wirklich dazu kommt. Ich freue mich, wenn dann ein paar Tage später ein netter Herr vor der Tür steht und mir das Paket bringt.
Aber einmal ehrlich: Wer von uns fragt sich, wie lange der Zusteller schon unterwegs ist, wie viele Pakete er schon wie viele Stockwerke hochgeschleppt und wie oft er dies umsonst getan hat, weil niemand anzutreffen war?
Nun kann man sagen, das ist sein Job. Andere arbeiten auch hart. – Das ist richtig. Aber wer die Medienberichterstattung in den letzten Monaten verfolgt hat, der konnte erfahren, dass es in diesem Bereich nicht um harte, sondern um unmenschliche und teilweise auch ausbeuterische Arbeit geht.
Deshalb haben wir heute dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt; denn gerade bei den Paketzustellern kumulieren sich diverse negative Entwicklungen, die mit guter Arbeit und fairen Löhnen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben und die nicht selten sogar lebensgefährlich sind.
Dahinter steht zunächst ein ausgeklügeltes System an Subunternehmen. Die eigentlichen Auftraggeber, die großen Paketdienste, bei denen die Arbeitsbedingungen zumindest manchmal noch tarifvertraglich festgelegt
sind, beauftragen Subunternehmer, diese wiederum beauftragen weitere Subunternehmer und diese weitere Subunternehmer, sodass zum Schluss für denjenigen, der bei uns vor der Tür steht und uns glücklich machen soll, nicht viel mehr übrig bleibt als 50 oder 60 Cent pro Paket.
Jeder kann nun einmal ausrechnen, wie viele Pakete dieser Mensch am Tag zustellen muss, um auf einen Lohn zu kommen, von dem er sich und seine Familie – so er denn überhaupt eine hat – ernähren kann, wenn er gleichzeitig noch die Raten des für den Transport angeschafften Transporters abbezahlen muss. – Das geht nur, wenn er von frühmorgens bis spätabends und teilweise sogar sonntags, wie mir meine Kollegin aus der Eifel berichtet hat, unterwegs ist und Pakete zustellt. Es wird auch von Strafzahlungen berichtet, wenn Pakete nicht pünktlich zugestellt werden, sodass die Zusteller teilweise sogar noch Geld drauflegen müssen.
Wozu dies führt, ist klar: Termindruck, Verstoß gegen Lenk- und Ruhezeiten und gegen die Straßenverkehrsordnung. Damit gefährden sie nicht nur sich selbst und ihr eigenes Leben, sondern auch das Leben anderer, und dies dürfte, glaube ich, all denen, die über die Autobahn nach Mainz fahren, nur zu gut bekannt sein.
Das Allerschlimmste daran ist, es gibt niemanden in der Auftraggeberkette, der sich dafür verantwortlich fühlt. Meine Damen und Herren, wir fühlen uns dafür verantwortlich. Wir wollen anständige Arbeitsbedingungen, verantwortbare Arbeitszeiten und ordentliche Löhne für diese Menschen.
Dazu gehört natürlich als Erstes ein gesetzlicher Mindestlohn. Das sagen nicht nur wir, sondern sogar der Verband der Subunternehmer. Auch Herr Professor Sell von der Fachhochschule in Remagen hält an dieser Stelle einen gesetzlichen Mindestlohn für erforderlich. Nur durch einen Mindestlohn kann sichergestellt werden, dass dieser unsägliche Konkurrenzdruck, unter dem die Paketzusteller leiden, aufhört; denn dann fahren alle überall in Deutschland zu den gleichen Bedingungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die Paketzustellerbranche ist das beste Beispiel dafür, weshalb das, was Sie als – wie auch immer geartete – Lohnuntergrenze festlegen wollen, das Niedriglohnproblem nicht lösen kann. Der Bereich ist weitgehend tarifpartnerfrei, sodass eine Branchenlösung schwer zu finden sein dürfte, zumal Anbieter wie GLS oder UPS ihren Sitz gar nicht in Deutschland haben.
Wir wollen auch dafür Sorge tragen, dass geltende Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz eingehalten werden und die Auftraggeber bei Verstößen in die Pflicht genommen werden. Im Übrigen möchte ich auch darauf hinweisen, dass die noch weitergehende Liberalisierung und Bestrebungen der EU in diesem Bereich die Situation noch verschärfen werden, wenn wir nicht gegensteuern.
Dazu gehört auch, dass wir die Menschen für dieses Problem sensibilisieren. Viele Internethändler werben
damit, dass die Bestellung versandkostenfrei ist. Jedem ist aber doch klar, dass der Versand nicht kostenlos ist.
