Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Durch Beschluss des Landtags vom 25. September 2014 ist der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Integration, Familie, Kinder und Jugend – federführend – und an den Rechtsausschuss überwiesen worden. Der Ausschuss für Integration, Familie, Kinder und Jugend hat den Gesetzentwurf in seiner 31. Sitzung am 7. Oktober 2014 beraten. Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner 36. Sitzung am 14. Oktober 2014 beraten. Die Beschlussempfehlung lautet: Der Gesetzentwurf wird angenommen.
Eigentlich nicht. Da das ein Gesetzentwurf der Landesregierung ist, kommt normalerweise zuerst die Opposition. Frau Kollegin Huth-Haage, Sie haben erneut das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wichtig und richtig, dass wir gemeinsame Ziele im Landesgesetz formulieren: Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie Schutz vor Misshandlung und Vernachlässigung. – Wir müssen uns aber schon fragen, ob das Verfahren stimmt. Wir haben immer wieder die hohe Anzahl der falschpositiven Meldungen thematisiert. Wir wissen, dass es viele Risikofamilien gibt, die ohnehin schon im Fokus des Jugendamtes sind. Deshalb ist es die legitime und wichtige Frage, die wir uns stellen müssen: Gibt es bessere, effektivere und
Frau Ministerin, Sie haben beim Institut für Gesundheitsökonomie an der Universität Köln eine KostenNutzen-Analyse in Auftrag gegeben. Wir hätten es sehr gern gesehen, dass wir über diese Ergebnisse informiert worden wären. Ich habe das in der ersten Beratung schon angesprochen. Ich muss ganz ehrlich sagen, in der letzten Ausschusssitzung, die wir in der vergangenen Woche hatten, wäre es der richtige Zeitpunkt gewesen, uns diese Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen;
denn wer meint, dass dieser Gesetzentwurf, über den wir heute beraten und abstimmen sollen, aktuelle Ergebnisse berücksichtigt, der täuscht sich. Was hier zugrunde gelegt wurde, ist eine Evaluation, die drei Jahre alt ist, Frau Ministerin. Das zeigt zum einen auch, dass Ihr Ministerium – mit Verlaub – sehr langsam arbeitet und es sehr schwerfällig ist. Wir sagen, dass es sich wieder einmal in die Reihe der handwerklichen Fehler einreiht.
Das richte ich auch an die Kollegen der regierungstragenden Fraktionen. Wie sollen wir denn heute über ein Gesetz beschließen, wenn wir schon längst wissen, dass es neuere Erkenntnisse und neuere Untersuchungen gibt, die wir aber nicht kennen? Frau Ministerin, deshalb möchte ich noch einmal das wiederholen, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt habe. Im Sinne der Transparenz und im Sinne der Beteiligung auch des Parlamentes fordere ich Sie auf, uns die Kosten-NutzenAnalyse vorzulegen. Es wäre ein gutes Zeichen gewesen, wenn Sie das in der vergangenen Woche getan hätten. Dann hätten wir hier auch inhaltlich mitreden können. Weil das leider nicht vorliegt, wird sich meine Fraktion bei dieser Abstimmung enthalten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Damen und Herren Abgeordnete! Die Details, die in dem Entwurf des Landeskinderschutzgesetzes veröffentlicht worden sind, sind uns alle bekannt. Ich möchte in meiner Rede eher noch einmal auf die Situation und die Genese eingehen. Im März 2008 trat das Landesgesetz zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit in Rheinland-Pfalz in Kraft. Es gehörte damit zu den ersten Gesetzen auf Länderebene. Im Jahr 2010 legten dann fast alle anderen Bundesländer eigene Gesetze vor. Grundlage dieser Gesetzentwürfe waren die tragischen Ereignisse der
Kindestötungen. Der Fall Kevin ist uns zum Beispiel allen bekannt. Leider war Kevin dem Jugendamt, aber auch den unterschiedlichen Beratungsdiensten der Jugend- und Gesundheitshilfe sowie auch der Polizei und der Justiz bekannt. Dennoch konnte es zu dieser Kindestötung kommen. Diese konnte nicht verhindert werden, weil leider zu dem Fall das Ineinandergreifen der verschiedenen Behörden damals nicht funktionierte.
