Protokoll der Sitzung vom 03.05.2012

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will zu dem Antrag der CDU sagen, dass wir uns im Rechtsausschuss zweimal mit der Frage befasst haben. Wir haben das gesagt, was Frau Raue eben schon einmal vorgetragen hat. Lasst uns bei uns die Praxis befragen, das heißt, die Gerichte, die Staatsanwaltschaften, welche Fälle es denn sind und welche Vorschläge es denn aus der Praxis heraus gibt, wie man vielleicht Paragrafen verbessern kann.

Darüber hinaus haben wir die anderen Länder befragt, wie sie dieser Frage gegenüber aufgeschlossen oder nicht aufgeschlossen sind, an dem entsprechenden § 174 StGB Veränderungen oder Ergänzungen vorzunehmen. Warum? – Weil wir nach der Entscheidung des OLG Koblenz, die Sie alle kennen und die öffentlich sehr stark diskutiert ist, alle miteinander das Gefühl haben, dass es eigentlich nicht sein darf, dass jemand, der sich so verhält, letztlich straffrei ausgeht. Das ist sicher das Gefühl. Ich konnte es auch an den Reaktionen im Publikum mit manchem Kopfschütteln auf die Diskussionsbeiträge sehen.

Gleichwohl leben wir natürlich mit den Urteilen, die nach bestem Wissen und Gewissen gefällt werden, bei denen es eine erste Instanz gab, die entschieden hat – im Übrigen ist das Landgericht zu einer Verurteilung gekommen, bei der Würdigung des gleichen Paragraphen der gleichen Sache –, und das Oberlandesgericht ist in seiner Entscheidung – Herr Dr. Wilke, im Übrigen kein Urteil, sondern ein Beschluss – dazu gekommen, dass es nicht so entscheidet, weil es sich auf eine BGHRechtsprechung – also des Bundesgerichtshofs – mit Interpretationen zu dem sogenannten Obhutsverhältnis aus dem Jahr 1963 bezieht, fußend auf einer anderen Entscheidung aus dem Jahr 1955. Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten – auch juristisch –, ob die Maßstäbe, die der BGH im Jahr 1955 oder im Jahr 1963 angesetzt hat, noch die Maßstäbe sind, die heute im Jahr 2012 maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage sind.

Darüber kann man trefflich unterschiedlicher Auffassung sein. Ich will Sie darauf hinweisen, was vielleicht hilfreich ist: Unsere Länderumfrage ist noch nicht abgeschlossen, weil sich noch nicht alle Länder zurückgemeldet haben. Darauf warte ich. Ich werde nach Abschluss natürlich im Rechtsausschuss darüber berichten, genauso wie über die Ergebnisse der Abfrage bei unserer Justiz. Da kam aus Nordrhein-Westfalen der Hinweis, dass dort in einem ähnlich gelagerten Fall berichtet wurde. Es ging dabei um die Generalstaatsanwaltschaft Hamm. Es geht dort um ein sexuelles Verhältnis zwischen einem 41jährigen Lehrer und einer 14-jährigen Schülerin. Der angeklagte Lehrer war zwar Lehrer in der Schule der Geschädigten, er war aber weder Klassen- und Fachlehrer in der Klasse der Schülerin. Er erteilte ihr dort gele

gentlich Vertretungsunterricht und betreute die Geschädigte im Rahmen eines freiwilligen nicht benoteten Kurses zur Ausbildung als Schulsanitäterin.

Dieser Fall wird dem BGH vorgelegt. Der BGH wird den Fall in Kürze entscheiden. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll zu sehen: Bleibt der BGH bei seinen Würdigungen der jetzigen Auslegung des § 174 StGB, der das unter Strafe stellt, oder bleibt er nicht dabei? Ändert er das, oder ist der Gesetzgeber gefordert? Ich glaube, das sind Fragen, die wir in eine Entscheidung, ob wir von uns aus eine Bundesratsinitiative zur Ergänzung des Paragrafen starten oder nicht, mit einfließen lassen sollten. Vielleicht hat die Rechtsprechung durch eine neue obergerichtliche Rechtsprechung dann schon die entscheidenden Hinweise.

