Protokoll der Sitzung vom 25.02.2015

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist eine sehr stark statistisch ausgerichtete Anfrage. Ich erkenne in der Antwort, die ich mit großem Erstaunen gelesen habe, viel Statistik, viel Quantität, aber wenig Qualität bei dem, was wirklich an Versorgung stattfindet.

(Beifall bei der CDU)

Es wird über die hausärztliche Versorgung gesprochen, die ärztliche Versorgung, die mit Psychotherapeuten, Heilmittelerbringer sogar, Apotheken und Krankenhäuser. Ein Bereich, der besonders wichtig ist, nämlich die Notfallversorgung und Notfallmedizin, wird völlig ausgeklammert, und das, obwohl es in dem Bereich bekanntermaßen erhebliche Defizite gibt. Darauf komme ich später noch zurück.

Mir bleibt die politische Intention der Anfrage unklar. Angesichts der Antwort ist es möglich, die Versorgung in Rheinland-Pfalz im medizinischen Bereich als bedarfsgerecht zu beurteilen. So stellt es die Landesregierung in ihren Ausführungen auch da.

Man kann aber auch – das machen wir – aus den Antworten die Probleme herauslesen, die wir bereits im Herbst in unserem Antrag „Ärzteversorgung in Rheinland-Pfalz“ aufgegriffen haben. Das gilt insbesondere – Herr Kollege Schmidt, ich war ein bisschen enttäuscht und hatte ein bisschen mehr Biss von Ihnen erwartet – für die Angaben zur Altersstruktur der Ärzte vor allen Dingen in der Zukunft.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Man findet bei diesen Antworten überhaupt keine demografische Dimension, eine Dimension, die auf die Probleme in der nahen und fernen Zukunft hinweist, Frau Bätzing-Lichtenthäler.

Ich möchte die nächsten zwei Minuten drei Bereiche kurz ansprechen. Ich hatte eben von der Notarztversorgung gesprochen, die in der Tat völlig ausgeblendet ist. Wir haben in dieser Wahlperiode vor ca. zwei Jahren eine Kleine Anfrage Jahren gestellt – Drucksache 16/3879 –. In dieser hat die Landesregierung in der Tat eingestanden, dass es an insgesamt 62 % der Notarztstandorte in unserem Land bereits heute sehr schwerfällt, Ärzte zu finden. Über 80 % der Standorte sagen, dass sie von einer weiteren Verschärfung der Personalsituation ausgehen.

(Frau Thelen, CDU: Da hätte man einmal nachfragen müssen!)

Dies ist hausgemacht. Es gibt keine öffentlichrechtlichen Verträge, obwohl das Gesetz seit vielen Jahren gilt. Herr Lewentz ist leider jetzt gerade außerhalb des Saales. Es gibt keinen landesweiten Finanzausgleich. Es gibt keine Honorierung wie beim kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Dann muss man sich nicht wundern, wenn es in diesem Bereich einen Mangel

gibt. Den Mangel löst man nicht, indem man das Problem einfach nicht anspricht. Das ist falsch.

(Beifall der Abg. Frau Thelen und Frau Kohnle-Gros, CDU)

Hier hätte es eines Masterplanes bedurft, und zwar viel dringender.

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, nämlich die niedergelassenen Ärzte, vor allen Dingen die Hausärzte. 50 % sind über 55 Jahre alt, 30 % über 60 Jahre alt. Diese wichtige Zahl kommt überhaupt nicht vor. Es wird auch nicht bewertet, dass es Probleme beim studentischen Nachwuchs gibt. Wir wissen, dass zwei ausscheidende Ärzte heute von drei ersetzt werden müssen, weil vor allen Dingen junge Kolleginnen und Kollegen, ähnlich wie Politiker, Familie und Beruf vereinbaren wollen. Gerade bei den Hausärzten können wir das Problem nur lösen, wenn wir früher bei den Studenten an der Universität anfangen,

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Sehr richtig!)

indem wir das Interesse für die Allgemeinmedizin stärken. Wir sind das einzige Bundesland, welches offensichtlich immer noch keinen Lehrstuhl hat.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich gehe davon aus, wenn er da wäre, hätten wir eine Riesenpressemeldung in den letzten Wochen gelesen. Ich habe sie bisher nicht gelesen.