Es gab weitere Hinweise darauf, dass auch in anderen Fällen ähnliche Lücken im Hilfesystem und bei Abstimmungsprozessen zwischen den Institutionen zu diesem Zeitpunkt vorhanden gewesen waren. Man war sich zu der Zeit auch besonders darüber im Klaren, dass gerade die kleinen Kinder unter drei Jahren, die nicht in eine Kita oder in eine ähnliche Einrichtung gehen, einer besonderen Situation ausgesetzt waren und durch diese Betreuung oder Beobachtung durch diese Fachleute außerhalb der Familie vielleicht auch manchmal diesem Schutz von außen nicht unterlegen haben.
Was bedeutet das? Für uns in Rheinland-Pfalz war damals natürlich klar – Rheinland-Pfalz hat sehr schnell reagiert –, dass die Prävention und auch der Einsatz der frühen Hilfen gerade in dem jungen Alter eine ganz große Bedeutung spielten. Hier sind natürlich besonders die Hebammen, die Geburtskliniken, die Frauen- und Kinderärzte zu nennen; denn das sind die, die unmittelbar vor oder nach der Geburt mit den jungen Eltern oder mit den werdenden Eltern in Kontakt treten. RheinlandPfalz hat auf dieser Grundlage damals das Programm „Guter Start ins Kinderleben“ gestartet.
2013 – das ist eine traurige Zahl – wurde laut polizeilicher Statistik bundesweit eine Zahl von 153 Kindern tödlich misshandelt. 113 Kinder davon waren jünger als sechs Jahre. Das bedeutet umgerechnet leider, dass wir einen Stand von ungefähr drei Kindern pro Woche haben, die durch diese Misshandlungen zu Tode kommen. Bei der Dunkelziffer von Fällen der Kinder, die Misshandlungen überleben, gehen die Fachleute in kriminologischen Studien von einem Faktor von 400 aus. Das ist eine sehr erschreckende Zahl; denn das bedeutet, dass auf jeden bekannt gewordenen Fall 400 nicht bekannte Fälle kommen.
Leider ist auch ein Ergebnis, dass diese Kinder vor allen Dingen im familiären Umfeld besonders gefährdet sind. Erschreckend ist auch, dass gerade viele dieser Familien beim Jugendamt oder bei den freien Trägern der Jugendhilfe bekannt waren. Deswegen ist das Landeskinderschutzgesetz, aber auch die zukünftige Diskussion über die Inhalte und über die Weiterentwicklung für uns alle ganz besonders wichtig. Wir müssen alle auch zukünftig – wir erwarten im nächsten Jahr den neuen Kinder- und Jugendschutzbericht – parteiübergreifend diskutieren und weiterentwickeln, wie wir jedes einzelne Kind zukünftig schützen können, so gut es irgendwie geht.
Ich finde es sehr schade, dass gerade das Signal kam, dass sich die CDU bei der Abstimmung zu diesem Landeskinderschutzgesetz enthält.
Ich finde es trotzdem schade. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass wir hier einstimmig dieses Signal dadurch geben, dass wir dieses Gesetz verabschieden.
Das ist leider nicht der Fall. Ich möchte Sie trotzdem bitten, das vielleicht noch einmal zu überlegen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Frau Huth-Haage, wir haben sehr intensiv und gut im Ausschuss diskutiert. Auch hier haben wir schon einmal richtiggestellt, dass die Dramatisierung mit der hohen Anzahl der falschpositiven Meldungen wirklich weit über das Ziel hinausschießt.
Was wird mit diesem Gesetz gemacht? – Es wird das geregelt und umgesetzt, von dem man festgestellt hat, dass man etwas regeln kann, nämlich es wird Bürokratie abgebaut. Das heißt, die Jugendämter sind sehr froh über das, was wir hier machen. Die Gesundheitsämter sind froh darüber, weil sie nämlich nicht mehr gezwungen sind, automatisch jeden Fall – auch den, den man erklären kann – der Nichtteilnahme an den Untersuchungen zu melden, sondern sie einen anderen Spielraum haben. Der Datenschutz wird entsprechend umgesetzt. Darüber hinaus erfolgt die Umsetzung ins richtige Ministerium. All das tun wir hiermit.
