Protokoll der Sitzung vom 19.03.2015

Die geistesgeschichtliche Annahme, Selbstbestimmung umfasse auch die Freiheit, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen, geht von einem Menschenbild aus, in dem jeder Mensch fähig und in der Lage ist, durch Vernunft zu erkennen und zu entscheiden. Davon sind aber viele Menschen weit entfernt. Das ist ein Menschenbild, das wir heute nicht mehr teilen. Wir teilen nicht mehr das Menschenbild, dass Vernunft und eigene Entscheidungsautonomie den Menschen zum Menschen machen. Das liegt Jahrhunderte hinter uns.

Krankheit, Behinderung oder Störung sind in dem Menschenbild, das wir heute haben, das auf die freie Willensentscheidung, auf die Vernunft jedes Menschen abzielt, nicht unterzubringen. Assistierter Suizid setzt aber voraus, dass der Mensch, der sich zur Selbsttötung entschließt und dafür die Unterstützung Dritter in Anspruch nehmen will, in keiner Weise in seiner freien Willensbildung eingeschränkt ist. In allen anderen Fällen wäre das nämlich Tötung auf Verlangen, wenn nicht gar Tötung gegen den anzunehmenden Willen der entsprechenden Person.

Die Trägerin oder der Träger der freien Willensentscheidung darf also in keiner Weise einer Beeinträchtigung oder Beeinflussung unterliegen, also weder minderjährig sein noch unter einer Depression oder unter einer depressiven Episode aufgrund gesundheitlicher oder sozialer Situation leiden. Die freie Willensentscheidung setzt

zudem voraus, dass jegliche Wirkung psychoaktiver Substanzen oder Medikamente im Moment der Entscheidung ausgeschlossen ist.

Jetzt stellen wir uns vor, welche Menschen dann eigentlich noch übrig bleiben und für welche Situationen eine Regelung angestrebt wird. Wie soll so etwas rechtssicher feststellbar sein? Jedenfalls schließt dies doch aus, dass Personen oder Organisationen sogenannte Hilfe zur Selbsttötung anbieten oder durchführen, die nicht auf die entsprechenden Strukturen und Kompetenzen verweisen können. Es sind nicht nur Ärzte, die die entsprechenden Kompetenzen haben, sondern das gilt auch für Recht, Soziales, Pflege, Medizin, Psychologie, Soziologie und natürlich auch die ganz normale Mitmenschlichkeit.

Die freie Willensentscheidung setzt damit auch voraus, dass sie nicht unter dem Eindruck ungenügender Teilhabeerwartungen, also unter dem Eindruck entsteht, dass die Gesellschaft diese Menschen nicht mehr an- und aufnimmt.

Frau Raue hat gesagt, die Menschen dürfen nicht bedrängt werden. Die Situation darf diese Menschen nicht nötigen. Das hat sie auch gesagt. Diese Situation der Nötigung muss ausgeschlossen sein. Das können aber weder Laien noch irgendwelche Vereine leisten und so rechtssicher ausschließen, dass wir dem als Gesetzgeber folgen sollten.

Ich warte die Anhörung in diesem Hohen Hause ab, ob dafür eine Gesetzesänderung erforderlich ist. Ich möchte Ihnen diese Gedanken mitgeben. Die Abhängigkeit von Unterstützung und Pflege muss als Phase verstanden werden. Das darf nicht ein Punkt ohne Wiederkehr sein. Menschen, die von Hilfe, Unterstützung und Pflege abhängig sind, können in aller Regel eine größere Teilhabe erreichen, indem man sie annimmt, ihre Einsamkeit verhindert, entsprechend behandelt und ihre Aktivitäten fördert.

Wie Herr Mertes gesagt hat, müssen hierfür Pflegende und die Familie entlastet werden. Nach der Argumentation, die ich versucht habe, Ihnen in meiner laienhaften Weise nahezubringen, ist es nicht schlüssig, dass assistierter Selbstmord in den vielen Fällen, in denen er so genannt wird, tatsächlich existiert, sondern hier müssten andere juristische Begriffe einschlägig sein.