(Schweitzer, SPD: Mehrere Pressemeldungen!)

Dann könnten Sie mir diese einmal geben. Vor sechs Wochen gab es das noch nicht. Darüber müssen wir im Ausschuss reden. Deswegen stimme ich dem zu.

Unabhängig davon war es für Ende des letzten Jahres angekündigt. Wenn der Lehrstuhl jetzt besetzt sein sollte – und ich vermisse in der Tat die plakative Meldung –, dann muss man sich fragen, warum das so lange gedauert hat. Das bleibt bestehen.

Letzter Punkt: Die stationäre Krankenhausversorgung war diese Woche ein Thema, Frau BätzingLichtenthäler. Alle Jahre wieder streiten wir uns über das halb volle oder halb leere Glas. Es geht um 114 Millionen Euro zur Investitionsförderung. Mehr steht nicht zur Verfügung, weil Geld seit vielen Jahren für andere Dinge ausgegeben wird. Wir haben einen Stau, der deutlich über eine halbe Milliarde Euro beträgt. Doppelt so viel brauchen die Krankenhäuser – das sagen auch die Kassen –, um Investitionen zu tätigen. Das hat etwas mit Qualität zu tun, wenn man eine Statistik macht. Man kann das nicht nur an der Quantität festmachen.

Ich darf in dem Zusammenhang sagen, dass das Land von 2001 auf 2003 die Investitionsförderung unserer Krankenhäuser um 17,4 % gesenkt hat. Die Krankenhäuser haben auch Statistiken. Nur in drei Jahren ist man darüber gegangen. Dieses Jahr und letztes Jahr war man vier Millionen Euro darunter. Das führt dazu, dass dieses Geld nicht da ist und die Krankenhäuser

aus den DRG-Erlösen, Betriebskostenerlösen Investitionen tätigen müssen, die woanders fehlen. Das ist mir sogar vom Leiter des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz, Herrn Schneider, schriftlich vorige Woche bestätigt worden. Ich fand das bemerkenswert und mutig.

Es bleibt festzuhalten, 42 % unserer Krankenhäuser – auch das gehört zur Statistik dazu – rechneten im letzten Jahr mit einem Defizit. Weitere 32 % gehen davon aus, dass ihr Jahresüberschuss ganz schmal ist, maximal 1 %, eher darunter.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Herr Kollege Dr. Dr. Schmidt hat das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Enders, Sie haben gesagt, die Große Anfrage bezieht sich rein auf die Statistik. Das ist teilweise richtig. Aber Sie wissen auch, wenn von Qualität geredet wird – deshalb habe ich das gesagt – und wenn wir mit den endlosen Debatten weiterkommen wollen, dann müssen wir die Kernaufgabe der medizinischen Versorgung definieren. Ich habe deshalb gesagt, dass wir die Menschen und ihre Umwelt in den Mittelpunkt des ärztlichen Handelns stellen müssen.

Wir wissen, dass die Hausärzte einen Topf für das Quartal haben. Sie müssen schauen, dass am Ende des Quartals der Topf voll ist. Dafür kann der Arzt nichts. Das ist der falsche Anreiz. Deshalb haben wir in Deutschland 16 bis 18 Hausarztbesuche. Das kostet viel Zeit für diejenigen, die das wirklich dringend brauchen.

Die Notfallmedizin und der Bereitschaftsdienst sind Fragen der Organisation. Wir wissen, es gibt falsche Anreize, beispielsweise wenn der Patient weiß, dass er auch mit einem Schnupfen hingehen, sich krankschreiben lassen und Medikamente holen kann. Das kostet für diejenigen, die einen wirklichen Notfall haben, Zeit. Notfall heißt Notfallmedizin. Definitionsgemäß hatten wir gelernt, dass Notfall bedeutet, dass in unmittelbarer Nähe etwas passiert.

