Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

Kritische Anmerkung des Senders – keine. Kritische Kommentare der Redaktion – Fehlanzeige. –

Im Gegenteil, der Redaktion ist dieses Spektakel eine dreispaltige Berichterstattung wert.

Welche Ursache kann es haben, dass sich gebildete Mitteleuropäer derart scham- und hemmungslos an Nahrungsmitteln vergehen? Dies steht als ein Beispiel für die Einstellung zum Umgang mit Lebensmitteln in weiten Teilen unserer Gesellschaft. Uns ist jeder Respekt vor der Schöpfung abhanden gekommen.

Dies bestätigen Umfragen, die zeigen, dass Lifestyle, Urlaub, Auto und neue Medien vielen Bundesbürgern sehr wichtig sind. Gesunde Ernährung und Ressourcenschonung finden wir erst auf nachgelagerten Positionen. Anstatt froh und dankbar zu sein, dass wir aufgrund der Ertragssteigerungen durch verbesserte Anbaumethoden und Erfolgen in der Pflanzenzüchtung in der Lage sind, unsere Bevölkerung sicher und reichhaltig in einer Art und Weise zu ernähren, die für unsere Vorfahren nicht vorstellbar war, treten wir unsere essenzielle Lebensgrundlage mit Füßen

(Beifall der CDU)

wie der Zeitungsbericht zeigt, wortwörtlich –, nämlich unsere tägliche Ernährung.

Für mich ist zum heuten Zeitpunkt völlig unerheblich, ob aufgrund der noch nicht standardisierten Erhebungsmethoden jetzt 60 %, 50 % oder 40 % der Lebensmittel weggeworfen werden. Entscheidend ist, dass jedes weggeworfene Kilo Lebensmittel ein Kilo zu viel ist.

(Beifall der CDU)

Auch die Produktionsweise ist für mich nicht entscheidend. Ein unsachgemäß gelagertes Kilo Biomöhren verdirbt genauso schnell wie sein konventionelles Pendant.

Die Hinweise auf scheinbar zu große Packungseinheiten oder großvolumige Sonderangebote führen nicht zum Kern des Problems. Wer die Fachmesse Fruit Logistica, die regelmäßig in Berlin stattfindet, besucht, der weiß, dass der Lebensmitteleinzelhandel längst andere Wege bezüglich der Packungsgrößen beschreitet.

Um der Lebensmittelverschwendung im jetzigen Ausmaß Einhalt zu gebieten, müssen wir uns selbst den Spiegel vorhalten. Selbst im Biobereich, wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung berichten kann, wird wegen eines einzigen winzigen Blattfleckens, kleiner als ein Stecknadelkopf, das Gemüse wegen Unverkäuflichkeit reklamiert. Wir haben uns in den letzten Jahren komplett von der Nahrungsmittelproduktion entfernt,

(Beifall der CDU)

sei es aus persönlicher Bequemlichkeit oder wegen des eigenen Benefits. Resteverwertung, eigene Veredelung oder Eigenkonservierung sind wirksame Maßnahmen, die besonders im ländlichen Raum ohne großen Aufwand zu realisieren wären. Vorgehensweisen, die früher selbstverständlich waren, opfern wir heute der scheinbar bequemeren Tonne.

Industrielle Resteverwertung zur Wiederverwertung von tierischen Proteinen haben wir gesetzlich unterbunden.

Wir beklagen die mangelnde Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln, entziehen aber gleichzeitig der notwendigen Verbraucherbildung immer mehr die gesellschaftliche Akzeptanz. Es ist notwendig und höchste Zeit, massiv in die Bewusstseinsbildung zu investieren.

(Beifall der CDU)

Höchst produktive Beispiele dazu bieten verschiedene Organisationen, allen voran unsere Landfrauenverbände, die sich ihrer Verantwortung vor der Schöpfung bewusst sind und sich dieser Herkulesaufgabe mit exzellent ausgebildeten und engagierten Referentinnen auf allen Schulungsebenen stellen.