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Als Gäste auf der Zuschauertribüne begrüße ich Mitglieder des SPD-Gemeindeverbands Langenlonsheim. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Ganster von der CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Jeder, der sich heute bei unserer Orientierungsdebatte zu Fragen der Sterbehilfe zu Wort meldet, hat seine eigene Perspektive, die von jeweils unterschiedlichen Berührungspunkten zum Thema Tod und Sterben geprägt ist. Auch ich hatte solche Berührungspunkte im Familienkreis, aber auch im Rahmen meiner wissenschaftlichen Beschäftigung während meines Theologiestudiums und vor allem auch während meiner Zeit im Hospiz, die ich im Laufe meines Studiums dort verbracht habe.

Dieser Zeit im Hospiz verdanke ich es, dass ich mich intensiv mit den verschiedenen Facetten von Sterbehilfe beschäftigt habe und ich viele Menschen in ihren letzten Wochen, Tagen oder auch nur Stunden begleiten durfte. Ich habe gelernt, dass nicht nur der Tod viele Gesichter hat, sondern das Sterben selbst.

Ich habe aus nächster Nähe erfahren können, was es heißt, Sterbephasen zu durchleben, und was es heißt, wenn jemand nicht mehr kann und auch nicht mehr will. Ich habe erlebt, was es auch für die Familie bedeutet, diesen sehr schwierigen Weg des Sterbens mitgehen zu müssen. Ich konnte durch diese Innenperspektive im Hospiz aber auch hautnah erleben, was durch gut ausgebildete Mediziner, Pfleger und Personen der Palliativmedizin möglich ist und wie durch die richtige Gabe von Medikamenten Schmerzen und auch Unruhe des Sterbenden möglichst ausgeblendet werden können.

In unserer Fraktion bin ich für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig. Deshalb beschäftige ich mich auch immer wieder mit deren Positionen zum Thema Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Bei dieser Frage herrscht bisher unter den Kirchen und großen Religionsgemeinschaften eine ganz klare und übereinstimmende Auffassung. Christentum, Judentum und der Islam lehnen eine aktive Sterbehilfe und einen assistierten Suizid gemeinsam entschieden ab.

Das Leben sei ein Geschenk Gottes, über dessen Ende nicht der Mensch zu entscheiden habe, auch wenn im Alter Krankheit und Leid drohten. Dieses Zitat aus dem Deutschlandfunk stammt nicht etwa vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, einem Bischof oder gar dem Papst. Nein, es stammt von dem muslimischen Arzt Zouhair Al-Halabi. Al-Halabi hat für den Zentralrat der Muslime eine Stellungnahme zum Thema Sterbehilfe verfasst und ist selbst seit über 20 Jahren niedergelassener Arzt mit Schwerpunkt Onkologie und Palliativmedizin.

Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Mit diesem Geschenk des Lebens ist auch jedem Einzelnen von uns eine Würde geschenkt. Diese Würde des Menschen besteht von Beginn an bis zum letzten Atemzug. So besagt es auch unsere christliche Ethik. Diese Würde des Menschen – wir haben es heute schon mehrfach gehört – ist unantastbar und so auch in unserem Grundgesetz niedergelegt. Sie gilt uneingeschränkt für alle Menschen, egal,

welche Religion, Herkunft und Hautfarbe sie haben,

ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, – ob dieser Mensch ein Säugling ist, der sich noch nicht artikulieren kann, – ob es ein Mensch mit Behinderung ist, der vielleicht sein Leben lang auf Pflege und Hilfe angewiesen ist, und – ob es ein sterbenskranker Mensch ist.

Die Menschenwürde kommt ausnahmslos allen zu. Nun ist der Mensch theologisch gesehen von Gott aber nicht nur mit der Würde, sondern auch mit der Freiheit ausgestattet. Diese Freiheit stellt gerade in unserer aufgeklärten Gesellschaft immer wieder einen besonders hohen Wert dar. Gilt diese Freiheit nun aber uneingeschränkt auch dann noch, wenn es um das Ende meines Lebens geht? Hier sind wir wieder bei dem Grundkonsens der großen Religionen. Nein, so wie der Beginn des Lebens ist auch das Ende des Lebens den Menschen nicht verfügbar.

