Protokoll der Sitzung vom 04.07.2013

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Sippel das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Stalking, die beharrliche Nachstellung – ich sage dazu, in vielen

Fällen Psychoterror – ist kein Kavaliersdelikt. Es ist ein nicht zu duldender Angriff auf die Freiheitsrechte der zumeist weiblichen Opfer, und der Rechtsstaat ist gefordert, mit den Mitteln der Prävention und der konsequenten Strafverfolgung dagegen vorzugehen, um Opfer zu schützen, die eindeutig ein Recht darauf haben, ohne Angst, Bedrohung und Gewalt zu leben.

Die Aufnahme des Straftatbestandes der Nachstellung in § 238 StGB im Jahre 2007 war ein richtiger Schritt, allerdings aus heutiger Sicht wohl nicht ausreichend.

Ich habe die Zahlen von 2010. Es gab 2010 27.000 Anzeigen – noch etwas mehr, Herr Dr. Wilke –, und es kam zu rund 400 Verurteilungen, also doch eine sehr große Diskrepanz. Weniger als 2 % wurden verurteilt, das bedeutet, es gibt eine Strafbarkeitslücke.

Ich will Ihnen an der Stelle zustimmen, das wurde auch im Rahmen der Anhörung von den Experten so eindeutig geschildert, das Strafrecht braucht eine Präzisierung, auch ein Stück weit eine Verschärfung, weil eine große Anzahl der Opfer zurückbleibt, die bei unserer Justiz Hilfe und Recht suchen. Wenn die Fälle ohne strafrechtliche Konsequenz bleiben, dann bedeutet das natürlich auch eine Enttäuschung, dann bedeutet es eine Beeinträchtigung des Vertrauens in unseren Rechtsstaat.

Es stimmt, die Täter, die einen Bescheid von der Staatsanwaltschaft in Händen halten, dass ein Verfahren eingestellt wurde, glauben sich am Ende noch im Recht.

Meine Damen und Herren, deshalb sehen wir grundsätzlich den Bedarf und das Erfordernis, den Strafrechtstatbestand von einem Erfolgs- in ein Eignungsdelikt umzugestalten.

Bisher war es so, dass das Strafrecht nur dann greift, wenn es zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Lebens der Opfer gekommen ist. Das bedeutet, nur wenn ein Opfer den Wohnort wechseln musste, den Arbeitsplatz aufgeben musste oder auch psychisch erkrankt ist, dann greift das Strafrecht. Wenn es dem Opfer gelingt, zumindest rein äußerlich, durch eine robuste Verfassung möglicherweise, das Stalking abzuwehren, dann geht das Strafrecht ins Leere, und das ist schon aus dem gesunden Menschenverstand heraus nicht nachvollziehbar. Alle Opfer haben das gleiche Recht auf den Schutz des Staates.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt zwei Gründe für unseren Alternativantrag, warum wir dem Antrag der CDU nicht folgen können.

Zum Ersten. Wir warnen davor, alles allein auf die Karte der Verschärfung des Strafrechts zu setzen. Deshalb greift Ihr Antrag zu kurz. Es braucht auch die Stärkung des Präventionsgedankens. Das ist für uns ganz entscheidend, und wir müssen darauf achten, dass das, was wir gesetzlich regeln, dann vor Gericht standhält, dass alles, was wir an Bestimmungen regeln, in Zukunft justiztauglich bleibt. Deshalb ist Wert darauf zu legen,

dass der Bestimmtheitsgrundsatz – das, was wir re- geln – noch einmal klar abgewogen wird.

Sie gehen in Ihrem Antrag nicht darauf ein. Sie haben gesagt, es ist von den Experten im Rahmen der Anhörung als gegeben angedeutet worden. Aber Sie wissen aus den Debatten der letzten Jahre, es war immer ein „Juckepunkt“, ein sehr offener Punkt, ob gesetzliche Regelungen auch bestimmt genug sind und damit einem verfassungsrechtlichen Grundsatz entsprechen.

Deshalb sagen wir klar, unser Antrag setzt neben der rein strafrechtlichen Sanktion, die wir unter bestimmten Voraussetzungen wollen, auf den Präventionsgedanken, die Täterarbeit und die Maßnahmen der Polizei, die heute schon gut greifen. Wir setzen auf die Interventionsprojekte gegen Gewalt in engen Beziehungen.

