Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

Also hier ist oftmals ein bisschen mehr Sorgfalt angebracht. Deswegen wollen wir uns ein Stück weit mehr Zeit lassen. Wir kommen noch zu einem Endbericht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf in der restlichen Zeit noch einen kleinen Ausblick geben. Ich denke, es ist wichtig, dass wir weiterhin ein Konsensklima haben. Die Arbeit in der Enquete hat gezeigt, dass sie durchaus Spaß macht. Für die nächsten Bereiche sind schon Fragen aufgelegt worden. Wir haben bereits unsere Anzuhörenden benannt und wollen letztendlich in die Zukunft hineinschauen.

Deswegen will ich auf zwei ganz interessante Thesen von Professor Hedtke von der Universität Bielefeld hinweisen. Diesen könnte man zum Beispiel einladen; denn

er ist wirklich eine Koryphäe und hat vor Kurzem sehr pointiert Standpunkte zur politischen Bildung in Berlin vorgetragen. Da ist beispielsweise ein Punkt, Regime aller Art nutzen und nutzten Partizipation als politisches Instrument. Sofern dies gelingt, kommt es zu funktionaler, sysytemstabilisierender und herrschaftsproduzierender Partizipation. Dann instrumentalisiert Erziehung zur Partizipation Jugendliche für politische Zwecke. Das ist nicht legitim, auch nicht in Demokratien.

Am Beispiel der Mainzer Republik kann man die These gut beleuchten. Der Nationalkonvent, der im Deutschhaus im Jahr 1793 zusammentrat, war das erste moderne Parlament in Deutschland – so kann man sagen –, aber ohne ausreichende Akzeptanz, weil die potenziellen Wähler die Absichten der Franzosen damals erkannten. Die sogenannte Volksherrschaft durch Wahlen sollte den französischen Machtanspruch durch erzwungene Partizipation legitimieren. So ganz hat das allerdings nicht geklappt. Nur 373 Mainzer gingen zur Wahl. Das waren gerade einmal 8 % von 4.600 Wahlberechtigten.

Wenn man sich die Vorgeschichte anschaut, so wäre eigentlich mehr Bürgerbeteiligung plausibel gewesen; denn man wollte in Mainz schon Freiheit und Gleichheit, man hatte auch günstige Strukturen gerade durch die damaligen Mainzer Jakobiner. Aber der Zwang zur Partizipation hat den Mainzern nicht geschmeckt. Das ist eine These. In der Zukunft müssen wir darüber nachdenken, wie wir Leute mehr beteiligen können, auch auf freiwilliger Ebene.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere These von Herrn Professor Hedtke, politische Partizipation jenseits des Repräsentationsprinzips tendiert dazu, politische, ökumenische und soziale Ungleichheiten zu reproduzieren und zu verschärfen. Auch hier kann wieder das Mainzer Revolutionsklima herhalten.

Die Mainzer Jakobiner bestanden fast zur Hälfte aus Handwerkern und kleinen Kaufleuten. Nur etwa 20 % waren Intellektuelle. Aber die Vorrangstellung in der Anzahl der Kleinbürger spiegelte sich letztendlich in der Entscheidungskultur nicht wider. Da hatten nach wie vor die Professoren oder Intellektuelle – wie man so schön sagen kann – das Sagen.

Gehen wir mit dem Beispiel in die Gegenwart – das sind die Probleme, die wirklich auf uns zukommen –, dann sehen wir Vergleichbares. Warum wird beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet oder jetzt auch am Münchner Flughafen Fluglärm erst dann zum großen politischen Thema und der Bürgerbeteiligung außerhalb der Parlamente unterworfen, wenn die Flugzeuge über bürgerliche oder großbürgerliche Viertel fliegen?

Auch das ist eine These von Herrn Professor Dr. Hedtke, die ich unkommentiert stehen lassen will.