(Beifall der CDU)

Stellvertretend möchte ich auf den aid-Ernährungsführerschein oder „Köstliches aus Feld und Garten“, ein Angebot mit besonderem Fokus auf pflanzliche Lebensmittel, verweisen. Auch mit der beispielhaften Aktion „Kids an die Knolle“ wurden pädagogisch wertvolle Ergebnisse erzielt. An dieser bundesweiten Aktion der deutschen Kartoffelwirtschaft nahmen in diesem Jahr 700 Schulen teil, davon allein 250 aus Rheinland-Pfalz.

Die vorgenannten Bemühungen der Verbände und Privatwirtschaft sind sehr löblich, bilden aber in der Breite nur den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Es ist eines Staates nicht würdig, Ernährungsbildung zunehmend der Privatwirtschaft zu überlassen und hie und da punktuelle und medienwirksame, kurzlebige Projekte zu initiieren.

(Beifall der CDU)

Wenn wir es ernst meinen und der Lebensmittelverschwendung wirksam entgegentreten wollen, muss in der Schule Ernährungskompetenz, das heißt die Grundlagenvermittlung der Nahrungsmittelerzeugung, Saisonalität, Regionalität – und Sie merken, ich erschrecke nicht –, Hauswirtschaft, das heißt Kochen, Verwertung und Lagerung von Lebensmitteln, wieder durchgängig unterrichtet werden, um der jungen Generation die Wertschätzung von und den Umgang mit Lebensmitteln wieder grundlegend zu vermitteln.

(Beifall der CDU)

Die vorgenannten Maßnahmen sind dafür geeignet, die Ernährungsbildungsdefizite zu reduzieren und das Bewusstsein für die Wertschätzung von Lebensmitteln zu steigern. Wer aber die finanziellen Möglichkeiten zur Unterstützung austrocknet und gleichzeitig mehr Ernährungskompetenz fordert, der redet mit gespaltener Zunge.

An den finanziellen Möglichkeiten des Landes Rheinland-Pfalz kann es nicht liegen. Mit dem Verzicht auf politische Denkmäler wie beispielsweise einen Nationalpark wäre die breitflächige Finanzierung einer wirksamen Förderung der Ernährungskompetenz auf Jahre hin gesichert.

(Beifall der CDU – Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

An dieser Entscheidung wird sich zeigen, wie ernst es die einzelnen Akteure mit dem Thema „Vermeidung von Lebensmittelverschwendung“ meinen. Zum zwischenparteilichen Disput und als Vehikel zur Präferierung verschiedener Anbausysteme taugt es auf jeden Fall nicht.

(Beifall der CDU – Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie uns diese große gesellschaftspolitische Herausforderung gemeinsam bewältigen. Deswegen haben wir einen Alternativantrag zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung formuliert.

(Beifall der CDU)

Ich möchte zunächst Zuschauer im Landtag begrüßen. Anwesend sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Landtagsseminars. Sie sehen die letzte Stunde der Debatte. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun Herr Abgeordneter Johnen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, verehrte Gäste! Zu dem Antrag „Lebensmittel mehr wertschätzen und weniger verschwenden“ wurde am 14. August 2012 eine Expertenanhörung durchgeführt. Alle Experten waren sich darin einig, dass wir alle gemeinsam an einer Lösung arbeiten müssen.

Seit dem Ende der 70er-Jahre sind wir mit unseren Produktionsmethoden so effizient, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben. So kommt es, dass wir in den reichen Ländern am Ende der Wertschöpfungskette am meisten wegwerfen. Insgesamt landen in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall; gleichzeitig leidet weltweit eine Milliarde Menschen an Hunger und Unterernährung. Vor dem Hintergrund der Strategie „Europa 2020 zur nachhaltigen Ressourcennutzung“ müssen wir alle zusammen daran arbeiten, dass Lebensmittel mehr wertgeschätzt werden und teurer werden; denn dann besteht auch die Möglichkeit, dass weniger Lebensmittel verschwendet werden.