Es ist unsere Kompetenz im Land, dass wir diese Projekte weiter fördern, stärken und miteinander vernetzen, so, wie es beispielsweise die Sachverständige des Frauennotrufs noch einmal deutlich gemacht hat. Hier gibt es noch Potenzial, Netzwerke weiter auszubauen.

Was die Strafrechtsnorm anbelangt, da ist es für uns von elementarer Bedeutung, dass wir uns den Bestimmtheitsgrundsatz noch einmal vor Augen führen und eine klare Grenzziehung vornehmen, was eine reine Belästigung und was ein wirklich strafwürdiges StalkingVerhalten ist. Deshalb ist es unsere Marschrichtung, auch in diesem Antrag, dass wir die Justiz noch einmal befragen, wenn denn Bayern endlich in der Justizministerkonferenz vorlegt.

(Glocke der Präsidentin)

Der erste Vorschlag wurde von Bayern zurückgezogen. Jetzt warten wir auf einen neuen Vorschlag von Bayern. Diesen sollten wir mit der Justiz noch einmal besprechen. Dann sind wir auch für eine Strafrechtsänderung bereit, wenn der Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist.

Danke schön.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Kollegin Raue das Wort.

Vielen Dank.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Im letzten halben Jahr – Herr Wilke, Sie haben dies ausgiebig geschildert – haben wir das Thema „Stalking“ in gemeinsamen Beratungen im Rechtsausschuss in sehr kollegialer und konstruktiver Weise behandelt.

Wir haben eine Anhörung durchgeführt. Dennoch gibt es heute keinen gemeinsamen Antrag aller drei Fraktionen, was ich ausdrücklich bedauere. Aber der von SPD und

GRÜNEN gemeinsam vorgelegte Antrag enthält Passagen, die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in der Erarbeitung eines gemeinsamen Antrags gewünscht wurden. Wir haben Sie nicht gestrichen, auch wenn Sie nun doch nicht mitmachen. Wir haben sie im Text gelassen, um nochmals deutlich zu machen, dass uns sehr daran gelegen ist, politische Arbeit gemeinsam mit Ihnen zu gestalten.

Warum ist ein Zusammengehen hier nicht möglich? – Die Formulierung zur Erweiterung der Strafbarkeitsvoraussetzungen und der enthaltene Prüfauftrag sind der Opposition nicht laut genug.

Heute möchte die Opposition auf eine Prüfung verzichten, heute ruft sie nach schnellem Tätigwerden. Gestern noch konnten die Überlegungsfristen nicht lang genug sein.

(Dr. Wilke, CDU: Das ist doch ein ganz anderer Sachverhalt!)

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie die Forderung nach langen Prüffristen, wie gestern beim Nürburgringgesetz, nur dazu instrumentalisieren, um nicht in der Sache selbst Stellung nehmen zu müssen, verehrte Damen und Herren der CDU-Fraktion.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Hier haben Sie Position bezogen, eine Position – das sage ich ganz deutlich –, die der unseren nicht entspricht. Wir setzen Prävention vor Strafbarkeit.

Warum? – Strafbarkeit kann immer erst dann eintreten, wenn bereits etwas passiert ist. Wir aber wollen verhindern, dass etwas passiert, und das nennt man Prävention.

Die Strafbarkeit von Nachstellungen ist ein besonders schwieriges Feld. Häufig besteht Stalking aus einer Vielzahl von belästigenden Handlungen, die, jede für sich allein, nicht strafbar sind. Eine SMS, ein übler Brief, eingeworfen bei den Nachbarn, einmal im Hauseingang gestanden, das sind Verhaltensweisen, die den Strafbarkeitsbereich noch nicht tangieren.

Beharrliche Nachstellung ist ein Verhalten, das in der Persönlichkeitsstruktur des Täters angelegt ist. Stalker haben häufig eine narzisstische Ecke, hat der Sachverständige ausgeführt. Das heißt, sie fühlen sich überlegen und grandios. Dieses Überlegenheitsgefühl spielen sie ihrem Opfer gegenüber aus und erzeugen dadurch Angst.