Ich finde es wirklich schade – das möchte ich an der Stelle sagen –, dass wir formale Dinge, die – wie ge- sagt – die Kommunen, die Jugendämter, die Gesundheitsämter und der Datenschutzbeauftragte wirklich begrüßen, nicht miteinander umsetzen können. Hieran sieht man wieder einmal die Devise der CDU, nur ja keinen Antrag mittragen, nur ja kein Gesetz mittragen. Hier würde es aber überhaupt nicht wehtun. Selbst das muss man aber skandalisieren. Sie wissen, dass die Kosten-Nutzen-Analyse noch nicht fertig ist. Sie wissen aber auch, dass die Kommunen auf diese Änderung warten. Daher sind wir als SPD-Fraktion froh darüber, dass wir diesen Gesetzentwurf heute so zur Abstimmung bringen können, damit er so weitergeht und damit nach diesen neuen Regelungen verfahren werden kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit nunmehr sechs Jahren gibt es das rheinland-pfälzische Landeskinderschutzgesetz. Unser Landeskinderschutzgesetz hat bundesweit Maßstäbe gesetzt; denn es verknüpft frühe Förderung, Kinderschutz und Kindergesundheit miteinander. Durch dieses Gesetz hat sich eine Kultur des Hinschauens und des sich Kümmerns in den Regionen entwickelt. Dies ermöglicht Kindern einen guten Start ins Leben.
Das verbindliche Einladungswesen zu den Früherkennungsuntersuchungen für die Kinder mit dem Ziel, das gesunde Aufwachsen zu fördern, hat sich bewährt. Ich freue mich, dass seit Einführung des Landeskinderschutzgesetzes 99 % aller Kinder unter sechs Jahren an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen.
Gleichwohl hat sich im Laufe der Zeit Anpassungsbedarf ergeben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, entwickeln wir unser Landesgesetz weiter. Zentrale Ziele unserer geplanten Neuregelung sind erstens die Entlastung der Gesundheitsämter und der Jugendämter von unnötigen Meldungen, zweitens die Verbesserung des Datenschutzes durch die Verkürzung der Speicherung personenbezogener Daten, drittens die Anpassung des Gesetzentwurfs an die neuen Ministeriumszuständigkeiten, und viertens wurde bei den Informationen zum Kinderschutz der Kreis der Geheimnisträgerinnen und Geheimnisträger im Bundesgesetz geändert, sodass die Informationen an die Jugendämter nur von den Berufsgruppen weitergegeben werden dürfen, die wirklich mit den Kindern arbeiten und einen beruflichen Bezug zu den Kindern und Jugendlichen haben. Weil es diese bundesgesetzliche Regelung gibt, kann die rheinland-pfälzische Regelung ersatzlos entfallen.
Nach der Grundsatzbilligung des Gesetzentwurfs im Ministerrat 2013 gab es eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände, der fachlichen Verbände und anderer Institutionen und Organisationen. Daraufhin haben wir den Gesetzentwurf noch einmal angepasst.
Wir sind der dringenden Bitte des Landkreistags, des Städtetags und des Fachausschusses Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Landesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Rheinland-Pfalz gefolgt, die Höchstfrist für die Datenspeicherung durch die Gesundheitsämter nicht auf ein Jahr, sondern auf 18 Monate zu reduzieren. Damit wird es den Gesundheitsämtern ermöglicht, im erforderlichen Um
fang auf bereits vorhandene Kontaktdaten zurückzugreifen, wenn eine erneute Kontaktaufnahme zu den Eltern erforderlich sein sollte.
Wir haben den Gesetzentwurf in der vergangenen Woche im Ausschuss ausführlich diskutiert. Ich habe da noch einmal darauf hingewiesen, dass die Landesregierung in jeder Legislaturperiode verpflichtet ist, einen Bericht über die Umsetzung des Gesetzes auf Basis einer wissenschaftlichen Evaluation vorzunehmen.
Die gesetzlichen Änderungen, die wir heute vornehmen, gehen auf den ersten Bericht der Landesregierung und die Hinweise des Landesdatenschutzbeauftragten zurück. Wir sind hier in einer Bringschuld. Der nächste Evaluationsbericht wird gemeinsam mit dem Bericht der Landesregierung im kommenden Jahr veröffentlicht. Wir werden uns dann viel Zeit für die Diskussion nehmen.
Ich will abschließend noch einmal sagen: Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir sind mit unserem Gesetz einen sehr guten Schritt nach vorne gegangen, aber dennoch müssen wir sagen, wir müssen alles unternehmen, um die Kinder zu schützen und um Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Ich bitte Sie, lassen Sie uns das gemeinsam tun.
Vielen Dank. – Wir kommen zur unmittelbaren Abstimmung über den Gesetzentwurf. Wer dem Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 16/3810 – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der CDU angenommen.