Nun muss ich aber wieder auf den Anfang meiner Rede und auf die Erfahrungen, die ich selbst im Hospiz gemacht habe, zurückkommen, in dem ein Bewohner den Wunsch hatte, dass sein Leben beendet wird. Er hatte nicht wie viele andere ein langes Krebsleiden oder große Schmerzen hinter sich. Er wollte aus seinem Verständnis von der Würde und der Freiheit des Menschen heraus den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen.

Es steht niemandem zu, über solch eine Gewissensentscheidung eines Menschen zu urteilen. Das besagt auch mein christlicher Glaube. Letztentscheidend ist immer das Gewissen der jeweiligen Person. Aus den verschiedenen philosophischen und ethischen Strömungen wissen wir aber auch, dass das Gewissen nicht einfach aus dem Nichts in uns entsteht und im Menschen verankert ist, sondern dass es gebildet wird. In diesem Sinn bin ich sehr froh, dass wir heute diese Orientierungsdebatte haben, die auch das eigene Gewissen vielleicht ein Stück weiterbilden kann.

(Beifall im Hause)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Hartloff das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Deutschland ist das aus guten Gründen eine schwierige Debatte, weil wir durch die Verbrechen der Euthanasie, die im Dritten Reich geschehen sind, geprägt sind. Diese sind in den 50er-Jahren erst einmal verdrängt worden. Ernst Klee hat Verdienste bei der Aufarbeitung der Euthanasie-Verbrechen erworben.

Hier im Land ist in Scheuren, Klingenmünster und an anderen Orten eine spät notwendige Arbeit gemacht worden. Deshalb ist es ein Tabu in Deutschland. Dieses Tabu ist im Laufe der Jahre abgeschwächt. Deshalb ist es gut, dass wir so, wie wir es machen, in der Debatte darüber diskutieren. Wir diskutieren über gesellschaftli

che Missstände. Joachim Mertes hat gesagt: Das Leben ist vom Tode bestimmt. – Das ist unser Werdegang.

Es geht darum, wie die Gesellschaft auseinanderdriftet, wie Vereinsamung da ist und wie die gesellschaftlichen Zwänge sind. Die Frau Ministerpräsidentin hat vorhin hervorgehoben, was wir in der Pflege schon erreicht haben und was sich in der Schmerztherapie verbessert hat. Deutschland liegt im internationalen Vergleich immer noch nicht on the top.

Herr Dr. Enders hat darauf hingewiesen, welche Fortschritte die Palliativmedizin macht. Da sind wir nicht so gut aufgestellt. Wir brauchen Verbesserungen. Die Welt wird auch nicht heil werden. Es wird Grenzfälle geben – das hatten fast alle Rednerinnen und Redner in ihren Debattenbeiträgen dabei –, bei denen es aus meiner Sicht aus der Würde des Menschen heraus vielleicht für Einzelne die Möglichkeit geben sollte, dass ihnen geholfen wird.

Herr Dr. Konrad, bei allem Wissen darum, wie sehr wir Einflüssen unterliegen: Was ist freier Wille, ganz unabhängig von der Frage der Krankheit?

Ich glaube aber, wir können auch nicht umgekehrt hingehen und sagen: Jemand, der – in welcher Lebenssituation auch immer – den Freitod wählt, macht das, weil er im Moment depressiv ist, weil er eigentlich davon geheilt werden kann. In vielen Fällen ist das so, in den meisten wahrscheinlich.

Es wird aber die Grenzfälle geben, in denen jemand das nicht selbst kann, in denen es auch keine Menschen gibt, die ihm helfen, und – das wurde auch von verschiedenen Rednerinnen und Redner angesprochen – in denen sich Ärzte in einer Grauzone bewegen, wenn sie denn helfen, manchmal – das ist erlaubt –, wenn einfach unterstützende medizinische Maßnahmen abgestellt werden, nicht mehr fortgeführt werden. Sie wissen, wie im medizinischen Fortschritt heute lebenserhaltend gearbeitet werden kann, wie es manchmal vielleicht auch unverantwortlich gemacht wird, aus ganz anderen Interessen. Ich glaube, das gehört zur Wahrheit auch dazu.

