Protokoll der Sitzung vom 18.09.2013

Frau Klöckner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Spiegel, Sie haben recht, es ist beschämend, solche Wahlplakate zu sehen, und es ist ebenso beschämend zu erleben, auch in den Regionen, die gar nicht weit weg sind, dort, wo wir wohnen, dass es Proteste gegen syrische Flüchtlinge gibt. Das ist beschämend. Gerade wir als Christen sollten wissen, dass Solidarität an der Grenze nicht haltmacht. Denn die Erfahrungen bzw. die Schilderungen, die wir erleben, zeigen, wie es syrischen Flüchtlingen geht, die gern in ihrer Heimat bleiben würden, die jedoch ausgeflogen werden müssen. Wenn wir uns die Statistik anschauen, sehen wir, dass es viele Alleinerziehende sind, meist Frauen mit kleinen Kindern, die auf der Flucht sind, die heimatlos sind. Wenn sie hierherkommen, sollen sie ein offenes Herz, offene Arme erleben und nicht Proteste in einer Wohlstandsgesellschaft, die sich dagegen wehrt. Da müssen wir alle zusammenstehen.

(Beifall im Hause)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich sehr froh, dass wir uns hier partei- und fraktionsübergreifend einig sind, dass wir Solidarität mit den Flüchtlingen aus Syrien üben, die auch unter Traumatisierungen leiden,

und wir hier nicht darüber streiten. Es gibt viel, worüber wir streiten oder worüber wir anderer Meinung sind, aber da sind wir uns einig. Viele haben ihren Besitz verloren, und wir brauchen einen festen gemeinsamen Willen zu einer humanitären Lösung.

Ich habe einige Debatten erlebt. Als es in Berlin oder in den Auswärtigen Ämtern oder in den diplomatischen Kreisen darum ging, gab es wirklich unterschiedliche Sichtweisen, wie man mit dem Problem Syrien umgeht, ob Herrn Assad mit einer diplomatischen Lösung überhaupt nahezukommen ist. Ich selbst bin froh und dankbar, dass das diplomatische Vorgehen unserer Bundeskanzlerin im Kern nicht wirklich strittig ist.

1. Waffenlieferungen an die Bürgerkriegsparteien helfen nicht.

2. Ein militärischer Einsatz bietet nicht wirklich eine gute Lösung.

3. Nur eine Verhandlungslösung auf der Basis der Menschenrechte und des Völkerrechts kann diesen Konflikt wirklich beilegen. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall der CDU)

Aber – das müssen wir auch sagen – solange es noch keine diplomatische Lösung gibt, die zum Ziel führt, müssen wir natürlich andere Lösungen und Hilfen bieten. Da sind wir wieder bei den Menschen, die in Not sind, die sich erhoffen, in Deutschland einen sicheren Hafen zu finden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Zustände in den Flüchtlingslagern gelindert werden. Es sind unhaltbare Zustände. Wer mit Menschen redet, die dort vor Ort freiwilligen Dienst leisten, dem bleibt angesichts der Debatten, die wir manchmal um Standards führen, der Atem stocken.

Seit Januar sind 6.500 Syrer über das Asylrecht und noch einmal 5.000 als Kontingentflüchtlinge zu uns gekommen. Sosehr ich mir wünsche, dass Syrer aller Glaubensrichtungen eine gute Zukunft in ihrem Heimatland haben, gehe ich davon aus, dass wir weitere Flüchtlingskontingente ins Auge fassen müssen.

Ich sage das auch in Solidarität mit den christlichen Glaubensschwestern und -brüdern. Als einzige nicht muslimische Religionsgemeinschaft stehen die Christen zwischen allen Fronten. Ihnen wird vorgeworfen, zu kollaborieren, egal, mit welcher Seite und Ebene. Die Situation im Nahen Osten ist äußerst kritisch. Wir wissen, in Ägypten wurden in den vergangenen Monaten mehr als 40 Kirchenzentren niedergebrannt. Im Irak ist die Zahl der Christen auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Wir sehen, dass jetzt die Christen in Syrien an der Reihe sind.