Unabhängig davon bin ich in Absprache mit Frau Kollegin Ahnen, die das auf der Kulturministerkonferenz für das Disziplinarrecht der Schulen angeregt und dort Überprüfungen in Gang gesetzt hat, natürlich der Auffassung, dass wir uns bei der Justizministerkonferenz mit dieser Frage beschäftigen und auch da Überlegungen anstellen: Sind Ergänzungen notwendig mit den Maßgaben, die Frau Raue und Herr Hoch genannt haben, mit aller Vorsicht, was erfasst man damit überhaupt? – Nicht alles, was dort im Raum steht – das sogenannte österreichische Modell – hilft unbedingt weiter. In Ihrem Vorschlag sehe ich auch das Problem, dass man, wenn man definiert und das Ausnutzen noch als Begriff mit einbringt, wieder Schwierigkeiten in der Praxis hat zu definieren: Was war denn jetzt die Handlung, die dahinter steht, das Ausnutzen dieser Posi- tion? – Das andere knüpft an ein reines Obhutsverhältnis an, also an eher äußerlich greifbare Anhaltspunkte.

Ich halte es auch für wichtig zu überlegen, dass man das nicht nur auf den Bereich der Schule beschränkt, sondern es gibt auch den Bereich des Sportunterrichts, der Musikschulen etc. Aus unserer Praxis wird ein Fall eines Gemeindepfarrers in einem Bereich berichtet, der auch nicht justiziabel war, weil er nicht unter die Paragrafen gefallen ist, dass man überlegt, wenn man eine Änderung vornimmt: Wie kann ich Vorsorge treffen auch für solche Bereiche in den niedrigeren Altersgruppen der Jugendlichen und Kinder?

Bei Weisungsgebundenheit – das muss ich Ihnen sagen – kommen wir in Konfliktfälle. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Wenn der Lehrherr seinem Lehrling im dritten Lehrjahr sagt „Jetzt pass einmal auf, wenn ich

nicht da bin und es passiert bei dem Lehrling im ersten Lehrjahr, der dort tätig ist, oder zwischen demjenigen, der schon ein bisschen über 18 Jahre ist, und zwischen denen, die noch nicht 18 Jahre alt sind, etwas, dass sich dort etwas anbahnt“, dann kommt das kommt das plötzlich in die Strafbarkeiten mit hinein, was möglicherweise strafrechtlich nicht gewünscht ist.

Es will im Detail – das will ich Ihnen vermitteln – sehr gut abgewogen sein, wie Veränderungen, die man bei diesem Paragrafen möglicherweise vornimmt oder nicht, tatsächlich in das Verhältnis der Systematik der Ahndung von sexuellem Missbrauch hineinpassen, wissend, dass wir in dem Anliegen, dass wir unsere Kinder schützen wollen, gerade in den Bereichen, wo Eltern sie in den Schutz anderer Institutionen geben, einig sind.

Insofern sollten wir es im Ausschuss in dieser Frage mit diskutieren und sollten überlegen, ob sich ein Zuwarten auf die BGH-Entscheidung lohnt. Ich gehe nach den ersten Rückmeldungen der anderen Länder davon aus, dass das dort mehrheitlich die Intention ist. Ich darf ergänzen, dass der Vorschlag von Bayern bislang nicht Richtung Bundesrat gewandert ist. Ich habe ihn nach mehrfachen Nachfragen informell erhalten. Er hat aus meiner Sicht Vorteile, dass er auch die anderen Verhältnisse einbezieht, die ich eben geschildert habe, aber er hat Nachteile, wie man tatsächlich die Strafbarkeit dort subsumieren kann.

Man muss abwägen, ob das nachher ein gangbarer Weg wäre oder nicht. In der Offenheit prüfen wir das aus diesem Gefühl heraus, was die Entscheidung des OLG für uns alle mit sich gebracht hat und wobei es berechtigte Belange der Bevölkerung gibt, dass die Politik das sehr ernsthaft prüft.

Vielen Dank.

Vielen Dank. Es herrscht Einvernehmen, diesen Antrag an den Rechtsausschuss zu überweisen.

Somit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Die nächste Plenarsitzung findet am 20. Juni 2012 statt. Aber ich hoffe, dass ich Sie alle am Verfassungsfest sehe. Ich wünsche einen schönen Abend und einen guten Nachhauseweg.

E n d e d e r S i t z u n g: 18:16 Uhr.