Abschließend noch eine meines Erachtens spannende Aussage: Demokratie und demokratische Partizipation führen notwendig auch zu Unzufriedenheit und Enttäuschung. Politische Bildung in einer Demokratie braucht deshalb kein enthusiastisches, sondern ein nüchternes,

kritisch distanziertes und skeptisches Verhältnis zu Partizipation. Dazu gehört auch das individuelle Recht auf Nichtpartizipation. Auch das ist unwahrscheinlich wichtig. (Baldauf, CDU: Das ist wohl wahr!)

Wir sollten daher unsere Kraft nicht nur in das allgemeine Vorgeplänkel hineinsetzen, sondern wirklich wieder in das Konsensklima, wozu ich appelliere.

(Pörksen, SPD: Das haben Sie ja verlassen!)

Wir sollten unsere Kräfte bündeln, sodass wir die inhaltlichen und politisch wichtigen Themen, die jetzt kommen und zu denen Beteiligungshemmnisse und die Beteiligung von Jugendlichen und Ausländern gehören, gemeinsam bewältigen können. Dazu gehört, dass wir politische Partizipation an ihrer Problemlösungskompetenz messen wollen. Das erreichen wir nur, wenn wir die Möglichkeiten durchdeklinieren, die zu allgemein akzeptierten Planungsverfahren und vor allem zu Planungsergebnissen führen, die auf der einen Seite politische Beteiligung ausweiten, ohne auf der anderen Seite rechtsstaatliche Positionen Einzelner zu gefährden.

Wenn wir das durch die Brille der politischen Partizipation betrachten – ich komme zum Schluss –, gelingt es uns wirklich, das Sankt-Florians-Prinzip zu überwinden, ohne dass die Bürger uns, den Repräsentanten, vorwerfen, wir würden über sie hinweg regieren.

Schließlich werden wir auch feststellen, dass politische Partizipation für Repräsentanten wie für repräsentierte Bürger Option und Zumutung zugleich ist. Vielleicht kann da ein Stück direkte Demokratie die Zumutbarkeit im einzelnen Fall etwas zumutbarer machen.

Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Vielen Dank.

Als weitere Gäste auf der Zuschauertribüne begrüße ich Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter der Landespolizeischule Hahn. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Für eine Kurzintervention erteile ich Frau Abgeordneter Brede-Hoffmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine werten Kollegen! Herr Lammert, ich freue mich über den letzten Satz, Sie würden sich über die weitere Zusammenarbeit freuen. Wir freuen uns auch und hoffen ebenfalls auf eine weitere gute Zusammenarbeit.

Weil wir das tun, möchte ich ein paar Korrekturen anhand von Fakten nennen. Sie haben gesagt, Sie hätten nicht gesagt, Sie würden eine Stellungnahme schicken, sondern von sich hören lassen.

Unser Mitarbeiter hat Ihre Fraktion bzw. Ihre Mitarbeiter am 30. Mai schriftlich gefragt, wann wir eine Stellungnahme zu den Ihnen zugesandten Texten erwarten dürften. In einer Mail am gleichen Tag wenig später hat Ihr Mitarbeiter unserem Mitarbeiter geantwortet: Morgen im Laufe des Vormittags. Mit freundlichen Grüßen.

(Zuruf des Abg. Lammert, CDU)

Wir hätten uns auch darüber gefreut, wenn Sie uns zu diesem Zeitpunkt keine eigene Stellungnahme geschickt, sondern möglicherweise nur thesenartig angerissen hätten, wo Sie Diskussionsbedarf sehen und worüber Sie in der Enquete-Kommission am nächsten Tag diskutieren wollten oder an welchen Punkten Sie uns mit freudigem Herzen zustimmen könnten.

Wir haben von all dem nichts bekommen, wir haben auch in der abschließenden Enquete-KommissionsSitzung nichts bekommen.