In Rheinland-Pfalz müssen wir die notwendigen Maßnahmen treffen. Es ist richtig, Frau Ministerin Alt, dass wir uns darüber hinaus uns zu einem Kontingent bereit erklären wie einige wenige Bundesländer. Es sind leider nicht alle Bundesländer, und davon will ich keine Partei ausnehmen. Da halte ich es für notwendig, dass wir würdige Unterkünfte haben und die Einwohner eingebunden werden. Da gibt es manchmal noch Luft nach

oben. Das merken wir daran, wie vor Ort reagiert wird. Wir brauchen eine individuelle Willkommenskultur; denn die individuellen Begegnungen sind sehr wichtig.

Noch einmal: Die Menschen haben Grausames erlebt. Sie brauchen spontane Unterstützung, und diese Unterstützung ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Hier geht es um Glaubwürdigkeit von uns allen.

(Beifall der CDU)

Ein Letztes möchte ich noch erwähnen. Ich halte es auch für notwendig, dass wir Rücksicht auf die Verfolgungsgeschichten nehmen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich weiß, in Bitburg haben wir eine Koptische und in Worms eine Aramäische Gemeinde. Hier kann man sicherlich dafür sorgen, dass die christlichen Flüchtlinge entsprechend zugeordnet werden und Rücksicht genommen wird.

Ich fordere abschließend eine europäische Flüchtlingskonferenz. Die brauchen wir. Deutschland kann Vorbild sein, aber nicht alles allein lösen.

Herzlichen Dank.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Kollegen Klöckner das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Spiegel hat den Innenminister von Niedersachsen, der zugleich auch Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist, zitiert, der von der größten humanitären Katastrophe des jungen 21. Jahrhunderts gesprochen hat. Boris Pistorius hat diese Äußerung getan, und dem kann man nur zustimmen, wenn man die schrecklichen Bilder sieht, die uns aus Syrien erreichen.

Es ist von den Vorrednern darauf hingewiesen worden, dass sage und schreibe 6 Millionen Menschen auf der Flucht sind. 2 Millionen Menschen haben es geschafft, außerhalb des Landes zu kommen und haben Unterschlupf in Nachbarländern gefunden, doch in einer unerträglichen Weise oft in Zeltlagern mit schlechten sanitären Bedingungen. Unter den Flüchtlingen sind 1 Million Kinder. Wer selbst Kinder hat, ist erschüttert, wenn er diese Bilder sieht.

Ich habe gestern noch mit einem Freund syrischer Abstammung gesprochen. Er lebt seit seinem Studium hier als Arzt, hat aber noch Verwandtschaft in Syrien. Er gehört der griechisch-orthodoxen Kirche an. Er sagt: Ich bin ein absoluter Gegner von Assad, aber ich habe auch Angst vor einigen Bürgerkriegsgruppen. Wenn nachher fanatische Muslime an die Macht kommen, dann haben wir alle nichts zu lachen.

Das ist eine Gemengelage, die ungeheuer schwer von uns zu durchschauen ist. Hier ist die Völkergemeinschaft aufgerufen, einen Weg zu finden, ohne Krieg, ohne Blutvergießen Lösungen für die Menschen dort zu finden.

Wir können jedoch eines tun: Wir können den Menschen wenigstens Schutz und Zuflucht gewähren. Das hat auch die Landesregierung durch Ministerin Alt gesagt. Ich – ich denke, nicht ich allein – war sehr beeindruckt von der Ansprache, die Papst Franziskus auf Lampedusa gehalten hat

Er hat gesagt: „Wir sehen den halbtoten Bruder am Straßenrand und denken vielleicht ‚der Arme!‘, und gehen weiter unseres Weges, weil es nicht unsere Aufgabe ist; und wir glauben, dass alles in Ordnung sei. Wir fühlen uns zufrieden, als ob alles in Ordnung sei!“

Nichts ist in Ordnung. Und wenn wir kilometermäßig so fern von dem Geschehen entfernt sind, so müssten wir uns doch mit unserer inneren Einstellung, mit unserer Barmherzigkeit hier zur Hilfe aufgerufen fühlen.