Dann muss sich doch jeder fragen, zu wessen Lasten dies eigentlich geht. Deswegen wollen wir, dass sich der zuständige Ausschuss noch einmal intensiv mit der Problematik beschäftigt, und wir werden auch eine Anhörung dazu beantragen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür, dass auch die Arbeit der Paketzusteller einen Wert hat und wir nicht zusehen dürfen, wenn Menschen unter solchen Bedingungen arbeiten. Ich jedenfalls wäre noch glücklicher, wenn ich im Internet oder sonst irgendwo etwas bestelle, wenn ich wüsste, dass auch der Überbringer zumindest halbwegs zufrieden ist mit seinem Job.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über einen Antrag, zu dem es einiges Grundsätzliches zu sagen gilt.
Frau Kollegin, zunächst einmal gebe ich Ihnen recht: In unserem Lohngefüge stellt sich die grundsätzliche Frage, ob unsere Bewusstseinsbildung noch richtig ist und noch so ist, wie sie sein sollte. – Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich gebe Ihnen auch darin recht – und das sagt in diesem Haus niemand anders –, dass unanständige Löhne für Vollzeitjobs nicht akzeptabel sind. Das haben wir als Union aber auch immer gesagt.
Wir sind auch noch einer Meinung, dass wir in Deutschland kein Lohndumping brauchen. Gerade in den Grundsätzen der Union ist auch eine Ausbeutung nicht vorgesehen. Auch darin dürften Sie mit uns noch konform sein.
Nun stellt sich aber die Frage: Wie löse ich dieses Problem? – Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade aus Ihrer eigenen Vita erzählt, wie Sie denn Pakete bestellen. Ich gehe doch einmal davon aus, dass Sie wissen, dass Paketzusteller Geld bekommen, auch wenn Sie keines bezahlen. Aber Sie wissen doch auch, wie viel Sie als Preis für ein Produkt hinlegen, das Sie bekommen.
Wenn Sie diesen Antrag stellen, muss es Sie doch dann spätestens stutzig machen, dass dieser Preis unter dem Strich doch gar nicht so bleiben kann, wenn dazu noch die Paketzusteller ordentlich bezahlt werden würden. – Darüber dürften wir uns auch noch einig sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die entscheidende Frage zu diesem Antrag lautet doch – das möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen –: Was wollen Sie denn mit diesem Antrag in der Praxis ändern? Was? – Dass die Menschen ordentlich bezahlt werden? Stimmen wir deshalb über diesen Antrag ab?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch in diesem Hause kein Einziger so blauäugig zu glauben, dass irgendeiner, der seine Produkte über das Internet vertickert oder der einen Paketzustellerservice hat, wegen dieses Antrags in irgendeiner Form mehr bezahlen wird. – Dieser Antrag ist überflüssig.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle einmal sagen, was man tun müsste. Es gibt ganz andere Möglichkeiten. Sie müssten vielleicht einmal bei den Steuern oder bei den Sozialabgaben heruntergehen, und Sie müssten überlegen, ob Sie nicht vielleicht solche Bereiche mehr kontrollieren.
Ich kann es Ihnen leider in diesem Bereich nicht ersparen. Vorher sind einige Worte gefallen, die ich jetzt nicht erwähnen möchte, weil mir die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, viel zu wichtig und viel zu entscheidend sind, als dass man es mit irgendwelchem Klamauk beschreiben könnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist aber doch alles doppelzüngig und doppelmoralisch. Da lese ich in der Zeitung vom 7. Dezember 2011 – ich glaube, das war gestern –: „Weiter Wachdienst für Bereitschaftspolizei“. In der Zeitung vom 6. Dezember 2011 ist zu lesen: „Mindestlohn zu hoch für Ministerium?“
Ich darf zitieren, was dazu ein zuständiger Bereichsleiter sagt, der beim Wachpersonal die Aufsicht führt.
„Der zuständige Bereichsleiter des noch bis zum 31. Dezember bei der BePo eingesetzten Unternehmens bestätigte dieser Zeitung“ – AZ – „dass der auf vier Jahre mit dem Land geschlossene Vertrag in beiderseitigem Einvernehmen aufgehoben worden sei. Seiner Firma sei nichts anderes übrig geblieben, weil sie nicht profitabel weiterarbeiten könne, ohne dass die Landesregierung die Mehrkosten aufgrund der Einführung des Mindestlohnes trägt.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Landesregierung will gar keinen Mindestlohn bezahlen in den Bereichen, in denen sie es könnte, fordert es aber bei allen anderen, und das ist – Entschuldigung! – scheinheilig.
Wenn ich mir anschaue, was Sie in Ihrem Antrag fordern, möchte ich bei Abschnitt II beginnen. Sie fordern den gesetzlichen Mindestlohn. Dazu kennen Sie unsere Meinung. Wir bleiben dabei: Die Tarifvertragsparteien sind zu stärken, wir brauchen regionale Unterschiede, wir brauchen branchenspezifische Unterschiede in einer Lohnuntergrenze. Dazu stehen wir, und das werden wir umsetzen, auch in der Kommission, aber nicht mehr; denn nur das wird in diesem Fall auch helfen.
Dann kommen wir zu III: „Der Landtag fordert die Landesregierung auf: – weiter der zunehmenden Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, unter anderem der Scheinselbstständigkeit, entgegenzuwirken;“