Opfer von Stalking finden keine Ruhe. Sie müssen sich immerzu mit der Person des Täters beschäftigen, sie müssen ein Tagebuch über die Vorfälle führen, um eine Beweisbarkeit herbeizuführen. Sie müssen immerzu Angst vor der nächsten Handlung haben.

Das ist genau das, was der Täter von seinem Opfer will, und das macht die Betroffenen krank. Dem müssen wir als verantwortliche Politikerinnen und Politiker entschieden entgegentreten. Das ist auch bei allen Abgeordne

ten unumstritten. Wir unterscheiden uns aber in der Suche nach dem richtigen Weg, dem erfolgversprechendsten Ansatzpunkt.

Die CDU setzt in ihrem Antrag allein auf Strafbarkeit. Sicher gibt es dafür Gründe, aber über 50 % der Verfahren werden bereits im Vorfeld der Anzeigenbearbeitung eingestellt. Deshalb ist dies kein Erfolg versprechender Ansatz. Wirklich Erfolg versprechend ist nach Aussage der Sachverständigen ein am Täter ausgerichtetes Therapieprogramm. Wirklich Erfolg versprechend sind polizeiliche Gefährderansprachen – wirksam in 80 % der Fälle.

Wirklich Erfolg versprechend ist ein organisatorischer Ansatz bei der Strafverfolgung. Stalking kann am Muster erkannt werden. Eine zentrale Bearbeitung bei Polizei und Staatsanwaltschaft kann hier helfen. Solange verschieden Delikte nicht als zusammengehörig erkannt werden, Belästigungen, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen in getrennten Dezernaten behandelt werden, bei unterschiedlichen Tatorten vielleicht auch noch in unterschiedlichen Dienststellen, solange können wir die viel zu hohe Zahl von Verfahrenseinstellungen nicht senken.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Anregungen. Wir haben noch vor der Anhörung im Ausschuss in unserer Fraktion ein Fachgespräch durchgeführt. Die Beteiligten wünschen sich eine gesetzliche Fixierung verbindlicher Vernetzungsstrukturen, gesetzliche Fortbildungsverpflichtungen und eine Bündelung der Kompetenz in den befassten Institutionen.

Dies alles greift der vorliegende Antrag der CDUFraktion nicht auf. Er befasst sich lediglich mit Fragen der Strafbarkeit und ist damit viel zu einseitig.

Präventive Maßnahmen, Maßnahmen der Therapie und Bündelung der Kompetenz in der Bearbeitung von Anzeigen sind viel erfolgversprechender.

(Glocke der Präsidentin)

Deshalb bitte ich Sie, dem gemeinsamen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD zuzustimmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung hat Herr Justizminister Hartloff das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wenn es nicht zu einem gemeinsamen Antrag im Parlament zu kommen scheint – sage ich einmal –, ohne der Abstimmung vorzugreifen, sehe ich eine große Übereinstimmung in den Fraktionen, dass das Thema „Stalking“ zum

einen wichtig ist und wir dort zum anderen Handlungsbedarf haben.

Das haben die verschiedenen Rednerinnen und Redner gesagt, und das ging aus der Anhörung im Parlament hervor. Das entspricht auch dem, was wir auf der Justizministerkonferenz mit großer Mehrheit im Herbst letzten Jahres festgestellt haben, als wir einem entsprechenden Antrag von Bayern, der etwas modifiziert worden ist, zugestimmt haben. Das entspricht auch meiner Auffassung.

Wir haben uns in der Bundesrepublik seit einigen Jahren auf den Weg begeben, dass wir diese Problematik ernster nehmen und sie strafrechtlich ahnden. Das ist in 2002 mit dem Gewaltschutzgesetz ein Baustein gewesen, das einen Instrumentenkasten bereithält, wie man Menschen begegnen kann, die gewalttätig werden, insbesondere gegenüber ihren Frauen. Herr Dr. Wilke nannte das „verlassen werden“, „Scheidung“, „Trennung“ und die Auseinandersetzungen, in welcher Unerbittlichkeit sie unter Menschen geführt werden und somit Schutzbedürfnisse bestehen.