Ich will heute keinen scharfen Ton hineinbringen – das ist dem Thema nicht angemessen –, aber ich zitiere Ihren Parteifreund Polenz, der Herrn Innenminister Friedrich Härte und Bürokratismus vorgeworfen hat. Dann hat er im Grunde genommen etwas überdacht und danach weitere Zusagen für die Aufnahme von Flüchtlingen gegeben. Es muss Konsens bei uns sein, dass man über diese Frage streitet. Ich bin froh, dass die Vorredner genau dies betont haben.

Es sollte eine Aufnahmebereitschaft, eine Willkommenskultur unabhängig von der Religion geben. Alle sind betroffen. Mein syrischer Freund hat mir extra noch gesagt: Hier sollte die Religion aus dem Spiel gelassen werden; denn die hat zu vielen Zerwürfnissen geführt, dass Nachbarn, die jahrzehntelang zusammengelebt haben, heute miteinander verfeindet sind und sich im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut bekämpfen. –

Ich bin der Landesregierung sehr dankbar, dass wir hier – wie von einigen Bundesländern auch signalisiert wurde – in jedem Fall bereit sind, ein weiteres Kontingent von Flüchtlingen aufzunehmen. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis auch bei den Bundesländern zunimmt, die sich bisher noch sehr zurückhaltend verhalten.

Es darf eigentlich nicht sein, dass man vielleicht aus einem wahltaktischen Denken heraus sagt, vor der Bundestagswahl kommt es nicht bei allen gut an, in dieser Frage keine Entscheidung zu treffen.

Hier ist in erster Linie der Bund gefragt. Da bitte ich alle, gerade die Christdemokraten, darauf Einfluss zu nehmen, damit entsprechend gehandelt wird.

Es besteht die Möglichkeit, dass privat Menschen aufgenommen werden können. Aber man muss sehen, Menschen – – –

Ich habe eben schon meinen Freund, den Syrer, zitiert. Der ist als Arzt in der Lage, Familienangehörige aufzunehmen. Dadurch wird er nicht in finanzielle Schwierig

keiten geraten. Aber wenn man überlegt, Kranken- und Pflegeversicherung, Unterhalt,

(Glocke des Präsidenten)

was hier aufzubringen ist, dann können das nicht alle machen. Hier ist der Bund gefordert, Experten zu Rate zu ziehen, den Leuten zur Verfügung zu stellen, damit ohne öffentliche Sozialleistungen ein Aufenthalt gewährt werden kann.

(Glocke des Präsidenten)

Die restlichen Forderungen trage ich nachher vor.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Alt. – Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bürgerkrieg in Syrien wird unvermindert mit großer Härte auch gegen die eigene Bevölkerung geführt. Anfang 2011 haben sich friedliche Proteste in Syrien im Zuge des Arabischen Frühlings zunehmend zu einem bewaffneten Konflikt entwickelt. Dieser Konflikt hat millionenfaches Leid und Elend sowie eine Fluchtbewegung in einem ungeahnten Ausmaß ausgelöst. Leidtragende ist die Zivilbevölkerung. Sie ist Bombenangriffen, Heckenschützen und sonstigen Kampfhandlungen schutzlos ausgeliefert. Die Versorgung mit Medizin und Nahrungsmitteln ist stark eingeschränkt.

Für viele ist der Bürgerkrieg zu einem Überlebenskampf geworden. Viele haben diesen Überlebenskampf bereits verloren.

Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Konflikt bereits über 100.000 Menschenleben gekostet. 6 Millionen Menschen befinden sich seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs auf der Flucht. 2,6 Millionen Menschen sind ins Ausland geflohen, insbesondere in den Libanon, nach Jordanien, in die Türkei, in den Irak und nach Ägypten.

Laut UNICEF sind unter den Flüchtlingen 1 Million Kinder.

Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefordert, einen solidarischen Beitrag zur Bewältigung dieser Flüchtlingsproblematik zu leisten. Momentan sind die Lasten allerdings ungleich verteilt. Den Großteil der Flüchtlinge haben die Anrainerstaaten aufgenommen.

Allein im Libanon halten sich weit über 700.000 Flüchtlinge auf. Die Bundesrepublik unterstützt finanziell und mit humanitärer Hilfe vor Ort.