Protokoll der Sitzung vom 13.12.2012

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich begonnen habe, mich mit den Problemen zu beschäftigen, die wir heute in dem Antrag vorliegen haben, hat sich alles in mir gesträubt zu glauben, dass dieses staatlich begangene Unrecht und die Größenordnung dieser Unrechtstatbestände so geschehen sind. Mehr als 100.000 schwule Männer sind seit 1945 meist durch Bespitzelung aus ihrer Umwelt, durch Denunziation nach § 175 angeklagt worden. Mehr als 50.000 dieser Männer wurden zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt.

Sie wurden verfolgt und verurteilt auf Grundlage des § 175. Die beiden Vorredner haben das schon gesagt. Dieser ist erst von den Nazis in solch grauenvoller und menschenverachtender Form verschärft worden.

Oft wurden sie nach 1945 von den gleichen Richtern verurteilt, wie das ihnen oder anderen schwulen Männern in der Nazizeit geschehen war, vom gleichen Menschen- und Sittenbild geleitet. Der einzige Unterschied war, man schickte sie nicht mehr ins Konzentrationslager.

In mir hat sich wirklich alles gesträubt zu glauben, dass die Väter und Mütter unseres neuen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland nach dem Neubeginn 1945 vor dem Hintergrund der gerade erst geschehenen Untaten von Verfolgung, Ermordung, von Unrechtsurteilen, von Verletzungen jedweder Menschenwürde, von Ausgrenzung diesen § 175 mit dieser Handschrift der Nationalsozialisten überhaupt nicht geändert haben. Es ist wirklich fast unglaublich, dass diese Verfolgungen und Verurteilungen in voller Härte bis 1967 stattfanden und noch bis 1994 gelebte Homosexualität ein Straftatbestand blieb, der angezeigt, verhandelt und gegen den geurteilt wurde.

Hat die Gesellschaft nicht gesehen oder wollte sie nicht sehen, welche Folgen solche Verfolgungen und Bestrafungen in unendlich vielen Fällen hatte? Die Betroffenen zerbrachen an der Anklage, an den Urteilen, sie verloren ihre berufliche Existenz. Sie wurden ausgegrenzt, sozial geächtet, verloren ihre familiäre Einbindung, und viele nahmen sich das Leben.

Noch verwirrender zeigt sich für mich – das ist schon betont worden –, dass die Verurteilten aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Erkenntnis der Unrechtsqualität der Urteile aufgrund des § 175 2002 rehabilitiert und teilweise entschädigt wurden und dies aber für die Verurteilten der Jahre 1945 bis 1994 nicht – ich kann sagen, noch nicht – geschehen ist.

Umso erfreuter bin ich, dass sich der Bundestag nach der Jahrtausendwende und im Herbst 2012 der Bundesrat zu einer Rehabilitation der Verurteilten aus der Zeit seit 1945 entschlossen haben und ein Entschädigungssystem entwickeln wollen, zum Beispiel über die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

Ich möchte in den Mittelpunkt stellen, dass mich heute am meisten positiv berührt, dass der Landtag von Rheinland-Pfalz gemeinsam über die Fraktionen hinweg die Kraft aufbringt, sich im Rahmen des vorliegenden Antrags bei allen Betroffenen für das ihnen widerfahrene Unrecht und die Beschädigung ihrer Menschenwürde zu entschuldigen und sie zu rehabilitieren.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Wichtig dabei ist vor allen Dingen die Bereitschaft – deswegen hängt es zusammen und ist nicht trennbar –, sich der großen Aufgabe zu stellen, über das wissenschaftliche Erforschen der Unrechtsgeschehnisse, der einzelnen Verfahren und Urteile und der einzelnen Schicksale der Angeklagten und Verurteilten ein wirksames Konzept zu erstellen, wie Homophobie verhindert und wie Vorurteile und Verachtung gegenüber homosexuell lebenden Menschen bekämpft und gewandelt werden können. Auch hier ist ein entschiedenes „nie wieder“ das große Ziel gesellschaftlicher Bildung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür muss das viele Leid, das in der Zeit seit 1945 geschehen ist, mit Gesichtern, Namen, konkreten Schicksalen sichtbar gemacht werden; denn die erlittene Traumatisierung und noch immer vorhandene Angst und Misstrauen verhindern bis heute, dass Zeitzeugen, selbst Betroffenen über das ihnen widerfahrene Unrecht berichten und die gesellschaftliche Atmosphäre, die solche Urteile möglich machte, klar beschrieben werden kann. Man mag es eigentlich nicht glauben. Wir haben fast keine Zeitzeugen zur Strafverfolgung von homosexuell lebenden Menschen, sondern nur wenige Berichte über das erlittene Unrecht.