(Zuruf des Abg. Schreiner, CDU)

Deswegen möchte ich es korrigieren, wenn Sie sagen, Sie hätten zu keinem Punkt abgestimmt. Wir konnten die einzelnen Punkte, die wir gerne mit Ihnen diskutiert und einzeln abgestimmt hätten, nicht einzeln abstimmen, weil Sie keine Diskussionsbereitschaft zu diesen Punkten vorgelegt oder angedeutet haben.

Deswegen ist kapitelweise sehr wohl abgestimmt worden, und auch Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen haben die Hände gehoben. Sie haben die Hände mit einem Nein gegen die Empfehlungen gehoben, die mein Kollege Haller vorhin vorgeschlagen hat. Da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie mögen.

Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten eigentlich nur unseren Koalitionsvertrag in anderen Worten formuliert und Ihnen als Empfehlungen vorgelegt. Nachdem Sie das vorher schon einmal in einer Erklärung gesagt haben, haben Sie damit eine Beschäftigungstherapie für unseren Mitarbeiter entwickelt, der sich hingesetzt und jede einzelne Empfehlung aus dem Empfehlungspapier, das Ihnen zugegangen ist, analysiert und die Empfehlungen, Forderungen und Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag danebengestellt hat.

Ich darf Ihnen sagen, bei 45 Handlungsempfehlungen, die in unserem Zwischenbericht stehen, sind keine zehn im Koalitionsvertrag verankert. So weit zu dem Thema, wir hätten einfach nur unseren Koalitionsvertrag in eine Handlungsempfehlung umgewandelt.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben etwas ganz Schlimmes gesagt. Das hat mich wirklich getroffen, das muss ich Ihnen jetzt sagen. Das andere stellt parlamentarisches Geplänkel dar, das nicht

hätte sein müssen, aber geschehen ist. Vorhin aber haben Sie gesagt, wir hätten behinderte Menschen mobilisiert und instrumentalisiert, damit sie Ihnen EMails und Briefe schreiben.

(Haller, SPD: Unfassbar!)

Das ist für mich wirklich unfassbar. Sie können nur von sich auf andere schließen. Das ist vielleicht normalerweise Ihre Taktik, sodass ich jetzt weiß, woher die Briefe und Mails kommen, die bei mir eingehen.

Ich sage Ihnen, wir haben hier diskutiert, wir hatten eine Anhörung. Diese Menschen haben uns als ernsthafte Gesprächspartner erlebt. Diese Menschen haben sich im Zweifelsfall per Livestream die Sitzung angeschaut.

(Glocke der Präsidentin)

Diese Menschen konnten im Internet unser Papier lesen.

Diese Menschen haben dann wahrscheinlich entsetzt über das Verhalten von Ihnen, von Ihren Vertreterinnen und Vertretern reagiert und sind sicher auch durch das Verhalten Ihres Sachverständigen wachgemacht worden, der nämlich zugestimmt hat.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege Lammert, möchten Sie darauf antworten? – Das ist der Fall, dann haben Sie das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will jetzt nicht auf das, was Sie alles gesagt haben, eingehen, weil ich finde, das vergiftet das Klima in der Enquete-Kommission, Frau Brede-Hoffmann. Aber eines muss ich Ihnen sagen: Wenn in einer Pressemitteilung von Ihnen, und zwar von SPD und GRÜNEN, von Herrn Kollegen Hering und Herrn Kollegen Köbler, steht, dass wir gegen das Einsetzen von Gebärdendolmetscherinnen oder Gebärdendolmetscher hier im Landtag wären, dann finde ich das schon – – –

(Frau Fink, SPD: Das haben Sie doch beschlossen!)

Ja, genau das. Sie nehmen einen elementaren Einzelpunkt heraus und versuchen damit, ein Ganzes zu suggerieren, so als wären wir dagegen.

Als wir diesen Punkt im vorhergehenden Plenum diskutiert haben, haben wir klar gesagt, dass es viele Dinge gibt, die dafür sprechen, und gesagt, das kann man durchaus mitmachen, aber es gab auch Dinge, bei denen wir gesagt haben, dafür sind wir nicht.