Wie kann ich es dann beenden? Wie kann ich denjenigen, die assistieren – und das sollten Menschen sein, die ihr Metier verstehen, Ärzte –, helfen, dass sie nicht leichtfertig werden, aber ein Stückchen mehr Rechtssicherheit haben, nicht mehr, nicht weniger?

Ich glaube, das ist Kern der rechtlichen Debatte, neben dem Punkt – da bin ich mit denjenigen, die das gesagt haben, einer Meinung –, Werbung, wenn es rechtssicher geht, zu verbieten. Wir hatten vor einigen Jahren einen entsprechenden Bundesratsantrag gemacht, der dann keine Mehrheiten gefunden hat. Es steht für mich außer Frage, so etwas zu tun.

Für diese Grenzsituation kann ich mir aber vorstellen, dass man dort rechtlich die Möglichkeiten erweitert, dies bei allem Verständnis für das, was Hedi Thelen und andere gesagt haben, dass natürlich dann, wenn man Regelungen verändert, auch die Gefahr von gesellschaftlichem Druck entsteht, dass bei dem, was jetzt

schon da ist – ich möchte denen nicht zur Last fallen, ich möchte schauen, dass ich niemand anderen dort habe – und wo wir eine andere Kultur fordern, es trotzdem aber geschehen kann, dass dann, wenn ich irgendwo etwas verändere, von dieser Veränderung mehr Gebrauch gemacht wird.

Machen wir uns aber nichts vor. Darin habe ich durchaus auch Erfahrung als jemand, der praktisch im Leben steht und nicht die philosophischen Fragen bespricht. Es gibt die Grauzonen, und sie werden heute schon genutzt. Die Frage ist, ob man sie wirklich aus dem Grauen herausholen kann, ob das überhaupt geht oder ob das nicht geht, ob wir mit unserem Latein, was die rechtlichen Rahmenbedingungen anbelangt, am Ende sind.

Bei dem, wie man Menschen helfen kann, sind wir nicht am Ende. Dort haben wir eine Menge Aufgaben, die die vorherigen Rednerinnen und Redner genannt haben. Denen sollten wir uns vorrangig stellen, keine Frage, aber wir sollten auch dem anderen nicht ausweichen.

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Sippel das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will mit einem Zitat beginnen, ein Zitat von Bischof Wolfgang Huber, dem früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich zitiere: „Wir alle sollten Sterbenden so beistehen, dass der Wunsch, getötet zu werden oder sich selbst zu töten, gar nicht erst aufkommt.“

Meine Damen und Herren, Sterben ist eine essenzielle Frage unseres Lebens. Es ist gut, dass wir darüber eine offene Debatte führen. Das Thema wurde allzu lange tabuisiert.

Dies vorweg: Ich halte den Rechtsrahmen in unserem Land für ausreichend. Wir haben im Strafgesetzbuch eine Strafrechtsnorm in § 216, der das Töten auf Verlangen unter Strafe stellt. Schutzzweck des § 216 ist einerseits der umfassende Lebensschutz, andererseits aber auch die Verhinderung der Sterbehilfe, soweit der Suizident die Tatherrschaft nicht mehr hat, also den letzten todbringenden Schritt nicht mehr selbst ausübt, auch aktive Sterbehilfe genannt.

Es ist weitgehend unstrittig, dass diese Strafrechtsnorm sinnhaft und notwendig ist. Darüber gibt es breiten Konsens in unserer Gesellschaft.

Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung die gesetzlichen Grundlagen weiter ausgeprägt hat. Sie hat in wesentlichen Urteilen zum Thema passive und indirekte Sterbehilfe den Rechtsrahmen gesetzt und das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten gestärkt.

Wegweisend dazu war das dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, bekannter als Patientenverfügungsgesetz, aus dem Jahre 2009. In mehreren Urteilen hat der Bundesgerichtshof danach klargestellt, dass der verfügte oder der gesicherte mutmaßliche Wille der Patientinnen und Patienten, auf lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen verzichten zu wollen, zu achten sei.