Die Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das bei allen Akteuren der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln eine Rolle spielt, angefangen bei der Produktion über die Verarbeitungsprozesse bis hin zum Handel und zum Endverbrauch. Daher werden auch die Lösungsansätze zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung vielfältig sein müssen.

Wir reden oft von Vielfalt, Frische, Verfügbarkeit und Preisverfall. Dies sind vier Pfeiler der Überflussgesell

schaft. Die marktbedingten Ursachen liegen zum einen darin, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher alles frisch zu jeder Zeit und optisch zum absolut besten Aussehen haben wollen. Zum anderen wollen sie die Produkte auch noch zu einem billigen Preis kaufen.

Die Folge aus diesem Konsumverhalten ist, dass der Handel nur bestimmte Produkte präsentiert. So muss es in der Gemüsetheke immer gut aussehen. Wenn das Obst oder Gemüse nicht mehr so frisch aussieht, wird es aussortiert. Allein die Vielfalt im Supermarkt bedingt den entstehenden Lebensmittelabfall; denn am Feierabend erwarten die Leute, dass sie kurz vor Ladenschluss noch frisches Brot bekommen, und dies auch gleich in der gesamten Vielfalt.

Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, dass wir Dinge abschaffen, die wir geschaffen haben, damit es keinen Abfall mehr gibt, es geht darum, dass wir in Rheinland-Pfalz auch weiterhin an Strukturen arbeiten. Es ist nicht wünschenswert, dass wir Qualitätsnormen abschaffen, die wir einst für einen guten Handel geschaffen haben; denn Qualitätsnormen haben auch etwas mit Lebensmittelsicherheit zu tun. Es geht des Weiteren darum, dass wir ein Gleichgewicht zwischen Lebensmittelsicherheit und wie viel Abfall wir vertreten können schaffen.

Als eine wichtige Eindämmung der Lebensmittelverschwendung sind eine Direktvermarktung sowie regionale Kreisläufe an dieser Stelle gefragt und gefordert; denn dann kann der Landwirt auf dem Markt noch zeigen, dass auch ein pickeliger Apfel schmeckt und gut ist. Nur so hat der Verbraucher die Chance zu erkennen, dass es noch weitere Apfelsorten gibt, die gut sind und auch schmecken.

Aus der Nestlé-Studie 2011 geht ganz deutlich hervor, dass der Verbraucher sich regionale, vertrauensvolle und sichere Produkte wünscht.

Es muss sichergestellt werden, dass weiterhin im Bereich der Ernährungs- und Verbraucherbildung Aufklärungsarbeit betrieben wird. Dazu gibt es ein Beispiel aus den Niederlanden. Dort gibt es eine Ernährungsplattform für Nachhaltigkeit, bei der Ministerien, die Herstellerbetriebe und die Landwirtschaft eingebunden sind, um über Nachhaltigkeit, Ernährung und ähnliche Themen zu sprechen. Das ist ein sehr gutes Beispiel, wie man auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch kommt und gemeinsam dieses Thema angehen könnte.

Bei uns in Rheinland-Pfalz laufen bereits mehrere gute Kampagnen, die ausgeweitet worden sind: „Kita isst besser“, das Schulobstprogramm, das schrittweise Ausweiten des EU-Schulobstprogramms auf Kita-Obst und ein Projekt für Multiplikatorenschulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Senioreneinrichtungen.

Auch nicht zu vergessen ist die engagierte Arbeit der Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater in den Dienstleistungszentren Ländlicher Raum und die Landfrauen, die mit besonderem Einsatz und Engagement bei der Ernährungs- und Verbraucherbildung tätig sind.

Meine Damen und Herren, nur eine neue Wertschätzung unserer Lebensmittel in der gesamten Lebensmittelkette kann die Wende bringen. Die Verantwortung geht an alle Akteure und Beteiligten in dieser Kette. Dieser Auftrag gilt für uns alle.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Höfken das Wort.