Historische Forschung muss das gesellschaftlich verursachte Unrecht aufdecken und die daraus resultierenden Erkenntnisse für die Präventionsarbeit gegen Homophobie für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stellen.

Ich freue mich wirklich über unser gemeinsames Bekenntnis in diesem Hohen Haus zu Vielfalt, Offenheit, Respekt und Toleranz. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen von der CDU für Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Glocke des Präsidenten)

Möge von unserem Beschluss heute im Parlament nicht nur eine gute Botschaft an Betroffene und Familien von Betroffenen ausgehen, sondern eine wichtige Botschaft in das ganze Bundesland gesendet werden. Vielfalt macht uns reicher, Intoleranz macht eine Gesellschaft arm und bedroht ihre Mitglieder.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU)

Ich erteile Herrn Minister Hartloff das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Recht auf der Basis von Gesetz, auf der Basis höchstrichterlicher Rechtsprechung kann auch Unrecht sein, kann zur Verzweiflung führen und kann gegen die Menschenwürde verstoßen. Die Fälle, die meine Vorrednerinnen und Vorredner genannt haben, gehören dazu.

Ich begrüße den Antrag, freue mich darüber, dass alle Fraktionen Zustimmung signalisiert haben, und will vielleicht daran anknüpfend den Gedanken sagen, dass alles, was wir als Gesetzgeber auf der Ebene des Landtages, auf der des Bundestages oder der des Europäischen Parlaments entscheiden, zeitgebunden ist.

Frau Schellhammer, Sie haben danach gefragt, welches Klima der Angst für diejenigen, die betroffen waren, durch diese Entscheidungen erzeugt worden ist. Frau Brede-Hoffmann hat die Selbstverzweiflung bis hin zum Selbstmord angesprochen. Ferner sind die Undenkbarkeiten zu nennen, dass jemand aus dem KZ befreit wurde und dann eine Reststrafe im Gefängnis eines befreiten Landes vollzogen werden musste. Das geschah nach der Rechtsprechung.

Nehmen wir das als Mahnung an uns, uns dessen bei den Gesetzen bewusst zu sein, die wir in unserem Zeitgeist machen. Nehmen wir es als Mahnung, immer wieder kritisch hinzuschauen, wie etwas weiterzuentwickeln ist. Man darf nicht zu selbstgewiss gegenüber denen sein, die früher entschieden haben oder morgen entscheiden werden.

Haben wir den Mut – den sehe ich darin, wenn wir heute den Antrag beschließen –, dass wir Fehler anerkennen, wir uns bei den Menschen entschuldigen, die darunter zu leiden haben, und wir versuchen – das ist immer nur ein Versuch, dessen müssen wir uns bewusst sein –, zu rehabilitieren, wiedergutzumachen wie in anderen Bereichen auch.

Da steht es uns an – Herr Klein, Sie haben es auch gesagt –, das gegenüber den Menschen zu machen, bei denen das bislang nicht entschieden ist, weil kein „Unrecht“ geschehen ist. Ich sage es hier offen. Sie haben die Erinnerung an den Gedenktag im letzten Jahr. Wir haben von Entscheidungen in den 50er-Jahren zur Verfolgung der Sinti und Roma gehört. Sie sind in der gleichen Geisteshaltung geschehen! Insofern gibt es viele Grauzonen, in denen wir aus unserer heutigen Sicht ohne Überheblichkeit sagen, das ist mit dem, was wir uns an Grundrechten gegeben haben, was die Menschenwürde beinhaltet, nicht vereinbar.

Vielleicht wird es in 20 Jahren über die eine oder andere Entscheidung oder über den einen oder anderen Satz in einem Gesetz auch so sein. Lassen Sie uns daran arbeiten.

Herr Klein, deshalb finde ich die Anträge, die noch mit dabei sind, nicht schlecht. Wir müssen arbeiten gegen Diskriminierung. Wir müssen arbeiten und aufklären, dass das nicht erfolgt; denn von einem Vorurteil kann sich keiner freimachen – ich auch nicht.