Sie wissen, dass vor Kurzem in den Medien berichtet wurde, dass in Mainz am Uniklinikum etwa 30 % derjenigen, die sich dort als Notfall anmelden, in der Regel banale Fälle sind. Man erhält 30 bis 40 Euro, obwohl sie Kosten im Krankenhaus von 120 bis 130 Euro ausmachen. Mit dieser Form der Versorgung kommen wir nicht weiter. Das machen wir seit Jahren. Deshalb habe ich gesagt und sage, wir brauchen eine Kulturwende in der medizinischen Versorgung, bei der wirklich für den Arzt der Mensch im Mittelpunkt steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Zur Erwiderung hat Herr Kollege Dr. Enders das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will kurz erwidern. Wir haben dank Ihres Vorschlags, dem wir zustimmen werden, Gelegenheit, im Ausschuss darüber zu reden.

Ich sprach von der Notfallmedizin und nicht von der Notaufnahme. Das müssen wir in Ruhe erläutern und diskutieren. Ich habe nichts dagegen, dass man eine Statistik über eine Versorgungsdichte macht. Das für sich allein genügt aber nicht. Ich muss daraus Konsequenzen definieren und darf nicht so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Ich denke, deswegen ist es gut, unsere Kritik demnächst im Ausschuss noch einmal aufleben zu lassen und vernünftig darüber zu reden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich erteile Frau Kollegin Scharfenberger das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind heute in allen gesellschaftlichen Strukturen mit einer enormen Veränderung konfrontiert. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem stetigen Wandel durch Veränderungen in der Arbeitswelt oder in der Mobilität. Dies hat Folgen auch für das soziale Zusammenleben der Menschen, in der Veränderung der Familienformen, der Lebensbiografien und Folgen für die Bevölkerungsstruktur und -entwicklung.

Dabei wird kaum eine Entwicklung Deutschland in den kommenden Jahren so prägen wie der demografische Wandel. Heute werden nur etwa halb so viele Kinder geboren wie im Jahr 1950. Das Verhältnis von Kindern zu 65-Jährigen beträgt 1 : 1.

Gleichzeitig leben die Menschen heute zum Glück beträchtlich länger. Männer werden durchschnittlich 75 Jahre alt, Frauen 82 Jahre.

Diese Entwicklung ist nicht zuletzt Ausdruck der Innovationskraft des medizinischen Fortschritts und einer sehr guten medizinischen Versorgung der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten.

Mit der gestiegenen Lebenserwartung steigen auch die Leistungsinanspruchnahme und die Intensität der Behandlung und Betreuung. Auf der anderen Seite macht der demografische Wandel auch auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte nicht halt; denn der hohe Anteil mit einem Alter über 50 bzw. über 60 Jahren nimmt stetig zu. Es ist nicht einfach, frei werdende Hausarztstellen gerade im ländlichen Raum wieder zu besetzen.

Diesen Herausforderungen müssen wir begegnen, damit im demografischen Wandel eine flächendeckende leistungsfähige und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zur Verfügung steht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die nun vorliegende Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt uns einen sehr guten detaillierten Einblick in die medizinische Versorgungsdichte in Rheinland-Pfalz. Ich finde den Ansatz der statistischen Erhebung bewusst gewählt. Ich finde es gut, dass man eine statistische Grundlage bekommt.

In Bezug auf die hausärztliche und ärztliche Versorgung kann neben einer allgemeinen Zunahme der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte in den letzten Jahren auch festgestellt werden, dass laut dem Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen keine Unterversorgung und in 58 % der hausärztlichen Planungsbereiche in Rheinland-Pfalz sogar eine Überversorgung besteht.

Das gilt auch für die Versorgung mit Apotheken, die mit 1.065 als überdurchschnittlich im Vergleich mit anderen Ländern bewertet wird.

Alle Versorgungsaufträge in physiologischer Hinsicht, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sind besetzt. Es bestehen lediglich 14 derzeit noch unbesetzte Niederlassungsmöglichkeiten für Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln.

Auch die Zahl der Heilmittelerbringerinnen und -erbringer ist angestiegen, sodass die Patientinnen und Patienten zwischen immer mehr Leistungserbringern entscheiden können. Hier werden die Bemühungen zur Kostenfreistellung in der Ausbildung der Physiotherapeutinnen und -therapeuten ihre Früchte tragen.