Man muss permanent daran arbeiten, dass man anderen Menschen vorurteilsfrei begegnet und die Menschenwürde geachtet wird. Frau Kollegin Alt wird zu diesen Fragen gleich noch Weiteres ausführen.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Klein, CDU)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Alt.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich greife den Faden sehr gern auf, den Herr Hartloff geknüpft hat. Wir haben in diesem Jahr die Kampagne „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen – Akzeptanz für queere Lebensweisen“ gestartet. Mit dieser Kampagne wollen wir Homophobie und Transphobie konsequent bekämpfen.

Dazu setzen wir einerseits auf Öffentlichkeitsarbeit. Beispiel dafür ist die Homepage, die wir unter www.regenbogen.rlp.de eingerichtet haben. Wir haben den Flyer „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ gedruckt. Wir haben diese Woche eine Anzeigenkampagne gestartet. Heute war die Anzeige in der „Mainzer RheinZeitung“.

(Staatsministerin Frau Alt hält die „Mainzer Rhein-Zeitung“ hoch)

Sie sehen die Anzeige unten rechts. „Bringt Bewegung in die Gesellschaft. Neugierig? Dann schauen Sie unter:“ – dann kommt unsere Homepage mit der Internetadresse – „www.regenbogen.rlp.de“.

Zum anderen wird gerade unter der Federführung meines Hauses ein Aktionsplan erarbeitet, mit dem die Landesregierung ihren Beitrag für die Akzeptanz sexueller Vielfalt leisten will. Wir arbeiten dabei eng mit QueerNet e.V. zusammen, dem rheinland-pfälzischen Netzwerk für Lesben, Schwule und queere Lebensweisen.

Mit QueerNet wird die Landesregierung auch eine Zielvereinbarung abschließen, um den Landesaktionsplan „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ gemeinsam umzusetzen.

Ein wichtiger Schritt in Richtung einer offenen Gesellschaft der Akzeptanz ist auch die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle in Rheinland-Pfalz, die Anfang dieses Jahres ihre Arbeit in meinem Haus aufgenommen hat.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch immer leiden homosexuelle und transsexuelle Menschen unter beleidigenden Witzen. Noch immer werden sie gesellschaftlich ausgegrenzt. Noch immer treibt ein Klima der Nichtakzeptanz homosexuelle und transsexuelle Menschen in unwürdige Versteckspiele um ihre sexuelle Identität.

Studien belegen zudem, dass die Selbstmordrate homosexueller Jugendlicher deutlich höher als die der heterosexuellen Jugendlichen ist. Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir heute mit diesem Antrag – ich freue mich, wenn wir eine gemeinsame Entscheidung hierzu treffen können – ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger von Rheinland-Pfalz senden können. Das Land kann ein deutliches Zeichen setzen und die Ehre der nach § 175 und 175a Strafgesetzbuch Verurteilten wiederherstellen.

Die historische Aufarbeitung der Verfolgung von Homosexuellen in Rheinland-Pfalz ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir wollen uns daher im Rahmen unseres Landesaktionsplans „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ auch dieser Problematik widmen. Das damals widerfahrene Unrecht und Leid durch die Strafverfolgung wird nach wie vor weitgehend tabuisiert.

Dieses Tabu wollen wir aufbrechen und ganz klar herausstellen, dass die strafrechtliche Verfolgung wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen eine Verletzung der Menschenwürde war. Ich persönlich bedauere dies sehr und entschuldige mich im Namen der Landesregierung für das damalige Vorgehen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Klein, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundesrat hat die Bundesregierung im Oktober 2012 dazu aufgefordert, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die in beiden deutschen Staaten Verurteilten vorzuschlagen. Alle Verurteilten haben ein Recht auf Rehabilitation. Die Betroffenen wurden nicht nur strafrechtlich verfolgt – das hat Frau Schellhammer schon sehr schön ausgeführt –, sondern sie haben oft ihren Beruf aufgeben müssen und wurden ins soziale Abseits gedrängt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zahlreichen Urteilen deutlich gemacht, dass es menschenverachtend ist, homosexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wurde schon viel darüber gesprochen. Wir leben heute in einer offeneren Gesellschaft als damals. Wir sind auf einem guten Weg in eine Gesellschaft, die Vielfalt uneingeschränkt als Gewinn betrachtet, die sich gegen jede Form von Diskriminierung einsetzt und die verschiedene Formen von sexueller Identität akzeptiert.

Wir sind aber noch nicht am Ziel. Ich bin der Überzeugung, dass wir heute mit diesem Antrag und mit einer gemeinsamen Entscheidung einen weiteren richtigen Schritt in die richtige Richtung tun.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur unmittelbaren Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/1849 –. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Der Antrag ist einstimmig angenommen.